Warum die Honigbiene nicht wirklich als Öko-Maskottchen taugt …

… und das Neonic-Verbot der EU nur der Anfang sein kann. Ein Kommentar

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Ein Rapsfeld voller goldgelber Blüten. Ein grüner Traktor mit einem großen orangefarbenen Tank fährt hindurch. Über ein Gestell mit Düsen versprüht ein einen weißlichen Nebel Pestizide.

Im Jahr 2008 kam das Neonicotinoid Clothianidin erstmals richtig in die Nachrichten. Maisbauern am Oberrhein hatten Saat, die mit dem Insektengift gebeizt war, auf Anweisung der EU ausgebracht. Denn im Jahr zuvor war in Bayern und Baden-Württemberg an mehreren Stellen der Maiswurzelbohrer aufgetreten war – das invasive Insekt kann großen Schaden anrichten. Manche Landwirte brachten den Clothianidin-Mais mit Maschinen aus, die dafür nicht geeignet sind: Die Maiskörner rieben sich gegenseitig die Beize ab, die Maschinen bliesen sie in die Luft. Der Wind trug diesen toxischen Staub in die Umgebung und legte ihn auf Pflanzen und Blüten. Am deutlichsten merkten Imker die Auswirkungen: Sie fanden haufenweise tote Honigbienen an ihren Stöcken.

Spätestens seit diesem Ereignis ist vom „Bienensterben“ die Rede, und von den Neonicotinoiden als die Ursache dafür. Schon Jahre zuvor war die Zahl der Honigbienenvölker in vielen Ländern geschrumpft. Aus den USA kamen 2007 Nachrichten vom Colony Collapse Disorder, einer unheimlichen Bienenkrankheit, bei der alle Arbeiterinnen aus dem Stock verschwanden und Königin, Brut und Nahrung zurückließen.

Vergangenen Freitag, am 27. April 2018, hat die Europäische Union den Einsatz dreier besonders giftiger Neonicotinoide im Freiland verboten. Umweltschutzorganisationen feiern das als wichtigen Sieg im Kampf um den Schutz „der Bienen“. Doch die ganze Debatte ist nicht wirklich ehrlich: Denn die Honigbiene eignet sich vielleicht gar nicht als Maskottchen. Und es kommt in Kampagnen und Debatten viel zu kurz, um was es eigentlich geht – wildlebende Insekten, deren Vielfalt und Wert uns viel zu wenig bewusst ist.

Honigbienen sind nämlich gar nicht die Hauptopfer der Wirkstoffe. Ja: Insektengifte töten Bienen – das gilt auch für Neonicotinoide. Diese haben jedoch, durch ihr Wirkungsprinzip, einen Vorteil gegenüber herkömmlichen Pestiziden, zumindest auf den ersten Blick: Sie werden systemisch angewandt. Das heißt, dass die Samen – zum Beispiel von Raps – mit dem Gift gebeizt werden. Darum braucht man es nicht zu versprühen, und es gelangt nur auf den Acker, nicht in die Umgebung. Die Pflänzchen nehmen den Wirkstoff beim Wachsen auf und transportieren ihn in all ihre Teile von der Wurzel bis in die Blüten. Saugen Blattläuse Pflanzensaft oder fressen Käfer die jungen Triebe, sterben sie. Bienen und andere bestäubende Insekten bleiben jedoch verschont – so die Idee.

Neonicotinoide bleiben nicht da, wo sie hinsollen

Ganz so einfach funktioniert es nicht. Der größte Teil des Gifts gelangt nicht in die Rapspflänzchen, sondern bleibt im Boden, kommt in Kontakt mit nützlichen Lebewesen und Bodeninsekten, sickert in die Randstreifen der Felder oder wird mit dem Regen in Bäche uns Seen geschwemmt. Niederländische Wissenschaftler haben gezeigt, dass in den Gegenden, in denen mehr als 20 Nanogramm pro Liter des Neonicotinoids Imidacloprid im Wasser ist, die Populationen von insektenfressenden Vögeln schrumpfen. Sie vermuten, dass die Tiere weniger Nahrung für sich und ihre Jungen finden oder darunter leiden, weil sie Insekten fressen, die an Imidacloprid gestorben sind.

Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling ist eine der vielen unbekannten und unbeachteten Arten, um die es in der Insektendebatte eigentlich gehen sollte. Die Art legt ihre Eier in die Blüten des Großen Wiesenknopfs – einer Pflanze, die bevorzugt in Feuchtwiesen wächst.
Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling ist eine der vielen unbekannten und unbeachteten Arten, um die es in der Insektendebatte eigentlich gehen sollte. Die Art legt ihre Eier in die Blüten des Großen Wiesenknopfs – einer Pflanze, die bevorzugt in Feuchtwiesen wächst.

Die Neonicotinoide gelangen auch in die Blüten; Honigbienen, Hummeln und Wildbienen bringen sie mit Nektar und Pollen in ihre Kolonien. Hunderte Studien haben gezeigt, dass schon kleinste Mengen der Gifte, die eine einzelne Honigbiene nicht direkt umbringen, das Orientierungsvermögen und den Geschmacksinn der Insekten beeinträchtigen, und dass sie bei männlichen Honigbienen, den Drohnen, die Fruchtbarkeit einschränken.

Der Grund, warum Honigbienen nicht zum Maskottchen der Debatte taugen: Große Studien haben gezeigt, dass die Honigbienenvölker als ganze die Belastung durch die Neonicotinoide ziemlich gut ausgleichen können. Das ist auch nicht so überraschend: Jeden Sommer sterben Hunderttausende Honigbienenarbeiterinnen eines natürlichen Todes. Eine Arbeiterin hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von etwa vier Wochen. Sogar den Verlust vieler Arbeiterinnen können die Völker meistens ausgleichen: Die Königin legt einfach ein paar Eier mehr. Darunter leidet vielleicht der Honigertrag, der erstaunlich belastbare Superorganismus Bienenvolk aber überlebt. Das hat übrigens auch der Clothianidin-Unfall am Oberrhein im Jahr 2008 gezeigt: Eine Studie im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung belegte, dass nicht ein einziges betroffenes Honigbienenvolk in jenem Sommer verloren ging.

Die Zahl der Honigbienenvölker steigt ausgerechnet seit 2008, dem Jahr des Clothianidin-Unfalls am Oberrhein, wieder. Und zwar, weil es wieder mehr Imker gibt. Die kümmern sich gut um ihre Völker. Geht es einem Honigbienenvolk schlecht, liegt es leider meistens an dem Menschen, der hinter dem Kasten steht. Das zeigen auch Studien, die die Situation in Deutschland und anderen Ländern verglichen haben. Als Forscher Honigbienen aus Großbritannien auf Bakterien, Viren und Pilzbefall untersuchten, trauten ihren Augen nicht und glaubten erst, ihre Geräte seien verschmutzt – so hoch war die Belastung der britischen Bienen.

Honigbienen sind beliebt – andere Insekten haben keine Lobby

Die Honigbiene steht vor allem deshalb im Fokus der Kampagnen, weil sie das „Haustier“ unter den Insekten ist und ihre Nützlichkeit unbestritten ist – schließlich stellen sie Honig her und bestäuben viele Nahrungspflanzen. Schmetterlinge taugen vielleicht auch noch als Sympathieträger, weil sie schön aussehen. Jenseits dieser Arten geht das öffentliche Bewusstsein für Vielfalt und Wert der Insektenwelt rasch gegen Null.

Niemand hat all die anderen Insekten gezählt, die 2008 ebenfalls unter der giftigen Staubwolke zugrunde gingen. Nicht einmal Hummeln und Wildbienen, die doch kaum weniger nützlich sind als Honigbienen, weil sie Kooperation mit diesen die Bestäubungsleistung verbessern. Manche Pflanzen kommen gar nicht ohne die Wildbienen aus.

