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Grünen-Umweltpolitiker: Moore sind genauso in überragendem öffentlichen Interesse wie Windenergie
Grünen-Umweltpolitiker: Moore sind genauso in überragendem öffentlichen Interesse wie Windenergie
Der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Jan-Niclas Gesenhues fordert die rechtliche Aufwertung von Naturgebieten. Wie die Erneuerbaren Energien seien auch Moore, alte Wälder und Auen von „überragendem öffentlichen Interesse“, argumentiert er im RiffReporter-Interview
Der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Jan-Niclas Gesenhues fordert die rechtliche Aufwertung von Naturgebieten. Wie die Erneuerbaren Energien seien auch Moore, alte Wälder und Auen von „überragendem öffentlichen Interesse“, argumentiert er im RiffReporter-Interview.
Herr Gesenhues, Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat offenbar von den Grünen gelernt: Er möchte das von Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Beschleunigung des Ausbaus vor allem der Windenergie eingeführte Privileg des „überragenden öffentlichen Interesses“ auch für Straßen und Autobahnen haben. Was halten Sie von der Idee?
Verkehrsminister Wissing muss wissen: Wenn wir alles ins überragende öffentliche Interesse übertragen, dann ist es am Ende de facto nichts mehr wert. Der Bau neuer Autobahnen gehört nicht als überragendes öffentliche Interesse definiert. Wir müssen Prioritäten für Klimaschutz und Artenschutz setzen, denn das sind die großen Krisen, bei denen dieses überragende öffentliche Interesse vorliegt. Wir brauchen definitiv keine neuen Autobahnen, aber definitiv viel mehr Wiedervernässung von Mooren, sonst erreichen wir unsere Klimaziele nicht.
Bisher genießen aber auch Moore und andere Ökosysteme nicht diesen Status. Das wollen Sie ändern?
Wenn Klimaschutz und Erneuerbare Energien– wie im Osterpaket beschlossen – im überragenden öffentlichen Interesse liegen, liegt auch der Schutz von überlebenswichtigen Ökosystemen wie Mooren, Auen und Feuchtgebieten im überragenden öffentlichen Interesse, weil sie unsere natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise sind. Deshalb muss sich das auch gesetzlich abbilden.
Sehen Sie in der Koalition und auch in ihrer eigenen Partei die Bereitschaft für mehr Naturschutz?
Wir brauchen mehr und schneller Erneuerbare Energien, aber wir brauchen auch mehr Naturschutz: Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht die eine Krise lösen und damit die andere verschärfen. Und wir haben für den Ausbau der Erneuerbaren Energien schon deutliche Zugeständnisse beim Naturschutz gemacht, wie mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes. Das kann nur unter der Bedingung stattfinden, dass gleichzeitig auch beim Naturschutz alle mitziehen. Deswegen dürfen Natur- und Artenschutz nicht hinten runterfallen.
Welche Naturgebiete sind für Sie Kandidaten für die Privilegierung als im überragenden öffentlichen Interesse?
Da sehe ich an vorderster Stelle solche Ökosysteme, die Synergien bringen zwischen Klima- und Naturschutz, weil sie Kohlenstoff speichern oder aus der Atmosphäre aufnehmen. Dazu gehören Moore, Auen und alte Wälder.
Es gibt doch schon ein Aktionsprogramm zum natürlichen Klimaschutz von Bundesumweltministerin Steffi Lemke, in dem Moore ein zentraler Teil sind. Reicht das nicht aus?
Das Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz ist ein Förderprogramm. Wir brauchen eine rechtliche Flankierung. Nur mit Geld alleine werden wir die Naturschutzziele auch bei Wiedervernässung nicht erreichen. Wir brauchen das juristische Rüstzeug, um an die Flächen zu kommen und um sicherzustellen, dass der Artenschutz in diesen besonders wertvollen Flächen Vorrang hat. Dafür braucht es neben Geld auch die Anpassung von Gesetzen. Spätestens, wenn die EU ihre Pläne für die Renaturierung vorlegt, müssen wir dem Bundesnaturschutzgesetz ein flankierendes Gesetz für die Wiederherstellung der Natur an die Seite stellen. Denn der Schutz alleine wird das Artensterben nicht stoppen, wir brauchen beides, Schutz und Wiederherstellung.
Gerade hat die EU-Kommission – auf maßgebliches Betreiben des Bundeswirtschaftsministeriums ihres Parteifreundes Robert Habeck – eine Notverordnung auf den Weg gebracht, um den Ausbau der Windkraft voranzubringen. Auch darin greift sie auf das Mittel zurück, die Erneuerbaren als überragendes öffentliches Interesse zu adeln. Und sie bietet den Mitgliedstaaten weitgehende Möglichkeiten, Umwelt- und Artenschutz auszuhebeln. Ist das der richtige Weg zu mehr Erneuerbaren?
Die EU-Notfallverordnung spiegelt eine überkommene Haltung, nach der Naturschutz ein Hindernis für den Ausbau der Erneuerbaren ist, das möglichst weitgehend aus dem Weg geräumt werden muss. Das Gegenteil ist richtig: Funktionierende Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten auch im Klimaschutz. Die EU-Verordnung ermöglicht im Prinzip, den Arten- und Naturschutz stark einzuschränken. Das geht klar zu weit. Jetzt geht es darum, eine möglichst naturverträgliche Umsetzung hinzubekommen.
Wie kann das geschehen?
Wir planen auf EU- und nationaler Ebene Vorranggebiete für die Windkraft, die sogenannten „Go-to-Gebiete“, und wir brauchen solche Vorranggebiete auch für den Natur- und Artenschutz auf 30 Prozent der Landfläche. Sonst werden wir auch nicht die Ziele erreichen, auf die wir uns bei der Weltnaturkonferenz in Montreal verpflichtet haben. Deshalb müssen wir jetzt die für den Natur- und Artenschutz besonders wichtigen Flächen identifizieren, die heute noch nicht unter Naturschutz stehen, und sie rechtlich absichern. In diesen Go-to-Gebieten für den Naturschutz müssen dann alle anderen Nutzungen auf den Schutzzweck abgestimmt werden – und das ist der Schutz der Natur und der Artenvielfalt. Das hieße dann beispielsweise, dass dort auch keine Pestizide eingesetzt werden.