Kernfusion als Energiequelle: Start-ups steigen ins Rennen ein

Physiker kommen dabei voran, Fusionskraftwerke zu realisieren. Neben den Großprojekten ITER und Wendelstein spielen Start-ups wie „Focused Energy“ aus Darmstadt eine Schlüsselrolle.

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Montage der Grafitkacheln im Plasmagefäß des Fusionsreaktors Wendelstein 7-X in Greifswald.

Bürogebäude, Hallen, Parkplätze – nichts im Industriegebiet im Norden Darmstadts deutet darauf hin, dass ein Start-up hier eine neue Art von Kraftwerk entwickelt. Im Foyer eines der Bürohäuser empfängt der Physiker Markus Roth den Besucher. Oben im dritten Stock geht es zur Sache. Mitarbeiter des Start-ups „Focused Energy“ diskutieren und brüten vor ihren Rechnern. Sie wollen das Feuer der Sonne auf der Erde zünden.

Unser Zentralgestirn ist ein riesiges Kraftwerk. In seinem Innern verschmelzen Wasserstoff-Atomkerne zu Helium. Die große Bindungsenergie der neuen Atomkerne wird frei und bringt die Sonne zum Leuchten. Könnte man auf der Erde Fusionskraftwerke bauen, hätte die Menschheit in puncto Energie wohl für immer ausgesorgt, und das nahezu emissionsfrei. „Das wäre eine Gelddruckmaschine“, sagt Roth, Chefwissenschaftler von „Focused Energy“. „Mit wenigen Kilogramm Brennstoff ließen sich ganze Städte mit Energie versorgen“, sagt der Physiker.

Eine von fossilen Brennstoffen unabhängige Energiequelle würde auch geopolitische Abhängigkeiten auflösen und helfen, Petro-Diktaturen wie Russland nicht länger zu bereichern und nicht mehr von ihnen erpresst werden zu können. Der Ukrainekrieg zeigt, wie gefährlich solche Abhängigkeiten sind. Ganz zu schweigen von den Effekten für das Klima – die schwierige Abkehr von fossiler Energieerzeugung bis zur Mitte des Jahrhunderts bezeichnen Klimaforscher als lebenswichtig für unsere Zivilisation.

Start-ups streben mit viel Geld zum schnellen Erfolg

Die Kernfusion weckt schon lange Hoffnungen. Unter Physikern gibt es indes den running gag über die so genannte „Fusionskonstante“: Es dauert immer exakt noch 50 Jahre, bis die Kernfusion auf der Erde gelingt. Lange Entwicklungs- und Bauzeiten sowie Rückschläge haben den Eindruck verstärkt, es werde noch ewig dauern – viel zu lange jedenfalls, um etwas zur Lösung akuter Menschheitsprobleme beizutragen.

Doch die Stimmung in der Fusionsszene hat sich geändert. „Focused Energy“ will schon für das nächste Jahrzehnt ein Kraftwerk bauen. Für die Entwicklung der Technologie hat die Firma über zwei Milliarden US-Dollar eingeplant. In einer ersten Finanzierungsrunde haben die Darmstädter 15 Millionen Dollar eingeworben. Der Hauptinvestor ist die US-Risikokapitalgesellschaft Prime Movers Lab.

Die Baustelle des Fusionsreaktors ITER im südfranzösischen Caradache.
Die Baustelle des Fusionsreaktors ITER im südfranzösischen Caradache.

Focused Energy konkurriert mit weltweit über 20 Start-ups, die möglichst schnell Fusionskraftwerke bauen wollen. Auch der große, von der EU und sechs Staaten geförderte Forschungsreaktor ITER in Südfrankreich soll ab etwa 2035 Energie erzeugen, wenn auch noch nicht fürs Stromnetz. Das soll mit einem Folgekraftwerk gelingen, etwa ab 2050.

„Der Klimawandel lässt uns keine Zeit, so gemütlich weiterzuforschen wie bislang“, sagt Roth. Was ist geschehen, dass es nun so schnell gehen soll? Und warum gibt es viele Firmen und Forschungsprojekte, die alle das gleiche Ziel anstreben?

Die Sonne zeigt, wie hoch die Latte liegt. Im ihrem Zentrum ist der Druck 200 Milliarden mal so groß wie auf der Erdoberfläche und es ist 15 Millionen Grad heiß. Erst bei solchen extremen Bedingungen verlieren Wasserstoffatome ihre Elektronen und bilden ein so genanntes Plasma. Darin flitzen Atomkerne sozusagen nackt umher. Wenn zwei von ihnen schnell genug aufeinander stoßen, können sie zu Helium verschmelzen.

