Konflikt um den Ozean: Wenn der Klimawandel Fische gen Norden treibt und an Land Eiweiß knapp wird

Der UN sind mit neuen Abkommen über den Schutz von Biodiversität und Hochsee große Erfolge gelungen. Doch wie werden internationale Meeresschutzgebiete durchgesetzt? Und wird der Fischfang friedlich geregelt, wenn an Land wegen der Klimakrise Nahrung knapp wird? Ein Szenario

33 Minuten
;ehrere Kriegsschiffe und ein Helikopter auf dem offenen Meer.

Reykjanes Ridge, in einer nicht so fernen Zukunft

Auf dem Minenleger „Sagitta II“ kehrt Ruhe ein. Die Soldatinnen und Soldaten der UN-Marine werfen sich auf die Liegen in ihren Kajüten, die Taucher unter ihnen reden noch über die Prachtexemplare von Heilbutt und Rotbarsch, die sie gerade im Meeresschutzgebiet Reykjanes Ridge gesehen haben. Dann schlafen auch sie ein. Neunzehn Stunden haben sie ohne Unterbrechung gearbeitet. Einen Minengürtel mitten im Nordatlantik zu legen, gehört zum Aufregendsten und Anspruchsvollsten, was die Arbeit bei der Blauhelm-Marine zu bieten hat.

Viele Meter hoch sind die Wellen um diese Jahreszeit. Es reicht nicht, die Minen einfach ins Wasser zu werfen. Zuerst müssen Meeresbiologinnen an Bord die Fischschwärme der Region mithilfe bio-optischer Messgeräte genau lokalisieren. Dann gehen sie mit Kampftauchern unter Wasser, um die Angaben zu überprüfen. Erst wenn die Unterwasserkommandos ihr Okay geben, sendet der Kapitän ein Signal an das Hauptquartier der UN-Ecoforce-Kräfte in Kiel. Von dort aus werden alle Schiffe in weitem Radius informiert, bevor die Minen scharf gestellt werden.

Der Einsatzbefehl für den Minenleger ist sehr restriktiv formuliert. Die Sperrgebiete sind „so klein wie möglich zu halten und auf die am stärksten bedrohten Arten zu konzentrieren“ – an diese Formel wird der Kapitän bei jeder Lagebesprechung mit dem Befehlshaber der Flotte erinnert. Die Fischereinationen, die im Nordatlantik operieren – vor allem Island, Russland, China und Japan – sollen nicht mehr provoziert werden als absolut nötig, damit sie nicht mit direkter Aggression reagieren.

Wettrennen um Proteine

Bis in die Nacht hinein haben sich die UN-Marinesoldaten ein Rennen mit einem mächtigen Feind geliefert – dem Kapitän des 150.000 PS starken russischen Fischkreuzers „Artur Tschilingarow“, dem größten unter den neuen Kombischiffen, die zugleich vor Waffen strotzen und eine komplette Fischfabrik in sich bergen.

Die „Artur Tschilingarow“ ist 250 Meter lang, verfügt über sechs Kanonen, 22 Torpedoschächte und eine gigantische Halle im Inneren, wo der frisch gefangene Fisch an Fließbändern vollautomatisch verarbeitet und in Blöcken eingefroren wird. Benannt ist sie nach dem russischen Polarforscher und Politiker, der 2007 mit einem U-Boot auf den Grund des Arktischen Meeres hinabfuhr und mit einem Roboterarm die russische Nationalflagge in den Boden rammte, um den Anspruch Russlands auf riesige unterseeische Territorien zu demonstrieren.

Nicht nur der Meeresboden ist international umstritten. Die globalen Fischbestände sind aufgrund von Übernutzung, Lebensraumzerstörung und durch die Folgen des Klimawandels dramatisch geschrumpft – und der Anbau von Nahrungsmitteln an Land leidet unter Wetterextremen, was den Anbau von Getreide und Leguminosen und damit auch die Fleischerzeugung stark einengt.

Weltweit ist deshalb ein brutales Wettrennen um Proteine aus dem Meer entbrannt. Ihre Minengürtel um Meeresschutzgebiete hält die UN-Behörde für die Hochsee deshalb für unerlässlich. Aufgrund der Knappheit ist der Preis für Fisch extrem gestiegen, die Jagd auf die essbaren Arten ist äußerst lukrativ. Auf den Ozeanen sind neben den national kontrollierten Fischereiflotten auch Tausende von illegalen Fangschiffen unterwegs. Alle Schiffe physisch davon abzuhalten, in Meeresschutzgebieten zu wildern, würde eine riesige Flotte an Kontrollschiffen erfordern.

Schlupflöcher im Abkommen

Sieben Jahre ist die „Sagitta II“ nun schon im Einsatz. Ihr Name bezieht sich auf den ersten deutschen Fischdampfer im 19. Jahrhundert: Das Nachfolgerschiff soll die Überfischung vergangener Jahrhunderte wiedergutmachen. In mehr als fünfzig Fällen ist es seiner Besatzung gelungen, Laichgebiete und Fischgründe, in denen sich die Bestände regenerieren, mithilfe von Minengürteln abzuschirmen. Der Blauhelm-Verband, den das deutsche Schiff anführt, ist weltweit gefürchtet, weil jeder weiß, dass seine Hightech-Minen wirklich jede Schiffswand zerreißen.

Doch die Russen und die mit ihnen verbündeten Chinesen tauchen in aller Welt notorisch dort auf, wo es verboten ist, die Meere weiter zu leerzufischen. Von Anfang an waren sie dem Abkommen zum Schutz der Hochsee skeptisch gegenüber gestanden. Nach dem Inkrafttreten hatten sie begonnen, konsequent dessen Schlupflöcher zu nutzen – dass die Regeln nämlich für Kriegsschiffe nicht gelten und einzelne Staaten bestimmte Meeresschutzgebiete rundweg ablehnen und in der Interpretation Russlands auch ignorieren können.

Die „Artur Tschilingarow“ und ihre Begleitboote waren in den vergangenen Tagen auf den Satellitenbildern, die aus Kiel zur „Sagitta II“ übermittelt wurden, immer näher an das Schutzgebiet Reykjanes Ridge gerückt, einen der wichtigsten Lebensräume und Laichgründe des Nordatlantiks. Die UN-Soldaten haben sich mit dem guten Gefühl in ihre Kajüten gelegt, den Angriff der Russen mit ihrem Minengürtel gestoppt zu haben. Doch ihre Nachtruhe endet abrupt. Eine gewaltige Explosion reißt sie aus dem Schlaf…

Fischschwarm
Laut Welternährungsorganisation FAO werden viele Fischbestände zu intensiv genutzt.
Rot und weiß gestrichenes Fischereiboot mit der isländischen Küste im Hintergrund.
Das isländische Fischereischiff Vilhelm Thorsteinsson kehrt vollbeladen zurück.
An Deck eines großen Fischereischiffs wird ein großes Netz mit Fischen entladen.
Kühlfrachter Plastun beim Entladen: Russland hat seinen Fischfang in den vergangenen Jahren stark intensiviert.
Blick in einen Konferenzsaal mit mehreren hundert Menschen vom Podium aus gesehen.
Das Plenum der Meeresschutz-Konferenz in New York.
Ein Blauhelmsoldat mit Fernglas vor einer UN-Fahne.
Blauhelme – demnächst auch für den Naturschutz im Einsatz?
Peitschende Wellen vor einer weiten Meeresfläche.
Die Hohe See erstreckt sich auf 60 Prozent des Ozeans.