Federn schützen und schmücken – und zeigen dem Menschen seine Vergänglichkeit auf
Eine Ausstellung in Winterthur (Schweiz) widmet sich den Vogelfedern und ihrem Gebrauch durch den Menschen
Vogelfedern sind ein ideales Thema für Naturmuseen: Wie entstehen Federn, welche verschiedene Federnarten gibt es, wieso sind sie oft so bunt oder auch so tiefschwarz, wie bringen sie die Vögel in den Himmel, und wieso müssen Vögel ihr Federkleid regelmässig erneuern? Überraschende Antworte auf solche Fragen gibt eine Ausstellung in Winterthur, einer ehemaligen Industriestadt in der Nähe von Zürich.
Dort haben die Kuratoren die Vogelfedern allerdings ins Gewerbemuseum verfrachtet. Auch das ist eine gute Wahl: Die Ausstellung „Federn – wärmen, verführen, fliegen“ zeigt, wie Menschen Federn seit Alters her zu den verschiedensten Zwecken nutzen.
Bereits einige wenige Beispiele verdeutlichen die Breite der Verwendungsmöglichkeiten. Früher dienten Vogelfedern etwa als Schreibutensil, auch verliehen sie Pfeilen eine höhere Flug- und Treffsicherheit. Heute werden proteinreiche Hühnerfedern, die tonnenweise beim Schlachten anfallen, zu Dünger und Tierfutter verarbeitet. In der Autoindustrie wiederum kommen zarte, aber widerstandsfähige Straussenfedern in Walzenbürsten zum Einsatz, um Karosserien vor dem Lackieren von Staubpartikeln zu befreien.
Sogar Detektive tragen Federn mit sich herum, nämlich solche des Marabus in Form von Pinseln, mit denen sie Fingerabdrücke zum Vorschein bringen. Und im Bett kuschelt sich der Mensch nicht nur in warme Daunendecken, sondern nutzt Federn noch zu ganz anderen Zwecken – etwa in Form edler Sexspielzeuge, die mit weichen Vogelfedern versehen sind. Am augenfälligsten aber ist der Federgebrauch bei Bekleidung und Schmuck. Hier macht sich der Mensch sowohl die Isolationsfähigkeit als auch die Schönheit der Vogelfedern in besonderem Masse zunutze.
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Jetzt sieht man sie wieder überall. Daunenjacken beherrschen das Strassenbild. Auch in einem milden Winter wie diesem ziehen sich die Menschen für einen Spaziergang an der frischen Luft eine Jacke über, die vor 100 Jahren für die eisigen und höchsten Gipfel der Erde gedacht war.
Als der australische Bergsteiger George Finch 1922 versuchte, den Mount Everest zu bezwingen, trug er die erste Daunenjacke der Welt. Daunen als Füllstoff für Schlafsäcke waren damals bereits bekannt. Doch zur Isolation von Kleidern hatte die flauschigen Federchen, die in idealer Weise ein extrem niedriges Gewicht mit einer sehr hohen Wärmespeicherung verbinden, noch niemand verwendet.
Die Bergsteigerkollegen machten sich über George Finch lustig, der in seiner neumodischen Bekleidung eine ziemlich pummelige Figur machte. Aber spätestens als sie die Grenze zur „Todeszone“ von über 8000 Höhenmetern überschritten hatten, verging ihnen das Lachen. Finch, der in der Schweiz aufgewachsen war, schaffte es zwar Zeit seines Lebens nie ganz auf den Gipfel des Mount Everest. Doch was die Wärmedämmung betrifft, bewies er, dass seine Jacke den herkömmlichen Jacketts überlegen war.
Allerdings verpasste es George Finch, die Daunenjacke zum Patent anzumelden. Er widmete sich als Professor in London lieber der Chemie. Das Geschäftliche übernahm in den 1930er Jahren der Amerikaner Eddie Bauer. Seine erste Daunenjacke trug den Namen „Skyline“ und legte die Grundlage für ein bis heute weltweit tätiges Unternehmen für Sport- und Outdoor-Bekleidung.
In den vergangenen Jahren hat sich die Daunenjacke vom Luxusgut zur erschwinglichen Alltagsbekleidung gemausert. Dies hat vor allem mit einem Umstand zu tun: dem steigenden Wohlstand der Chinesen und deren ungebrochenem Appetit auf Gänse- und Entenfleisch.
Lesen Sie weiter: Wieso die Daunenjacke von George Finch im Vergleich zu vielen heutigen Jacken tierfreundlich war und wie Vogelfedern aus einem Motorradhelm ein Kunstwerk machen. Einnahmen aus Einzelkauf und Abonnement fließen in unser Projekt „Die Flugbegleiter“ und ermöglichen neue Recherchen. Das Abo ist monatlich kündbar. Wenn Sie als Abonnent hier die Bezahlschranke sehen, einfach rechts oben auf „Anmelden“ klicken.
