CCS für den Klimaschutz: Viele Bundesländer haben kein Interesse an CO₂-Speicherung an Land

Das Bundeskabinett hat den Weg dafür freigemacht, CO₂ künftig unter dem Meer speichern. Sie will es den 16 Bundesländern zusätzlich aber per Gesetz ermöglichen, in Eigenregie CCS-Projekte an Land zu verwirklich. Doch eine Umfrage zeigt, dass die meisten Länder dies gar nicht wollen.

8 Minuten
Habeck mit Stoppelbart vor Mikrofonen, er hält die rechte Hand in die Höhe.

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Weg dafür frei gemacht, dass künftig CO₂-Abgase aus deutschen Industrieanlagen und Kraftwerken gesammelt und aufs Meer gebracht werden, um sie tief im Gestein dauerhaft einzulagern. Die Minister stimmten einem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne) zu.

Die Pläne für das „Carbon Capture and Storage“ (CCS) genannte Verfahren sehen vor, dass in Regie privater Unternehmen ein bundesweites Netz von Pipelines entsteht, die das Gas zum Beispiel aus Zement- und Kalkwerken, Chemiebetrieben, Müllverbrennungsanlagen oder Gaskraftwerken aufnehmen und gen Nordsee transportieren. Eine Einlagerung könnte entweder in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone erfolgen, die sich über 200 Seemeilen jenseits der Küsten erstreckt, oder unter dem Meeresgebiet von Partnerländern wie Norwegen.

Habeck betonte, Vorrang habe es, CO₂-Emissionen zu vermeiden oder zum Beispiel durch Energiegewinnung mit Solar- und Windkraftanlagen zu ersetzen. Es brauche aber eine Lösung für sogenannte „unvermeidbare Emissionen“, die das Wirtschaftsministerium in einer Größenordnung von 50 bis 60 Millionen Tonnen pro Jahr erwartet. Dies entspricht etwa zehn Prozent der heutigen Gesamtemissionen Deutschlands.

Geologen halten sichere Lagerung für machbar

Der Minister will aber festschreiben lassen, dass das Treibhausgas grundsätzlich nur unter dem Meer entsorgt werden darf, nicht an Land. Ausnahmen dafür soll es nur für Forschungsprojekte geben, sowie dann, wenn Bundesländer verlangen, CCS-Projekte in Eigenregie auf ihrem Gebiet zu ermöglichen. Hintergrund für die Festlegung auf das Meer sind Proteste, die es vor rund 15 Jahren gegen die damals ersten Vorhaben zur CO₂-Speicherung gegeben hat. Die damals schwarz-gelbe Bundesregierung sprach auf Druck vor allem der damals unionsgeführten Bundesländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen ein Verbot kommerzieller Lagerprojekte aus. Auch Umweltschutzorganisationen sind CCS gegenüber skeptisch bis ablehnend eingestellt. Sie warnen vor dem Risiko von Leckagen und der Gefahr, dass eine Entsorgung unter dem Meer die Anstrengungen verringern könne, Emissionen ganz zu vermeiden.

Bei den geplanten CCS-Verfahren wird Kohlendioxid dort gesammelt, wo es bereits in hohen Konzentrationen in Abgasen vorkommt. Betreiber etwa von Zementwerken investieren dazu derzeit in neue Öfen, die den CO₂-Anteil im Abgas noch weiter steigern. Das Gas wird dann chemisch aufbereitet und gen Meer transportiert, wo es mit hohem Druck in mehreren hundert Metern Tiefe in das Gestein verpresst wird. Geologen versichern, dass es zahlreiche potenzielle Lagerstätten gibt, in denen das Kohlendioxid dauerhaft in Poren und in Salzwasser gespeichert bleibt und sich teilweise in Kalkgestein verwandelt. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe geht davon aus, dass sich unter dem deutschen Meer und Festland insgesamt sechs bis zwölf Milliarden Tonnen CO₂ speichern ließen. Das Gestein unter der Nordsee wird dabei als besonders gut geeigneter Speicher bewertet.

Nach der Verabschiedung durch das Kabinett geht der Gesetzentwurf nun für weitere Beratungen in Bundestag und Bundesrat. Den Ländern kommt eine besondere Bedeutung zu: Zum einen, weil die Pipelines über ihr Territorium verlaufen und dortige Industrieanlagen und Kraftwerke anschließen sollen, zum anderen, weil die Bundesregierung es Ländern gestatten will, auf eigenen Wunsch und in eigener Verantwortung CCS-Projekte auch an Land zu genehmigen.

Eine Umfrage bei den zuständigen Ministerien der Länder hat ergeben, dass die meisten von ihnen von dieser sogenannten Opt-in-Möglichkeit keinen Gebrauch machen wollen, aber sehr wohl darauf dringen, möglichst schnell an das CO₂-Pipeline-Netz angeschlossen zu werden.

