„Wir teilen einen Himmel“
In Israel kämpfen Luftwaffe und Naturschützer gemeinsam gegen den Vogelschlag.
Der Februartag, an dem die Vögel in das Leben von Israel Baharav treten, ist warm und sonnig. Baharav, ein junger Pilot in der israelischen Luftwaffe, hebt an diesem Morgen mit seinem Mirage-Jet – in der israelischen Luftwaffe "Geier" genannt – von einer Basis in Südisrael ab. Er soll an der Spitze einer kleinen Gruppe aus Kampfflugzeugen einen Trainingsflug über der Negev-Wüste absolvieren. Die Spannungen mit den Nachbarstaaten sind damals, im Jahr 1973, bereits hoch – ein paar Monate später wird der Yom-Kippur-Krieg ausbrechen.
"Meine Flughöhe war sehr gering, wir wollten das Unterfliegen des feindlichen Radars üben", erinnert sich der inzwischen grauhaarige und als Brigadegeneral pensionierte Pilot an jenen Tag. "Der Flug verlief bis dahin völlig normal, aber plötzlich sah ich durch mein Cockpitfenster einen Punkt direkt vor mir. Er bewegte sich nicht, aber das Etwas wurde in Sekundenbruchteilen größer und dann breitete es direkt vor mir seine Flügel weit aus." In Baharavs Stimme schwingt auch viele Jahre später noch ein Anflug von ungläubigem Erstaunen mit. "Bevor mein Gehirn verstand, was meine Augen gesehen hatten, spürte ich einen schweren Schlag".…
Vögel waren mit einer Kraft von 45 Tonnen in die Triebwerke des Kampfjets gerast, sollten Untersuchungen später ergeben. "Metall um mich herum barst, alle Alarme schrillten, aber ich brauchte kein Instrument, um zu wissen, dass die Triebwerke dahin waren und ich jetzt in einem Haufen Schrottmetall saß, der vor wenigen Sekunden noch ein Kampfflugzeug war.“ Baharav musste die Maschine aufgeben und rettete sich mit dem Schleudersitz. Ein Held der israelischen Luftwaffe – er sollte viele Jahre später als derjenige Kampfpilot in den Ruhestand gehen, der mehr feindliche Flugzeuge abgeschossen hat, als jeder andere – war selbst vom Himmel geholt worden. Nicht ein Feind, sondern Mäusebussarde waren dafür verantwortlich, wie die Nachfolgeuntersuchungen ergaben. Die mittelgroßen Greifvögel ziehen ab Ende Februar zu Hunderttausenden auf dem Weg aus den afrikanischen Winterquartieren in die Brutgebiete Osteuropas und Russlands über Israel.
Vorfälle wie dieser sorgten in der Führung der israelischen Luftwaffe damals für Kopfzerbrechen. Man wusste, dass viele Vögel zu bestimmten Jahreszeiten am Himmel über dem Land ziehen. Immer wieder kam es zu tödlichen Zwischenfällen. Ein Rezept dagegen hatte man nicht. Wie der Vogelzug über Israel verläuft und wann und wo es gefährlich wird, wenn sich Flugzeuge und Vögel begegnen, darüber war so gut wie nichts bekannt. Die internationale ornithologische Forschung und auch die Vogelkundler in Israel selbst waren da schon bedeutend weiter.
Es war ein junger Vogelkundler und Zoologie-Student namens Yossi Leshem aus der kleinen, aber aktiven Birdwatching-Gemeinde, der gemeinsam mit Freunden der Luftwaffe zur Hilfe kam. Leshem brütete Anfang der 1980er Jahre am Konzept für eine Doktorarbeit als die Entdeckung eines anderen Vogelkundlers, Ehud Dovrat, die Gemeinde der israelischen Birdwatcher elektrisierte. Dovrat hatte bei Beobachtungen mit dem Fernglas festgestellt, dass in einem schmalen Korridor östlich der Mittelmeerküste unweit von Tel Aviv zahlreiche Großvögel verschiedenster Arten wie auf einer Autobahn entlangflogen. Westlich und weiter östlich davon waren selbst zu Hochzeiten des Vogelzugs fast keine Tiere unterwegs. Hobbyforscher Dovrat hatte eine der beiden zentralen Vogelzugrouten über Israel entdeckt – und Leshem wollte auf dieser Entdeckung aufbauen.
