Amazonien: Wie kriminelle Banden den Regenwald zerstören und den Staat übernehmen

Am Amazonas schreiben kriminelle Banden Lehrpläne und bezahlen Lehrer. Sie spielen sich als Richter auf und verdrängen den Staat

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
8 Minuten
Vor dem Hintergrund eines im Dunkeln brennenden Hauses sieht man die Silhouette eines Mannes, der ein Maschinengewehr nach oben hält

Illegaler Goldabbau und Kokainhandel über unzählige Zuflüsse des Amazonas fördern die Gewalt in der Region und zerstören die Umwelt. Die Schattenwirtschaft wird von einer weltweit wachsenden Nachfrage angetrieben. Nach einem Einbruch während der Corona-Pandemie schnellte der Kokain-Verbrauch 2022 um 35 Prozent in die Höhe.

Während die Mordrate im übrigen Brasilien seit 2017 sinkt, schnellt sie mit der Ausweitung des Drogenkriegs in Amazonien an der Grenze zu Peru, Kolumbien, Bolivien und Venezuela in die Höhe. Sie hat die indigenen Gebiete erreicht und macht auch vor Prominenten nicht halt: Anfang Februar traf es den Grossneffen von Brasiliens Umweltministerin Marina Silva, der im Bundesstaat Acre erschossen wurde. Der 19-jährige Cauã Nascimento Silva hatte offenbar Kontakt zu zwei Banden, die um ein Stadtviertel in Rio Branco, der Hauptstadt des Bundesstaates kämpfen. Das jüngste Ereignis zeigt, wie das Organisierte Verbrechen seinen Einfluss immer stärker ausdehnt.

Dieser Einfluss ist zerstörerisch, sagt der Journalist Bram Ebus im Interview. Vielerorts gebe es schon kein Zurück mehr. Ebus berät die internationale Organisation Crisis Group in Konflikt- und Umweltfragen und koordiniert die Forschungen des Projekts Amazon Underworld. RiffReporter sprach mit ihm über den Einfluss der Kartelle und warum ihnen Ecuador jüngst den Krieg erklärt hat.

Herr Ebus, Sie sind selbst regelmäßig im amazonischen Tiefland unterwegs, um über den Einfluss der Drogenkartelle zu recherchieren. Zuletzt warnten Sie etwa im Magazin »Nature« eindringlich vor den Entwicklungen in der Region. Was geschieht dort?

Bram Ebus: Wir sehen gerade, wie die organisierte Kriminalität das Amazonasgebiet übernimmt. Sie verdrängt die staatliche Verwaltung, und sie versucht den Amazonas über Ländergrenzen hinweg zu kontrollieren.

Wie muss man sich das vorstellen?

Die Kartelle entscheiden, wer eine Region betritt und wer sie verlässt. Sie üben ihre eigene Justiz aus, von körperlicher Züchtigung bis zur Todesstrafe. Sie erheben Schutzgelder von der lokalen Wirtschaft. Und sie mischen sich sogar in Gesundheits- und Bildungsfragen ein: In Kolumbien oder Venezuela zahlen bewaffnete Gruppen den Lehrern die Gehälter und reden beim Lehrbetrieb mit. Sie organisieren den Transport von Verwundeten, betreiben Kliniken mit eigenen Ärzten für die Bevölkerung. Das ist zwar nicht die Norm, aber es kommt vor.

Das heißt, die kriminellen Netzwerke operieren auch außerhalb ihres »Kerngeschäfts«?

Ja, das sehen wir überall. Zum Beispiel in Japurá. Das ist eine kleine Gemeinde in Brasilien an der Grenze zu Kolumbien. Hier führt eine Drogenroute durch. Vor allem aber haben wir dort illegalen Goldbergbau beobachtet, der allein in dieser Gemeinde schätzungsweise mehr Geld abwirft, als die brasilianische Umweltpolizei IBAMA im ganzen Jahr zur Verfügung hat. Das gibt den Kriminellen große Macht. Sie korrumpieren Richter, Offiziere und Politiker. Und deshalb gewinnen sie.

Ein blonder Mann mit Bart vor einer Wiese
Der niederländische Journalist und Kriminologe Bram Ebus lebt in Bogotá und berät Think Tanks und NGOs zum Organisierten Verbrechen in Amazonien
Eine riesige Fläche mit goldgelbem Schlamm, in der Gold gefördert wird
Die Suche nach Gold zerstört die Umwelt auf vielfache Weise. Meist siedeln sich kriminelle Banden in den Gebieten an. Sie investieren in die Goldsuche und übernehmen die Kontrolle über weite Gebiete Amazoniens.
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