Der Ukraine-Krieg wirft seine Schatten auf die Welt
In afrikanischen Staaten wird der Weizen knapp, in Taiwan befürchtet man einen chinesischen Angriff, in London könnte es den russischen Oligarchen an den Kragen gehen und in Mexiko drohen große Ernteausfälle – die Invasion hat an vielen Orten weltweit unüberschaubare Konsequenzen.
Weltreporter Paul Flückiger berichtet ununterbrochen über die Folgen der russischen Invasion für die Menschen in der Ukraine und den Nachbarstaaten. Er hat Flüchtende von Lviv über die Grenze begleitet, hat beschrieben, wie die Menschen in Polen ihre Nachbarn aufnehmen und warum tausende ukrainische Gastarbeiter zurückkehren, um für ihr Land zu kämpfen.
Doch auch weit weg vom Kriegsgeschehen hat der Angriff auf die Ukraine weitreichende und bislang unüberschaubare Folgen. Darüber berichten Weltreporterinnen und Weltreporter aus zahlreichen Regionen des Globus, von London über Los Angeles bis nach Taiwan.
Afrikanische Union: Kein Schulterschluss mit dem Westen
Kenia und andere Staaten auf dem afrikanischen Kontinent werden die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs deutlich zu spüren bekommen. Wie Bettina Rühl aus Nairobi berichtet, beziehen sie einen Großteil ihres Weizens, aber auch Mais und anderes Getreide aus Russland und der Ukraine. Nach langen Dürren in der Region sind diese Hauptnahrungsmittel sowieso schon knapp und teuer. Der Krieg könnte die Lage weiter verschärfen.
Auf der anderen Seite steht die Hoffnung einiger Länder, zu neuen Energielieferanten aufzusteigen, etwa für Flüssiggas. Dennoch: Auch wenn die Afrikanische Union den Krieg in der Ukraine verurteilt hat, wird sich der Kontinent nicht komplett dem Westen anschließen. Moskau versucht seit einigen Jahren, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten auszubauen. Etliche Länder beziehen schon jetzt einen Teil ihrer Waffen aus Russland.
Taiwan: Weckruf von der anderen Seite der Welt
Zwar findet der Ukraine-Krieg am anderen Ende der Welt statt, doch die Menschen in Taiwan verfolgen ihn besonders aufmerksam. Der Weltreporter Klaus Bardenhagen fragt sich ob Russlands Vorgehen eine Blaupause für einen möglichen chinesischen Angriff sein könnte? Schließlich behalte sich Xi Jinping die Möglichkeit militärischer Gewalt ausdrücklich vor. "Chinas Beharren, die Taiwanfrage sei eine innere Angelegenheit, soll internationalem Eingreifen vorbeugen, " schreibt er. Ob die russische Invasion in der Ukraine einen solchen Angriff wahrscheinlicher mache oder gerade nicht, dazu gehen die Meinungen nach Einschätzung Bardenhagens auseinander.
"Die Reaktion des Westens macht Hoffnung, dass auch eine Invasion Taiwans – das für die Weltwirtschaft ungleich bedeutender ist als die Ukraine – nicht einfach hingenommen würde", hofft der in Taiwan lebende Journalist. Doch der Kampf der Ukrainer zeige auch, wie wichtig im Ernstfall Entschlossenheit und Opferbereitschaft wären. Bardenhagen: "An der Verteidigungsbereitschaft von Taiwans Armee gibt es Zweifel. Taiwans Bevölkerung ist durch Jahrzehnte chinesischer Drohungen abgestumpft – der Krieg in der Ukraine könnte sie wachrütteln."
Kalifornien: Solidarität mit der Ukraine
Kalifornien unterstützt US-Präsident Joe Bidens Sanktionen gegen Russland. Die Solidarität mit derUkraine ist im Bundesstaat größer als der Frust über steigende Benzinpreise und die Angst vor Cyber-Attacken auf Häfen oder Hollywood, schreibt Weltreporterin Kerstin Zilm aus Los Angeles. Mehr als 20.000 Hafenarbeiter an der Westküste weigern sich seit Tagen, Containerschiffe, die unter russischer Flagge fahren, zu entladen. Mehr als 112.000 Menschen mit ukrainischem Hintergrund leben in Kalifornien. Die kalifornische Nationalgarde trainiert seit fast drei Jahrzehnten mit ukrainischen Kräften und hat vor Ort Kampfpiloten ausgebildet.
Gouverneur Gavin Newsom wies alle öffentlichen Institutionen – von Universitäten bis zu Pensionskassen – an, wirtschaftliche Beziehungen mit Moskau abzubrechen. In seiner „State of the State“-Rede am 8. März verurteilte der Gouverneur erneut die russische Invasion als dreist und gesetzeswidrig. „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“, warnte er mit Blick auf politische Spaltungen in den USA. Autoritäre Impulse gebe es nicht nur anderswo.
Großbritannien: Das Ende von Londongrad?
London ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem Lieblings-Exil für Kreml-nahe Oligarchen geworden – man hat der Stadt deshalb den Spitznamen Londongrad gegeben. Anti-Korruptionskampagnen schätzen, dass in Großbritannien rund 1,5 Milliarden Pfund schmutziges russisches Geld liegen. Damit soll jetzt Schluss sein, informiert Weltreporter Peter Stäuber. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat die britische Regierung angekündigt, den Putin-Unterstützern in Großbritannien den Geldhahn zuzudrehen.
Es wird erwogen, die Villen zu beschlagnahmen und daraus Unterkünfte für ukrainische Flüchtlinge zu machen.
