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Schöner Träumen
Schöner Träumen
Forscher manipulieren Träume und optimieren unseren Schlaf mittels Technologie. Werden wir so unendlich schlau und kreativ?
Einst aufwendige Technik aus dem Schlaflabor wird nun dank mobiler Sensoren tragbar. Neurowissenschaftler:innen und Informatiker:innen manipulieren Träume und Gehirnwellen für besseren Schlaf, mehr Kreativität und nachhaltigeres Lernen – und erste Geräte kommen auf den Markt, mit denen Nutzerinnen und Nutzer selbst aktiv werden können. Eine Recherche im Schlaflabor der Zukunft.
Adam Horowitz‘ Schlaflabor ist das Sofa im Büro seiner Chefin Pattie Maes, und sein Messgerät ist ein Armband sowie drei Fingerringe, die alle untereinander mit verschiedenen Kabeln sowie per Bluetooth mit einer Handy-App verbunden sind. Seine Probanden müssen nicht die ganze Nacht bleiben, es genügt ein Mittagsschlaf. „Wir können ihnen einen Teil ihres Kopfes zeigen, den sie noch nie gesehen haben“, sagt der Doktorand am MIT Medialab geheimnisvoll. Wenn er seine Probanden verkabelt, misst das Armband Änderungen im Muskeltonus, der Herzfrequenz und der Hautleitfähigkeit.
Das genügt laut Horowitz, um neun verschiedene Einschlafstadien zu unterscheiden. Das wichtigste für ihn darunter ist das so genannte Hori-Stadium 3, „ein halbklarer Schlafzustand, in dem wir zu träumen beginnen.“ Es ist jenes Stadium, in dem Gedanken in Träume übergehen – man bemerkt es manchmal, wenn man durch ein Zucken im Körper nochmal aufwacht und sich über die wirren Gedanken und Bilder wundert.
Wenn das Armband dieses Stadium erkennt, sagt eine Stimme aus dem Handy: „Du bist dabei einzuschlafen. Denke an eine Gabel. Was denkst du?“ Die App zeichnet die Antwort auf, während die Stimme immer wieder nachhakt: „Kannst du mir mehr erzählen?“ Horowitz hat seitenlange Protokolle dieser Traumaufzeichnungen mit teils sehr schrägen Assoziationen rund um Gabeln seiner Probanden. Keine Frage: kreativ sind wir in dieser Phase! Nur: Ist der Proband wach oder schläft er?
Es ist ein Zwischenstadium, und laut Horowitz eines, in dem das Gehirn besonders frei assoziiert.
In seinem ersten kleinen Experiment haben auf Anhieb alle sechs Probanden von Gabeln geträumt und mit der Stimme aus der App lange Gespräche über Gabeln geführt. Wobei es ein wenig umstritten ist, ob die Probanden tatsächlich im Schlaf waren. Horowitz nennt es „semi-lucid hypnagogic cognition“, ein Zustand zwischen Wachheit und luzidem Träumen – also einem Traum, bei dem sich der Träumende bewusst ist, dass er träumt.
„Bisher hat man EEG-Geräte gebraucht, um das Schlafstadium zu bestimmen“, sagt Horowitz, „jetzt genügt ein Armband, das jeder auch Zuhause anwenden kann.“ Doch obwohl alles so einfach ist nun, ist er auf Hindernisse gestoßen. „Wenn du deine Karriere ruinieren willst, dann forsche an Träumen“, habe ihn ein älterer Kollege aus der Schlafforschung gewarnt.
Die Traumforschung ist ein wenig in Verruf: viele denken beim Thema Traum nur an Sigmund Freud, dessen Theorien umstritten sind. Und sie ist zudem eine wenig exakte Wissenschaft, die damit zu kämpfen hat, dass ihre Experimente nur schwer zu replizieren sind, sagt Penny Lewis, die an der Cardiff-University an Träumen und Kreativität forscht: „Träume sind ein Minenfeld, es ist so hart sie zu messen.“ Schließlich erinnerten sich Menschen häufig nicht besonders exakt an einen Traum, zudem müsse man die Menschen aus dem Traum wecken – was wiederum ihre Erfahrung verändert und damit auch das Ergebnis eines Experiments beeinflussen könnte.
