„Die Donau lesen“

Ein Forschungsprojekt über den Fluss der Erzählungen.

vom Recherche-Kollektiv Flussreporter:
12 Minuten
Alte illustrierte Postkarte mit Briefmarke mit Fluss, Häusern, Schiffen, Menschen

Die Donau ist der zweitlängste Fluss in Europa und durchfließt so viele Länder wie kein anderer. Das Forschungsprojekt „Die Donau lesen. (Trans-)Nationale Narrative im 20. und 21. Jahrhundert“ untersucht, wie dieser Fluss immer wieder als Erzählstrom dient.

Die Donau ist mit 2.857 Kilometern Länge nach der Wolga der zweitlängste Fluss in Europa und entwässert große Teile Mittel- und Südosteuropas. Sie durchfließt bzw. berührt zehn Staaten (Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Moldau, Ukraine), so viele wie kein anderer Fluss der Erde. Sie ist eine der ältesten europäischen Handelsrouten, war Bindeglied des großen Habsburgerreiches und Teil des „Eisernen Vorhangs“ der Ostblockstaaten. Immer wieder behinderten politische Spannungen und Kriege den Austausch über die bedeutende Wasserstraße.

Die Donau ist ein bedeutender Fluss in Europa – geografisch, politisch, kulturell. Es ist also kein Wunder, dass sie immer wieder Haupt- oder Nebenthema von literarischen Texten, fotografischen Arbeiten, Filmen, Musik, Werbung, künstlerischen Projekten, Hoch- und Populärkultur war.

Wie hat sich das Bild der Donau seit 1900 verändert? Gibt es eine für alle Anrainerländer, alle an ihr angesiedelten Sprach- und Kulturräume gemeinsame, identitätsstiftende Erzählung über diesen Fluss? Und hat oder haben sich diese im Zuge der politischen Umbrüche des „langen“ 20. Jahrhunderts verändert? Ist die Donau der „große Integrator“, wie der ungarische Autor Péter Esterházy in seinem Buch „Donau abwärts“ formulierte?

Diese Fragen untersucht das über drei Jahre laufende Forschungsprojekt „Die Donau lesen. (Trans-)Nationale Narrative im 20. und 21. Jahrhundert“ anhand von literarischen Texten, Fotos und Filmen aus allen Donau-Ländern. Das Projekt ist am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und am Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen angesiedelt und wird vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG gefördert.

Fluss mit Umland, flussaufwärts blickend, links ein paar Häuser einer historischen Stadt.
Die Donau bei Hainburg, Niederösterreich.

Der Fluss, der verbindet

Das Forschungsprojekt „Die Donau lesen“ beginnt tatsächlich damit, über die Donau an der Donau zu lesen. Es beginnt mit zwei Frauen, die unterschiedliche Verbindungen zur Donau haben und deren Wege sich eines Tages gekreuzt haben.

Die eine ist Edit Király. Edit Király ist in Budapest aufgewachsen, hat dort Germanistik und Soziologie und noch ein paar andere Dinge studiert und unterrichtet an der dortigen Universität. Sie lebt seit vielen Jahren in Wien. Die Donau bildet die Verbindung zwischen ihren beiden Ankerpunkten und sie hat sie zum Schwerpunkt ihrer Literaturforschung auserkoren.

Edit Király: Ich musste mir in einem Projekt ein Thema zur Monarchie einfallen lassen, und da kam die Idee mit der Donau. Ich war irgendwo unterwegs mit meinem Mann und wir haben darüber gesprochen, dass ein Fluss die Grenzen verflüssigt. Dieses Bild hat mir gut gefallen.

Die andere ist Olivia Spiridon. Sie ist in Hermannstadt in Rumänien geboren und hat dort und in Passau Germanistik, Rumänistik, Psychologie und Geschichte studiert. Sie leitet am Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen den Forschungsbereich Literaturwissenschaft / Sprachwissenschaft. Beim Wandern mit der Schule habe sie oft imaginiert, von den Karpaten die Donau in ihrem gesamten Lauf zu sehen, erzählt sie. Ihren Mann hat sie auch durch die Donau kennengelernt – sozusagen. Bei einer Zusammenkunft an der Uni stellt er sich vor mit, er komme aus einer Stadt an der Donau, in der es keine Brücken gibt.

Olivia Spiridon lud vor einigen Jahren Edit Király zu einem Vortrag bei einer Tagung in Tübingen über Donau-Literatur und Donau-Filme ein. Schon beim ersten Gespräch waren die beiden auf einer Welle. Sie veranstalteten dann über mehrere Jahre ein gemeinsames Literatur-Seminar zur Donau, Danubylon, für Teilnehmerïnnen aus allen Donau-Ländern auf einer Donauinsel bei Budapest.

