Bye-bye Birkenzeisig, tschüss Ziegenmelker
Die neue „Artenliste der Vögel Deutschlands“ hält einige Überraschung bereit.
Die schlechte Nachricht zuerst: Der Birkenzeisig ist aus Deutschland verschwunden. Die gute Nachricht: Dafür brütet der Alpenbirkenzeisig jetzt hierzulande fast überall, bis hin zu den Küsten von Nord- und Ostsee. So ist das in der soeben veröffentlichten neuen „Artenliste der Vögel Deutschlands“ zu lesen, die auf Initiative der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (D-OG) entstanden ist und im Journal Vogelwarte publiziert wurde.
Doch wie kann eine Vogelart einfach still und heimlich verschwinden und durch eine andere ersetzt werden? Ist das Schicksal des Birkenzeisigs gar ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen des Klimawandels? Mitnichten. In der Realität „draußen“ hat sich nämlich rein gar nichts verändert, sondern allein am „grünen Tisch“. Denn mit dem Verschwinden des Birkenzeisigs aus der neuen deutschen Artenliste wird nur neueren taxonomischen Festlegungen Rechnung getragen. Und danach gehören die in Zentral- und Mitteleuropa brütenden bisher als „Birkenzeisige“ bezeichneten Vögel zu einer eigenständigen Art, die hierzulande nur Populationen des Alpenbirkenzeisigs einschließt.
Munteres Gezwitscher im Vogel-Stammbaum
Der „Namenstausch“ der Birkenzeisige ist nicht die einzige Änderung, die sich in der neuen offiziellen Liste aller bisher in Deutschland nachgewiesenen Vogelarten ergibt, ohne dass es eine tatsächliche Zu- oder Abwanderung von Arten gegeben hat. Es flattert und zwitschert ganz gewaltig im Stammbaum der Vögel, weil sich – oft getrieben durch neue molekulargenetische Erkenntnisse – auf dem Gebiet der Systematik und Taxonomie seit der Veröffentlichung der bislang gültigen Artenliste für Deutschland 2005 sehr viel getan hat.
So fliegen acht Arten aus der Liste, ohne tatsächlich physisch zu verschwinden. Sie werden es verschmerzen können, künftig von Vogelbeobachtern „nur“ noch als Unterarten eingestuft zu werden. Auf diese Weise verliert Deutschland etwa die „Tundramöwe“ (künftig Unterart der Heringsmöwe) und gleich mehrere Schafstelzenarten. „Twitcher“ und „Lister“, Vogelartensammler, die es auf eine möglichst lange Beobachtungsliste abgesehen haben, sollten nun also in ihren Aufzeichnungen nachsehen und den Rotstift anlegen. Denn weder „Gelbkopf-Schafstelze“, noch „Aschkopf-Schafstelze“, „Maskenschafstelze“ oder „Thunberg-Schafstelze“ existieren fortan hierzulande als anerkannte eigenständige Arten, sondern einzig die Schafstelze in zahlreichen Unterarten. „Maurensteinschmätzer“ und „Balkansteinschmätzer“ – erst in der letzten Liste als eigene Arten aufgesplittet – werden nun wieder als Unterarten des Mittelmeer-Steinschmätzers geführt.
Die „Herabstufung“ vom Art- zum Unterartstatus in der neuen Artenliste sollte Beobachter aber keineswegs dazu verleiten, nicht mehr so genau hinzusehen und auf die Bestimmung von Unterarten (oder wenigstens den Versuch dazu) zu verzichten. Denn erstens ist die regionale Herkunft der hier beobachteten gefiederten Gäste mindestens ebenso spannend wie die Klärung der reinen Artfrage.
Zweitens ist im Bereich der Systematik und Taxonomie nichts in Stein gemeißelt. Schon jetzt deuten sich weitere Neuerungen an. Für den zuvor getrennt geführten und nun wieder zu einer Art zusammengefassten Mittelmeer-Steinschmätzer wäre es aufgrund neuer Untersuchungen wenig verwunderlich, wenn er schon bald wieder in zwei Arten aufgespalten würde. Künftige Änderungen sind auch bei anderen Arten bereits jetzt absehbar. Durch taxonomische Änderungen gibt es aber auch Zugänge in der deutschen Liste. So gelten Ligurien-Bartgrasmücke (bisher als Unterart der Weißbart-Grasmücke angesehen) und Corysturmtaucher jetzt als eigenständige Arten.
Begrenzter Spielraum
Wie das Verschwinden des Birkenzeisigs sind auch andere Neuerungen gewöhnungsbedürftig oder wie die Autoren selbst schreiben: „Änderungen (sind) vorgenommen worden, die teilweise auch viele gut eingearbeitete Vogelbeobachter und Ornithologen überraschen dürften“. Der Spielraum der Listen-Macher war dabei begrenzt, was auch mit der Entscheidung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft zu tun hat, in allen Fragen darüber, welche Vogelart weiter als eigene Art, Unterart oder auch nur als Form betrachtet wird, ab 2018 der IOC-Weltliste der Vogelarten von Gill & Donsker zu folgen.