Und auch Horowitz hat gewissermaßen das Problem der Messung: denn auch wenn er so selbstbewusst von Hori-Stadien spricht, ist es unklar, ob sich die Schlafphase wirklich so exakt bestimmen lässt. Daran zweifelt der Schlafforscher Michael Schredl vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit: „Es ist unklar, ob die Probanden schon schlafen oder noch wach sind“, vermutet er. Vielleicht wachen sie auch kurz auf, wenn das Gerät mit ihnen spricht.
Schlafforschung zum Mit-nach-Hause nehmen
Dennoch ist Schredl angetan von Horowitz‘ Forschung. Er selbst beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Träumen, und er war immer abhängig von großen und teuren Geräten und Probanden, die bereit waren, Nächte mit diesen im Schlaflabor zu verbringen. „Das ist schon spannend, was die Jungen jetzt machen“, sagt er, und klingt ein wenig neidisch. Mit „den Jungen“ meint er Horowitz und andere jüngere Kollege. In der Tat sei es gut möglich, mit Daten wie der Herzratenvariabilität und der Hautleitfähigkeit zu bestimmen, in welcher Schlafphase sich jemand befindet – Einschlafphase, Leichtschlaf, Tiefschlaf oder REM-Schlaf beispielsweise. Dank maschineller Auswertung und immer günstigerer Technik ließe sich da vieles einfacher erforschen als im Schlaflabor. „Früher hat man ein Polysomnografie-Gerät gebraucht für rund 20.000 Euro, heute kommt man mit wenigen Euro für tragbare Geräte hin“, sagt Schredl. Das sorge für einen Aufschwung in der Forschung: „Da wird sich einiges tun in nächster Zeit“,
Letztlich sei es eigentlich auch egal, ob Horowitz‘ Probanden nun schon schliefen oder gerade noch so wach seien: „Das Bewusstsein ist im Fluss“, sagt er. Das Gehirn arbeite im Schlaf weiter.
Und diese Erkenntnis ist der zweite große Hintergrund des Aufschwungs: Kognitive Prozesse während des Schlafes wurden lange unterschätzt, das bestätigen die meisten Forscher. Doch nun gibt es eine neue Welle der Schlafforschung, die jene Prozesse nutzen, um unser Wohlbefinden zu verbessern, unser Wissen zu erhöhen oder unsere Fähigkeiten zu trainieren. Geräte wie Horowitz‘ „Dormio“ wird es bald auf Markt geben und jeder kann selbst eingreifen.
Wir könnten kreativer werden
Nach den Gabeln ließ Horowitz mit der gleichen Methode 25 Probanden von Bäumen träumen und sie anschließend eine kreative Geschichte schreiben sowie einen Kreativitätstest absolvieren. Von insgesamt 67 Träumen (die Menschen träumten mehrere Male und wachten dazwischen immer wieder halb auf), handelten 45 direkt von Bäumen. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die lediglich im wachen Zustand an Bäume gedacht hatte, waren ihre Geschichten hinterher kreativer. Kreativität ist subjektiv, doch Horowitz nutzte dafür „referential cohesion“, eine computerbasierte Methode, die vorhersagt, wie kreativ Menschen einen Text finden werden.
Wir könnten besser lernen
In letzter Zeit häufen sich auch Studien und Experimente, die zeigen, dass frisch gelernte Inhalte im Schlaf gefestigt werden, wenn Probanden beispielsweise mit einem Ton im Schlaf an das Gelernte „erinnert“ werden. Jener Ton war zuvor während des Lernens ebenfalls abgespielt worden. Welche Rolle spielen Träume dafür? „Was wir vor dem Einschlafen gemacht haben, wird im Traum reaktiviert“, sagt Björn Rasch, Schlafforscher und Psychologe der Université de Fribourg.
