Machthaber von Belarus will wichtigste Umweltorganisation des Landes verbieten
Diktator Alexander Lukaschenko verbietet zu Hunderten Organisationen der Zivilgesellschaft. Jetzt sind mit fadenscheinigen Argumenten Naturschützer dran
Der belarussische Vogelschutzverband APB ist eine der letzten noch nicht verbotenen NGOs in Belarus. Nun soll auch er nach dem Willen der Lukaschenko-Regierung wegen „staatszersetzender Aktivitäten“ verboten werden. Als Beweis präsentieren die Behörden einen per Twitter verbreiteten Slogan, der zum Umsturz aufwiegeln soll: „Die Vögel sind mit dem Volk“. Die Vogelschützer bestreiten, dass der Tweet von ihnen stammt. Am Freitag entscheidet der Oberste Gerichtshof.
Es gab eine freie Wahl in Belarus …
Die Wahl in Belarus verlief vorbildlich. Jeder Bürger und jede Bürgerin konnte einen Vorschlag machen – ihr Kandidat brauchte nur einen festen Wohnsitz im Land. Zwei weitere Kandidaten wurden von unabhängigen Gremien ins Rennen geschickt, die Abstimmung verlief geheim. Presse, Funk und Fernsehen berichteten ausführlich und wahrheitsgemäß über das Ergebnis, der Staat druckte Sonderbriefmarken und Münzen mit dem Konterfei des Wahlsiegers.
Kurzum: Es gab gerade eine frei Wahl in Belarus – jenem Land, in dem die offensichtlich gefälschte und international nicht anerkannte Wiederwahl von Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko Hunderttausende auf die Straße getrieben und Zehntausende hinter Gitter gebracht hat. Die Abstimmung galt allerdings keinem Politiker, sondern dem Vogel des Jahres. In diesem Jahr hat die Lasurmeise den Titel errungen.
Die weiß-blaue Vogelart könnte die letzte sein, der die Ehre zuteil wird. Denn der Vogelschutzverband APB, der die Wahl so akribisch, so ernsthaft und so demokratisch organisiert, steht vor dem Verbot. Der Staat hat ausgerechnet die Naturschützer, deren Logo er auf Briefmarken selbst verbreitet, als Staatsfeinde ausgemacht und will sie auf Basis eines Gesetzes verbieten, das Vereinen die Verbreitung von Kriegspropaganda oder andere extremistische Aktivitäten untersagt. Entschieden wird über die „Liquidierung“ der größten Umwelt-NGO des Landes am Freitag vor dem Obersten Gerichtshof in Minsk.
Vogelbilder als Mittel der Aufwiegelung?
Die Staatsanwaltschaft wirft den Vogelschützern extremistische Propaganda vor. „Unter dem Deckmantel der freiwilligen Arbeit zur Rettung von Vögeln führt die Organisation APB auf dem Territorium der Republik Belarus extremistische Aktivitäten durch, die auf die Störung der sozialen und politischen Lage im Lande abzielen“, heißt es im Verbotsantrag.
Als einziges Belastungsmaterial präsentierte die Staatsanwaltschaft in einer ersten Anhörung vor dem Obersten Gericht vor kurzem eine Kurznachricht auf Twitter. Darin wird unter dem Logo des Vogelschutzverbandes auf den Künstler Anton Redzionau verwiesen, der auf seinem Instagram-Account eine Bilderserie mit dem Titel „Vögel mit dem Volk“ präsentiert.
Die dort in kräftigen Farben ikonisch portraitierten Vögel tragen jeweils Bänder in den Farben der belarussischen Nationalflagge Weiß-Rot-Weiß im Schnabel, oder die Staatsfarben sind an anderer Stelle im Bild zu erkennen. Zu sehen sind Stare, die in einem Haus mit der Aufschrift nisten: „Es lebe Belarus!“ oder ein Eisvogel, der die weiß-rot-weiße Fahne im Schnabel trägt. „Jedes Gemälde hat seine eigene Bedeutung und weckt Erinnerungen: an Bekannte, Weggefährten, Brüder. Die Vögel sind mit uns und unterstützen uns.“, wird der Künstler in dem angeblichen APB-Tweet zitiert.