Dass sich die Änderungen in der neuen Liste der Vögel Deutschlands dann doch in handhabbaren Grenzen halten, ist der angenehm zurückhaltenden Philosophie der Autoren mit Blick auf die Aufnahme neuer Arten zu verdanken. „Grundsätzlich ist für singuläre oder mehr oder minder zufällige Einzelfälle eher eine restriktive Auslegung der Kriterien für Aufnahme und Einordnung in eine seriöse Liste der Vögel Deutschlands angebracht“, legt das Autorenteam um Peter H. Barthel und Thorsten Krüger sein Konzept dar. „Die Liste soll ja nicht möglichst lang werden, sondern eine zuverlässige knappe Übersicht bieten, mit der auch die Praxis arbeiten kann.“
Unterarten werden benannt
Besonders wohltuend und eine große Hilfe für Vogelbeobachter ist angesichts der vielen Änderungen die Entscheidung der Autoren, nach mehr als 50-jähriger Pause in der neuen Liste auch wieder alle mittlerweile 377 hierzulande nachgewiesenen Unterarten aufzuführen. In besonders gängigen Fällen geschieht dies sogar mit (dann in Anführungsstrichen gesetzten) umgangssprachlichen Trivialnamen, wie „Falkenbussard“, „Isländische Uferschnepfe“, „Tundramöwe“, „Hellbäuchige“ und „Dunkelbäuchige Ringelgans“.
Die Aufnahme der Unterart-Namen ist vielleicht auch ein Ansporn für Beobachter, genauer hinzusehen. Denn einige in Deutschland nachgewiesene Seltenheiten, etwa Zistensänger oder Wüstenregenpfeifer, konnten noch nicht auf Unterart-Niveau bestimmt werden. „Sind Mäusebussarde der Unterart vulpinus („Falkenbussard“) tatsächlich nur sehr seltene Gäste oder werden sie manchmal übersehen?“, nennen die Autoren ein weiteres Beispiel für unzureichenden Kenntnisstand zu Unterarten selbst bei häufigen Vogelarten.
Seit 2005 24 neue Arten in Deutschland nachgewiesen
Die neue Artenliste spiegelt auch wider, wie sich die Vogelwelt Deutschlands in den vergangenen Jahren real verändert hat. So wurden 24 neue Arten und drei neue Unterarten aufgenommen, die seit der Veröffentlichung der Vorgängerliste 2005 neu in Deutschland nachgewiesen wurden. Darunter sind echte Irrgäste, deren Auftreten sehr weitab ihrer eigentlichen Verbreitung auf dramatische individuelle Vogelschicksale schließen lässt, wie Pazifiksegler, Pazifikpieper oder Kronenlaubsänger.
Bei anderen neu aufgenommenen Arten lässt möglicherweise der Klimawandel grüßen, so bei den wärmeliebenden Arten Blaumerle, Rosaflamingo (wohl aus der wachsenden südfranzösischen Population) oder dem ersten nachgewiesenen Brutvorkommen der Brillengrasmücke. Bei einigen anderen Arten verwundert es, dass sie nicht schon früher auf der deutschen Liste aufgetaucht sind, darunter Blutspecht oder Kuhreiher.
Neu als Brutvögel in Deutschland seit 2005 hinzugekommene Brutvögel sind neben der erwähnten Brillengrasmücke der Teichwasserläufer, der Buschrohrsänger, die Kappenammer, der Silberreiher sowie die als verschollen eingestuften Arten Steinhuhn und Triel. Seit 1800 wurden damit nunmehr 527 Vogelarten hierzulande nachgewiesen, 287 haben gebrütet. Die gegenwärtige Brutvogelfauna bilden 254 Arten.
Aus für den Ziegenmelker
Besonders schwierig erweist sich stets die Interpretation sogenannter Neozoen, also auf die eine oder andere Art – meist durch Gefangenschaftshaltung – eingeschleppter gebietsfremder Arten mit einem außereuropäischen Ursprung. Um auf der deutschen Artenliste als Brutvögel der sogenannten Kategorie C gelistet zu werden, müssen solche Arten „zu einem etablierten Bestandteil der Fauna geworden sein“.
Konkret bedeutet dies, dass sie sich ohne menschliche Stützung regelmäßig mindestens so zahlreich in Freiheit vermehren, dass sich ein selbsttragender Bestand erhält und vergrößert. Das ein- oder zweimalige Brüten eines glücklichen Gefangenschaftsflüchtlings reicht also nicht zum Sprung auf die Artenliste Deutschlands aus.
Die nicht etablierten aber sich hier lokal fortpflanzenden Brutvogelarten wie Gelbkopf-Amazone, „Höckergans“ oder Nandu werden als sogenannte Anhangarten und nicht als Bestandteil der Artenliste aufgeführt.
Schließlich heißen fortan einige Vogelarten auch anders als bisher. Der „Große Brachvogel“ verliert nicht nur beständig an Lebensraum und Populationsgröße: Nun ist er auch sein Adjektiv los und sieht als „Brachvogel“ einer weiter ungewissen Zukunft entgegen. Das „Kleine Sumpfhuhn“ heißt jetzt „Kleinsumpfhuhn“, ebenso wie der „Dunkle Wasserläufer“ als „Dunkelwasserläufer“ Eingang in die neue Artenliste hält.
Die Weitreichendste – und mit einiger Sicherheit kontroverseste – Änderung ist aber das namentliche Aussterben des Ziegenmelkers durch Umbenennung. Er geht künftig als Nachtschwalbe auf Insektenjagd. "Fast sämtliche 98 Angehörige der Ordnung auf dieser Erde heißen auf Deutsch Nachtschwalbe, ausgerechnet der einzige mitteleuropäische Vertreter jedoch nicht", begründen die Autoren ihre Entscheidung, die noch für Diskussionen sorgen dürfte. "Daher wurde die irreführende Bezeichnung Ziegenmelker nun auch hier durch den früheren und durchaus weiterhin geläufigen und benutzten Namen ersetzt." .
Peter H. Barthel & Thorsten Krüger: Artenliste der Vögel Deutschlands, Vogelwarte 56, 2018: 171–203