Baden-Württemberg will möglichst schnell ans Pipeline-Netz angeschlossen werden

So teilte das Umweltministerium von Baden-Württemberg mit, es unterstütze die Pläne von Wirtschaftsminister Habeck und spreche sich dafür aus, wie von Habeck vorgesehen CO₂ nur unter dem Meer zu speichern. An Land solle man CCS „zunächst außen vor lassen“, um die „gesellschaftliche Akzeptanz sicherzustellen“. Es sei nicht geplant, von einer Möglichkeit für eigene CCS-Projekte Gebrauch zu machen, zumal aktuell eine „fundierte Bewertung der Potenziale der CO₂-Speicherung in Baden-Württemberg nicht vorliegt“. Das Ministerium weist auch auf drohende Nutzungskonkurrenzen im tiefen Untergrund hin. Damit ist vor allem Geothermie gemeint, bei der aus teils tiefen Erdschichten heißes Wasser hochgepumpt wird, um Strom und Heizwärme zu erzeugen.

Für das künftige Netz an CO₂-Pipelines, die das Treibhausgas in Richtung Meer transportieren, fordert Baden-Württemberg, dass Süddeutschland von Anfang an einbezogen wird: „Der Aufbau der CO₂-Infrastruktur sollte nicht zeitlich gestaffelt von Nord nach Süd erfolgen, sondern parallel an verschiedenen Punkten ansetzen, damit schnell ein deutschlandweites CO₂-Transportnetz aufgebaut werden kann.“ Dies sei wichtig, da Baden-Württemberg als Transitland insbesondere für CO₂ aus der Schweiz und Österreich fungieren und sich hiermit ein neues Geschäftsfeld eröffnen könnte. Das Pipeline-Netz solle privatwirtschaftlich betrieben werden, eine Förderung durch die Landesregierung sei nicht vorgesehen.

Landkarte mit Pipelines aus Industriegebieten zur Küste, glatzköpfiger Mann.
Geplantes CCS-Pipeline-Netz; Thomas Goldschmidt, Umweltminister von Schleswig-Holstein.

Auch Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt teilten mit, die Pläne Habecks grundsätzlich zu unterstützen und keine Einlagerung auf dem eigenen Territorium verfolgen zu wollen. Das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz von Brandenburg erklärte, es gebe in dem Bundesland zwar ein Projekt zur Kohlendioxid-Abscheidung eines Zementherstellers, bei dem aber das CO₂ nicht unterirdisch gespeichert werden, sondern zur Herstellung synthetischer Kohlenwasserstoffe verwendet werden solle. Für das eigene Gebiet habe sich „Brandenburg bisher gegen die unterirdische CO₂-Verpressung ausgesprochen, dies wird auch so bleiben“, heißt es weiter. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil im brandenburgischen Ketzin bisher das einzige CO₂-Lagerprojekt Deutschlands durch das Geoforschungszentrum Potsdam verwirklicht wurde und als Erfolg gilt.

Neubaur schaut direkt in die Kamera.
Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.

Auch das Industrieland Nordrhein-Westfalen will auf CO₂-Lagerung auf dem eigenen Territorium verzichten. Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, ließ mitteilen, ihr Ministerium unterstütze den Ausschluss der Onshore-Speicherung von abgeschiedenem CO₂. „Debatten in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die CO₂-Speicherung an Land wenig Rückhalt in der Bevölkerung findet“, so die Grünen-Politikerin. Ein Ausschluss trägt dementsprechend dazu bei, die öffentliche Akzeptanz für CCS zu sichern. Mit einer Speicherung in den Gebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone und des deutschen Festlandsockels könne Deutschland aber einen Beitrag leisten, die Speicherkapazitäten in Europa zu erhöhen. „Die Landesregierung rechnet für Nordrhein-Westfalen im Jahr 2045 noch mit bis zu 17 Millionen Tonnen unvermeidbarer CO₂-Mengen pro Jahr, für die ein Umgang gefunden werden muss, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen“, erklärte die Ministerin. Für Prozessemissionen, die nicht durch den Einsatz von erneuerbaren Energien oder alternativen Verfahren vermieden werden könnten, sei CCS und die sogenannte CCU, also die stoffliche Verwertung von Kohlendioxid in chemischen Prozessen, die einzige Lösung. Dies betrifft insbesondere die Zement- und Kalkindustrie sowie die Abfallwirtschaft. An erster Stelle sollen aber grundsätzlich aber immer die Dekarbonisierung und Defossilisierung stehen.

Der Grünen-Politiker Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein, erklärte: „Wir werden CCS brauchen, um klimaneutral zu werden und ab den 2040er Jahren sogar alte Emissionen wieder aus der Atmosphäre zu holen.“ Er halte es deshalb für richtig, dass die Bundesregierung sich für diese Technologie öffnet: „Wir werden CCS brauchen, um klimaneutral zu werden und ab den 2040er Jahren sogar alte Emissionen wieder aus der Atmosphäre zu holen“. CCS könnte angesichts der Umweltrisiken und erwartbar hohen Kosten aber nur eine Technologie für die letzte Meile auf dem Weg zur Klimaneutralität sein. Es dürfe „auf keinen Fall eine lebensverlängernde Maßnahme für fossile Technologien werden“. Der Einsatz von CCS müsse auf langfristig unvermeidbare Emissionen, etwa von der Zementindustrie oder von Müllverbrennungsanlagen, begrenzt bleiben. Niemand solle glauben, dass er sich beim Klimaschutz aufgrund der CCS-Technologie zurücklehnen könne.

