Gebt uns das Gefühl zurück!

Unser Tastsinn wurde lange vernachlässigt in der Digitalisierung. Aber Menschen haben ein Bedürfnis nach Wahrnehmung auf einer anderen Ebene als Sehen und Hören. Jetzt fängt die Lücke an zu schmerzen. Informatiker und Entwickler arbeiten daran, die Haptik in die digitale Welt zu holen. Damit könnte Virtuelles und Physisches wieder näher zusammenrücken.

12 Minuten
Die Hand eines Mannes spielt sanft die Tasten eine Klaviers.

Ach wäre er doch Musiker geblieben! Wie richtig und wie falsch dieser Wunsch zur gleichen Zeit ist, das zeigt sich hier in diesem schlichten Informatiklabor zwischen Kabeln und technischen Geräten. Brent Gillespie, Maschinenbauprofessor der University of Michigan, sitzt vor einem komplizierten mechanischen Aufbau aus Holz mit verschiedenen Kraft-Umlenkungen, dreht hier und da vorsichtig an einer Schraube, schlägt die weiße Taste am Ende mit dem Zeigefinger an und beobachtet ganz genau, wie sich diese Aktion durch die meterstabslange Apparatur fortsetzt. Am Ende schlägt ein kleiner mit Filz überzogener Hammer auf eine Saite. „Steinway Action“ steht auf einer kleinen Blechtafel mit einer Widmung: er hat diese Taste eines Flügels mit allem, was dahinter hängt, von einem befreundeten Musikprofessor geschenkt bekommen.

Wer Gillespie dabei beobachtet, wünscht ihm nichts mehr, als dass sein großer Traum in Erfüllung geht: das Gefühl, einen großen Konzertflügel zu spielen, das soll in dieses Labor einziehen. Ohne dass Gillespie dafür einen Flügel herschaffen muss: Er will diese sinnliche Erfahrung, die der lange Weg durch die Mechanik einer Steinway-Taste in den tausenden Tastzellen des Fingers hinterlässt, künstlich nachempfinden, und gleichzeitig so gut, dass nichts fehlt im Vergleich zum Konzertflügel. Der erste Schritt ist zu begreifen, wie das Gefühl zustande kommt, an dieser Taste aus dem Innenleben eines Instruments. Der nächste ist, dieses Gefühl technisch nachzubilden und die digitale Welt damit zu bereichern. Es wäre bei weitem einfacher gewesen, Musiker zu bleiben und den Steinway zu genießen.

Für die Forschung ist es ein Glücksfall, dass Gillespie kein Musiker geblieben ist, obwohl es eine Zeitlang in seinem Leben so aussah, als könnte er sein Brot auch in den Konzertsälen der Welt verdienen. Aber eines störte ihn: „Ich wurde ein Snob. Ich wollte nur noch auf dem Flügel spielen.“ Es fühlte sich einfach besser an als auf dem Klavier zu spielen. Aber er wollte kein Snob sein und hatte obendrein eine zweite Leidenschaft: Auf den Master in Musik folgte ein Master in Maschinenbau. Auch das lief gut, er promovierte schließlich in Stanford, doch dann störte ihn auch hier etwas: Das Gefühl verschwand immer mehr aus seinem professionellen Leben: „Wir entwickeln Technologie mit audio-visuellem Feedback. Das ist einfach, aber etwas wichtiges fehlt: die Haptik.“ Unsere Interaktion mit Computern beschränkt sich zunehmend auf Sehen und Hören. Von der Schreibmaschine über die Computertastatur bis zum Smartphone – die Geräte wurden immer kleiner. „Aber wir haben etwas Großes verloren, als wir die Tasten weggenommen haben.“

Das Fühlen fehlt

Was Brent Gillespie im Kleinen durchlaufen hat, das bewegt gerade eine ganze Branche. Die Informatik bemerkt, dass sie ein zentrales menschliches Bedürfnis vernachlässigt hat: wahrzunehmen auf anderer Ebene als allein durch Sehen oder Hören. Neu ist das nicht: Hirnforscher haben immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Dinge im Wortsinne zu begreifen, um die Welt zu verstehen. Doch die Technologie hat sich bis jetzt genau ins Gegenteil entwickelt: sie nimmt uns das Fühlen.

Sie haben Feedback? Schreiben Sie uns an info@riffreporter.de!