- RiffReporter /
- Technik /
Durchbruch bei Hörgeräten: Neue Methode verbessert Lebensqualität von Schwerhörigen
Bei Schwerhörigkeit den sozialen Anschluss nicht verlieren
Jede fünfte Person hat Hörschäden. Das hat Folgen weit über das Ohr hinaus. Forscher:innen haben nun eine Methode vorgestellt, die für viele Menschen die Zufriedenheit mit Hörgeräten verbessern kann.

Es beginnt damit, dass man Gesprächen in Gesellschaft schlechter folgen kann oder eine Person im Raum nicht mehr richtig versteht, wenn der Fernseher läuft: In Deutschland hat mehr als jede:r zweite über 70-Jährige einen behandlungsbedürftigen Hörverlust. In der Gesamtbevölkerung ist fast jede fünfte Person betroffen. Hörgeräte können helfen, wenn Betroffene sie rechtzeitig tragen und die Geräte korrekt eingestellt sind. Letzteres war lange Zeit ein häufiges Problem, das die Forschung nun gelöst hat.
Wie kommt es zum Hörverlust?
„Hörschäden häufen sich im Laufe des Lebens an, fallen aber erst richtig im höheren Alter auf“, berichtet Birger Kollmeier, Hörforscher an der Universität Oldenburg. Die Haarzellen im Innenohr sind unser primäres Hör-Sinnesorgan. Von Geburt an haben Menschen einige Tausend dieser Zellen. Werden sie durch zu großen Lärm beschädigt, verlieren sie ihre Funktion irreparabel: „Die Haarzellen können bei Säugetieren nicht regenerieren“, erläutert Kollmeier.
Früher waren Lärmschäden die häufigste Berufskrankheit, weil viele Menschen fünf Tage die Woche und acht Stunden am Tag hohem Lärm ausgesetzt waren. Seit das der Rentenkasse zu teuer wurde, gibt es in Deutschland strenge Lärmschutzregeln in der Arbeitswelt. Anders ist es weiterhin beim Freizeitlärm. „Was in Diskos und auf Konzerten an Schallpegeln angeboten wird, ist teilweise wirklich gesundheitsschädlich“, warnt Kollmeier. Dem kann man nur entgehen, indem man die Veranstaltung verlässt oder freiwillig einen Gehörschutz trägt.
Die meisten Babys kommen mit einem guten Hörvermögen zur Welt. Nur 0,5 Prozent der Neugeborenen haben bereits einen Hörschaden. Einige weitere haben eine genetische Veranlagung, sodass ihr Gehör frühzeitig altert. Die große Mehrheit der Betroffenen hört aufgrund von Alter, Krankheiten, Medikamenten oder Umwelteinflüssen schlechter.
Welche Folgen haben Hörschäden?
„Es gibt Glasohren und Stahlohren“, scherzt Kollmeier. „Manche Personen sind nach einem lauten Abend permanent schwerhörig, andere können ab und zu eine Lärmbelastung aushalten.“ Woran das liegt, ist noch unklar. Es scheint aber – wie bei anderen Krankheiten auch – vereinzelt resiliente Menschen zu geben.

