Die Eulen-Feuerwehr
Wie Vogelschützer versuchen, seltene Sumpfohreulen vor der intensiven Landwirtschaft zu retten.
„Vogelschützer?“, fragt der Mann und entsteigt seinem SUV. Ein Fernglas um den Hals zu tragen, garantiert dieser Tage in einigen Regionen Schleswig-Holsteins Aufmerksamkeit, selbst auf dem Supermarkt-Parkplatz. Eine Antwort wartet der stämmige Herr im Geländewagen erst gar nicht ab. „Ich hab auch ‘ne Eule auf meinen Wiesen und kann deshalb nicht mähen“, sprudelt es aus ihm heraus.
Da weiß er noch gar nicht, dass er tatsächlich an die Richtigen geraten ist. Klaus Jödicke, Biologe und Schutzgebietsbetreuer in Dithmarschen im Westen Schleswig-Holsteins tritt hinzu und erklärt, dass wir nur schnell einen Kaffee trinken und uns sofort wieder auf den Weg machen, um sein Problem zu lösen. Jödicke ist in diesen Wochen im Dauereinsatz. Er sucht in den weiten Wiesenflächen zweier Dithmarscher Flussniederungen nach Nestern von Sumpfohreulen, um die Gelege und Jungvögel vor dem Tod durch die Mähwerke der Landwirte zu retten, die in den späten Junitagen fast überall unterwegs sind, um ihre Wiesen zu mähen.
Findet er nichts, gibt er den Bauern grünes Licht und die Mahd kann weitergehen. Findet er aber ein Eulen-Revier, müssen die Mäharbeiten ruhen, bis das Nest aufgespürt und umzäunt ist. Der Bauer auf dem Supermarkt-Parkplatz ist nicht gegen Sumpfohreulen und er murrt nur verhalten über die Auflagen des Vogelschutzes. Aber er will auch endlich mähen: Das Wetter könnte jederzeit umschlagen und Regen würde die Ernte noch weiter verzögern. Und er will in den Urlaub fahren und die Feldarbeit wenigstens zum Teil vorher erledigt haben. Ganz normale Probleme.
Auch Biologe und Vogelschützer Jödicke will in wenigen Tagen in den Urlaub fahren. Denn eigentlich ist die „Saison“ für ihn vorbei. Er und sein Kollege Hilger Lemke arbeiten für das Bündnis Naturschutz in Dithmarschen im sogenannten Gemeinschaftlichen Wiesenvogelschutz. Eigentlich gilt ihre Aufmerksamkeit Kiebitzen, Rotschenkeln, Austernfischern und vor allem Uferschnepfen. Ab dem zeitigen Frühjahr werden Reviere kartiert, Nester gesucht, mit Landwirten gesprochen und Gelege mit Elektrozäunen abgesteckt.
Nomaden der Lüfte
Die Landwirte erhalten Geld dafür, dass sie ihre Bewirtschaftung auf die Bedürfnisse der Vögel abstimmen: Walzen, Schleppen, Mähen – alles muss so getaktet werden, dass die auf dem Boden brütenden Vogelarten keinen Schaden nehmen. Mitte Juni sind Uferschnepfen, Austernfischer und Kiebitze flügge und die beiden Biologen widmen sich anderen Projekten. Normalerweise. Aber in diesem Jahr ist alles anders.
Zum ersten Mal seit 2003 gibt es nämlich wieder eine Sumpfohreulen-Invasion. So nennen sich die unregelmäßigen Einflüge und Brutansiedlungen der äußerst nomadisch lebenden und in Deutschland vom Aussterben bedrohten Eulen. Es ist ein Jahrzehnt-Ereignis, mindestens. Und so machen Jödicke und Lemke natürlich weiter. Jetzt kartieren sie Reviere der Sumpfohreulen, suchen Nester, sprechen mit Landwirten und stecken Schutzzäune in den Boden.
Der Einflug der Sumpfohreulen ist spektakulär und trotz manchen Erkenntnissen aus wissenschaftlicher Forschung immer noch geheimnisvoll. Er ist allenfalls zu vergleichen mit dem Wunder des Vogelzugs. Die auch am Tag, vor allem aber in der Dämmerung aktiven Eulen sind die wahren Nomaden der Lüfte. Sie besiedeln die ganze Welt – nur in der Antarktis und in Australien fehlen sie.
