Wie das Internet-der-Dinge den Journalismus-Konsum verändert
Vernetzte Gegenstände liefern uns bessere Storys
Printerthing und sMirror, Tradfri und Nachrichtenmöbel: um all das – und noch viel mehr – wird es hier in der Koralle gehen. Es ist höchste Zeit, darüber zu sprechen. Denn in der intensiven Beschäftigung mit dem Internet-der-Dinge habe ich sechs Erkenntnisse für den Journalismus gewonnen. Nein, eigentlich sind es sieben. Und die siebte, vielleicht wichtigste vorneweg: Das Internet der Dinge geht nicht mehr weg. Aber es kann den Journalismus besser machen. Nutzen wir es!
1: Das Zeitalter des Smartphones als Zeitungsbote ist vorbei
Die Digitalisierung des Unbelebten macht auch unerwartete Dinge zu medialen Plattformen: Küchenmixer und Frühstücksbretter, Turnschuhe, Barbie-Puppen und Cremedosen. Wer eine sprechende Alexa hat, die auf Zuruf jeden Song spielt, wird sich kein Radio mehr kaufen. Ein Kind, das mit einer Tonie-Box aufwächst, wird das Konzept der CD nur schwer verstehen. Wer einen vernetzten Küchenmixer hat, wir so schnell kein Kochbuch mehr erwerben. Kurz: Das Publikum ist im Journalismus der DInge nicht mehr an ein bestimmtes Ausspielgerät gefesselt, an kein TV-Gerät, kein Radio – und auch kein Smartphone.
Die journalistischen Geschichten sind immer genau dort, wo wir sind. Sie folgen uns durch unser Leben.
2: Erzählende Dinge liefern Inhalte maßgefertigt
"Guten Morgen, Robert. Hier kommen deine Nachrichten“: Der smarte Badezimmerspiegel zeigt jedem Familienmitglied, das das Bad betritt, eben die Nachrichten an, die individuell gebraucht werden. Gesteuert wird die personalisierte Anzeige nicht durch Touchdisplay oder Spracherkennung, sondern durch die persönlichen Objekte der Morgenroutine. Die eigene Zahnbürste spielt den persönlichen Nachrichten-Mix aus – exakt so lang, wie an diesem Morgen das Zähneputzen dauert.
(Diese Idee habe ich in Zusammenarbeit mit der Datenfreunde GmbH 2018 einfach umgesetzt: Der “sMirror” existiert – und reiht sich ein in eine Reihe von spezialisierten Empfängern, die alles sind, nur keine Volksempfänger. Es gibt Radios, die nur eine spezielle Sendung empfangen und Displays für eine einzige Nachrichtenquelle. Die drei “Newsthings” des Media Innovation Studios setzen den User-zentrierten Ansatz radikal um: “ConeThing”, “RadioThing” und “Printerthing” liefern Nachrichten in einfachster, zugeschnittener Form. “Printerthing” zum Beispiel als personalisierten Internetausdruck. Auch dazu später mehr auf dieser Koralle.)
Sie werden nicht mehr lesen, was ihr Nachbar liest. Und vor allem nicht auf dem selben Gerät.
3: Das Smarthome macht Journalismus wieder magisch
Erzählerischer Journalismus erzeugt magische Momente: Man taucht ein in den dichten Urwald Borneos auf der Suche nach einer seltenen Kreatur, man liegt mit der Arktis-Expedition im Zelt. Wenn die Reporterin die eisige Luft erwähnt, läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Man besteigt ein Frachtschiff und meint die Stimme des Kapitäns immer noch zu hören, wie sie über das Schiff ruft: “Manfreds Stimme ist so rostig wie das Schiff und klingt, als komme sie aus einem ungenau eingestellten Radioempfänger. Das liegt daran, daß Manfred an Land zuviel trinkt und auf See zuviel raucht.” Die Stimme erwacht im Ohr, auch wenn die Reportage von Peter Sartorius über 40 Jahre alt ist.
