Kontra: Ist viel Fett auch für Vögel schädlich?
Die Biologin Silke Voigt-Heucke befürchtet, dass ausgerechnet Meisenknödel den Bruterfolg mindern
Silke Luise Voigt-Heucke ist Doktorandin in der AG Verhaltensbiologie der Freien Universität Berlin und hat an einer Studie mitgewirkt, bei der in Berlin erforscht wurde, wie sich Fütterung auf den Bruterfolg von Kohl- und Blaumeisen auswirkt. Wir haben mit der Wissenschaftlerin über ihre Erkenntnisse und mögliche Konsequenzen gesprochen.
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Der Ornithologe Peter Berthold propagiert seit Jahren die Ganzjahresfütterung, insbesondere die Frühjahrsfütterung mit fetthaltigen Meisenknödeln. Denn, so sein Argument, die Vögel haben es schwer, ihre Jungen zu versorgen, weil das Angebot an Insekten immer mehr zurück geht. Ohne unsere Unterstützung würden sie es nicht schaffen, zu überleben. Hat er doch nicht Recht?
Voigt-Heucke: Man muss da unterscheiden. Ich will nicht sagen, dass menschliche Fütterung grundsätzlich falsch ist. Es gibt einige Vogelarten, wie die Geier in den Alpen oder den Pyrenäen, die in den aufgeräumten Landschaften zu wenig Futter finden. Diese Vögel mit Aas zu füttern, ist zweifellos sinnvoll. Aber bei allen großen Verdiensten, die Peter Berthold sich für den Vogelschutz erworben hat, sein Einsatz für die Ganzjahresfütterung von Singvögeln ist vor allem seine persönliche Meinung. Und er geht ja so weit, konkrete Mengen vorzugeben, die von Menschen ausgelegt werden sollten. Aber es gibt einfach noch keine Studie, die die positiven Effekte, die er anführt, wissenschaftlich belegen.
In Großbritannien wird schon seit langem das ganze Jahr über gefüttert. Gibt es von dort keine Langzeiterfahrungen?
Das wurde lange gar nicht hinterfragt. Doch inzwischen gibt es drei britische Studien*, die die Effekte von Winter- und Frühjahrsfütterung mit Fettknödeln untersucht haben – und die zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie wir. Sie haben sogar bei reiner Winterfütterung noch einen gewissen „Carry-Over-Effekt“ festgestellt: Das heißt, selbst wenn nach intensiver Fettfütterung im Frühjahr gar nicht mehr gefüttert wurde, waren die Gelege kleiner und die Schlupfraten geringer als in Vergleichsgebieten ohne Zufütterung. Allerdings wurden diese Untersuchungen nicht in der Stadt, sondern alle auf dem Land durchgeführt. Und es gibt noch einen anderen Unterschied: In England wird traditionell mehr mit Mehlwürmern, Kernen und Rosinen gefüttert.
Sie haben Ihre eigene Studie mitten in Berlin durchgeführt, warum?
Wir wollten gerade Vögel im urbanen Lebensraum untersuchen, weil diese Vögel unter besonderem Konkurrenzdruck stehen. Es gibt weniger natürliche Nahrung, die Brutreviere sind kleiner. Wir haben uns für Kohl- und Blaumeisen entschieden und zwei Gebiete ausgesucht, die sehr ähnliche Lebensbedingungen bieten: Zwei Friedhöfe mitten in der Stadt, nur zehn Minuten Fußweg voneinander entfernt. Sie sind typische urbane Lebensräume: Kleine grüne Inseln mit hoher Brutdichte, mit vielen nicht-heimischen Gewächsen, umgeben von großen Straßen. Auf dem ersten Friedhof, dem Alten Garnisonsfriedhof am Columbiadamm, haben wir regelmäßig handelsübliche Meisenknödel angeboten, auf dem anderen, dem Lilienthal-Friedhof, gab es kein Futterangebot.
Zu welchem Resultat sind Sie gekommen?
Das Ergebnis war in unseren Augen sehr dramatisch: In dem Gebiet mit Zufütterung sind bei gleicher Gelegegröße 47 Prozent der Küken nicht geschlüpft, während im Vergleichsgebiet ohne Futterstellen nur 13% der Küken nicht schlüpften! Und wir konnten eine klare Korrelation feststellen: Je größer der Anteil an Fettfutter in der Nahrung der Mutter, desto geringer war der Bruterfolg. Die wenigen Küken, die schlüpften, waren allerdings größer und schwerer als die Jungvögel, die keine Meisenknödel bekamen.
