Weihnachten im Heiligen Land: Ein Blick über den Sperrwall von Palästina nach Israel
Wie wird heute in Bethlehem das Christkind gefeiert? Was sagen Juden und Moslems dazu? Und: Was hat das russische Neujahrsfest damit zu tun?
Wo alles begann, unter dem Stern von Bethlehem: Das ist für viele Touristen der einzige Grund, sich auf die andere Seite zu wagen. Die Stadt liegt zwar gerade mal acht Kilometer östlich von Jerusalem – allerdings hinter dem Sperrwall, den Israel als Grenze zum Westjordanland hochgezogen hat. (Je nach Perspektive als Schutzwall, Sichtblende oder Landgrabbing-Werkzeug.) Es ist also ein seltenes Spektakel, wenn in der Heiligen Nacht die Benediktiner-Mönche von der Dormitio Abtei in Jerusalem bis in die Geburtskirche nach Bethlehem pilgern. Zu Fuß. Wenn Mönche und ausländische Pilger gegen 4 Uhr morgens die Drehkreuze und Gittergänge des Checkpoint 300 passieren, begegnen sie den palästinensischen Arbeiter, die in umgekehrter Richtung gerade Bethlehem verlassen, um in Israel auf dem Bau zu arbeiten…
Die meisten Touristen lassen sich jedoch von Reisebussen zur Geburtskirche karren. 2019 war das ein Riesengeschäft für die Stadt, die hauptsächlich vom Pilgertourismus lebt. Nachdem Weihnachten im letzten Jahr völlig ausfiel, hatten die Einheimischen noch im November auf die Öffnung Israels für Touristen hingefiebert. Ohne eigenen Flughafen sind die Palästinensischen Autonomiegebiete von der Besatzungsmacht abhängig. Doch dann kam Omikron. Für die Palästinenser ein weiteres wirtschaftliches Desaster. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie. Weil in Bethlehem Anfang März 2020 die ersten Corona-Infektionen in den palästinensischen Gebieten festgestellt wurde, war die Stadt für Monate abgeriegelt. Dazu kamen zusätzliche Restriktionen durch Israel, weil man fürchtete, palästinensische Arbeiter schleppten das Virus über die Baustellen ins Land ein.
Den üppigen Weihnachtsbaum werden in diesem Jahr also hauptsächlich einheimische Muslime aus Nablus, Hebron oder Ramallah bestaunen, und vielleicht ein paar mutige jüdische Ausflügler – nur zwei Prozent der Palästinenser in Israel und Westjordanland sind noch christlichen Glaubens. Aber wie feiern eigentlich die Einheimischen dieses heiligen, zweigeteilten Landes?
Bethlehem: Pilgerreise über Checkpoints und Prügel-Mönche
In Bethlehem wird gleich dreimal Weihnachten gefeiert: Die griechisch-orthodoxen Christen orientieren sich nicht am gregorianischen Kalender, sondern an dem älteren julianischen, nach dem die Geburt Jesu auf den 6. Januar fällt. Die armenisch-orthodoxe Kirche wiederum begeht das Fest erst am 18. Januar. Das heißt: Wenn die Welt nicht von einem Virus heimgesucht wird, dudeln drei Wochen Weihnachtslieder aus den Souvenirshops, glitzern Flittersterne und Glitterkugeln in der Sonne über der Altstadt rund um den Krippenplatz, wird Bethlehem zum Disneyland der Pilger. Dabei geht es nicht immer heilig zu.
