Neue Seidenstraße: Chinas Infrastrukturprojekt verändert weltweit Wirtschaft und Politik
Die Belt-and-Road-Initiative führt zu neuen Abhängigkeiten – und entfacht alte Konflikte. Sechs Beispiele aus aller Welt.
Chinas billionenschwere Belt-and-Road-Initiative hat Folgen für die ganze Welt: Das Infrastrukturprojekt führt zu wirtschaftlichen Abhängigkeiten und entfacht alte Konflikte neu. Die Weltreporter haben sechs Beispiele zusammengetragen.
Vor zehn Jahren kündigte Xi Jinping die „Neue Seidenstraße“ an, Chinas erstes geostrategisches Großprojekt. Seitdem hat China weltweit bis zu einer Billion US-Dollar investiert: in Häfen, Zugstrecken, Autobahnen und Pipelines. Besonders in autoritär regierten Staaten in Afrika und Asien – aber auch in Süd- und Osteuropa – waren die Milliarden gern gesehen. Die Bilanz der chinesischen Finanzhilfe ist überaus kritisch: Zahlreiche Staaten des Globalen Südens sind heute überschuldet. Dazu kommen gravierende Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen, die der Bau der oft sinnlosen Projekte verursacht hat – und Enttäuschung über nicht eingehaltene Versprechen.
Afrika: Kampf um Rohstoffe
Bereits 2008 haben sich China und die Demokratische Republik Kongo auf einen ursprünglich sechs Milliarden US-Dollar schweren Rohstoffdeal verständigt. Aus den Einnahmen großer Minen für Kobalt und Kupfer sollten im ganzen Land Straßen, Krankenhäuser und Sozialbauten errichtet werden. Doch bis heute ist kaum etwas davon realisiert, berichtet Weltreporter Jonas Gerding. Präsident Félix Tshisekedi will daher die Verträge seines Vorgängers nachverhandeln. Ende Mai flog er für fünf Tage zu einem pompösen Staatsbesuch nach China. Doch auf mehr als ein paar vage Kooperationsbekundungen konnten sich die Länder nicht einigen.
Auch in Simbabwe sucht China in erster Linie nach Rohstoffen. Angesichts der globalen Nachfrage haben chinesische Konzerne dort die größten Lithium-Bergwerke übernommen – und das korrupte Regime des Landes im Süden Afrikas verdient kräftig mit. Die reichen Lithium-Reserven würden regelrecht geplündert, monieren Kritiker. Unter chinesischer Führung sei in ein paar Monaten so viel Lithium gefördert worden wie zuvor in Jahrzehnten. Arbeiter schufteten unter sklavenähnlichen Bedingungen, Bergbaugemeinden klagten über verseuchtes Wasser, erzählten Augenzeugen der Weltreporterin Leonie March in Simbabwe. Trotz eines Gesetzes, das die lokale Wertschöpfung fördern soll, profitiert nicht die bitterarme Bevölkerung, sondern die chinesische Wirtschaft.
Asien: Politische Konflikte kochen hoch
In Asien führt Chinas wachsende Macht zur Verschärfung alter Konflikte. Parade-Beispiel dafür ist der Streit um Taiwan. Er ist zum politischen Sprengsatz geworden, an dem sich rasch eine militärische Auseinandersetzung entzünden könnte. Ein Angriff Chinas auf Taiwan hätte für die gesamte Welt verheerende Folgen, berichtet Weltreporterin Christina zur Nedden. Denn der kleine Inselstaat fertigt 90 Prozent aller Mikrochips weltweit. Sie sind in Smartphones, Computern, Hightech-Waffen und Autos eingebaut. Ein Angriff könnte Halbleiterfirmen beschädigen und Lieferketten stören. Ein Krieg um Taiwan hätte deswegen dramatischere Folgen für die Weltwirtschaft als der Ukraine-Krieg.
Seinen territorialen Anspruch macht China auch in Indien geltend. Dabei geht es um Streitigkeiten an der sogenannten Line of Actual Control, der angenommenen Grenzlinie zwischen Indien und China. Diese durchtrennt die Depsang-Hochebene, auch das Dorf Demchok im indischen Bundesstaat Ladakh ist geteilt. Das Problem für Indien: Patrouillenwege sind durch das chinesische Militär blockiert. Das Land möchte den Status quo vor dem blutigen Zusammenstoß im Galwan-Tal 2020 wiederherstellen, China lehnt das ab. Um den Zwist beizulegen, trafen sich chinesische und indische Generäle Ende Mai in Neu-Delhi. Doch einigen konnten sich die Kontrahenten, so Indien-Korrespondentin Antje Stiebitz, nicht. Weitere Treffen sind geplant.
Europa: Handelspartner und -konkurrenten
Auch in Europa investiert China kräftig – und hat dabei vor allem die Häfen im Blick. Nach zwei Jahren Verhandlungen ist der Einstieg des chinesischen Staatsunternehmens Cosco in den Hamburger Hafen unter Dach und Fach. Aber auch in Südeuropa hat China so seine Logistik-Plattformen ausgebaut, etwa in Spanien: Valencia, einer der bedeutendsten Containerhäfen des Mittelmeers, ist zu 51 Prozent in chinesischer Hand. Dazu kommen eine 40-prozentige Beteiligung am Hafen von Bilbao und Investitionen in die Umschlagplätze im Landesinnern, in Madrid und Saragossa. Spanien und China sind seit genau 50 Jahren Handelspartner, berichtet Korrespondentin Julia Macher. Um das Jubiläum gebührend zu feiern, reiste Regierungschef Pedro Sánchez im März eigens nach Peking. Allein in den letzten zehn Jahren hat das asiatische Land 9, 58 Milliarden Euro südlich der Pyrenäen investiert. Doch während Peking zunächst großzügig alle Branchen bedachte, inklusive Freizeitparks und Luxusimmobilien, gilt das Hauptinteresse jetzt der Infrastruktur.
Denn die spielt auch für Chinas jüngstes Projekt eine große Rolle. Nachdem der viel kritisierte Fast-Fashion-Markt mit Ketten wie H&M aus Schweden, der französischen Mullier-Gruppe (Pimkie, Camaïeu) oder Inditex aus Spanien (Zara, Bershka) sowie Primark (Irland) und Asos (England) lange in europäischer Hand lag, schlägt China nun zurück. Mit der Ultra-Fast-Fashion-Marke Shein erobern die Chinesen immer mehr Marktanteile und unterbieten massiv die Preise. Viele einstige Mitbewerber straucheln – wie aktuell die Kette Asos – und Shein ist an deren Übernahme interessiert, berichtet Weltreporterin Barbara Markert. Möglich wird das durch eine neue Investitionsrunde in Milliardenhöhe, mit der Sheins Marktbewertung nun größer ist als die von H&M und Zara zusammen.