Sind Frieren und Schwitzen ungleich verteilt?
Das Harlem Heat Projekt hat arme Viertel mit Temperatursensoren ausgestattet
"Übelkeit, schneller Herzschlag. In der vergangenen Woche, als die Hitzewelle kam, hatten wir so was. Krämpfe in unseren Beinen. Fast wären wir in unserer Wohnung umgekippt.”
– Harlem-Einwohnerin Michelle Holmes zu Reporterin Sarah Gonzalez
Selbst aus der Temperaturmessung kann ein spannendes Projekt mit Leserbeteiligung werden. Das zeigt das “Harlem Heat Project”. 2016 hat der amerikanische Wetterdienst AdaptNY in Zusammenarbeit mit NGOs und Sensorjournalismus-Pionier John Keefe (@jkeefe) Bewohner von Harlem mit Temperatursensoren ausgestattet, um herauszufinden, ob und wie die Menschen unter der Sommerhitze leiden. Die Vermutung: Ein Teil der ärmeren Bevölkerung lebt in schlecht isolierten Wohnungen ohne Klimaanlagen und leidet so besonders unter der Hitzewelle. Doch zur individuellen Belastung einzelner Personengruppen liegen kaum Daten vor. Und das macht auch die journalistische Berichterstattung schwierig. Etwa 30 dieser Leser-Wissenschaftler aus Harlem haben sich an den Messungen beteiligt. Das New York Public Radio WNYC begleitete das Projekt journalistisch. Reporterin Sarah Gonzalez schrieb, dass durch die Hitze genauso viele New Yorker sterben wie Fußgänger durch Autounfälle.
Maker-Journalist Keefe baute die dafür nötigen Sensoren mit seinen Mitstreitern einfach selbst. Das Gerät bestand aus einem handelsüblichen Mikrocontroller von Adafruit, einem einfachen Temperatursensor und einem Akku. Das Projekt nutzte keine Live-Daten. Die verwendeten Sensoren zeichneten alle 15 Minuten die Zeit, Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf einem internen Speicher auf. Die Messreihen wurden dann händisch ausgelesen und in das Projekt übertragen. Eine Anleitung, um einen Sensor zu bauen, gibt es hier.
Im Juli und August lag die durchschnittliche Außentemperatur in New York City bei 28 Grad Celsius (83 Grad Fahrenheit). Im selben Zeitraum war die ermittelte durchschnittliche Innentemperatur jedoch vier Grad höher, sie lag demnach bei 32 Grad Celsius (90 Grad Fahrenheit). Ein gewaltiger Unterschied.
Im Verlauf der zwei Monate konnte gezeigt werden, dass bei zwei Drittel der teilnehmenden Harlem-Bewohner der Innentemperatur-Index höher war als der der Umgebung. Die Wohnungen waren also schlecht gekühlt. Ein erster Ansatz für die urbane Planung, um Bevölkerungsteile, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind, besser zu schützen. Im Projekt wurden verschiedene Abhilfemaßnahmen entwickelt: kühlende Dachgärten, ein Hitze-Warnsystem oder die Rückeroberung kühler öffentlicher Plätze. Julia Kumari Drapkin, Gründerin der NGO ISeeChange, sagt, das Harlem Heat Project gehe über den “lame old way” des investigativen Journalismus hinaus, der Daten vom Erzählen trennt – und so eine Ungleichheit zwischen Experten aus der Wissenschaft, Journalisten und den betroffenen Menschen schaffe.
Die meisten der von den Teilnehmern mit Temperatursensoren gesammelten Hitze-Index-Daten liegen über dem Index der Außentemperaturen (rot). (Grafik: Brian Vant-Hull, Prathap Ramamurthy, City College)
Durch ihre Beteiligung haben die Bewohner Journalismus erst möglich gemacht. Und zwar nicht nur durch ihre subjektiven Berichte über die am eigenen Leib erlebte Hitze, sondern auch durch die objektiv erhobenen Daten.