Zwar haben auch Hummeln & Co. immerhin noch eine Menge Freunde. Für die übrigen Zehntausenden von Arten jedoch interessieren sich allenfalls eine Handvoll Spezialisten: Selbst in den Augen von Naturfreunden gelten sie als unscheinbare, gerade noch als Vogelfutter taugliche Biomasse, bestenfalls lästig, eklig und krabbelig, schlimmstenfalls schädlich, weil sie stechen, Krankheiten übertragen oder Felder kahlfressen. Solche Schädlinge darf man getrost totspritzen – jedenfalls nach landläufiger Meinung.

Dabei ist die Bedeutung der Insekten kaum zu überschätzen. Biologen sprechen davon, dass sie die treibenden Faktoren der terrestrischen Ökosysteme sind. Was nicht verwunderlich ist, wenn man sich vor Augen führt, dass die ersten Insekten entstanden, als sich vor 460 Millionen Jahren erstmals die Kontinente aus dem Urmeer erhoben. Sogar die besonders unbeliebten Stechmücken haben ihre Funktion: Sie reinigen als Larven Gewässer und dienen Fischen und Vögeln als Futter. Solche „Ökosystemdienstleistungen“ wurden jedoch lange kaum gewürdigt.

Das änderte sich erst, als Experten des Vereins Krefelder Entomologen mit mittlerweile berühmten Studie den dramatischen Rückgang der Insektenpopulation belegten. Seitdem deutet sich ein Bewusstseinswandel an, der aber noch nicht dazu geführt hat, dass Insekten in der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit und Wertschätzung genießen, die sie verdienen. Dazu gehört eben, dass wir auch denjenigen Arten ein Existenzrecht und angemessene Lebensräume zugestehen, die uns stören oder bedrohen.

Verbot mit Ankündigung

Dass ein Verbot der Neonicotinoide unumgänglich sein würde, zeichnete sich schon seit Jahren ab: 2013 setzte die EU-Kommission auf Empfehlung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erstmals den Einsatz von Clothianidin, Imidacloprid und Thiametoxam im Freiland aus. Seitdem hat die EFSA zahlreiche Studien gesichtet und bewertet und im Februar 2018 mit zwei Jahren Verspätung empfohlen, das Verbot der drei Neonicotinoide fortzuschreiben. Kein Politiker, dem seinen Karriere einigermaßen wichtig ist, konnte diese Ackergifte noch ernsthaft verteidigen. Zu groß war der öffentliche Druck.

In der Zwischenzeit stellte sich zudem heraus, dass die wirtschaftlichen Verluste zum Beispiel für die Rapsbauern überschaubar waren. Zwar ist die Anbaufläche dieser Feldfrucht in Deutschland geschrumpft, der Ertrag aber gleichzeitig sogar gestiegen. Die Rapsbauern haben ältere Insektengifte verwendet – mit anderen Nachteilen für die Natur. Vor diesem Hintergrund dürfte es Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner leicht gefallen sein, den Abgeordneten im Bundestag zuzurufen: „Was der Biene schadet, muss vom Markt.“ Ohnehin war die Debatte im Bundestag am 20. April 2018 ein parlamentarisches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem sich im Grundsatz alle Parteien einig waren.

Anderer Fokus der Debatte nötig

Es gibt eine große Gefahr, wenn sich Umwelt-Kampagnen und die Bundeslandwirtschaftsministerin fast ausschließlich auf Honigbienen konzentrieren: Wieviele Bienenvölker es gibt, das hängt in erster Linie von der Zahl der Imker ab statt vom Einsatz von Neonicotinoiden. Im Zentrum der Debatte müssten redlicherweise die Wildbienen und die unzähligen anderen Insektenarten stehen – doch das ist dem Publikum schwieriger zu verkaufen. Bewusstseinsbildung in großem Stil wäre nötig.