Großräumige interkontinentale Vogelzugrouten aus den europäischen und zentralasiatischen Brutgebieten in die afrikanischen Winterquartiere waren der Wissenschaft damals bereits bekannt. Man wusste, dass die in Westeuropa brütenden Vögel einen Zugweg von Nordeuropa bis Westafrika nehmen und den afrikanischen Kontinent über Spanien und die nur 14 Kilometer schmale Meerenge von Gibraltar erreichen. Die weiter östlich brütenden Vögel ziehen über den eurasisch-ostafrikanischen Weg, auf dem sie das Mittelmeer östlich umgehen und über die Wasserüberquerungen am Bosporus und in Suez in Ägypten Afrika erreichen. Im Herzen dieser Route liegt Israel. Sie wird vor allem von osteuropäischen und russischen Populationen von Störchen, Schreiadlern, Kranichen und Rosapelikanen beflogen, just jenen großen und schweren Vogelarten, die der Luftfahrt besonders zu schaffen machen. Aber über den genauen Verlauf der Zugwege über den Nahen Osten wusste man bis dahin nichts.
Sandalen statt Stiefel, Fernrohr statt Gewehr
Leshems Vision war es, aufbauend auf den Beobachtungen seines Freundes Dovrat, eine Art Straßenkarte des gefiederten Verkehrs am Himmel über Israel zu erstellen. Das sollte seine Doktorarbeit werden und die Luftwaffe sollte dabei ihm – und sich selbst – helfen. Man kann sich vorstellen, wie reserviert die Führung der Luftwaffe, die ein durchaus elitäres Verständnis als Rückgrat der Landesverteidigung pflegt, auf die Gruppe junger Leute reagierte. Menschen in Sandalen statt Stiefeln, die statt Gewehren Fernrohre auf Stativen über ihrer Schulter trugen und den ganzen Tag nichts anders taten, als Vögel zu bestimmen, zu zählen und ihr Verhalten zu beobachten. Diese bunte Truppe sollte die Lösung des Vogelschlag-Problems haben?
Bei seinen ersten Vorstößen stieß Leshem auf Skepsis beim Armee-Establishment. Aber die Abstürze gingen weiter und der Druck auf die Luftwaffe wuchs, etwas zu unternehmen. Die Zeit war reif, dem Vogelforscher eine Chance zu geben. Leshem bekam die logistische und finanzielle Unterstützung, die er wollte und machte sich an die Arbeit. Ein dichtes Netzwerk aus Vogelbeobachtern wurde mit Ferngläsern und Fernrohren überall im Land stationiert, um den Vogelzug systematisch zu beobachten, die Vögel zu zählen und Artenlisten anzufertigen. Leshem selbst verbrachte mehr als 270 Tage an Bord eines Segelflugzeuges mit zuschaltbarem Motor und folgte jedem Schwarm, den er ausmachen konnte, um Zugroute, Geschwindigkeit und Zughöhe zu ermitteln. Rosapelikane, Weiß- und Schwarzstörche, Mäuse- und Wespenbussarde und Schreiadler begleitete er auf diese Weise auf Augenhöhe. Selbst militärische Drohnen wurden zum birdwatching abgestellt.
Die Daten aus vielen Tausend Stunden der Beobachtung durch Leshem und ein Heer von Helfern flossen in das Kernstück seiner 1984 vorgelegten Dissertation ein: Eine detaillierte Übersicht mit dem exakten Verlauf der verschiedenen Vogelzugrouten über Israel und genaue Angaben dazu, welche Vogelart welche Route zu welcher Jahreszeit beflog. Daraus destillierte die Luftwaffe eine eigene Karte, die den martialischen Titel erhielt: „Liste der vogelverseuchten Zonen“ ("bird-plagued zones").