Nicht nur die Pilger drängeln und streiten sich um einen Platz in der Geburtskirche: Auch die Würdenträger der drei christlichen Bekenntnisse liegen im ständigen Clinch um die Kirche. Ihren Höhepunkt erreichen die Zwistigkeiten traditionell beim jährlichen Reinemachen Ende Dezember. Dann flattern nicht nur die Kutten im Putzeifer, sondern es flogen auch schon Beleidigungen und sogar Fäuste durchs Kirchenschiff: Es ist gewissermaßen ein Stellungskampf mit dem Feudel. Über die Jahrhunderte hat sich nämlich etabliert, dass die Bekenntnisgruppe, die Pflege und Reparatur einer bestimmten Sektion der Basilika für sich gewinnt, einen symbolischen Besitzanspruch vermelden kann. In den Achtzigern sollen Mönche mit Besenstielen aufeinander losgegangen sein. 2006 landeten mehrere Geistliche im Krankenhaus, weil die Griechisch-Orthodoxen beim Abstauben der Kronleuchter ihre Leiter auf dem Territorium der Armenier aufgestellt hatten.
Immerhin: In der Krypta in der Geburtskirche drängelt man sich in diesem Jahr ausnahmsweise nicht um das enge Loch, in das man auf Knien hereinrutschen muss. In anderen Wintern war es meist durch einen polnischen Pilger-Hintern verstopft. Denn dort unten ist mit einem silbernen Stern die Stelle markiert, wo das Jesuskind die Welt erblickt haben soll. Besonders ironisch: Gerade erst war die aufwändige, sieben Jahre lang dauernde Restaurierung von Dach, Mosaiken und eben der Geburtshöhle fertiggestellt worden.
Haifa: Ein Fest für Alle und ein ketterauchender Santa Claus
Überraschend versöhnlich geht es dagegen in Haifa zu. Die drittgrößte Stadt Israels wird gern für ihre Koexistenz gepriesen, weil sie die größte „gemischte“ Stadt im Land ist. Etwa ein Fünftel der Bevölkerung sind israelische Palästinenser. Ayman Odeh, Israels prominentester arabischer Politiker, drückt sich so aus, wenn es um seine Heimatstadt geht: „Die Situation zwischen Juden und Arabern war in Haifa immer besser als anderswo in Israel, aber sie ist bei weitem nicht gleich.“ Immerhin, die Stimmung sei gut und es gebe ein Gefühl der Vernunft. Vielleicht liegt das auch daran, dass man in der Arbeiterstadt immer praktischer gedacht hat als anderswo. Oder an den penibel gepflegten Gartenanlagen der Religionsgemeinschaft der Bahai, die sich von der Oberstadt gen Hafen ergießen.
So recht scheint niemand zu wissen, wieso sich die Geheimreligion aus dem Iran ihr Heiligtum ausgerechnet in der israelischen Hafenstadt erbaut hat. Fest steht, selbst jetzt an Weihnachten, wenn in der ehemaligen Deutschen Kolonie darunter abends so viele Lichterketten und Rentiere aufleuchten, dass einem ganz flimmerig wird: Die Dreisamkeit aus jüdischem Kerzenleuchter, islamischem Halbmond und christlichem Weihnachtsstern geht unter dem Schrein des Bab beinahe unter.
Dass im Dezember hier nicht nur Weihnachten, oder das jüdische Lichterfest Chanukka gefeiert wird, sondern auch das „Fest der Feste“, hat seinen Ursprung in einem Jahr, in dem auch noch der Ramadan in den Dezember fiel. Organisiert wird das unkonventionelle Fest von Kulturzentrum „Beit Geffen“, das es sich auf die Fahne geschrieben hat, die Gemeinsamkeiten der Religionen zu bewerben. Das eigentliche Weihnachten der Einheimischen findet etwas später in der Nachbarschaft Wadi Nisnas unterhalb der Deutschen Kolonie statt. Im Dezember gibt es im alten christlich-arabischen Viertel beinahe so viele Weihnachtsschmuck-Läden wie Falafel-Buden. Für letztere ist das Viertel sonst bekannt.