Der Alltag der Schiffsbesatzung aus “Maloche, Einsamkeit und Lebensgefahr” hat so gar nichts vom Alltag des typischen Lesers, der auf dem heimischen Sofa sitzt. Doch was, wenn das Thermostat die Temperatur zwei Grad absenkt, das Licht einmal flackert und dann die Stimme des Kapitäns kurz im Ohr erklingt? Und das nicht als Multimedia-4D-Installation, sondern weil die die Leserin ihr vernetztes Zuhause geöffnet hat für Journalismus.
Journalismus wird magisch, wenn die Dinge um uns herum zu Erzählern werden.
4: Reporter durchbrechen die vierte Wand
Was lange als Utopie galt, ist nur noch einen Aufruf einer Web-Schnittstelle entfernt. Ein kleiner Befehl, nicht viel länger als der, der die Schriftart festlegt. Im Text auf dem Smartphone müsste nur noch ein einziger Befehl an einen Service wie IFTTT stecken.
Diese Art von Journalismus ist nicht mehr Armlängen entfernt, sondern fast auf den Fingerspitzen von uns Schreibenden liegt. Dabei könnte es anders sein:
Der Zuschauer schaut nicht nur zu, der Zuhörer hört nicht nur zu. Die vierte Wand wird durchbrochen – und jeder kann teilnehmen, fühlen, erleben.
5: Geschichten passen sich dem Kontext an
Für solche Medien braucht man fähige Geschichtenerzählerinnen. Solche, die sich nicht scheuen, die horizontale Textebene zu verlassen und ihre Geschichten in den Raum hinein zu konzipieren. Das Erzählen kann auch agil werden und sich an der Nutzung der Leserin entlang entwickeln. Man muss den Kontext ernst nehmen, in dem der Leser sich befindet. Und die Erzählung sollte sich dynamisch daran anpassen. Der Schlenker zur Geschichte Neufundlands passt in der Reportage perfekt, wenn sie in der Badewanne gehört wird, ist in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit vielleicht zu viel. Wenn die Reportage auf dem Display begonnen wird, könnte sie zum Joggen in einen Audio-Stream wechseln.
Journalistinnen nehmen künftig besser wahr, in welchem Kontext ihre Leser Geschichten rezipieren.
6: Das Internet der Dinge ist näher an uns dran als jede Zeitung
Der Bedarf an guten Geschichten wird durch das Internet-der-Dinge nicht kleiner. Aber die Symmetrie zwischen Leserinnen und Journalistinnen richtet sich neu aus, es ändert sich, wo welcher Bedarf herrscht und wie er gestillt wird. Neben klassischen Reportern ringen Datenjournalistinnen, visuelle Geschichtenerzählerinnen und individualisierte Briefings mit Zusammenfassungen um die Aufmerksamkeit. Journalistinnen, die programmieren können, animieren oder 3D-videografieren, stehen in den Startlöchern. Sie alle buhlen um die Aufmerksamkeit des Lesers, ohne sich über den Punkt, die Situation, das Ambiente allzu große Gedanken zu machen, in denen die Leserin diesen Journalismus konsumiert. Journalistinnen, die das in Betracht ziehen, die mit ihren Geschichten näher und zielgenauer zum Leser gelangen und dafür bereit sind, neue Kanäle zu nutzen, werden erfolgreicher sein. Die, die Geschichten auf der Haut des Leser aufsammeln und ihm in die Ohrmuschel setzen, werden einen Vorteil haben.
Der Journalismus der Dinge erreicht seine Leserinnen unmittelbarer und direkter, als jeder bisherige Informationskanal.
Das sind sie, meine sechs Erkenntnisse, wie der Journalismus der Dinge den Empfang von Geschichten und Nachrichten verändert. Ich werde Sie hier in der Koralle immer weiter mit Beispielen füttern. Ihnen zeigen, was es schon gibt, und wer daran arbeitet, so dass Sie prüfen können, ob meine Erkenntnisse richtig sind.