Leshem und seine Freunde hatten herausgefunden, dass der östliche Zugweg sich in Israel noch einmal in zwei schmale, jeweils nur wenige Kilometer breite Korridore unterteilte: einer verläuft entlang des Jordan-Tals zum Toten Meer und von dort aus bis zum Roten Meer. Der andere verläuft nur wenige Kilometer östlich des Mittelmeeres über den Großraum Tel Aviv und knickt nahe der Wüstenmetropole Beer Sheva nach Westen ab, damit die hier entlang ziehenden Vögel über die Negev-Wüste, die Sinai-Halbinsel und den Suez-Kanal über Ägypten den afrikanischen Kontinent mit einem Minimum an Wasser-Überquerungen erreichen können. Großvögel meiden Wasser, weil über Wasserflächen keine Thermik entsteht, mit deren Hilfe sich kräftesparend im Segelflug ziehen können.
Vögel bekommen Vorfahrt
Was auf Außenstehende allenfalls akademisch interessant klang, hatte für den Luftverkehr größte Relevanz. Allein an einem guten Zugtag im September zählten die Ornithologen mehr als 250.000 Wespenbussarde, eine immense Gefahr für den Luftverkehr. Leshems Schlussfolgerungen waren radikal: Wenn man diese neu entdeckten Highways aus Hunderttausenden gefiederten Reisenden in den Stoßzeiten des Vogelzugs sperren würde, würde sich die Gefahr von Kollisionen um ein Vielfaches verringern, so die Überlegung. Die als „vogelverseucht“ markierten Flächen machten aber einen Großteil des Luftraums vor allem im Süden des Landes aus. Nach der Rückgabe der Sinai-Halbinsel im Zuge des Friedens mit Ägypten 1982 war die menschenarme Negev-Region das wichtigste verbliebene Trainingsgebiet für militärischen Tiefflug. Außerdem hatte der Wissenschaftler ermittelt, dass der Haupt-Vogelzug über Israel sich über satte fünf Monate im Jahr erstreckte.
Bei einigen Militärs ernteten sie für ihren Flugverbots-Vorschlag nur Kopfschütteln. Doch Leshem überzeugte die Armeeführung mit unverblümten Worten, wie er sich heute mit schelmischem Lächeln erinnert: "Ihr versteht etwas vom Fliegen, aber nichts von den besten Fliegern. Bei mir ist es andersrum, lasst mich euch helfen", habe er damals dem Luftwaffenchef gesagt, erinnert sich Leshem. "Er hatte ja Recht. Als wir die Zusammenarbeit mit den Ornithologen begannen, wussten wir tatsächlich nichts, außer, dass es da draußen jede Menge Vögel gab", bestätigt Luftwaffen-General Asaf Agmon, heute Leiter des Luftwaffen-Forschungsinstituts, das ungestüme Auftreten seines heutigen Freundes vor vielen Jahren. "Dank seiner Arbeit hatten wir auf einmal genaue Karten und konnten uns auf die Situation einstellen. Die Arbeit Leshems war Gold wert. Wir teilen einen Luftraum mit den Vögeln, das müssen wir respektieren."
Nach einigen Änderungen traten 1985 die Flugverbote in den "bird plagued zones" in Kraft. Sie gelten mit Modifikationen bis heute. Während der Hauptzugzeiten im Frühjahr und im Herbst ist der Luftraum in rund der Hälfte des Landes unterhalb von 3000 Fuß (gut 900 Meter) – der Korridor, in dem sich 90 Prozent aller Kollisionen ereignen – geschlossen. Das bedeutet auch, dass es dort keine Starts und keine Landungen geben kann – mithin der militärische Flugverkehr zum Erliegen kommt.