Für die Fusion braucht es extreme Temperaturen

Es gibt zwei Wege, diesen Prozess auf der Erde stattfinden zu lassen. Verzichtet man auf den hohen Druck, muss man das Plasma weit stärker erhitzen als in der Sonne, um eine Fusion zu zünden. Weil das kein Material aushält, halten Physiker das Plasma in einem Magnetfeld in der Schwebe. Das ist das so genannte „Magneteinschlussverfahren“.

Die so genannte „Laserfusion“ hingegen erzeugt einen extremen Druck. Dazu füllen Forscher eine stecknadelkopfgroße Kapsel mit Wasserstoff und erhitzen ihre Hülle schlagartig mit einem starken Laser. Die Hülle explodiert. Nach dem Rückstoßprinzip implodiert der enthaltene Wasserstoff so heftig, dass er sich im Kugelmittelpunkt enorm verdichtet. Dort herrschen für Sekundenbruchteile Bedingungen wie im Sonneninnern, sodass es zur Kernfusion kommt.

Skizze des Magnetfusionsreaktors ITER im südfranzösischen Cadarache.
Skizze des Magnetfusionsreaktors ITER im südfranzösischen Cadarache.

Die meisten Start-ups arbeiten mit dem Magneteinschlussverfahren, wie auch die staatlichen Projekte ITER oder „Wendelstein 7-X“ im norddeutschen Greifswald. „Diese Methode ist am weitesten entwickelt und am nächsten dran am Kraftwerk“, sagt Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald. Schon 1958 bauten sowjetische Physiker den ersten Testreaktor dieses Typs. Die Brennkammer hat die Form eines Fahrradschlauches. Magnetfelder, etwa 300.000 Mal stärker als das Erdmagnetfeld, halten das Plasma innerhalb des Rings im Zaum. Mikrowellen heizen es auf rund 200 Millionen Grad auf.

Wichtiger Durchbruch beim Testreaktor „Jet“

Einen solchen Sonnenofen zu bauen, ist hoch komplex. „Doch zuletzt gab es viele Fortschritte“, sagt Ursel Fantz, Leiterin für ITER-Technologie am IPP in Garching. „ITER wird greifbarer“, sagt die Physikerin. Einen Meilenstein erreichte der weltgrößte Fusionsreaktor „Jet“ nahe Oxford im Februar 2022. Der Reaktor hielt die Fusion für immerhin fünf Sekunden am Laufen, wobei so viel Energie frei wurde, wie beim Verbrennen von zwei Kilogramm Kohle – mit nur 0,2 Milligramm fusioniertem Wasserstoff. So viel Energie hatte zuvor noch kein Sonnenofen erzielt.

Allerdings war das nur ein Drittel der Energie, mit der das Plasma geheizt wurde. Um ein Plus an Energie zu gewinnen, muss die Fusion deutlich länger andauern. Das limitierende Element sind derzeit Magnetfeldspulen aus Kupfer, die schnell überhitzen und abgeschaltet werden müssen. Mit den supraleitenden Magnetspulen im neuen Reaktor ITER soll dieses Problem überwunden werden.

Ab 2035 sollen dort auch jene zwei Formen von Wasserstoff fusionieren, die besonders viel Energie liefern: Deuterium und Tritium. Deren Atomkerne besitzen neben einem Proton noch ein Neutron (Deuterium) oder zwei Neutronen (Tritium).

Noch ehrgeiziger als ITER ist das Start-up „Commonwealth Fusion“ aus Boston. Bis 2025 will es den weltweit ersten Fusionsreaktor bauen, der mehr Energie liefert als er braucht. Anfang der 2030er will die Firma ein Fusionskraftwerk am Netz haben. Der Schlüssel dazu: Relativ kleine und dennoch sehr starke Magnete. Mit ihnen lässt sich der Reaktor viel kleiner und mit weniger Aufwand bauen. Möglich machen das so genannte Hochtemperatursupraleiter, die große Stromstärken verlustfrei leiten. Sie müssen weniger stark gekühlt werden als herkömmliche Supraleiter, wie ITER sie verwendet. Dadurch kann die Kühltechnik wesentlich kleiner ausfallen. Die Firma demonstrierte einen solchen Magneten im September 2021.

