Amazonien: Mit Handy und Drohnen gegen die Abholzung
Alleinerziehende Mutter, Studentin und Drohnenpilotin: Mirian Sánchez vom Volk der Shipibo im peruanischen Regenwald, erzählt von ihrem Kampf gegen die Abholzung
Wenn Mirian Sanchez an ihr Heimatdorf Puerto Nuevo im peruanischen Amazonasgebiet denkt, dann kommt bei ihr Wehmut auf: „Früher gab es so viele Fische im Fluss. Mein Vater brachte Säcke voll mit“, erinnert sich die heute 35-jährige vom Volk der Shipibo. Fische seien das billigste Essen gewesen, oft seien die Reste an die Schweine verfüttert worden.
Zwei Jahrzehnte ist das her. Heute, so Mirian, gibt es im Fluss wenig Fische und der Wald wird weniger, und damit auch die Wildtiere, die das notwendige Protein für die Shipibo-Familien lieferten. Der Raubbau im Regenwald ist in den letzten Jahrzehnten rasant fortgeschritten. Mit Hilfe neuer Technologien möchte Mirian Sanchez ihm nun Einhalt gebieten.
Sehnsucht nach Bildung
In ihrer Muttersprache Shipibo heißt Mirian Panshin Bena. „Das bedeutet fleißige Frau, wie meine Großmutter, die immer aktiv war, immer etwas unternahm“, sagt Mirian im langsamen, leicht singenden Spanisch der peruanischen Amazonasbewohnerïnnen. Geboren ist sie in Iparia, einer Provinz des Amazonas-Department Ucayali. Dort ging sie auch zur Schule – bis diese wegen zu geringer Schülerzahl geschlossen wurde.
Im Gespräch erinnert sich Mirian daran, wie sie, die so gerne weiter zur Schule gegangen wäre, sich mit elf Jahren als Kindermädchen bei einer Lehrerfamilie in Pucallpa verdingen musste. Wie sie sich nach ihrer Familie und dem Essen in ihrem Dorf sehnte. Wie die Kinder in Pucallpa sie wegen ihres fehlerhaften Spanischs verspotteten. Immerhin, in den Ferien durfte sie nach Iparia zurückkehren, beendete die Sekundarschule. Für eine weitere Ausbildung hatte die Familie kein Geld mehr, zumindest nicht für die Mädchen der neunköpfigen Familie.
Mirian arbeitete eine Zeit lang in einem Restaurant an der Fernstraße, die von Ucayali nach Lima führt. Kehrte zurück ins Dorf, wurde schwanger, musste das Baby bei ihrer Mutter lassen, und arbeitete als Hilfslehrerin, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu bestreiten.
Den Traum von einem eigenen Studium aber hat sie nie aufgegeben.
Traditioneller Schmuck und High-Tech
Heute lebt die junge Frau mit ihren beiden 18 und 11 Jahre alten Töchtern in Pucallpa, der Hauptstadt des Departaments Ucayali und studiert im siebten Semester zweisprachige Grundschulpädagogik an der Interkulturellen Universität von Pucallpa. Bald wird sie ausgebildete Lehrerin sein. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich momentan noch mit dem Verkauf selbstgemachten Shipibo-Schmucks.
Zum Interview kommt Mirian in der Festtagskleidung der Shipibo-Frauen: einen knapp knielangen Rock mit Zeichnungen, die an ein Labyrinth erinnern. Und eine rote Bluse mit besticktem rundem Kragen. Dazu lange Ohrringe aus Plastikperlen in verschiedenen Mustern – die Ohrringe und Ketten stellt sie selbst her. Sie rückt ihre Brille im sorgfältig geschminkten Gesicht zurecht, bevor sie erzählt, wie sie zur Technologie kam. „Ich habe immer an den Versammlungen unseres Dorfverbandes teilgenommen. Dort fragte mich der Vorsteher, ob ich nicht an einem Waldschutzprojekt der US-amerikanischen Nichtregierungs-Organisation Rainforest teilnehmen wollte, um den Wald besser zu schützen.“ Mirian wollte. Sie lernte erstmals eine Handy-App zu bedienen, um den Standort via GPS zu bestimmen und weitergeben zu können. Dann lernte sie, wie man eine Drohne fliegt. Dieses Wissen gibt sie auch in anderen Gemeinden weiter.
Neue Strategie: Indigene Waldwächter gegen Holzfäller
Staatliche Behörden wie auch internationale NGOs setzen beim Waldschutz immer mehr auf den Einsatz modernster Kommunikationstechnologie. Sie geben per Handy Satellitendaten über Abholzungen an die betroffenen Gemeinden weiter, die sie dann per Handy und Drohnen dokumentieren. Für Mirian Sanchez macht der Einsatz von Drohnen Sinn: „Damit müssen wir nicht mehr so tief in den Wald gehen und uns nicht direkt mit den Eindringlingen konfrontieren. Wir können neue Holzschläge aus der Luft aufnehmen und an die Behörden weitergeben.“ Als Kind hat sie erlebt, wie Holzfäller ihnen verboten hatten, weiter in den Wald zu gehen – obwohl es Shipibo-Gemeinschaftsland war.