Leshems Konzept, für das er international vielfach ausgezeichnet wurde, ging auf. In den zehn Jahren vor Fertigstellung seiner Studien verzeichnete die Luftwaffe im Schnitt alle zwei Jahre einen tödlichen Unfall sowie 35 weitere Kollisionen mit jeweils mehr als einer Million Dollar Schaden. In den drei Jahrzehnten, seit die Airforce Leshems Konzept übernommen hat, reduzierte sich die Zahl der Kollisionen mit größeren Schäden nach offiziellen Angaben um 76 Prozent; die Luftwaffe sparte 1,3 Milliarden Dollar ein. Seitdem gab es nur noch einen tödlichen Zwischenfall und auch der wäre wohl vermieden worden, wenn man den Vorschlägen des Ornithologen gefolgt wäre.
„Störche bringen Kinder, sagt man – uns nahmen sie den Sohn“
Der Tag, an dem die Vögel in das Leben der Familie Vivente traten, begann als einer dieser schönen Hochsommertage 1995 mit einer fröhlichen Bar-Mitzva-Feier – Besuch an der Klagemauer in Jerusalem, heitere Familienzusammenkunft. Unvermittelt trat ein Soldat auf die Feiergesellschaft zu und fragte die Eltern: "Haben Sie einen Sohn bei der Luftwaffe?" Louis Vivente erinnert sich an die Worte des Unbekannten und der Schmerz überkommt ihn auch mehr als zwei Jahrzehnte danach mit voller Wucht. "Ich wusste sofort, was das bedeutet, es war der grausamste Moment meines Lebens", sagt der Lehrer. Seine Frau Mala verstand nicht gleich: "Wieso einen, ich habe zwei Söhne bei der Luftwaffe", erwiderte sie. Dann überbrachte der Soldat die Nachricht vom Tode ihres Sohnes. Luftwaffen-Navigator Yaron Vivente starb 22-jährig gemeinsam mit seinem Kameraden und Piloten Ronen Lev, nachdem drei Störche bei einem Übungsflug über der Negev-Wüste in das Triebwerk ihres Kampfjets geraten waren. Die Maschine zerschellte binnen Sekunden, es gab keine Chance für die beiden, noch den Schleudersitz zu zünden. Der im Funkverkehr aufgezeichnete Befehl des Schwadronkommandeurs im Flugzeug an ihrer Seite: "Steigen Sie aus, Nummer 3" kam zu spät. Die Trümmer des "Falke" genannten F-15-Kampfjets gingen über einen Kilometerradius im Bett des Wadi Zin nieder.
Vater Louis spricht immer noch ausschließlich von der "Katastrophe", wenn er über das Unglück spricht. „Unser Leben war von diesem Moment an zerstört", sagt er. "Man sagt, die Störche bringen die Babys. Uns haben sie das Kind genommen", sagt Mutter Mala. Natürlich hat sie die Vögel gehasst, sagt Yarons kleine Schwester Irit. "Ich schieße sie alle ab", notierte das damals 12-jährige Mädchen wütend in ihr Tagebuch. Sie war mit Schulkameraden zu Besuch in Paris, als sie die Nachricht vom Tod ihres Bruders überbracht bekam. "Natürlich ist das albern und die Vögel können nichts dafür", sagt sie mit dem Abstand vieler Jahre. "Wenn aber jemand in meiner Gegenwart Kindern die Geschichte erzählt, die Störche brächten die Babys, trifft mich das auf der Stelle tief und macht mich unendlich traurig", sagt die lebenslustige junge Frau, inzwischen selber Mutter.
Yaron Vivente und Ronen Lev waren die bislang letzten Todesopfer einer Kollision zwischen Flugzeug und Zugvögeln in Israel. Elf Jahre nach Inkrafttreten der Flugverbote in der Vogelzugzeit. Wäre es damals nach Leshem gegangen, würden sie wahrscheinlich noch leben. In seinem ursprünglichen Konzept zur Sperrung des Luftraums während des Vogelzugs hatte er empfohlen, den Flugverkehr in den "vogelverseuchten Gebieten" in jedem Jahr ab dem 1. August einzustellen. Der eigentliche Höhepunkt des Durchzugs von Störchen, Schreiadlern und Wespenbussarden beginne zwar erst ab dem Monatswechsel August-September, aber kleinere und mittelgroße Gruppen von einigen Dutzend bis wenigen Hundert Störchen seien stets ab Monatsbeginn August zu erwarten, warnte Leshem in seiner Dissertation.