Besonders auffällig dekoriert ist das Haus von Nicola Abdou. Auf einem verblichenen Banner steht an der Fassade „Santa Clause House“. Seit über 30 Jahren dient Abdou als ehrenamtlicher Weihnachtsmann von Haifa. „Es fing als Scherz an. Ich verteilte verkleidet Geschenke an alle Kinder in der Familie und gab den Rest einer bedürftigen Familie. Die Mutter hat mich gesegnet und mir viele Kinder gewünscht." Genau ein Jahr später wurde sein ältester Sohn geboren. Sein damaliges Gelübde hält er bis heute ein: Sich jedes Jahr als Weihnachtsmann zu verkleiden und Geschenke an Kinder zu verteilen: „Ich hatte das Gefühl, dass die Macht des echten Weihnachtsmanns in mich eingedrungen war. Ich schätze, ich heiße nicht umsonst Nicola.“ Ansonsten nimmt er es mit der Religion nicht so ernst. „Ich bin für alle da: Muslime, Juden, Christen – auf Hebräisch, auf Arabisch und auf Englisch. Ich mache Chanukka, Weihnachten und auch Silvester.“
Tel Aviv: Segelnder Weihnachtsmann und russische Tannen
Apropos Silvester. Es waren nicht die arabischen Christen, die den Weihnachtsbaum in Israel gesellschaftsfähig gemacht haben. Dass inzwischen auch einige jüdische Israelis ihre Häuser weihnachtlich dekorieren, oder sogar einen (Plastik-) Christbaum im Wohnzimmer stehen haben, ist den russischen Einwanderern zu verdanken. (Wie übrigens auch das Schweinefleisch in einigen Supermärkten.) In der Sowjetunion war der Baum das Symbol für den Beginn des russischen Neujahrs. Es war ein privater, familiärer Feiertag, der nicht von der Regierung aufgezwungen und nicht von der Partei diktiert wurde, ein Farbtupfer in einem grauen Leben. Ihre eigene Religion mussten die russischen Juden in der kommunistischen Sowjetunion verstecken. Die Mehrheit der Einwanderer hatte daher bei ihrer Ankunft in Israel keine Verbindung zu jüdischen Feiertagen wie dem Lichterfest Chanukka. Sie wollten jedoch etwas aus der Heimat bewahren. Die alteingesessenen Nachbarn waren zunächst erschrocken angesichts der Zahl der „Heiden“, die das Land mit christlichen Symbolen füllten.
Erst in Israel lernten die russischen Juden die christliche Bedeutung des Festes kennen und gaben es zunächst schweren Herzens auf. Hier und da versteckten sich die Bäume in den Ecken ihrer Wohnungen. Doch dann kamen immer mehr Einwanderer. Allmählich verlagerten sich die Tannenbäume aus dem privaten in den öffentlichen Bereich und fingen sogar an, den alteingesessenen Nachbarn Freude zu bereiten. Anfangs brachten die jüdischen Einwanderer synthetische Bäume aus der Heimat mit, heute kann man diese auch in der Zentralen Busstation in Tel Aviv kaufen.
Die Israelis lernten, Ded Moroz, Großväterchen Frost, zu schätzen, der zwar einen weißen Bart und Geschenke hat, aber nicht der Weihnachtsmann ist, sowie seine hübsche Enkelin Snegurochka, das Schneemädchen. Damit hatten die russischen Juden einen neuen israelischen Feiertag eingeführt: Novi God. Das passt den Israelis auch deshalb, weil man so guten Gewissens ein zweites Mal Neujahr feiern kann. Das jüdische Neujahr (Rosh HaShana) findet schon im Herbst statt. Unser Neujahr wiederum ist nach Papst Silvester I. benannt – und der soll ein Antisemit gewesen sein. Zumindest hat er der Legende zufolge Konstantin den Großen davon überzeugt, Juden den Zutritt zu Jerusalem zu verbieten.
Adaptionsfreudig war man dieses Jahr auch in der ehemals arabischen Hafenstadt Jaffa, die heute nur mehr ein Viertel von Tel Aviv ist. Unter dem osmanischen Uhrenturm stehen überdimensionale Schneekugeln, die sich per Fußpedal antreiben lassen: In einer segelt der Weihnachtsmann im Einmaster in die Stadt.