Ein Scheitern ist noch möglich

Dass der Marsch durch die straffen Zeitpläne gelingt, ist alles andere als sicher. Denn die Forscher betreten weiterhin Neuland. Als große Hürde gilt die Reaktorwand. „Kritiker behaupten, an der Wand könnte alles scheitern“, sagt Thomas Klinger. Die Hülle hat mehrere Funktionen. Zum einen wandelt sie die Energie von Neutronen, die bei der Fusion frei werden, in Hitze um und gibt diese an einen Wasserkreislauf ab. Dieser treibt eine Turbine an. Doch beim Neutronenbeschuss in der Wand sollen keine langlebigen radioaktiven Elemente entstehen. „Bei ITER sollen dafür eigens entwickelte Stahllegierungen getestet werden“, sagt Fantz.

Noch dazu soll die Wand den Brennstoff Tritium produzieren, den es sonst kaum auf der Erde gibt. Dazu enthält die Wand Lithium, das sich mit den Neutronen aus der Fusionsreaktion in Helium und eben Tritium umwandelt. „Es müssen hinreichend viele Neutronen für diese Umwandlung genutzt werden“, betont Klinger. Denn sonst entstehe weniger Tritium als verbrannt werde und der Tritium-Kreislauf könne sich nicht schließen. Dazu mischen Forscher Beryllium in das Wandmaterial, das ein Neutron einfängt und in zwei Heliumatome plus zwei Neutronen zerfällt, die Neutronen also verdoppelt. Eine weitere Herausforderung: Das radioaktive Tritium muss vollständig aus der Wand geholt werden. „Die Wandelemente sind eine Kunst für sich“, resümiert Klinger.

Laserfusion ist noch viel zu ineffizient

Unterdessen hat auch die Laserfusion Fortschritte gemacht. An der „National Ignition Facility“ (NIF) im kalifornischen Livermore gelang es 2021 erstmals, ein Plasma zu entzünden. Das heißt, es brannte für einen Moment von alleine, also ohne weitere Energiezufuhr von außen. Dabei entstand fast so viel Fusionsenergie, wie dem Brennstoff zuvor per Laser zugeführt wurde.

Doch die Forscher räumen ein, dass die kalifornischen Anlage kein Modell für ein Kraftwerk ist. Hauptzweck der Anlage ist eigentlich die Kernwaffenforschung. Mit welcher Effizienz das Plasma erhitzt wird, spielt dafür keine Rolle. Die dreizehn Jahre alte Laseranlage verbraucht ein Vielfaches der Energie die im Laserlicht steckt. Das liegt auch daran, dass die Laserenergie in Röntgenstrahlung umgewandelt wird, die die Kapsel mit dem Plasma von allen Seiten gleichmäßig trifft. Dieser Umweg kostet Energie.

Eine von zwei identischen Laseranlagen der National Ignition Facility des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. Die beiden Anlagen nehmen einen Platz von drei Fußballfeldern ein.
Eine von zwei identischen Laseranlagen der National Ignition Facility des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. Die beiden Anlagen nehmen einen Platz von drei Fußballfeldern ein.

Solche Ineffizienzen will „Focused Energie“ aus Darmstadt beseitigen. In seiner Anlage sollen 200 Laserstrahlen die Brennstoff-Kapsel von allen Seiten direkt treffen. „Die Strahlen verdichten und erhitzen das Plasma weniger stark als am NIF“, erklärt Roth, was Energie spare. Die zur Zündung fehlende Hitze liefert ein kurz andauernder Teilchenstrahl. Weitere Effizienz sollen neue Lasersysteme bringen. Seit den 2000er Jahren sind Laser wegen ihres breiten Einsatzes in der Industrie immer effizienter geworden. In Summe sollen die Gewinne für ein Energie lieferndes Kraftwerk reichen.

Ob das gegen die Konkurrenz reicht, muss sich zeigen. Ursel Fantz lobt indessen die Start-up-Szene. „Sie bringt Vielfalt in das Forschungsfeld“, sagt die Physikerin. Dieses habe lange unter der Fixierung auf einige Maschinen gelitten. Die Start-ups hingegen probieren neue Designs aus. Die Szene als Ganzes wirkt wie ein Experimentierfeld. „Wir lernen voneinander“, sagt Fantz. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass noch vor Mitte des Jahrhunderts das Feuer der Sonne auf der Erde brennt.

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