Wer dieses Glück nicht hat, hört zunächst nicht mehr so klar und erlebt die eingangs beschriebenen Probleme, wenn es Störgeräusche gibt. „Erst nach gewisser Zeit merkt man, dass man Manches einfach nicht mehr hört“, weiß der Forscher. „Dadurch versinkt man langsam in eine bleierne Stille.“ Denn ohne hohe Frequenzen ist die Umwelt weniger aufregend. In Gesellschaft und großen Räumen fühlt man sich unwohl, weil man vieles nicht mehr mitbekommt. „Oft folgt dann ein sozialer Rückzug“, berichtet Kollmeier. Die Menschen bleiben zu Hause und meiden Gespräche. Einsamkeit und Bewegungsmangel können schließlich zu weiteren Gesundheitsproblemen führen.
Wie können Hörgeräte helfen?
„Wichtig ist es, nicht zu lange zu warten“, rät Kollmeier. Etwa die Hälfte der Personen, die ein Hörgerät bräuchten, hat keines. Vor allem seien es Männer, die sich einredeten, dass vielleicht nur die anderen undeutlich sprächen und sie schon ohne Hilfe zurechtkämen. „Frauen holen sich im Schnitt zehn Jahre eher professionelle Hilfe“, berichtet der Hörexperte. Damit ersparen sie sich nicht nur zehn Jahre verringerter Lebensqualität, sondern kommen auch besser mit den Hörgeräten zurecht: „Je später man anfängt, desto länger dauert die Gewöhnung“, erklärt Kollmeier.
Welche Schwierigkeiten gibt es mit Hörgeräten?
Einige Menschen, die ein Hörgerät haben, empfinden das Tragen nicht als hilfreich, weil das Gerät etwa zu schrill klingt oder zu leise oder zu laut ist. In der Regel erfolgt durch Hörakustiker:innen eine Erstanpassung nach Vorgaben des Herstellers. Anschließend erfolgt schrittweise die Feinanpassung. „Manche Patienten laufen zum Hörakustiker und zum HNO-Arzt hin und zurück und schaffen es nie, dass das Gerät in allen Lebenslagen zufriedenstellend hilft“, berichtet Kollmeier. Erschwert wird die ideale Einstellung des Geräts durch das sogenannte Recruitment-Phänomen: Nach „zu leise“ kommt sehr schnell „zu laut“.
Welche Lösung haben die Forscher gefunden?
Das Team der Universität Oldenburg hat festgestellt, dass Menschen breitbandig – also bei Schallumgebungen mit mehreren Tonhöhen gleichzeitig – eine andere Lautheitswahrnehmung haben als schmalbandig. „Das hat man bisher einfach nicht in Erwägung gezogen“, berichtet Kollmeier. Normalerweise werden Hörgeräte schmalbandig angepasst: Für jede der einzelnen Tonhöhen und individuell für jedes der beiden Ohren wird geprüft, welche Verstärkung der Lautheit die Betroffenen angenehm finden. Doch jede fünfte Person, die mit diesem scheinbar perfekt eingestellten Gerät das Hörakustik-Geschäft verlässt, empfindet das Gerät plötzlich als zu laut. „Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach: Wenn beide Ohren gleichzeitig hören und viele Frequenzen gleichzeitig vorkommen, entsteht ein anderer Lautheitseindruck, als man es anhand der einzelnen Frequenzbereiche vorhersagen würde“, erklärt Kollmeier. „Bei hohen Schallpegeln und breitbandigen Signalen muss man viel weniger verstärken – teilweise sogar abschwächen.“

Das Forschungsteam hat das Problem gelöst, indem es einen Test entwickelt hat, der unterschiedlich breitbandige Signale und natürliche Geräusche bei unterschiedlichen Lautstärken vorspielt. Anhand einer Skala kann die Testperson dann sagen, wie laut sie das Geräusch auf einer definierten Skala empfunden hat. Daraus entsteht ein Raster, anhand dessen Hörakustiker:innen das Hörgerät für die jeweiligen Frequenzbereiche so einstellen können, dass auch breitbandige Signale die individuell angenehme Lautstärke aufweisen. „Die Methode funktioniert mit Geräten aller Hersteller“, sagt der Experte. Damit diese Erkenntnis nicht auf dem Weg von der Grundlagenforschung in die Praxis hängen bleibt, hat das Hörzentrum Oldenburg, ein An-Institut der Universität, die Entwicklung bis zur fertigen Software selbst vorangetrieben. Im Dezember 2024 wurde sie fertig.
Hilft die neue Methode wirklich?
Die Grundlagenforschung konnte zeigen, dass das Problem richtig erkannt wurde: Ein Fünftel der Schwerhörigen hat bei Breitbandsignalen eine andere Lautstärkewahrnehmung. Hörtests mit Hörgeräten haben belegt, dass Patient:innen davon profitieren, wenn die Hörgeräte nach diesem Prinzip angepasst werden. Nicht zuletzt berichten Hörakustiker:innen, die das Projekt begleitet haben, dass es weniger Beschwerden nach der Erstanpassung gibt. „Wir können mit einer einzigen Messung genau sagen, wo das Problem liegt, und das können wir dann ändern“, freut sich Kollmeier.