Ucayali war und ist noch heute fest in den Händen der Holzfäller und -händler, illegaler wie legaler. Da jedoch schon sehr viel wertvolles Tropenholz gefällt wurde und nicht mehr viel davon übrig ist, wird der Druck zur Abholzung heute vor allem durch die weltweite Nachfrage nach Kokain ausgelöst. „Oft sind es Fremde, die ins Dorf kommen, Gemeindeland besetzen und Koka anbauen“, erzählt Mirian Sanchez. Leute aus dem Dorf oder sonstige Bekannte seien die Mittelsmänner. Wenn sich eine Gemeinde dagegen wehrt, kommt es zu Streit und Drohungen, die bis zur Ermordung von Personen führen können.
Die Corona-Pandemie hat illegale Machenschaften im Amazonasgebiet noch befördert und damit auch die Zahl der Ermordeten in die Höhe getrieben. 14 Umweltschützerïnnen wurden im peruanischen Amazonasgebiet seit 2020 umgebracht. Dementsprechend hat auch die illegale Abholzung zugenommen, 23 Prozent alleine seit dem Jahr 2020 im Departament Ucayali.
Schwieriger Wettlauf gegen Koka
Mirian Sánchez weiß, wie gefährlich es sein kann, sich für den Schutz des Waldes oder einfach für die Verteidigung des Gemeinschaftslandes der indigenen Territorien einzusetzen. Der Einsatz von Drohnen und die Ermittlung von GPS-Daten mittels Handys hilft, die Risiken einer direkten Konfrontation mit den Eindringlingen zu vermindern. Zusammen mit einem Trainingsprogramm für indigene Waldschützer, die regelmäßige Patrouillen machen, habe der Einsatz neuer Technologien in Händen der Indigenen zum Rückgang der illegalen Abholzung geführt, so eine in den USA veröffentlichte Studie.
Zugleich ist sich Miriam aber bewusst, unter welchem Druck ihre Landsleute stehen. „Wir bauen bei uns Bananen an, das einzige, das wir auf dem Markt verkaufen können.“ Der Erlös ist sehr gering, und die Versuchung, mit dem Anbau illegaler Koka mehr zu verdienen, groß.
Mirians Bitte an Menschen im In- wie Ausland, die den Amazonas-Wald schützen wollen, geht denn auch in diese Richtung: „Helft uns dabei, alternative Einkommensmöglichkeiten zu schaffen oder dass wir für unsere Produkte besser bezahlt werden.“ Die Jugendlichen müssten bessere Chancen auf eine Ausbildung oder ein Studium bekommen . „Deswegen brauchen meine Leute ja das Geld, damit ihre Kinder studieren können.“ Ohne ein Auskommen für die Bewohner*innen des Regenwaldes sei es schwierig, ihn zu schützen.
Lernen nein zu sagen
Mirian ist stolz darauf, eine Shipibo-Frau zu sein. Umso wichtiger ist es ihr, dass auch die Frauen ihre Stimme erheben und dass sie nicht länger Opfer von Misshandlungen werden. „Es ist Zeit, dass wir Frauen solche Beziehungen nicht mehr tolerieren.“ Eine nachhaltige Entwicklung ihrer Heimat könne es nur geben, wenn die Frauen besser ausgebildet und aktiv in die Entscheidungen über die Zukunft der Gemeinschaft einbezogen werden. Eine große Herausforderung, vor der auch Mirian als alleinerziehende Mutter, Studentin, Familienernährerin und Umweltaktivistin steht. „Manchmal ist es sehr hart für mich, dies alles zu vereinen, aber ich sehe es als positive Herausforderung.“
Mit ihren Kursen in der Handhabung von GPS und Drohnen hilft sie Menschen in anderen Dörfern, besser auf ihren Gemeinschaftswald aufzupassen. „Die Menschen sehen allmählich, dass sie das für sich selbst tun, nicht für eine NGO oder eine Behörde, die von außen kommt.“ Viel Wissen, viel Information sei nötig, damit die Menschen in den Dörfern entscheiden könnten, welche Art von Entwicklung sie wollen. Zu welchen Vorschlägen von außen sie Ja und zu welchen sie Nein sagen müssen. „Wir müssen lernen auch Nein zu sagen“, ist Mirian Sanchez überzeugt, als Frau und als Mitglied ihrer Shipibo-Gemeinschaft.
Frauenpower für die nächste Generation
Noch gibt es wenige Shipibo-Frauen, die Führungsrollen in ihren Dörfern und Vereinigungen übernehmen. Mirian kann sich gut vorstellen, in Zukunft mehr Verantwortung für ihre Gemeinschaft zu übernehmen. Damit die Jugendlichen eine Zukunft haben, „damit sie wieder Fische im Fluss fangen können“.
Bei ihren eigenen Kindern ist die Botschaft bereits angekommen. „Als ich einen Mango-Baum in unserem Hof fällen wollte, weil er uns Licht nahm, setzte sich meine Tochter zur Wehr und sagte: Das darfst du nicht, der Baum gibt uns Luft zum Atmen.“
(Dieser Beitrag erscheint auch auf www.infostelle-peru.de)