Er hat ein klassisches Experiment der Schlafforschung variiert: er zeigte Probanden vor dem Einschlafen Bilder und fragte sie am nächsten Morgen, an welche sie sich erinnerten. Allerdings weckte er die Probanden zwischendurch und fragte, wovon sie träumten. In der Tat erinnerten sich Probanden an mehr der Bilder, wenn sie im Tiefschlaf davon träumten. Im REM-Schlaf hingegen fand Rasch keinen Effekt. „Und wir müssen natürlich bedenken, dass wir sie nachts gefragt haben“, sagt er, „vielleicht haben wir sie daran erinnert?“
Grob gesagt gibt es zwei Schlafphasen, die wichtig sind für die Traum- und ebenso für die Lernforschung: im Tiefschlaf messen Hirnforscher längere, langsame Gehirnwellen (sie nennen ihn auch Slow-Wave-Sleep) im Vergleich zum REM-Schlaf mit seinen schnellen Augenbewegungen. Und auch die Träume unterscheiden sich, erklärt Rasch: „Im Tiefschlaf sind sie gedankenartig, im REM-Schlaf eher geschichtenartig.“ Die Träume ganz zu Beginn der Nacht – die Phase, in der Horowitz Träume beeinflusst – bezeichnet Rasch als „hypnogene Assoziationen.“
Insgesamt scheint der Tiefschlaf wichtiger zu sein für das Lernen als der REM-Schlaf. So konnte man bei Mäusen beispielsweise ein neuronales Muster erkennen, in dem die so genannten Platzzellen aktiv waren, wenn sie eine Navigationsaufgabe lösten. Das gleiche Muster fanden Forscher auch im Tiefschlaf der Mäuse. Unterdrückten sie allerdings den Tiefschlaf, fanden die Mäuse den Weg am nächsten Tag schlechter.
Wir könnten tiefer schlafen
Forscher versuchen, den Tiefschlaf bei Menschen zu beeinflussen, um das Lernen zu verbessern. Eine Technik namens „auditory closed loop stimulation“, bei der Schlafenden leise Klicks vorgespielt werden, wenn ihr Gehirn gerade eine Tiefschlafwelle produziert, hat es dabei schon auf den Markt geschafft: es gibt Geräte für den Hausgebrauch, die mittels EEG ermitteln, wann eine solche Welle vorhanden ist und einen Klick produzieren, was eine zweite Welle anregt und so den Tiefschlaf verlängert.
Allerdings sei keineswegs klar, ob sich damit wirklich mehr lernen lasse, warnt Rasch – und ob es sich überhaupt um Tiefschlaf handle: „Die Hirnantwort sieht zwar so aus, aber das heißt nicht, dass es Tiefschlaf ist.“ Es gebe zwar eine Handvoll Studien, laut derer Menschen besser lernten, wenn ihr Tiefschlaf auf diese Weise künstlich verlängert wurde, doch Raschs Forschung zeigt vor allem, dass dies nicht eindeutig ist. In einer großen Studie beispielsweise zeigte sich keine eindeutigen Korrelationen zwischen der Länge des Tiefschlafes und der Gedächtnisspeicherung. Und auch als er es schaffte, bei Probanden mittels Hypnose den Tiefschlaf zu verlängern, konnten sie sich deshalb Inhalte nicht besser merken.
Schredl warnt indes davor, Fitnesstracker und deren Schlafdiagnosen allzu ernst zu nehmen: „Sie sind viel zu ungenau, viele dieser Geräte können Tiefschlaf gar nicht feststellen.“ Immer wieder fragten ihn Patienten besorgt, was mit ihnen nicht stimme, da sie laut ihrer Smartwatch keinen Tiefschaf hätten.
Können wir lernen im Schlaf?