Im Ringen um einen Kompromiss mit der Luftwaffe einigte man sich auf den 20. August als Beginn des Tiefflugverbots, Für die beiden Piloten waren das exakt zehn Tage zuviel. Sie kollidierten am 10. August mit einer Geschwindigkeit von 550 Knoten mit den Störchen. Die Vögel schlugen mit der Wucht von 50 Tonnen – soviel wie ein Panzer wiegt – auf das Cockpit. Der 20. August ist bis heute der Stichtag, zu dem die Flüge unter 3000 Fuß eingestellt werden.
Trümmerteile des F-15 Jets, in dem Yaron Vivente und Ronen Lev starben, sind heute an Yossi Leshems Vogelradar in Latrun nahe Jerusalem ausgestellt – als Mahnung und Ansporn an die Überwacher des Flugraums.
Heute arbeiten Militärs und Vogelschützer Hand in Hand, damit sich ein solches Unglück nicht wiederholt. Die Leitstelle gegen Vogelschlag sendet zu Beginn einer jeden Zugsaison eine SMS an registrierte Vogelbeobachter: "Das Zugvogelzentrum nimmt seine Arbeit wieder auf", heißt es darin. "Wir würden uns freuen, wenn ihr uns über jede Konzentration von Vögeln auf dem Laufenden halten würdet (Pelikane, Störche, Kraniche)." Und so tragen viele Vogelbeobachter neben Fernglas, Teleskop und Fotoapparat zwei Telefonnummern mit sich: Die zum Koordinator der "rare bird alerts", um per SMS oder Messenger sofort andere Beobachter über gesichtete Seltenheiten alarmieren zu können – und die des "Birdstrike Prevention Centers" – des "Zentrums zur Vermeidung des Vogelschlags", das am internationalen Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv Tag und Nacht besetzt ist und für den militärischen wie zivilen Flugbetrieb alle Bewegungen über dem Himmel Israels registriert.
Vor einer Batterie von Bildschirmen und Telefonen sitzen hier Luftwaffen-Soldaten und sammeln in Echtzeit Informationen zum gefiederten Geschehen über Israel. Daten bekommen sie über verschiedene Luftwaffen-Radarstationen, von den Towern der einzelnen Basen, den auf jedem Militärflughafen stationierten Biologen, einem von Yossi Leshem seit Jahren betriebenen Vogelradar nahe Jerusalem – und natürlich von Vogelbeobachtern.
Informationen von Vogelbeobachtern sind dem Radar überlegen
"Minutengenau und auf den Meter präzise Informationen über Vogelschwärme zu erhalten, ist der eine Teil der Arbeit. Der andere ist, diese Erkenntnisse in relevante Informationen für einen Piloten umzuwandeln, konkret: den entdeckten Vogelschwarm rechtzeitig in Form eines Vogelsymbols an genau die richtige Stelle auf den Computerschirm eines Piloten zu bringen, der im Begriff ist, abzuheben oder zu landen". So beschreibt Hauptmann Oded die Arbeit des Zentrums. Die israelische Luftwaffe möchte nicht, dass die Namen ihrer Piloten bekannt werden. Nennen wir den ruhigen, hageren Mann Mitte 40, der das Zentrum jahrelang geleitet hat, deshalb nur bei seinem Rang und Vornamen.