Denn mit dem Reichtum wächst der Fleischkonsum. Der Verzehr von Entenfleisch hat sich seit dem radikalen Umbau der chinesischen Wirtschaft vor 40 Jahren mengenmässig verachtfacht: Assen Chinesen damals durchschnittlich 270 Gramm Entenfleisch pro Kopf und Jahr, sind es heute bereits zwei Kilogramm. Und 95 Prozent aller Gänse, die weltweit geschlachtet werden, erfahren ihr tödliches Schicksal in China. Der Weltmarkt ist daher gut mit billigen Daunenfedern versorgt.
Problematische Federgewinnung
China ist der mächtigste Lieferant; in Europa gehören Ungarn, Polen, Ukraine und Frankreich zu den grossen Feder-Produzenten. „Geerntet“ wird üblicherweise nach der Schlachtung der Vögel. Deren Federn werden dann maschinell entfernt, gereinigt und getrocknet, bevor sie als Füllmaterial für Jacken, Decken oder Kopfkissen Verwendung finden.
Allerdings gibt es regelmässig verstörende Berichte über tierquälerische Praktiken. So werden Federn weiterhin nicht nur von geschlachteten, sondern auch von lebenden Tieren gewonnen. In der EU und der Schweiz ist das Rupfen bei lebendigem Leib, der „Lebendrupf“, zwar verboten. Der Import dieser Ware ist allerdings zulässig.
Seit ein paar Jahren bemüht sich die Branche um mehr Tierfreundlichkeit und hat Labels wie den „Responsible Down Standard (RDS)“ geschaffen. Solche Zertifikate sollen laut den Herstellern garantieren, dass die Daunen ausschliesslich von bereits getöteten Tieren stammen. Tierschutzorganisationen kritisieren allerdings, dass die teilweise langen Lieferketten oft nicht vollständig durchschaubar und die Kontrollen in den Schlachtbetrieben zu lasch seien.
Wer auf Nummer sicher gehen will, entscheidet sich daher für ein alternatives Füllmaterial, das zum Beispiel aus Mais, dem Wollbaumgewächs Kapok, Bambus oder Seidenpflanzen hergestellt wird. Auch synthetische Fasern sind erhältlich.
Und was war mit den Daunenfedern, die Finch für seine Himalaya-Jacke verwendete? Diese stammten von Eiderenten. Deren Daunenfedern gewinnt man nicht von lebenden oder toten Vögeln, sondern aus den Nestern. Die im Norden brütenden weiblichen Eiderenten schützen mit ihren Daunen nicht nur sich selbst vor der Kälte, sondern auch ihre Nachkommenschaft. Sie polstern mit den Daunenfedern ihr Nest aus und hüllen so Eier und Küken in wohlige Wärme.
Gesammelt werden die Eiderdaunen erst dann, wenn die Jungvögel das Nest verlassen haben. Im Gegensatz zum Massenprodukt der Enten- und Gänsedaunen sind Eiderdaunen daher ein rares Gut und entsprechend teuer. Eine mit Eiderdaunen gefüllte Bettdecke kann mehrere Tausend Euro kosten.
Das Blut Abermillionen abgeschlachteter Vögel auf den Köpfen
Anders als Eiderenten, denen es nicht schadet, wenn man ihnen nach der Brut die gemauserten Daunen aus den Nestern klaut, wurden andere Vogelarten lange Zeit ihrer prächtigen Federn wegen regelrecht hingeschlachtet. Um die Wende des 20. Jahrhunderts gehörte es sich für die Dame von Welt, einen Hut mit Federschmuck zu tragen. Die Jagd nach bunten Federn war rücksichtslos. Der Handel mit Federn blühte.
Der New Yorker Ornithologe Frank Chapman zählte 1886 auf einem Spaziergang durch ein Stadtquartier über vierzig Vogelarten, deren Federn an Damenhüten prangten. Dabei schrieb er lediglich diejenigen Arten auf seine Beobachtungsliste, die er auch lebend im Central Park hätte antreffen können. Die Hutfedern der Paradiesvögel, Kolibris, Papageien oder Seeschwalben aus fernen Ländern liess er unberücksichtigt.
Besonders beliebt waren zu dieser Zeit die Schmuckfedern der Silber- und Seidenreiher, mit denen die Händler hohe Preise erzielten. Die exzessive Jagd brachte diese Vögel an den Rand des Aussterbens – und damit Menschen wie Frank Chapman auf den Plan, die sich mit deutlichen Worten und letztendlich erfolgreich gegen das Abschlachten der Vögel wehrten.