Auch wenn immer wieder Schlagzeilen verkünden, man könne „im Schlaf lernen“, mag das zwar aus Forschungsperspektive stimmen, alltagstauglich hingegen ist es weniger. So spielte Katharina Henke von der Universität Bern 2018 41 Freiwilligen während eines Nachmittagsschlafs 48 Wortpaare vor – je ein reales und ein Phantasiewort wie etwa „Aryl – Korken“ oder „Tofer – Haus“. Die Wortpaare wurden jeweils viermal hintereinander in einer Tiefschlafphase abgespielt. Am nächsten Morgen konnten sich die Probanden zwar nicht aktiv an die Phantasiewörter erinnern, wurden sie aber gefragt, welches von ihnen beispielsweise in einen Schuhkarton passt, konnten sie das besser einschätzen als eine Kontrollgruppe – allerdings nur geringfügig besser. Das hilft wohl kaum beim Fremdsprachenlernen.
Noch sind sich Forscher uneins, was genau unser Gehirn im Schlaf macht, um Gelerntes zu festigen. Aber es gilt als gesichert, dass Schlaf wichtig ist für Lernen. Wieso wir dabei manchmal auch träumen oder uns an seltsame „Schlafgedanken“ erinnern, ist hingegen noch völlig unklar, sagt Rasch: „Vielleicht sind Träume auch nur ein Abfallprodukt.“
Wir könnten schöner träumen
Aber Träume lassen sich verändern. Schredl hat bereits 2008 Träume mittels verschiedener Duftstoffe beeinflusst. So waren die Träume von Personen, die im Schlaf Rosenduft rochen, mit positiveren Emotionen verbunden, während Probanden, die Schwefelwasserstoff rochen eher negative Emotionen im Traum hatten. Das sei allerdings im Hausgebrauch mit einer Duftlampe beispielsweise schwer umzusetzen: „Die Nase gewöhnt sich schnell an Gerüche: sie passt sich an, und dann riechen wir sie nicht mehr.“
Schlafende lernten auch, einen Ton mit einem angenehmen oder einem unangenehmen Geruch zu verbinden: die Hirnforscherin Anat Arzi am Weizmann Institute of Science in Israel hat Probanden im Schlaf einen Ton präsentiert zusammen mit einem unangenehmen Geruch. Als sie aufwachten, bekamen sie den gleichen Ton zu hören ohne Geruch – und rümpften unweigerlich die Nase. „Ich habe es gleich gesehen, ich hätte nicht einmal messen müssen“, sagt Arzi lachend. Sie hat es aber trotzdem getan: „Sie haben messbar weniger eingeatmet.“ Den gleichen Effekt nutzte sie, um Rauchern das Rauchen abzugewöhnen: sie kombinierte Zigarettenqualm mit dem Geruch von verrottetem Fisch und verglich den Effekt, wenn sie dies im Tiefschlaf, im REM-Schlaf und im Wachzustand tat. 30 Prozent der Tiefschlaf-Probanden rauchten daraufhin weniger und 10 Prozent der REM-Probanden, während die wachen Probanden keinen Effekt verspürten. „Allerdings hielt der Effekt nur eine Woche lang“, sagt sie, „es ist leider kein Rezept gegen Rauchen.“
Wie schnell es gehen kann, dass Experimente zum Lernen im Schlaf versehentlich Träume manipulieren zeigt ein Experiment von Tore Nielsen. Der Professor für Psychiatrie an der Universität von Montreal und Direktor des dortigen Traum- und Albtraumlabors wollte in einer Studie zeigen, inwiefern sich neu gelernte Bewegungen festigen lassen: Probanden bekamen eine schöne Tonfolge zu hören, wenn sie eine Aufgabe erfolgreich meisterten. Die gleiche Tonfolge wurde ihnen schließlich im Schlaf vorgespielt. „Wir reaktivieren dabei die gleichen neuronalen Schaltkreise, und das verbessert das Lernen“, erklärt Nielsen.