Zahl der Brutpaare drastisch nach unten revidiert
Das Faszinierendste ist aber, dass Sumpfohreulen – mehr noch als andere Eulenarten – ein extrem feines Gespür dafür haben, wo das Nahrungsangebot, vor allem Mäuse, gerade besonders gut ist. Dort überwintern sie und dort brüten sie. Oft nur für ein Jahr, dann verschwinden sie wieder, immer auf der Suche nach neuen Gebieten mit besonders vielen Kleinnagern. Allein in Dithmarschen haben sich in diesem Jahr gleich mehrere Dutzend Paare eingefunden – mehr, als in manchen Jahren in ganz Deutschland brüten.
Immer wieder sind Forscher überrascht, wie flexibel die Eulen sind: In Niedersachsen als Nestlinge beringte Sumpfohreulen tauchten später in Russland, Finnland Schweden und Norwegen als Brutvögel auf. Nestgeschwister aus Bayern wurden später fast zeitgleich weit entfernt voneinander in West-Sibirien und Nordfrankreich beobachtet.
Die Brutbestände in den einzelnen Ländern schwanken, ganz dem nomadischen Lebensstil der Vögel entsprechend, enorm und deshalb ist es ist sehr schwierig, verlässliche Zahlen zu ermitteln. Der Trend ist aber eindeutig negativ. In Finnland, nach Russland und gemeinsam mit Schweden das wichtigste Land im eurasischen Verbreitungsgebiet – haben Forscher beispielsweise die lange gültigen Brutpaar-Angaben drastisch nach unten revidiert.
Im Mittel brüten derzeit in Finnland nur noch 760 Paare, wie der Frühjahrszensus des Finnischen Naturkundemuseums an der Universität Helsinki (LUOMUS) in diesem Jahr ergab. Die früheren Zahlen von bis zu 10.000 Paaren werden längst nicht mehr erreicht, wie LUOMUS-Koordinatorin Heidi Björklund erklärt. „Langzeit-Daten zeigen, dass die Population in Finnland in jedem Jahr um 3,2 Prozent abnimmt“, sagt die Forscherin. Ähnliches gilt für Schweden und weitere Länder. In Deutschland brüten regelmäßig nur wenige Dutzend Vögel auf den nord- und westfriesischen Inseln. Möglicherweise ist der Bestand dort relativ stabil, weil es auf den Inseln reichlich zu fressen gibt. Zur Nahrung gehören dort auch ziehende Kleinvögel.
Wiesenvogelschutz als Überlebenshilfe auch für Sumpfohreulen
Die wichtigste Ursache für den Rückgang der Sumpfohreulen-Bestände ist in vielen Ländern dieselbe: Die immer flächendeckendere und intensiver betriebene Landwirtschaft lässt den Vögeln keinen Platz für die Aufzucht ihrer Jungen. Gelege und Jungvögel werden von den Mähwerken zermahlen.
Dem spektakulären Gastvogel geht es damit nicht anders als anderen Arten, die auf Offenland und Wiesen zum Überleben angewiesen sind: Rebhuhn, Feldlerche, Braunkehlchen und Wiesenpieper sind nur einige Beispiele für Vogelarten, deren Bestände innerhalb weniger Jahre ins Bodenlose gestürzt sind.
Programme wie der Gemeinschaftliche Wiesenvogelschutz in Schleswig-Holstein versuchen, sich gegen diesen Trend zu stemmen. Und der aktuelle Einflug der Sumpfohreulen zeigt, wie wichtig das ist: Die höchsten Dichten werden in diesen Wochen in Gebieten festgestellt, die Teil von Wiesenvogelschutzprogrammen sind oder sich in Besitz von Stiftungen wie der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein befinden. Und das ist kein Zufall, denn natürlich haben sich die Eulen auch auf anderen Wiesenflächen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein niedergelassen, schließlich gibt es in diesem Jahr an vielen Orten ein überreiches Angebot an Mäusen: Doch auf vielen Flächen haben die Küken keine Chance.
Meistens findet bereits im Mai ein erster Schnitt auf Grünlandwiesen statt. Die Gelege der Vögel kommen buchstäblich unter die Räder oder die Mähwerke der immer stärkeren, immer schnelleren und immer gründlicher jeden Quadratmeter ausnutzenden Industrie-Landwirtschaft. Durch die um sich greifende Praxis der nächtlichen Mahd werden auch brütende Altvögel getötet.
