Hilfe für bedrohte Arten: Wo Trauerseeschwalben Rettungsflöße bekommen
Ein ermutigendes Artenschutzprojekt am Niederrhein
Ein unermüdliches „kiiik, kiiik, kikk“ erklingt über den Wiesen am Niederrhein. Der Ruf passt perfekt in die Landschaft, und doch ist er seltsam unvertraut. Trauerseeschwalben sind in Deutschland selten geworden. In der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands stehen sie weit oben, in der Kategorie 1, „vom Aussterben bedroht“. Positive Nachrichten sind rar, doch es gibt sie.
In Nordrhein-Westfalen, dem am dichtesten besiedelten Bundesland, ist es mit menschlicher Hilfe gelungen, wieder eine stabile Kolonie zu etablieren. Im Kreis Kleve schlängeln sich Altrheinarme durch die Landschaft, Relikte aus längst vergangenen Zeiten, in denen der Rhein noch frei mäandrieren durfte. Stillgewässer mit einer dichten Ufervegetation, Auwaldreste und artenreiche Wiesen – genau der Lebensraum, den Trauerseeschwalben brauchen.
Der Biologe Achim Vossmeyer klettert über zwei Stacheldrahtzäune, überquert eine Wiese und steht dann am Ufer des Altarms Millinger Meer. Mehr als zehn Trauerseeschwalben fliegen eifrig hin und her. Elegant segeln sie knapp über der Wasseroberfläche dahin, machen abrupt kehrt und schnappen im Flug nach Insekten. Andere stehen rüttelnd in der Luft, fast wie Falken. Kopf, Brust und Bauch der Vögel sind schwarz gefärbt, ein auffälliger Kontrast zu den hellen Flügelkanten. Ihrem Prachtkleid haben die Trauerseeschwalben den deutschen Namen zu verdanken. Der Kuckuck ruft, nicht weit vom Ufer entfernt stehen die typischen Kopfweiden.
Ein Naturidyll. Nur die Nester der Vögel sehen merkwürdig künstlich aus.
Mitten auf dem Gewässer liegen Brutflöße: fünf gekreuzte Holzplanken, mit je vier Nistplätzen am Ende. Die meisten der 20 Brutplätze sind belegt. Was für das menschliche Auge auf den ersten Blick irritierend wirkt, ist für die Trauerseeschwalben offenbar genau das Richtige. Auf einigen Nestern wird Mitte Juni noch gebrütet, auf anderen hocken bereits winzige Federbälle, die von den Altvögeln gefüttert werden. „Normalerweise bauen Trauerseeschwalben ihre Nester auf Schwimmpflanzen“, erklärt Achim Vossmeyer vom Naturschutzzentrum im Kreis Kleve. „Wichtig ist, dass die Nester von Wasser umgeben sind.“
Jahrhunderte lang war das kein Problem, denn Teichrose, Krebsschere und andere Wasserpflanzen bildeten einen dichten Teppich auf dem Gewässer. Doch nach und nach wurden diese Schwimmblattpflanzen seltener, vor allem die Krebsschere.
Eine Diplomarbeit scheiterte, weil die Vögel verschwunden waren
Vor allem die Krebsschere reagiert äußerst empfindlich auf Verschmutzung und Einträge aus der Landwirtschaft. In der Region ist sie heute komplett ausgestorben, und mit ihr schwanden die Brutplätze für die Trauerseeschwalben. Von Jahr zu Jahr wurden weniger Küken flügge. Anfang der 1990er Jahre machten schließlich räuberische Rabenkrähen den letzen Vögeln den Garaus. Normalerweise kann kein Räuber seine Beute ausrotten, aber in diesem Fall war die Kolonie bereits stark geschwächt.
Über den Ablauf weiß man heute erstaunlich gut Bescheid, denn eine Diplomandin der Universität Köln wollte ihre Abschlussarbeit über die bedrohten Trauerseeschwalben am Niederrhein schreiben. Täglich war sie unterwegs, um die Vögel zu beobachten. Doch genau in dem Jahr wurden alle Nester von Rabenkrähen geplündert. Einige Vögel hatten sich offenbar auf die leichte Beute spezialisiert. Kein Küken verließ das Nest, und auch die Diplomarbeit wurde nicht fertig. Die Studentin musste sich ein neues Thema suchen – sie wechselte in die Mikrobiologie.
„Einige Jahre gab es hier überhaupt keine Bruten mehr“, erzählt Achim Vossmeyer. Das blieb so, bis Biologen des Naturschutzzentrums – gefördert von der nordrhein-westfälischen Landesregierung – 1997 die ersten Brutflöße ausbrachten. Die Niederländer hatten bereits positive Erfahrungen mit den künstlichen Nisthilfen gemacht, und auch am Niederrhein schienen die Trauerseeschwalben geradezu darauf gewartet zu haben. „Im Frühjahr kommen die Vögel aus ihren Überwinterungsgebieten in Afrika zurück und ziehen hier vorbei“, sagt Achim Vossmeyer, „offenbar waren die Flöße so attraktiv, dass sie sich gleich niedergelassen haben.“ Neun der zehn Brutflöße wurden im ersten Jahr besiedelt, die Trauerseeschwalben zogen 12 Küken groß. Ein enormer Erfolg.