Seine Kollegin Claudia Picard-Deland entwarf dafür eine VR-Umgebung, in der Probanden mittels ihrer Controller fliegen konnten und eine bestimmte Route fliegen mussten. Sie hörten dabei immer dann eine schöne Tonfolge, wenn sie die richtige Route trafen. Im Schlaf bekamen sie die gleiche Tonfolge zu hören – doch dann geschah das unerwartete: „Die Probanden hatten so viele Träume vom Fliegen!“, schwärmt Nielsen. „Niemand hat jemals eine Technologie entwickelt, die Träume vom Fliegen induziert.“ Allerdings waren die träumenden Probanden nicht besser am nächsten Tag als die nicht-träumenden. „Wir üben nicht im Schlaf“, sagt Nielsen. Auch Picard-Deland berichtet von vielen Flug-Träumen, während sie die VR-Umgebung entwickelte. In ihrem Artikel beschreibt sie außerdem, dass jene Träume überdurchschnittlich häufig luzid waren, die Probanden sie also bewusst kontrollieren konnten.
Wir könnten luzid träumen lernen
Luzides träumen, also bewusst gesteuertes Träumen, fasziniert Forscher schon lange, und es gibt eine neue Methode, die diese recht zuverlässig herbeiführt. „Wir haben Menschen, die noch nie einen luziden Traum hatten, im Labor beigebracht luzid zu träumen“, sagt Ken Paller, Psychologie-Professor und Direktor des Cognitive Neuroscience Program an der North Western University in Evanston. Er spielte ihnen im wachen Zustand eine Tonfolge vor und erklärte: „Wenn du diese Tonfolge hörst, beobachte deine aktuelle Erfahrung: ist das realistisch? Wie kam ich hierher? Was geschah direkt davor?“
Mit solchen Fragen lasse sich herausfinden, ob man träumt oder wach sei, erklärt Paller. „Wenn die Geschichte keinen roten Faden hat, dann kann es ein Traum sein.“ Im Traum passierten Szenensprünge. „Schau einmal in die andere Richtung und zurück: ist alles noch gleich?“ Probanden sollten ihre Finger zählen und andere Realitätschecks machen, wenn sie die Tonfolge hörten. Die Probanden bekamen diese Instruktionen direkt vor dem Einschlafen. „Normalerweise sind luzide Träume viel zu selten, um damit zu forschen“, sagt Paller, „aber unsere Methode funktioniert jedes zweite Mal.“ 50 Prozent hatten luzide Träume. Wichtig sei es, den Probanden dafür im REM-Schlaf die Tonfolge zu präsentieren.
Und vielleicht lassen sich luzide Träume gar nutzen, um Dinge einzuüben – also die Übungsphase vom wachen auf den schlafenden Zustand auszudehnen? Das hat Melanie Schädlich vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit ausprobiert: sie ließ Probanden zunächst Dart üben und versuchte schließlich, sie in einen luziden Traum zu bringen, um dort weiter zu üben. In der Tat hatten neun der 15 Dart-Spieler einen luziden Traum in der Nacht, in dem sie Dart übten – doch die Aufgabe erwies sich als zu komplex: Nur wenige schafften es, im Traum bewusst zu üben. Die Forscherinnen mussten die neun Probanden in zwei Gruppen teilen: vier waren leicht, fünf stark abgelenkt in ihrem luziden Traum, so dass das Experiment nur einen sehr schwachen Effekt ergab: jene vier weniger im Traum abgelenkten Teilnehmer waren etwas besser im Dart spielen als die Kontrollgruppen, die entweder nicht geübt oder nicht bewusst geträumt hatten.