Schon eine Nationalflagge im Fenster kann ins Gefängnis führen
Was harmlos wirkt, ist es im Saat Lukaschenkos nicht. Die Nationalflagge ist nämlich zu einem Symbol der Opposition geworden, seit Hunderttausende Menschen sie bei ihren Protesten gegen die gestohlene Wahl im Sommer 2020 schwenkten. Sie auch noch in Verbindung mit dem Begriff „Volk“ zu bringen, macht die Angelegenheit brandgefährlich. „Viele Menschen wurden schon verhaftet und weggesperrt, einfach, weil sie die Flagge ins Fenster gehängt haben“, sagt Wolfgang Büttner vom Deutschland-Büro der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
APB-Geschäftsführer Alexandre Vintchevski weist die Vorwürfe energisch zurück. Auch der Tweet stamme nicht von seiner Organisation, sagt er in einem Zoom-Gespräch aus Minsk. APB sei immer mit Bedacht eine unpolitische Organisation gewesen und sei deshalb sogar kritisiert worden, betont Vintchevski. „Wir haben den Kritikern entgegnet, dass einige der wertvollsten Naturgebiete in ganz Europa von Zerstörung gefährdet wären, wenn wir unsere Arbeit einstellen müssten“, begründet er die demonstrativ apolitische Haltung des Verbandes. „Jeder hat seine eigene Meinung und tut als Privatmensch, was er für richtig hält“, betont Vintchevski.
„Als Organisation beziehen wir weder für noch gegen die Regierung Stellung – außer in fachlichen Fragen“, betont der Naturschützer immer wieder die strikte Trennung zwischen privatem Engagement und den Verbandsaktivitäten. Mit dieser Linie hat die APB bislang als eine der wenigen Organisationen geschafft, der staatlichen Repression zu entgehen und unter schwierigsten Bedingungen Erfolge für den Natur- und Klimaschutz zu erzielen.
„Alle Organisationen, die unabhängig sind, sollen ausgeschaltet werden“ (Wolfgang Büttner, Human Rights Watch)
Dazu gehört die Renaturierung von zehntausenden von Hektar trockengelegter Moore zugunsten von Klima- und Naturschutz. Auch wegen der Arbeit der Vogelschützer ist Belarus heute ein wichtiger Player im natürlichen Klimaschutz und weltweit führend bei der Wiederherstellung von Torfgebieten. Auch die Ausweisung riesiger Naturschutzgebiete von europaweiter Bedeutung ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit der 25.000 Freiwilligen und rund 1000 Mitglieder der APB. Dass das nicht ohne Konflikte ablief, ist klar. Aber selbst aus vielen Ministerien erhalte man bis heute Zuspruch, berichtet Vintchevski.
Lukaschenko kündigte an, NGOs zu „massakrieren“
Die Chancen für APB, einem Verbot zu entgehen, stehen schlecht – das wissen auch die Vogelschützer selbst.Denn die systematische Niederschlagung der Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen ist das erklärte Ziel von Machthaber Lukaschenko. Die Liste der verbotenen Organisationen ist lang. Sie reicht vom „Zentrum für die Rechte behinderter Menschen“, über Menschenrechtsgruppen bis hin zum „Verein der Tierliebhaber“.
„Alle Organisationen, die unabhängig sind, sollen ausgeschaltet werden“, sagt Menschenrechtler Büttner. „Das müssen nicht einmal kritische oder politische Organisationen sein – es reicht aus, einfach nur außerhalb staatlich kontrollierter Strukturen aktiv zu sein.“
Bis zum Januar diesen Jahres sind nach Angaben von Menschenrechtlern landesweit in Belarus bereits fast 350 Nichtregierungsorganisationen verboten worden. Mehr als 200 kamen dem Schritt durch Selbstauflösung zuvor.
Lukaschenko hat die Praxis in einem BBC-Interview im November in drastischen Worten bestätigt. „Wir werden all den Abschaum massakrieren, den sie (das Ausland) finanziert haben“, sagte er dem BBC-Reporter Steve Rosenberg mit Blick auf die Nichtregierungsorganisationen. Selbst Tierschutzverbänden warf er vor, in Wirklichkeit die Revolution anstacheln zu wollen. Für alle aus dem Ausland unterstützten Organisationen gelte: „Wenn wir sie nicht bereits liquidiert haben, werden wir das in naher Zukunft tun“, sagte der Staatsschef.
Trotzdem setzt die APB auf die Überzeugungskraft von Argumenten – und internationale Solidarität. Dutzende Organisationen aus aller Welt haben sich in Schreiben an Lukaschenko für den Partnerverband eingesetzt. Auch die internationale Zertifizierungsstelle für nachhaltiges Holz, FSC, hat sich den Protesten angeschlossen und die Vergabe des Gütesiegels an Belarus wegen der Unterstützung des Krieges in der Ukraine, aber auch wegen des drohenden APB-Verbots ausgeschlossen. Damit verliert Belarus Millioneneinnahmen aus dem Holzhandel.
Zur entscheidenden Verhandlung vor dem Obersten Gericht am Freitag haben sich auch die Botschafter mehrerer westlicher Staaten, darunter Deutschlands, angesagt. Ob diese Solidaritätsaktion hilft, ist offen. Vintchevski ist auf alles vorbereitet: Sollte seine Organisation verboten werden, will er als letzte Amtshandlung als Geschäftsführer auf den Stufen des Obersten Gerichts den Vogel des Jahres 2023 bekanntgeben. Die Wahl hat kürzlich stattgefunden – die Stimmzettel sind ausgezählt, geheim und demokratisch.