„Das Bundeskanzleramt muss sich einschalten und für ein Ja sorgen“
Renate Künast über den Streit um ein Bleiverbot bei der Jagd und ihre Nachfolgerin Julia Klöckner
Renate Künast war von 2001 bis 2005 in der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Heute ist die Grünen-Politikerin Bundestagsabgeordnete.
Ihre Nachfolgerin im Amt als Landwirtschaftsministerin, Julia Klöckner, blockiert ein europaweites Verbot bleihaltiger Schrotmunition bei der Jagd in Feuchtgebieten. Zur Begründung beruft sie sich auf das Tierwohl. Die Argumentation lautet etwa so: Bleifreie Alternativmunition verfüge über eine geringere Tötungswirkung und deshalb könnten damit geschossene Tiere wie Waschbären möglicherweise nur verletzt werden und müssten qualvoll verenden. Unbestritten ist jedoch, dass durch Bleischrote, die bei der Jagd in die Gewässer gelangen, in jedem Jahr in Europa sehr viele Vögel sterben. Wie beurteilen Sie die Argumentation ihrer Nachfolgerin?
Renate Künast: Angesichts des qualvollen Todes von an die zwei Millionen Vögeln, die jedes Jahr durch Bleivergiftungen sterben, ist es vollkommen absurd, mit dem Tierwohl einiger weniger jagdbarer Tiere zu argumentieren. Man weiss nicht, ob man lachen oder weinen soll angesichts solcher plumpen Argumente aus der Jagdszene, die überdies längst als falsch entlarvt worden sind. Halb Europa wird sich darüber kaputtlachen. Man muss sich fast schämen, dass eine deutsche Ministerin so argumentiert.
Frau Klöckner muss erklären, ob es unter ihrer Ägide üblich ist, dass ihr Haus von außen im wahrsten Sinne des Wortes Munition bestellt, um Lobbydruck zu machen.
Der Streit um das vergleichsweise eingeschränkte Verbot in Feuchtgebieten bietet einen Vorgeschmack auf das, was kommt, wenn es um die geplante „große Beschränkung“ der Jagd auch in allen anderen Lebensräumen geht. Wie groß ist der Einfluss der Lobby in diesem Bereich aus Ihrer Erfahrung als Ministerin, sie waren ja ebenfalls für das Thema Jagd zuständig?
Der Lobbyeinfluss im Bereich Jagd ist seit jeher groß. Man hat den Eindruck, sich in archaisch geprägten Diskussionszirkeln auf dem Stand von vor 300 Jahren zu befinden. Im Bereich Jagd ist die Lobby vielleicht noch besser orchestriert und aufgestellt als in der Landwirtschaft.
Nach unserer Recherche hat der zuständige hohe Beamte des Landwirtschaftsministeriums bei den Spitzenvertretern der deutschen und europäischen Jagdverbände um Argumentationshilfe nachgesucht. Ist sowas normal in Ministerien?
Frau Klöckner muss erklären, ob es unter ihrer Ägide üblich ist, dass ihr Haus von außen im wahrsten Sinne des Wortes Munition bestellt, um Lobbydruck zu machen. Da geht es ja nicht um Argumente, denn was Sie in ihrer Recherche aufgedeckt haben, ist doch dies: Ein hoher Beamter merkt, dass ihm die Begründungen für seine Blockade ausgegangen sind und er, um es mal so zu sagen, ziemlich blöd dasteht. Daraufhin bittet er Vertreter der Munitionsindustrie und der Jagdverbände, ihm Munition zu liefern, um Druck von außen zu machen.
Man bestellt sich nicht verbale Munition von außen auf dem Briefkopf des Ministeriums. Das ist einfach irre.
Wie muss Klöckner reagieren?
Der Kern ist doch, dass offenbar nicht nach Recht und Gesetz gearbeitet wird, sondern sich jemand Lobbydruck bestellt, der nicht fachlich sein soll. Man will nicht den fachlich-wissenschaftlichen Diskurs, sondern einfach Druck. Es ist auch ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, wenn wissenschaftliche und veterinärmedizinische Erkenntnisse einfach ausgeblendet werden und nur selektiv auf Interessen der Jäger gesetzt wird. Klöckner muss erklären, ob sie ein Verhalten wie das des Beamten zulässt. Sie muss beamtenrechtliche Konsequenzen ziehen.
Danach sieht es eher nicht aus. Das Ministerium äußert sich nicht zu dem Vorfall.
Hier muss das Kanzleramt aufräumen und klarstellen, dass so von der Bundesregierung nicht gehandelt wird. Man bestellt sich nicht verbale Munition von außen auf dem Briefkopf des Ministeriums. Das ist einfach irre.
Das Umweltministerium beharrt auf einer Zustimmung zum vorliegenden EU-Kommissionsentwurf für ein Bleiverbot, das Agrarministerium ist dagegen. Bis Mittwoch muss es eine Entscheidung geben. Wie kann der Knoten durchschlagen werden?
Das Bundeskanzleramt muss sich jetzt einschalten und mit Blick auf zwei Millionen Tiere, die in der EU jedes Jahr qualvoll an Blei verenden, dafür sorgen, dass diese Regelung in der EU durchgeht und Deutschland mit Ja stimmt.