Auch auf Flächen, die von Naturschützern gemanagt werden, kommen in jedem Jahr Vögel und Gelege um. Zum Schutz der „Zielarten“ Uferschnepfe, Kiebitz, Rotschenkel und Austernfischer ist mit den Landwirten vereinbart, dass sie frühestens ab dem 21. Juni erstmals mähen dürfen. Doch auch danach kann man noch beobachten, wie Wiesenpieper, Braunkehlchen und andere bedrohte Singvögel eifrig Insekten zur Versorgung ihrer Nestlinge in noch ungemähte Wiesen eintragen, auch, wenn die modernen Riesenmäher schon anrücken.
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Bei noch späteren Mahdterminen werde es schwer, überhaupt Pächter für die Flächenbewirtschaftung im Sinne des Wiesenvogelschutzes zu finden. Das Dilemma ist offensichtlich: Denn eine Verbuschung von Wiesen ganz ohne Nutzung nützt auch den Wiesenvögeln nichts, damit würde wertvoller Lebensraum verloren gehen. Und die Praxis gibt Jödicke, Riepen und ihren Mitstreitern recht.
Auf den durch die Stiftung gemanagten Flächen in Dithmarschen beispielsweise ist es gegen den Trend gelungen, die kleine aber wichtige Population der Uferschnepfen langjährig bei rund 25 Paaren stabil zu halten. Gleiches gilt für die Populationen von rund 80 Kiebitz- und 30 Austernfischer-Paaren. Wiesenpieper, einst Allerweltsvögel und nun in der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands als stark gefährdet eingestuft, bringen auf den Stiftungsflächen immerhin eine erste Brut zum Ausfliegen.
Für die Sumpfohreulen reicht ein Aufschub der Mahd bis zum 21. Juni aber nicht aus. Noch Ende Juni finden wir Gelege mit Eiern oder gerade erst geschlüpften Jungen. Andere Eulenpaare haben früher mit dem Brüten begonnen und versorgen jetzt bereits flügge Jungvögel, die mit Einbruch der Dämmerung plötzlich auf Pfählen an Wegrändern oder auf Feldwegen herumsitzen und unablässig mit spielerischen Jagdflügen auf ihre Geschwister oder Sturzflug-Übungen die Gegend unsicher machen.
Trotz des immer noch zu frühen Mahdtermins profitieren die Sumpfohreulen von dem Wiesenvogelschutzprojekt. Denn durch die Naturschutzauflagen für andere Arten und den beständigen Kontakt zwischen Naturschützern und Landwirten seien die Bauern sensibilisiert und die Bereitschaft zum Schutz der Eulen groß, berichten die Gebietsbetreuer.
Die meisten Bauern verzichteten freiwillig auf einen strikten Mahdbeginn in Eulen-Verdachtsflächen und warteten grünes Licht durch die Gebietsbetreuer ab. Andere meldeten von selbst gefundene Nester. Durch diese Kooperation konnten zahlreiche Neststandorte gefunden, abgezäunt und bei der Mahd ausgespart werden. Nur deshalb findet man in manchen dieser Flächen spektakuläre Siedlungsdichten. An einigen Stellen liegen die Nester nur gut 100 Meter auseinander.
Auch „ordnungsgemäße Landwirtschaft“ tötet
Wie viele Sumpfohreulen in diesem Jahr in Deutschland flügge werden, lässt sich noch nicht abschätzen. Vielleicht wird die Zahl des Jahres 2003 mit rund 100 Paaren allein in Schleswig-Holstein übertroffen. Im niedersächsischen Binnenland könnten es am Ende ebenfalls 50 bis 60 Paare sein, schätzt Thorsten Krüger von der Staatlichen Niedersächsischen Vogelwarte. So erfreulich dies ist, klar ist aber auch: Es könnten sehr viel mehr sein, wenn Wiesen vielerorts nicht ausschließlich als reine Wirtschaftsflächen betrachtet würden, sondern als das, was sie auch sind: Lebensräume für Tiere.
Dabei kann mit wenigen Auflagen bereits viel erreicht werden: weniger Schnitte im Jahr, späterer Mahdbeginn, Aussparen von Randstrukturen, verpflichtendes Suchen von Nestern und eine geringere Mahdgeschwindigkeit: Einige Projekte zeigen, wie es gehen kann. Die heute als „ordnungsgemäße Landwirtschaft“ akzeptierte und legale Praxis der Intensivlandwirtschaft dagegen macht Wiesen zu einem Schlachtfeld, auf dem massenhaft geschützte Arten getötet werden.