Aus dieser überaus inspririerenden Auseinandersetzung entstand 2018 die fast 500 Seiten starke „Donau-Anthologie der anderen Art“ unter dem schlichten Titel „Der Fluss“. Darin findet man Auszüge aus zahllosen literarischen Texten über die Donau, geordnet nach 23 Themen wie Quelle, Brücken, Hochwasser, Krieg, Überquerungen oder Grenzen.

Olivia Spiridon: Das war wunderbar. Und immer wieder kam die Idee, machen wir doch ein Folgeprojekt.

In diesem sollten auch andere Medien zur Donau untersucht werden. Für den Bereich Fotografie konnte Edit Király den Fotohistoriker Anton Holzer gewinnen. Er ist in Innichen in Südtirol aufgewachsen und hat Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie studiert. Er lebt in Wien und hat sich schon vor längerer Zeit mit der Donau beschäftigt: Er kuratierte die Ausstellung mit Katalog unter dem Titel „Blau. Die Erfindung der Donau“, die im Jahr 2005 im Technischen Museum in Wien gezeigt wurde und technische Eingriffe ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit aktuellen foto-künstlerischen Erkundungen der Donau zeigte. Anton Holzer bereiste dafür die Donau bis ans Schwarze Meer, eine Reise, von der er heute noch profitiert.

Anton Holzer: Wie ich in Sulina ganz am Ende der Donau gestanden bin, habe ich mit einem Schlag besser verstanden, was das für ein Fluss ist. Man kann natürlich im Geographielehrbuch schauen, wo der durchfließt, aber verstanden habe ich es erst, wie ich diesen Fluss bereist habe.

Für selbstständig arbeitende Wissenschaftlerïnnen wie Edit Király und Anton Holzer sind geförderte Forschungsprojekte wichtig zur Finanzierung ihrer Arbeit. Sie sind aber auch ein Risiko, weil man viel Vorarbeit leisten muss bei geringen Erfolgschancen. Für den Antrag bei einer renommierten Förderinstitution wie dem Wissenschaftsfonds FWF recherchiert, plant, koordiniert und konzipiert man rund ein Jahr. Nur etwa ein Viertel der dort eingereichten Förderanträge werden jedoch bewilligt. In Dreiviertel der Fälle hat man also viel Arbeit für mehr oder weniger nichts geleistet. Dazu kommt, dass man für internationale Projekte beim FWF eine institutionelle Verankerung in Österreich benötigt. So kam als Vierter im Bunde Christoph Leitgeb ins Spiel. Er stammt aus Innsbruck, hat Geschichte, Anglistik/Amerikanistik und Germanistik studiert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. An seinem Institut gibt es ein kultur- und literaturwissenschaftliches Komitee, in dem sich Literaturwissenschaftler aus Ungarn, Österreich und der Slowakei treffen und fachlich austauschen.

Christoph Leitgeb: Bei uns im Projekt geht es darum, über einzelne historisch besonders relevante Punkte im 20. Jahrhundert, also zum Beispiel Ende des Zweiten Weltkriegs, 1989, Querschnitte zu legen und diese verschiedenen Donau-Erzählungen zu vergleichen.

Um den Bereich der serbischen Literatur abzudecken, wurde außerdem nach jemandem gesucht, der oder die im Rahmen seiner Dissertation am Projekt mitarbeiten kann. Das war die perfekte Gelegenheit für Branko Ranković, der an der Universität Novi Sad in Serbien serbische Literatur und Sprache studiert hat. Er arbeitet jetzt in Tübingen an seiner Dissertation über Donau-Erzählungen in der Vojvodina nach 1945.

Die Vojvodina, eine autonome Provinz in der Republik Serbien, ist für das Forschungsprojekt „Die Donau lesen“ besonders interessant, weil sie sprachlich und kulturell sehr vielfältig war und teilweise noch ist. Dort lebten auch deutschsprachige „Donauschwaben“. Im Zweiten Weltkrieg kämpften sie in der deutschen Wehrmacht und in der Waffen-SS. In der Endphase des Krieges flüchteten Zehntausende ins Deutsche Reich oder wurden nach dem Krieg verschleppt oder vertrieben. Ihre Nachkommen leben in aller Welt, halten vielfach aber am Donau-Raum als einer imaginierten gemeinsamen Heimat fest.