Manche Forscher versuchen, Albträume durch luzides Träumen zu beeinflussen. Da gibt es aber eine einfachere Methode, berichtet Schredl, der viele Menschen betreut, die von Albträumen geplagt werden – teilweise in einem Ausmaß, dass sie versuchen, nicht mehr zu schlafen. Betroffene erhielten häufig keine Hilfe, weil Ärzte mit Träumen nichts anzufangen wüssten. „Schlafen und Träumen wird in der Ausbildung vernachlässigt“, sagt er, „die modernen kognitiven Theorien haben sich in der Medizinausbildung noch nicht durchgesetzt.“
In Schredls Albtraumsprechstunde kam beispielsweise ein junges Mädchen, das immer von einer riesigen Spinne auf seinem Kopf träumte. Gemeinsam mit der Patientin überlegte er, wie dieser Traum gut ausgehen könnte. Schließlich kamen sie auf folgende Lösung, die die Patientin sich danach jeden Tag rund zehn Minuten vorstellen sollte, um den alternativen Ausgang einzuüben: „Sie stellte sich vor, dass ihr Vater die große Spinne von ihrem Kopf nimmt. Danach hatte sie Angst vor Spinneneiern auf ihrem Kopf, also stellte sie sich vor, dass ihre Mutter ihren Kopf mit Läusemittel wusch.“ Patienten, die solche Vorstellungen einüben, werden ihre Albträume nach Schredls Erfahrung meist los. „Träume sind überspitzte Darstellung von Dingen, die uns tagsüber beschäftigen“, sagt er. Freuds Theorie vom Unterbewussten hält er für einen Umweg: anstatt verdrängter Erfahrungen zeigten Träume, was uns beschäftigt. „Das Thema Traum war zunächst von Psychoanalytikern okkupiert“, sagt er, „deshalb wollte die akademische Psychologie nichts damit zu tun haben.“
Dazu kamen die ungenauen Messmethoden in Form von subjektiven Traumberichten. Deshalb wird schon lange an Systemen des maschinellen Lernens geforscht, die Träume via Hirnwellen auslesen. Ein japanisches Team hat 2013 einen Etappensieg errungen und auf diese Weise zumindest grobe Kategorien von Träumen auslesen können, wenn Probanden eine Nacht im Magnetresonanztomographen verbrachten. „Aber es war ein wahnsinniger Aufwand“, sagt Jack Gallant, Neurowissenschaftler der University of Berkeley, der es selbst einmal versucht und aufgegeben hatte. „Es war klar, es würde Jahre dauern.“ Die Kategorien der Träume sind viel zu ungenau, um sie für die Traumforschung zu verwenden. Letztlich gebe es nie genügend Daten für maschinelles Lernen in den Neurowissenschaften.
Penny Lewis hat sich lange daran gestört, dass die Reaktivierung des Gelernten im Schlaf beim Menschen offenbar funktioniert, aber dass sie sich nicht auf Basis von Hirnwellen nachweisen lässt. Bei Tieren gab es diesen Beweis mittels implantierter Elektroden – was bei Menschen aus ethischen Gründen nicht möglich ist.
Für ihr Experiment kombinierte sie einen Ton, ein Bild und eine bestimmte Taste, die Probanden drücken sollten, sobald Ton und Bild auftraten. Lewis wusste aus unzähligen Vorgänger-Experimenten: Probanden, die nach einem ersten Training in der darauffolgenden Nacht im Tiefschlaf den Ton zu hören bekamen, waren am nächsten Tag schneller darin, die richtige Taste zu drücken, wenn das entsprechende Bild erschien und machten dabei weniger Fehler.
Sie maß mittels EEG die Aktivierung sowohl des Motorkortex (der die Bewegung der Finger steuerte) als auch die Aktivierung jener beider Gehirnregionen, in denen Gesichter und Objekte verarbeitet werden, die ein Mensch sieht. Diese Regionen sind recht deutlich voneinander getrennt und nah genug an der Schädel-Oberfläche, so dass sie mittels EEG gemessen werden können.
Dann trainierten Lewis und ihre KollegInnen einen Classifier, also ein Computerprogramm, das mittels maschinellem Lernen Muster in diesen Daten aufspürt. Dieses Programm bestimmte Muster in den Hirnwellen der Probanden, wenn sie die Aufgabe tagsüber ausführten, und sollten schließlich in den Gehirnwellen des schlafenden Probanden ähnliche Aktivierungen finden. In der Tat konnten die Forscherinnen zeigen, dass bei jenen Probanden, die tagsüber geübt hatten, nachts die gleichen Gehirnregionen aktiv waren, wenn sie den Ton präsentiert bekamen. Das Programm konnte vorhersagen, welcher Finger mit welchem Ton verbunden ist und ebenso, ob ein Gesicht oder ein Objekt zu einem Ton gehört – rein aus den nächtlichen Gehirnwellen der Probanden und ohne diese Information vorher zu haben.