Schleswig-Holstein gegen CSS-Anschluss für Gaskraftwerke

In einem wichtigen Punkt stellt Goldschmidt sich deshalb gegen seinen Parteifreund Habeck. Dieser will nur Kohlekraftwerke von der Nutzung der CCS-Infrastruktur ausschließen, nicht aber Gaskraftwerke. „Was CCS bei Gaskraftwerken anbelangt, haben wir uns in Schleswig-Holstein klar dagegen positioniert“, hält Goldschmidt dagegen. Man begrüße, dass der Bund hierfür keine Förderung vorsieht. Das entscheidende und günstigste Mittel im Kampf gegen die Klimakrise sei und bleibe, „die CO₂-Emissionen zu senken – und zwar schnell und drastisch“. Gleichwohl lässt der Minister für CCS-Projekte an Land für Schleswig-Holstein zumindest ein Türchen offen: „Ob die CCS-Technologie auch an Land zur Anwendung kommen wird, sollte aufgrund eines streng fachlichen Standortvergleichs entschieden werden“, erklärte er. Schleswig-Holstein sehe derzeit keinen Grund, am Verbotsgesetz zu rütteln. Kein anderes Bundesland leiste aktuell einen derart großen Beitrag zur Erreichung der bundesweiten Klimaziele.

Einen anderen Kurs verfolgen dagegen die Bundesländer Bayern, Bremen und Rheinland-Pfalz, die es derzeit noch offenlassen, ob sie CCS-Projekte auf dem eigenen Territorium verwirklichen wollen. Vor allem Bayern zeigte sich offen dafür. „Es sollten alle zur Verfügung stehenden Speicheroptionen für Kohlenstoffdioxid ergebnissoffen wissenschaftlich untersucht und hinsichtlich ihrer technologischen und ökologischen Eignung sowie ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bewertet werden“, erklärte das Bayerische Wirtschaftsministerium. Auch die Nutzung des „Opt-In“ sollte auf Basis von wissenschaftlichen Fakten, wie etwa der nötigen Größe potenzieller Speicher und dem Schutz vor Leckagen, entschieden werden. Diese gelte es „hinsichtlich ihrer technologischen, ökologischen und ökonomischen Dimension zu bewerten“. Bayern rege daher an, dass in einem ersten Schritt derartige Analysen des Untergrunds zeitnah und bundeseinheitlich durchgeführt würden.

Nabu kritisiert zu starke Nutzung des Meeres, BDI begrüßt Kabinettsbeschluss

Während Hessen und Niedersachsen nicht auf die Anfrage antworteten, erklärten Hamburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, dass sich die Landesregierungen noch in der inhaltlichen Abstimmung befänden.

Kritik am Kurs der Bundesregierung kam am Mittwoch vom Vorsitzenden des Umweltverbands Nabu, Jörg-Andreas Krüger. Man erkenne zwar an, dass technische Lösungen beim Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen eine Rolle spielten, warnt jedoch zugleich vor den ökologischen Folgen. Die Bundesregierung versäume es, „sich mit dem schon heute schlechten ökologischen Zustand unserer Meere und die mit dem Ausbau der CCS-Infrastruktur einhergehenden Risiken für die marine Biodiversität auseinanderzusetzen“, kritisiert der Nabu-Präsident. Es drohe ein „Industriepark Nordsee“.

Kran im Meer errichtet Windkraftanlagen.
Bau von Windanlagen: Wird die Nordsee zum Industriepark?

Laut NABU hat es die aktuelle Bundesregierung verpasst, nutzungsfreie Zonen in Meeresschutzgebieten zu etablieren und damit die Meere als wichtigste Kohlenstoffsenke zu stärken. Auch das Potenzial durch die Wiederherstellung und der Schutz natürlicher Senken wie Algenwälder, Seegras- und Salzwiesen bleibt ungenutzt. Das aber wäre die notwendige Voraussetzung für eine verantwortungsvolle, nationale Carbon Management Strategie. Jetzt räche sich ein jahrelanges Zögern in der Meeresschutzpolitik. „Eine weitere Übernutzung der Meere steht den Zielen von Netto-Null und gesunden, artenreichen Meeren gegenüber und verstärkt die Biodiversitäts- und Klimakrise noch weiter“, so Krüger.

Dagegen begrüßte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz: „Für eine wettbewerbsfähige Transformation der deutschen Industrie hin zur Klimaneutralität ist die Überarbeitung des CO₂-Speicherungsgesetzes ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“ Hierdurch würden endlich die gesetzlichen Grundlagen für CCS geschaffen, wesentliche Hemmnisse für den Markthochlauf würden beseitigt.

Sie haben Feedback? Schreiben Sie uns an info@riffreporter.de!
VGWort Pixel