Kleines rotes Frachtschiff steht am Ufer des Flusses.
Ein Frachtschiff aus Rumänien wartet beim Kraftwerk Freudenau in Wien auf eine freie Schleuse.

Die Donau als Weg

Mit dem Forschungsprojekt „Die Donau lesen“ soll die Vielfalt der Donau-Narrative gezeigt werden – wie sie entstehen, wie sie sich verändern und in einem anderen Zusammenhang verwendet werden. Ein Beispiel ist das berühmte Gedicht „An der Donau“ des bedeutenden ungarischen Lyrikers Attila József. Einzelne Elemente dieses Gedichtes wurden in andere Gedichte oder Filme eingebaut, in denen die Stimmung des Originals, die klassischen Topoi, gebrochen erscheinen, erklärt Edit Király.

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy hat sich bei seinem Roman „Donau abwärts“ einen besonderen Spaß daraus gemacht, Zitate zur Donau zu verwenden, die der Leser, die Leserin finden muss wie Ostereier im hohen Gras – oder manchmal auch deutlich sichtbar. Er hat sie jedoch gewendet und gegen den Strich gebürstet. Edit Király konnte im Sommer 2021 den seit Ende 2020 in Berlin an der Akademie der Künste aufbewahrten Nachlass Esterházys studieren und anhand seiner Notizen die spannende Genese dieses Romans erforschen.

Edit Király: Ich habe mich schon lange mit diesem Buch beschäftigt und ich war immer unsicherer, ob er diese Reise je gemacht hat, weil das Buch so angelegt ist, dass man manchmal denkt, das ist nur ein Schmäh. Jetzt ist mir klar, er hat die Reise gemacht. Aber es war ihm nicht wichtig, über eine Reise zu schreiben.

Das Buch sage mehr über die Zeit aus, als über den Ort; entstanden ist es zwischen 1988 und 1991, also zur „Wende“.

Auch der Fotohistoriker Anton Holzer hatte bei seinen Recherchen neue Erkenntnisse. Er hat viele interessante Bildpostkarten und Fotobücher zur Donau gefunden, pandemiebedingt vor allem im Internet bei Sammlern und Antiquariaten. Überrascht hat ihn aber, dass er kein einziges Fotobuch über die Donau aus Bulgarien finden konnte. Lag es daran, dass er nicht Bulgarisch spricht? Bulgarische Kollegen brachten ihn dann auf die Erklärung: „Bulgarien ist das einzige Land, das sich von seinem Selbstverständnis her sehr wenig auf den Fluss bezieht.“ Der Fluss ist die nördliche Grenze zu Rumänien, eine immer wieder konfliktreiche Grenze. Ökonomisch spielt die Donau eine viel kleinere Rolle als in Rumänien. Bulgarien orientiert sich nach Süden zum Schwarzen Meer.

Die blaue Donau

Ein weiterer spannender Aspekt, mit dem sich der Fotohistoriker beschäftigt hat, ist die Farbe der Donau.

Anton Holzer: Es gibt diese schöne Geschichte von Gerichtsrat Anton Bruszkay, der in Mautern oberhalb von Wien jeden Tag ins Donauwasser geschaut und notiert hat, was er da sieht. Er hat über den Zyklus eines Jahres festgehalten, welche Farben er sieht. Und blau war sie de facto nie.

Auf Postkarten und in Tourismusprospekten ist die Donau aber stets knallig blau. Warum eigentlich?

„Die Donau ist erst im 19. Jahrhundert blau geworden, mit dem Strausswalzer“, erklärt Anton Holzer. 1866 schrieb Johann Strauss einen Walzer für die Faschingsfeier des Wiener Männergesang-Verein und betitelte ihn „An der schönen blauen Donau“. Zuvor hatte Österreich bei der Schlacht bei Königgrätz den Krieg gegen Preußen verloren, das Land brauchte eine Aufmunterung und der Donau-Walzer wurde zum Ohrwurm.

1889 wurde der schnell hingeschriebene Faschingstext des Vereinsdichters Josef Weyl durch jenen des Komponisten Franz von Gernerth ersetzt, dieser beginnt mit „Donau so blau…“. Die Farbe Blau, die in zwei Gedichten des ungarischen Dichters Karl Isidor Beck vorkommt, sollte die Donau von der in Ungarn als „blond“ bezeichneten Theiß unterscheiden, wird angenommen. Blau steht auch für Unschuld, Reinheit und Ferne.