Einmal hielt Frank Chapman in New York einen Vortrag unter dem Titel „Die Frau als Vogelfeind“, was den damaligen Direktor des New Yorker Zoos, William Hornaday, wiederum zu einem einflussreichen Aufsatz inspirierte. 1912 notierte dieser die deutlichen Worte: „Frauen tragen das Blut Abermillionen abgeschlachteter Vögel auf ihren Köpfen.“
Es waren aber nicht nur Männer, die sich gegen den Federschmuck und für den Schutz der Vögel einsetzen. Gerade Frauen waren Ende des 19. Jahrhunderts an der Gründung der bis heute tätigen US-amerikanischen Vogelschutzorganisation „Audubon Society“ beteiligt. Ähnliches spielte sich zur selben Zeit in Deutschland und Grossbritannien ab. Im Vereinigten Königreich wehrten sich Frauen gegen die massenhafte Verwendung von Federn des Haubentauchers und legten damit den Grundstein für die „Royal Society for the Protection of Birds“ (RSPB), die mit über einer Million Mitgliedern derzeit grösste Umweltschutzorganisation der Welt. Und in Deutschland war es Lina Hähnle, die auch im Kampf gegen die Verwendung von Schmuckfedern den Bund für Vogelschutz, den heutigen Naturschutzbund (NABU), schuf.
Vogelfeder-Motorrad aus einem Mad-Max-Film
Derzeit kommen Federn als Modeschmuck nur mehr begrenzt zum Einsatz. Wenn jemand eine Feder am Hut trägt, ist es wohl ein Jäger oder eine Pfadfinderin. Federn führt man unsichtbar in Jacken verpackt als Isolationsmaterial mit sich. Damit ist auch der Beruf des Plumassiers, des Federschmückers, so gut wie ausgestorben. Nur wenige setzen die Tradition dieses alten Handwerks fort.
Einer der letzten Plumassiers ist der Franzose Maxime Leroy, der Modemarken wie Chanel, Jean Paul Gaultier oder Louis Vuitton bedient. Maxime Leroy sorgt mit seinen handgefertigten Kreationen immer wieder für Aufsehen. Denn er verziert mit Federn nicht nur Kleider, Hüte, Schuhe und Taschen, sondern auch Tischlampen, Kopfhörer, Masken, Möbel, Vasen oder Fahrräder.
Eingang in ein Pariser Museum fand sein Werk „Céline“: ein mit langen, schwarzen und roten Federn verziertes Motorrad. Der Plumassier hat das Motorrad in ein kraftstrotzendes Vogelwesen verwandelt, das einem „Mad Max“-Film entsprungen sein könnte. Die Federn betonen die ohnehin aggressive Erscheinung der schweren Maschine. Gleichzeitig kontrastieren sie mit ihrer natürlichen Zartheit die brachiale Ausstrahung des PS-starken Gefährts.
Der Fahrer oder die Fahrerin eines solchen Motorrads bedarf selbstverständlich eines entsprechenden Kopfschutzes. Dieser ist im Winterthurer Gewerbemuseum ausgestellt: ein mit Gänsefedern geschmückter schwarzer Helm. Der Name für den Helm, den Maxime Leroy ursprünglich für ein Motorradrennen geschaffen hat, passt: „The Black Angel“.
Den Schritt vom Kunsthandwerk zur Kunst unternimmt die Britin Lucy Glendinning mit ihrer Skulpturenserie „Feder Kinder“. Eines der „Feather Children“ ist im Winterthurer Gewerbemuseum zu sehen. Mit den Händen hält das liegende Kind seine Unterschenkel umklammert, so dass nicht klar ist, ob es friedlich ruht oder sich vor Schmerzen krümmt. Statt mit Haut und Haar ist das Kind von Kopf bis Fuss mit Enten- und Fasanenfedern bedeckt.
Die 1964 geborene Künstlerin setzt sich in ihren Werken mit den Möglichkeiten der genetischen Manipulation auseinander. Wird der Mensch in Zukunft seine technologischen Fähigkeiten ausnutzen und seine äussere Erscheinungsformen sowie physischen Fähigkeiten verändern? Werden solche Veränderungen gesellschaftlich vorgegeben? Oder hat jeder die freie Wahl, sich so umzugestalten, wie er will? Solche Fragen versucht Lucy Glendinning mit „Feather Child“ aufzuwerfen.
Gleichzeitig verweist die Fragilität der Federn, mit denen die Kinderskulptur bedeckt ist, auf die griechische Mythologie. Ikarus flog mit Flügeln, die er aus Vogelfedern und Wachs zusammengefügt hatte, so hoch, dass die Sonne das Wachs zum Schmelzen brachte und ihn abstürzten liess. Ikarus’ Hybris kostete ihn das Leben. Und so könnte die Überheblichkeit der Menschen, ins eigene Erbgut einzugreifen, auch zu ihrem Untergang führen.
Lucy Glendinnings Skulptur setzt einen gelungenen Schlusspunkt in der Winterthurer Ausstellung. Das Federkleid des Kindes versinnbildlicht nochmals, wie der Mensch die Vogelfedern nutzt und welche symbolische Bedeutung sie für ihn haben: Sie schützen und schmücken ihn – und sie führen ihm seine Vergänglichkeit vor Augen.