Als Kampfpilot der Luftwaffe und begeisterter Vogelbeobachter kennt Hauptmann Oded beide Seiten: Die Faszination des Vogelzugs und die Gefahren, die er für die Luftfahrt birgt. Aber gibt es in Zeiten hochtechnisierter Aufklärung überhaupt noch eine Notwendigkeit, Informationen von Hobby-Vogelbeobachtern zu bekommen? "Oh ja", sagt Oded energisch, "jeden Tag". "Vogelbeobachter sind auch dort unterwegs, wo wir keine Radarabdeckung haben und vor allem geben sie uns Informationen, die man vom Radar nicht ablesen kann, zum Beispiel, um welche Vogelarten es sich handelt." Die Artbestimmung ist ein entscheidendes Detail im täglichen Kampf gegen Kollisionen. Ein Schwarm Weißstörche folgt einer anderen Route in einer anderen Höhe als Rosapelikane; Schreiadler ziehen in einer anderen Geschwindigkeit als Wespenbussarde. "Jeder Hinweis auf Flughöhe, Richtung, Geschwindigkeit und Flugformation ist von großer Bedeutung für Vorhersagen. Einem Piloten ist es egal, ob er mit einem Storch oder einem Schreiadler kollidiert, denn die Folgen sind die gleichen. Um aber eine Kollision durch eine gute Vorhersage zu vermeiden, ist das Wissen, mit welcher Vogelart wir es zu tun haben, entscheidend", sagt Hauptmann Oded.
Haben die Experten im Birdstrike Prevention Center eine konkrete Gefahr durch einen heranziehenden Trupp Vögel identifiziert, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, darauf zu reagieren. "Es kann bedeuten, dass wir einen Start oder eine Landung für einige Minuten verzögern, um den Vögeln quasi Vorfahrt zu gewähren und sie passieren zu lassen. Manchmal reicht es aus, für einen Landeanflug nur eine alternative Anflugrichtung zu wählen. Manchmal müssen wir den Luftraum dichtmachen und manchmal reicht es schon, die jeweilige lokale Flugleitung auf die Gefahr hinzuweisen, damit sie im eigenen Ermessen handeln können", erzählt Hauptmann Oded.
Aber wie oft ereignen sich gefährliche Situationen wirklich? "In der Vogelzugzeit jeden Tag, und die Zugzeit dauert fünf Monate im Jahr."
Wie kann es dann sein, dass sich so lange keine schweren Unfälle ereignet haben? "Das Konzept der Flugverbotszonen, eine verbesserte Aufklärung schon in der Pilotenausbildung und sehr viel Glück." "Wir hatten sehr viel Glück", setzt Oded gleich zweimal hinzu.
Wer länger mit Hauptmann Oded spricht, spürt, dass das Konzept der Flugverbotszonen in der Vogelzugzeit trotz seines erwiesenen Erfolgs an das Eingemachte der Luftwaffe geht und beständig unter Druck steht.
„Es berührt den Kern dessen, wofür die Luftwaffe da ist: Die Landesverteidigung und das Training dafür auf der Hälfte der Landesfläche für mehrere Monate im Jahr. Da ist es klar, dass es immer ein Thema ist, so überzeugt alle auch sind, dass es Leben gerettet hat. Es ist und bleibt ein Konflikt und es bleibt ein Kampf, die bestehenden Regeln gegen ein Aufweichen zu verteidigen. Denn eins ist klar: Es sind diese Regeln, die die Flugsicherheit garantieren, die das Leben der Piloten schützen und uns sehr viel Geld sparen.“
„Die Zusammenarbeit mit der Armee hat auch der Vogelzugforschung den Durchbruch gebracht“, sagt Ornithologe Leshem nicht ohne Stolz. Die Finanzierung eines engmaschigen Beobachternetzwerkes über viele Jahre hinweg hat es ermöglicht, die Durchzugsmuster einiger Vogelarten auf den Tag genau über einen langen Zeitraum hinweg zu erfassen – es ist eine der größten Langzeitstudien in der Vogelkunde weltweit. Die Zugvogelzählungen bringt für den Artenschutz bis heute relevante Erkenntnisse. Denn von einige seltenen und in ihren oft entlegenen Brutgebieten kaum zu erfassenden Vogelarten wie Schreiadler oder Kurzfangsperber zieht fast der gesamte Weltbestand durch Israel. Damit ist die Zählung auf dem Durchzug über dem Nahen Osten der wichtigste Hinweis auf die Bestandsentwicklung. Durch die langjährige systematische Erfassung in Israel war es sogar möglich, eine neue Schätzung des Weltbestandes des Schreiadlers zu wagen. Mit dem durchaus positiven Ergebnis, dass es wahrscheinlich mehr dieser heimlichen Vögel gibt als bislang angenommen.