Konnten Sie denn nachweisen, ob die Meisen das Futter auch an ihre Jungvögel verfüttert haben?
Ja, wir haben die Knödel mit der mit Stickstoff angereicherten Aminosäure Glycin markiert, so dass sich anhand von Blut- und Federproben bei den Vögeln nachweisen lässt, wie hoch der Anteil an konsumiertem Fettfutter in der Nahrung ist. Damit konnten wir berechnen, dass die Meisenknödelmasse bei beiden Arten etwa 16 Prozent der Nahrung der Elterntiere ausmachte. Blaumeisen hatten das Futter im Schnitt zu 12 Prozent, Kohlmeisen zu 6 Prozent an ihre Küken verfüttert.
Woran könnte das Ihrer Ansicht nach liegen, dass weniger Küken geschlüpft sind?
Wir vermuten einen Zusammenhang mit dem Fett. Man nennt das auch Lipotoxizität, Fettgiftigkeit. Dass sich ein hoher Fettanteil im Futter negativ auf die Fruchtbarkeit auswirkt, kennt man auch aus der Geflügelzucht. Und sogar aus der Humanbiologie: Es gibt viele Belege aus der In-Vitro-Fertilisation, dass Frauen, die während der Behandlung sehr fettreich gegessen haben, weniger Erfolg hatten, schwanger zu werden. Allerdings könnte es bei unseren Meisen auch andere Faktoren geben.
Welche?
Zum Beispiel der Stress für die Mütter am Futterplatz. Denn unsere Meisenknödel waren wahnsinnig beliebt, es gab viele Vogelarten, die sich förmlich darauf gestürzt haben, sogar Eichhörnchen kamen. Fett ist eben ein Suchtstoff – das kennen wir ja alle! Und was auch noch eine Rolle gespielt haben könnte: Fett ist ein gutes Übertragungsmedium für Keime, die sich besonders gut verbreiten, wenn alle am selben Knödel picken. Das alles müssen wir jetzt in weiteren Studien noch genauer untersuchen.
Was folgert nun daraus? Müssen wir eine 180-Grad-Wende vollziehen, und den Vogelfreunden doch vom Füttern abraten?
Zumindest denke ich: Bevor wir die Ganzjahresfütterung propagieren, was ja nicht weniger ist als ein Großexperiment in der Natur mit vielleicht einschneidenden Folgen, sollten wir besser verstehen, was wir da tun. Als erstes Ergebnis unserer Studie würde ich zumindest empfehlen, auf Meisenknödel zu verzichten. Die bestehen zu 95 Prozent aus Fett – das ist keine artgerechte Ernährung. Getrocknete Mehlwürmer, Sonnenblumenkerne, Rosinen, wie in England, kommen da schon eher in die Nähe der natürlichen Nahrung von Singvögeln. Ganz sicher brauchen wir noch weitere Studien, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. Aber es stellt sich für mich auch noch eine andere Frage…
Nämlich?
Ob es wirklich so sinnvoll ist, durch Fütterung immer mehr Vögel in die Stadt zu locken. Denn wir erzeugen damit für die Vögel letztlich eine Scheinillusion von guten Lebensbedingungen, die es hier gar nicht gibt. Es gibt viele Belege dafür, dass die Bruterfolge im urbanen Raum nicht besonders gut sind, auch wegen des großen Konkurrenzdrucks und der vielen Störungen. Sind die Städte wirklich Oasen für unsere Vögel, oder müssen wir nicht doch intensiver daran arbeiten, die Agrarlandschaften als Lebensräume wieder attraktiver zu machen? Damit müssen wir uns meiner Meinung nach dringend beschäftigen.
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Die Studie von Silke Voigt-Heucke und ihren Kollegen von der FU Berlin ist noch nicht publiziert. Sie wurde auf der Jahrestagung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft in Halle vorgestellt und wurde im Tagungsband unter dem Titel "Die fetten Jahre sind vorbei? Konsequenzen der Zufütterung von Meisen während der Brutzeit" zusammengefaßt.
*Die drei britischen Studien, auf die Silke Voigt-Heucke Bezug nimmt:
- Timothy J. E. Harrison et al., Does food supplementation really enhance productivity of breeding birds?, Oecologia, 2010
- Kate E. Plummer et al., Fat provisioning in winter impairs egg production during the following spring: a landscape-scale study of blue tits, Journal of Animal Ecology, 2013
- Kate E. Plummer et al., Winter food provisioning reduces future breeding performance in a wild bird, Scientific Reports, 2013