Sie hat nicht zuletzt die luxuriösen Immobilien der Oligarchen im Visier: Es wird erwogen, die Villen zu beschlagnahmen und daraus Unterkünfte für ukrainische Flüchtlinge zu machen. Kritiker bezweifeln, dass sich die Kehrtwende so schnell vollziehen lässt. Denn vom Geschäftsmodell der Oligarchen profitieren eine ganze Reihe von Akteuren in London – Immobilienmakler genauso wie Banker, Anwälte oder Wirtschaftsprüfer.
Südafrika: Keine Verurteilung der russischen Invasion
Südafrika gehört zu den 35 Ländern, die sich bei der Abstimmung über die Resolution der UN-Vollversammlung enthalten haben. So wie auch andere Länder dieser Region, wie Angola, Namibia, Simbabwe und Mosambik. Wie Weltreporterin Leonie March schreibt, gibt es für diese Haltung historische Gründe: etwa die sowjetische Unterstützung im Kampf gegen die Apartheid sowie in den Unabhängigkeits- und Bürgerkriegen.
Auch wirtschaftliche Verbindungen sowie Südafrikas Mitgliedschaft in der BRICS-Staatengruppe spielen eine Rolle. Die Regierung setzt auf Verhandlungen und eine Vermittlungslösung. Scharfe Kritik an dieser „neutralen“ Haltung kommt von der politischen Opposition und Stiftungen in Südafrika. Diese betonen, das Recht auf nationale Selbstbestimmung sei unantastbar und müsse verteidigt werden.
Indonesien: Gestrandete Touristen und Nickel-Boom
Chrsistina Schott berichtet, dass auf Bali russische und ukrainische Touristïnnen gemeinsam gegen den Krieg zwischen ihren Ländern demonstriert haben. Mehr als tausend sitzen auf der Ferieninsel fest – in die Ukraine gibt es keine Flüge mehr und Russïnnen kommen wegen des SWIFT-Ausschlusses ihres Landes nicht mehr an Bargeld. Indonesien hat die russische Invasion zwar klar verurteilt, schreckt vor Sanktionen aber zurück.
Neben den Folgen für den durch Corona sowieso stark angeschlagenen Tourismus fürchtet Indonesien Versorgungsengpässe durch steigende Öl- und Weizenpreise: Indonesien ist der zweitgrößte Importeur von ukrainischem Weizen. Andererseits ist Russland ein wichtiger Abnehmer für indonesisches Palmöl und größter Waffenlieferant für das indonesische Militär. Vorteile von der Krise versprechen sich lediglich die Nickel-Produzenten, weil Russland nun als einer der wichtigsten Exporteure des gefragten Industriemetalls ausfällt.
Österreich: Debatte um „immerwährende Neutralität“
Im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei in Österreich jetzt wieder die Debatte um die „immerwährende Neutralität“ aufgeflammt, schreibt der Journalist Alexander Musik. "Vorausgegangen waren unhaltbare Verbalattacken des russischen Außenministeriums, wonach Österreich „antirussische Rhetorik“ betreibe", so der Weltreporter. Die Mehrheit der Österreicherïnnen stünden zur Neutralität, die seit dem 26. Oktober 1955 gelte, als das russische Militär aus dem besetzten Land abgezogen sei.
Die Neutralität sei allerdings nicht zuletzt durch die EU-Mitgliedschaft immer mehr ausgehöhlt worden, so Musik. „Ist es nicht allzu bequem, sich in der Neutralität zu sonnen, während militärisch gut gerüstete Nachbarn das kleine Österreich beschützen?“, zitiert er Kritikerïnnen. Bundeskanzler Karl Nehammer habe der Debatte nun ein Ende gemacht: „Österreich war neutral, Österreich ist neutral und Österreich wird auch neutral bleiben.“
Tunesien: Leere Regale
In Tunesien stehen die Menschen vor den Bäckereien Schlange, die Regale im Supermarkt sind leer, berichtet unsere Korrespondentin Sarah Mersch aus Tunis. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verschärft bereits existierende Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln. Denn Tunesien bezieht mehr als die Hälfte seiner Getreidevorräte aus den beiden Ländern.
Die Corona-Pandemie, ausbleibende Touristïnnen und damit Devisen und steigende Weltmarktpreise für Weizen und Düngemittel haben ihr übriges dazu beigetragen, dass die Regale oft leer bleiben und subventionierte Waren wie Nudeln, Mehl, Zucker und Öl jetzt rationiert werden. Zwar versicherte das tunesische Landwirtschaftsministerium vergangene Woche, der Bedarf des Landes an Weizen sei bis Mai gedeckt, der an Gerste bis Juni. Doch die Ungewissheit, was danach kommt, macht vielen Menschen Sorge.
Mexiko: Keine Intervention im Ausland
„Wir sind Pazifisten“, begründete Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obador, warum er die Bitte ukrainischer Abgeordneter ablehnte, Waffen zu schicken. Auch mit Blick auf Sanktionen ist die mexikanische Regierung zurückhaltend, schreibt Wolf-Dieter Vogel. Man werde sich nur unumgänglichen internationalen Restriktionen anschließen, sagte der Staatschef. Die Haltung des nationalistischen Präsidenten ist vor allem seiner Abneigung gegenüber jeglicher ausländischer Intervention geschuldet. Ganz frei kann er aber nicht entscheiden. Die USA sind mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Sollte der nördliche Nachbar Druck machen, wird man sich den Vorgaben aus Washington beugen müssen.
Die wirtschaftliche Bedeutung Russlands in Mexiko ist eigentlich gering, obwohl russische Investitionen und der Tourismus zugenommen haben. Doch den Bauern des Landes könnte ein heftiger Ernteausfall drohen. Schon in den letzten Jahren ist der Düngemittelpreis massiv gestiegen. Nun könnte es eine weitere Preissteigerung geben, da Mexiko die Hälfte des Düngers aus Russland und der Ukraine bezieht,