Politisch eine Katastrophe, ornithologisch ein Paradies
Yossi Leshem, der Initiator der Flugverbotszonen, ist auch heute noch unermüdlich auf Werbetour für eine Ornithologie, die Vögel schützt und zugleich Menschen verschiedensten Hintergrunds zusammenbringt. Längst ist er Professor an der Uni Tel Aviv und Israels bekanntester Vogelschützer geworden. "Mr. Bird" wird er genannt. Er ist auch auf internationalem Parkett eine feste Größe. Gerade setzt er sich für die Zusammenarbeit zwischen Palästinensern, Israelis und Jordaniern in der biologischen Schädlingsbekämpfung durch den Schutz der Schleiereulen ein. In der von ihm gegründeten Gruppe "Armee für den Schutz der Natur" bringt er führende Militärs und Umweltschützer mit dem Ziel zusammen, den ökologischen Schaden der in Israel allgegenwärtigen Armee zu minimieren. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos warb er im Winter vor der globalen Wirtschaftselite für den Wert der Ökologie beim Friedensschluss in Krisengebieten. Nebenher organisiert er Kampagnen für die Wahl eines Nationalvogels (es wurde der Wiedehopf) oder einen Marathon zum Schutz der Kraniche, zu dem arabische Kinder aus Jordanien als umjubelte Ehrengäste eingeladen werden.
Wer Yossi Leshem in seinem kleinen, mit Büchern, Broschüren und Papieren vollgestopften Büro erlebt, traut ihm sofort zu, die Welt zu retten – wenigstes, ein bisschen. Unermüdlich hantiert der inzwischen ergraute hochgewachsene Mann mit der leicht schief sitzenden Kippa auf dem Hinterkopf zeitgleich mit zwei Handys und einem Festnetzanschluss auf seinem Schreibtisch. Er ruft abwechselnd seinen multiplen Gesprächspartnern einzelne Sätze in eines der Telefone zu, dazwischen immer wieder kurze Kommandos an seine bemerkenswert gelassene Sekretärin Adi Bashan im Zimmer nebenan.
In seinem dicken, abgewetzten Notizbuch fehlt fast keine Telefonnummer von Leuten mit Einfluss in Israel und darüber hinaus. Der verstorbene Präsident Shimon Peres war ein guter Freund, Ex-US-Präsident Jimmy Carter – ein Hobbyornithologe – schrieb in seiner Autobiografie, dass ein Treffen mit Leshem und seinem palästinensischen Kollegen Imad Atrash zu den wenigen ermutigenden Momenten seiner Nahost-Diplomatie zählten. Selbst das japanische Kaiserhaus ist über Prinzessin Takamado in Leshems globale Vogelschutz-Kampagnen eingebunden.
Leshem bringt die Widersprüche seiner Heimat so auf den Punkt: „Politisch ist der Nahe Osten eine Katastrophe, ornithologisch ist die Region ein Paradies." Unermüdlich arbeitet er daran, das Paradiesische zu nutzen, um die Konflikte zu vermindern. "Unsere Arbeit ist noch nicht zu Ende, denn in unseren Nachbarländern ist der Naturschutzgedanke noch in den Kinderschuhen. Wir haben eine besondere Verantwortung, zu helfen", sagt der Ornithologe, dem viele Menschen – ohne es zu wissen – verdanken, dass sie noch am Leben sind.