Entscheidend für die Einfärbung der Donau war aber nicht nur der neue Walzertext, so Anton Holzer. Um 1900 entstanden die ersten farbigen, kolorierten Bildpostkarten. Sie wurden in großen Stückzahlen produziert, waren leicht verfügbar und reisten mit der Post in viele Länder. Sie prägten so das Image des Flusses in der Populärkultur, schreibt der Fotohistoriker in seinem Aufsatz „Der blaue Fluss. Die Farben der Donau in der Fotografie um 1900“ für das Journal „Kunstgeschichte“.

Brücke, Häuser, türkisblauer Fluss und Schiff.
Postkarte von Linz, Oberösterreich mit blauer Donau von 1917.

Die Donau als blutige Grenze

Auch die Literatur bezieht sich immer wieder auf die blaue Farbe der Donau, manchmal kritisch oder satirisch, kennt aber auch andere Farben: Weiß, gold, grün, grau, braun und manchmal rot von Blut.

Im Jänner 1942 wurden in Novi Sad tausende Zivilisten, die meisten waren Juden, gefangen genommen, an der Donau erschossen und ins Wasser geworfen. Von den blutigen Massakern in Budapest zwischen Oktober 1944 und Jänner 1945 blieben vor allem Massenhinrichtungen an der Donau in traumatischer Erinnerung. Diese Gräueltaten wurden in zahlreichen literarischen Werken und in Filmen bearbeitet.

Die Donau bildet immer wieder die Grenze zwischen Staaten und damit eine potentielle Spannungslinie. Zwischen Jugoslawien und Rumänien war die Donau eine berühmte Fluchtroute, weil Jugoslawien, im Unterschied zu den Ostblockstaaten die Flüchtlinge oft nicht zurückschickte. Das sei ein trauriges Kapitel der Donau, das auch in Filmen bearbeitet wurde, sagt Olivia Spiridon.

Olivia Spiridon: Einer dieser Filme ist „Stille Wasser“, ein Kurzfilm der aus Temesvar stammenden Filmemacherin Anca Miruna Lăzărescu. Sie hat viele Preise für diesen Film bekommen, in dem es um eine Fluchtgeschichte geht, wo drei Leute losschwimmen und nur zwei ankommen. Einer schafft es nicht, weil die Grenzboote über ihn fahren.

Dieser Film behandelt auch das Thema des Blicks über den Fluss, der Sehnsucht und Lebensgefahr gleichzeitig in sich trägt. Ebenfalls ein wiederkehrendes Narrativ.

Ein sehr interessanter Film ist auch „Apoi s-a născut orașul“ (Danach wurde die Stadt geboren) des rumänischen Regisseurs Constantin Vaeni aus dem Jahr 1972. Vaeni sollte im staatlichen Auftrag eine verherrlichende Dokumentation über die Absiedlung, Zerstörung und Neuerrichtung der Kleinstadt Orşova machen, die dem Bau des Donau-Kraftwerkes „Eisernes Tor 1“ weichen musste. Dem Regisseur gelingt es jedoch, durch Kameraführung, Schnitt und Ton auf subversive Weise die brutale Zerstörung, die Trauer der Bewohner und die Trostlosigkeit der neuen Plattenbausiedlung oben am Berg zu zeigen.

Das Eiserne Tor, der Donau-Durchbruch zwischen den Serbischen Karpaten und dem Banater Gebirge, war wiederholt Thema von Erzählungen und Fotografien. Die Strecke war gefährlich wegen Strömungen und Untiefen und gleichzeitig landschaftlich reizvoll. Ein beliebtes Motiv war auch die Insel Ada Kaleh ebendort, die bis 1912 eine übriggebliebene Exklave des Osmanischen Reiches war, mit Moschee, Basar und Kaffeehäusern.

Ada Kaleh und fünf weitere Dörfer wurden 1968 ebenfalls zwangsweise abgesiedelt und überflutet. Der Wasserspiegel liegt seither um 35 Meter höher als zuvor.

Kolorierte Postkarte einer kleinen Insel im Fluss zwischen schroffen Bergen.
Postkarte der Insel Ada Kaleh beim Eisernen Tor, aus der Zeit um 1910.

Der pannonische Matrose

Einer, der Grenzen und Konflikte überwinden wollte, war der aus Novi Sad (Serbien) stammende Liedermacher Đorđe Balašević. Er war mit seiner Musik gegen Nationalismus aufgetreten und in allen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien beliebt. Gleichzeitig bedeuteten ihm die Donau und die Vojvodina – seine Heimat – sehr viel. Er nannte sich „Panonski mornar“, pannonischer Matrose, der mit einem Schiff mit Rädern durch die wogenden Weizenfelder segelt.