Lewis hat ein zweites Thema, das aus ihrer Sicht noch zu wenig erforscht ist im Zusammenhang von Schlaf, Traum und der Verbesserung unserer Fähigkeiten: der REM-Schlaf. Denn während der Tiefschlaf mit seiner Erinnerungs-Aktivierung nun schon recht gut erforscht ist, sei die Rolle des REM-Schlafes viel weniger klar. „Er ist möglicherweise wichtig für kreative Aufgaben“, sagt Lewis: denn in diesem Schlafstadium ist die Verbindung zwischen Kortex und Hippocampus getrennt. Der Hippocampus ist für das Gedächtnis und für Lernen zuständig. Wenn seine Kontrolle im REM-Schlaf reduziert ist, werden Gedächtnisinhalte wilder miteinander kombiniert, sagt Lewis: „Im REM-Schlaf gibt es eine massive, zufällige Aktivierung des Kortex. Während im Tiefschlaf simple semantische Konzepte im Cortex verankert werden, werden im REM-Schlaf die Verbindungen dazwischen aktiviert – die der Hippocampus als „nicht so relevant“ erachtete.
Man kann sich das vorstellen wie beim wachen freien Assoziieren: so gilt es als kreativitätsfördernde Technik, sich möglichst viele verschiedene Verwendungsmöglichkeiten für einen Gegenstand auszudenken – und dabei bewusst auch scheinbar absurde oder verrückte Ideen zuzulassen. Es ist gar nicht so einfach, die Vernunft loszulassen. Parallel dazu ist beim REM-Schlaf diese eher vernünftige Instanz blockiert und lässt den Traumgedanken freie Hand.
Lewis plant ähnlich wie Horowitz mit den Einschlafträumen, den REM-Schlaf am Ende der Nacht mittels Technologie zu verlängern und zu beeinflussen um zu sehen, inwiefern die Kreativität im Wachzustand steigt. Ob das am Ende wirklich funktioniert? „Bisher ist es nur ein Modell“, sagt Lewis, „es erlaubt uns, strukturierte Experimente zu machen.“
Bis dahin empfiehlt sie allen, die eine kreative Lösung für ein Problem suchen, sich das Problem vor dem Zubettgehen noch einmal vor Augen zu führen – „wenn es nichts belastendes ist.“ Mindestens ebenso wichtig sei nämlich schlicht, genug Schlaf zu bekommen, insbesondere genug REM-Schlaf. Der komme aber häufig bei Menschen zu kurz, die gestresst seien und versuchten, ein Problem zu lösen – weil sie es sich nicht gönnen, lang genug im Bett liegen zu bleiben oder ihren Wecker zu früh stellen.
Unabhängig davon sei es natürlich auch eine ethische Frage, inwiefern man Schlaf und Träume beeinflusst, sagt Hotowitz: „Es ist gruselig, wenn jemand anders kontrollieren kann, was du träumst“, sagt er. Prompt habe er eine Anfrage von einem großen amerikanischen Getränkehersteller erhalten, ob es nicht möglich sei, Menschen von dessen Produkt träumen zu lassen. Der junge Forscher lehnte ab. Er will Gutes tun: „Wenn du Menschen beispielsweise gute Träume gibst, und sie wachen glücklich auf – wieso sollte man das nicht tun?“ Was fehlt: Förderung für solche Forschung: daran sind Getränkekonzerne nicht interessiert. Seit Horowitz weiß, wie verrufen die Traumforschung ist, schreibt er anstatt „Träume“ einfach „Nachtgedanken“ in Förderanträge. Und letztlich ist das nach dem aktuellen Stand der Forschung ja gar nicht so falsch.