An vielen grundsätzlichen Problemen geht die Auseinandersetzung derzeit weitgehend vorbei: Dass Landwirte Ackergifte schon vorbeugend einsetzen, ehe sie überhaupt wissen, ob so viele gefräßige Insekten auftreten, dass ihren Pflanzen tatsächlich ernster Schaden droht. Das war bei den Neonicotinoiden so. Oder sie setzen Ackergifte zur Arbeitserleichterung ein. Das ist auch bei vielen Anwendungen von Glyphosat der Fall. Etwa wenn Getreidebauern das reife Korn einsprühen, damit es schneller trocknet und weniger Kosten verursacht.

Das eigentliche Problem: Viele Menschen wollen für alle Schwierigkeiten, die sich ihnen stellen, eine einfache Lösung, die wenig kostet. Riesige Felder lassen sich mit größeren Maschinen wirtschaftlicher bearbeiten als kleinere. Aber solch riesige Flächen mit nur einer Pflanze bieten den Insekten, die diese Pflanze bevorzugt fressen, eben auch enormes Vermehrungspotenzial. Das wiederum treibt den Pestizideinsatz in die Höhe. Wenn dann Bauern jedes Jahr wieder dieselben Pflanzen aussäen, verstärken sie das Problem selbst und benötigen am Ende noch mehr Gift. Und die Kosten für die negativen Folgen tragen nicht sie, sondern die Allgemeinheit.

Landwirte könnten mit viel weniger Ackergift auskommen

Jedes Jahr kommen in der EU rund 200.000 Tonnen Ackergifte auf die Felder. Allein in Deutschland sind es 40.000 Tonnen, besonders im Obst- und Weinbau. Bis zu 30 Mal im Jahr spritzen Obstbauern ihre Pflanzungen mit Pestiziden. Umweltschützer, die dies kritisieren, bekommen von Landwirten, Politikern und Herstellern das immergleiche Argument zu hören: Dies sei eben nötig, um die Weltbevölkerung zu ernähren.

Aber dieses Argument wird durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Organisationen wie die Welthungerhilfe, der von der Weltbank initiierte Weltagrarrat, das World Future Council und die Organisation für Nahrung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO) haben sich längst von dem über Jahrzehnte vertretenen Glaubenssatz verabschiedet, nur konsequente Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft könne weltweit Ernährungssicherheit garantieren. Sie fordern vielmehr, kleinbäuerliche Systeme effektiver als bisher zu unterstützen, mit maßgeschneiderten, an lokale Verhältnisse angepassten Maßnahmen. Denn Kleinbauern produzieren nicht nur 90 Prozent aller auf der Welt verbrauchten Lebensmittel, sie schützen auch die Umwelt, pflegen die Kulturlandschaft und schaffen Arbeitsplätze. Ihre arbeitsintensiveren und auf Vielfalt ausgerichteten Betriebe garantieren eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Lebensmittelversorgung. Nur in Deutschland wie auch vielen anderen Industrienationen verdienen Landwirte mehr Geld mit Intensivierung, nicht zuletzt durch eine Subventionspolitik, die vor allem Effizienz und Produktivitätssteigerung belohnt.

Neuere wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass viele landwirtschaftliche Betriebe auf große Teile ihrer Pestizide verzichten könnten, ohne an Produktivität zu verlieren. Das wäre gut für Umwelt und Mensch – nicht zuletzt für die Landwirte selbst, die mit den Mitteln hantieren. Statt für Produktivitätssteigerung müssen sie für die Aufgaben, die sie für die Allgemeinheit übernehmen, besser bezahlt werden.

Es spricht nichts dagegen, sich für Honigbienen und ihren Schutz einzusetzen. Es ist allerdings zu wenig. Das Neonicotinoidverbot kann nur ein erster Schritt zu tiefer greifenden Veränderungen sein.

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