Am 19. Februar 2021 starb Đorđe Balašević an den Folgen einer Covid-19-Infektion. In zahlreichen Städten des ehemaligen Jugoslawien versammelten sich daraufhin seine Fans, um ihn zu ehren. Am 22. Februar 2021 kamen in seiner Heimatstadt Novi Sad rund 15.000 Menschen an die Donau und begingen in Anspielung auf den Titel seines Liedes „Noć kad sam preplivao Dunav“ (die Nacht, als ich über die Donau schwamm) die „Noć kada je Đole preplivao Dunav“ (Die Nacht, als der Đole – sein Kosename – über die Donau schwamm). Sein Foto wurde an die gegenüberliegende Festung Petrovaradin projiziert, auf der Donau fuhren Boote mit bengalischen Feuern, darüber schwebten leuchtende Lampions in den Himmel. Branko Ranković konnte nicht dabei sein, weil er pandemiebedingt nicht nach Serbien reisen konnte, fand die Gedenkfeier aber als ein sehr bemerkenswertes Ereignis:

Branko Ranković: Der Fluss war ein zentrales Motiv in seiner Arbeit. Er bezog sich darauf in seinen Liedern und in seinen Reden, es war entscheidend für sein Gefühl von Zugehörigkeit. Er verwendet den Fluss als Motiv um die Natur der Menschen in der Region zu beschreiben. Es war deshalb ein wichtiges Ereignis.

Die Metapher der Donau als verbindendem Band ihrer Anrainer-Staaten sei sehr alt und sollte transportieren, dass die Multikulturalität, die in vielen dieser Länder geherrscht hatte, eine Utopie ist, die man nicht aufgeben sollte, sagt Christoph Leitgeb.

Christoph Leitgeb: Ein Teil dieser Zentraleuropa-Utopie war sicher der Versuch, den habsburgischen Vielvölkerstaat in der Vorstellung zu retten. Diese Vorstellung ist sicher obsolet.

An ihre Stelle sei aber vielleicht die Transnationalität der Umwelt- und Naturschutzbewegungen getreten.

Die Hinwendung zur Donau als Landschaft im weiteren Sinne, inklusive ihrer Zuflüsse, Altarme und Auen, sei in den 1970er und 1980er Jahren in Fotobüchern sichtbar geworden, erzählt Anton Holzer. Dieser Wandel zeigte sich zum Beispiel am Donaudelta, das um 1900 als uninteressant gegolten hatte. In den 1920er Jahren wurde es von Fotografen entdeckt, im Kommunismus nach 1945 industrialisiert und ausgebeutet für die Fisch- und die Zellstoffindustrie. Nach der Wende 1989, nachdem die Industriebetriebe bankrott gegangen waren, wurde das Delta zum Biosphärenreservat und UNESCO-Welterbe erklärt. Umweltorganisationen bemühen sich seither um die Revitalisierung der Naturlandschaft. Weithin bekannt sind auch der Kampf um die Erhaltung der Donau-Auen in und bei Wien.

Schilf aus der Luft mit Wasser mit schilf-freien Zonen dazwischen.
Projekt zum ökologischen Wiederaufbau in Gârla Mare (Rumänien). Diese Feuchtgebiete waren durch einen Damm von der Donau getrennt, innerhalb befand sich eine Fischzuchtanlage. Der WWF Rumänien renaturiert dieses Gebiet.

Literatur:

Edit Király, Olivia Spiridon (Herausgeber): Der Fluss. Eine Donau-Anthologie der anderen Art. Jung und Jung 2018

Péter Esterházy: Donau abwärts. Roman. Deutsch von Hans Skirecki. Berliner Taschenbuch Verlag 2006

Claudio Magris: Donau. Biographie eines Flusses. Aus dem Italienischen von Heinz-Georg Held. dtv 2007

Nick Thorpe: Die Donau. Eine Reise gegen den Strom. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Paul Zsolnay Verlag 2017

Donau. Menschen, Schätze und Kulturen. Eine Reise vom Schwarzen Meer zur Schallaburg. Herausgeber: Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. 2020

Hans Petschar, Elisabeth Zeilinger (Herausgeber): Die Donau. Eine Reise in die Vergangenheit. Österreichische Nationalbibliothek 2021.

Die Recherche zu diesem Forschungsprojekt wurde gefördert im Rahmen des Stipendiums „Forschung & Journalismus“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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