Meeresakustik: Intelligente Ohren erforschen den Sound der Ozeane

Unzählige Horchposten im Meer verraten vieles über das Leben unter Wasser – und über das alles übertönende Lärmen der Menschen

vom Recherche-Kollektiv Ozean & Meere:
11 Minuten
Ein Buckelwal springt und wirft sich auf die Meeresoberfläche

Alles fing mit einem Unfall an: Im Jahr 1992 war zwischen den Inseln Gran Canaria und Teneriffa ein Schnellboot mit einem Wal zusammengestoßen, ein Passagier kam ums Leben. Merkwürdiger noch: Es blieb nicht bei diesem Vorfall. Die Kollisionen häuften sich – meist mit tödlichem Ausgang für die Wale. Was steckte dahinter? Warum wichen die Meeressäuger nicht aus? Die Schifffahrtsgesellschaft Trasmediterránea gab eine Studie in Auftrag. Michel André, gerade von einem Forschungsaufenthalt in Kalifornien zurückgekehrt, ging nach Spanien, um das Verhalten der Tiere zu erforschen. Zwei Jahre sollte das Projekt dauern – zwölf Jahre wurden daraus.

Das Ergebnis seiner Untersuchungen war damals eine kleine Sensation und brachte dem Doktoranden einen Nachwuchspreis für Umweltforschung der Universidad Complutense von Madrid ein. Es zeigte sich: Durch Unterwasserlärm waren die Wale taub geworden, darum hatten sie selbst den lauten Schnellbooten nicht ausweichen können. Die Obduktion zweier Exemplare 1996 durch die Militärschule von Harvard bestätigte diese Annahme. Ein akustisches Trauma hatte die Tiere ihr Leben gekostet. Genau zwischen Gran Canaria und Teneriffa, wo Meerestiefen von bis zu 6000 Metern den Walen ein nahrungsreiches Habitat voller mikroskopischer Organismen bieten, verläuft auch die meistbefahrene Schifffahrtsroute der Region.

Der französische Forscher, geboren 1963 in Toulouse, blieb in Spanien und gründete 2003 im verschlafenen Hafenstädtchen Vilanova i la Geltrú in Katalonien das Labor für bioakustische Anwendungen – Laboratorio de Aplicaciones Bioacústicas (LAB). Es gehört zur Universidad Politécnica de Catalunya. Was André bei seinen Forschungen fand, waren nicht nur die Walgesänge, die biologischen Klänge des Ozeans. Es „waren die von Menschen produzierten Lärmquellen, die die Zukunft unserer Ozeane und damit die Zukunft unseres Planeten gefährden“.

Der Mann mit Sonnenbrille, orangenem Anorak und Kopfhörern vor einem Eisberg ist der Forscher Michel André..
Nur die Polarmeere sind noch weitgehend frei vom Lärm. Hier hört man die Eisberge noch singen. Doch in 5 -10 Jahren wird der Industrielärm auch hier angekommen sein, sagt Michel André.
Inmitten eines breiten Flusses im Naturschutzgebiet Mamirauá am Solimoes Fluss sieht man einen rosa Delfin schwimmen, dahinter ist am Ufer der Regenwald zu sehen.
Der rosa Flussdelfin kommt fast im gesamten Amazonasgebiet vor. Doch wird sein Lebensraum durch die Abholzung der Regenwälder, durch den Bau von Megastaudämmen und das Einleiten giftiger Schwermetalle aus dem Bergbau immer drastischer eingeschränkt.
Zwei Männer im Kanu. Der vordere Mann paddelt, der hintere hat ein Fernglas vor den Augen und Kopfhörer auf. Die beiden nähern sich einem unter Wasser stehenden Wald.
Die Bioakustik kann auch im Naturschutzgebiet Mamirauá, am Mittleren Solimoes im Bundesstaat Amazonas, helfen, die Biodiversität zu bestimmen.
Vom Bug eines Katamarans aus kann man einen Finnwal sehen, wie er vor der katalanischen Küste nach Nahrung sucht.
Mit einem Netzwerk von 150 akustischen Lauschstationen hat André die größte Datenbank von biologischen und künstlichen Sounds der Welt aufgebaut. Auch vor der katalanischen Küste wird das Meer abgehört.
Eine junge Familie der Inupiat (Inuit) eingehüllt in Seerobbenfell blickt in die Kamera.
Die Inupiat aus Alaska (historisches Foto von Edward Curtis) konnten die Wale immer schon hören - auch ohne teure Hydrographen.
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