In den Folgejahren rüsteten die Biologen auf: Je mehr Flöße sie ausbrachten, desto mehr Vögel siedelten sich an. Vier Kolonien gibt es heute auf den Gewässern im Kreis Kleve – es sind die einzigen in NRW. Die meisten Trauerseeschwalben brüteten 2003: 69 Brutpaare und 161 Küken zählten die Forscher. Doch nur 56 Jungvögel wurden flügge. Das sind zu wenige, um die Population zu erhalten. Auch in den Folgejahren blieb der Bruterfolg gering. „Es gab Jahre mit schlechter Witterung, aber das kann nicht der einzige Grund gewesen sein“, sagt Achim Vossmeyer, der das Projekt seit mittlerweile zwölf Jahren betreut. Immer wieder verschwanden Eier oder Küken, ohne dass die Forscher eine Erklärung dafür hatten. „Bei schönstem Wetter fehlten plötzlich 20 Eier.“
Mit Unterstützung der Stöckmann-Stiftung starteten die Biologen schließlich ein Forschungsprojekt. Neben den Brutflößen stellten sie Fotofallen auf. Einige der üblichen Verdächtigen wurden abgelichtet: Waldohreulen zum Beispiel. Es gab aber auch Übeltäter, mit denen niemand gerechnet hatte: Karpfen hatten die Brutflöße als Laichplatz auserkoren. Normalerweise heften sie ihre Eier an Wasserpflanzen, aber wo die fehlen, tut es offenbar auch ein Brutfloß. Bei der Prozedur erzeugen die Fische jedoch einen so heftigen Wellenschlag, dass die Vogeleier ins Wasser purzeln. Und so genial ein Vogelei auch konstruiert ist: Es dient der Fortpflanzung an Land. Unter Wasser ertrinken und ersticken die Küken im Ei.
Brutflöße 2.0 – die Trauerseeschwalben brauchen noch mehr Schutz
Neue Brutflöße sollten das Problem lösen. Das Modell 2.0 ist in vielerlei Hinsicht verbessert, vor allem aber verfügt es über einen kleinen Wall, den „Eirollschutz“, und ein Gittergerüst. Theoretisch können die Küken darunter Schutz suchen, tatsächlich nutzen es eher die Altvögel als Landeplatz. Das aufgerüstete Heim wurde gut angenommen, die Gelegeverluste gingen zurück. In den letzten Jahren brüteten wieder regelmäßig um die 50 Paare am Niederrhein. Der Bruterfolg ist groß genug, um die Population zu erhalten. Achim Vossmeyer ist zufrieden und auch ein bisschen stolz: „Wir bereiten ja nur das Bett“, sagt er, „den Rest müssen die Tiere selbst machen“. Und trotz aller Erfolge hofft der Biologe, dass das Brutgeschäft eines Tages auch wieder ohne menschliche Geburtshelfer funktioniert. „Langfristig möchten wir die Flöße überflüssig machen.“
Die Altrheinarme am Niederrhein sollen wieder zu einem Lebensraum werden, in dem Trauerseeschwalben ihre Brutplätze in der Natur finden. Die Zeichen dafür stehen gar nicht schlecht: Die Gewässer sind sauberer geworden. Naturschützer suchen gemeinsam mit Landwirten nach Lösungen. Viele Wiesen rund um die Altrhein-Arme im Kreis Kleve werden inzwischen extensiv bewirtschaftet. Die Schwimmblattpflanzen könnten zurückkehren – wenn es nicht inzwischen ein neues Hindernis gäbe. Es ist etwa 65 Zentimeter lang, wiegt acht bis zehn Kilogramm und frisst rund zwei Kilo Pflanzenmasse pro Tag.
Nutrias sind Nagetiere, die eigentlich an Gewässern in Südamerika leben, doch Anfang des 20. Jahrhunderts brachen die ersten Tiere aus europäischen Pelztierfarmen aus. Und nach und nach gewöhnten sie sich an das hiesige Klima. Am Niederrhein machen sie sich über Rohrkolben und Schwimmpflanzen her. „Die Nutrias haben hier in den letzten 20 Jahren den gesamten Rohrkolbenbestand vernichtet, also genau die Vegetation, in der früher auch Trauerseeschwalben gebrütet haben“, sagt Achim Vossmeyer.
Nutrias – eine Gefahr für Deiche und Vegetation?
Auch der Deichverband Xanten-Kleve ist längst auf das Problem aufmerksam geworden und organisiert den Fang von Nutria und Bisam, einer anderen eingewanderten Art. Denn die Tiere haben es nicht nur auf seltene Pflanzen abgesehen, sie graben Gänge und Höhlen in den Untergrund und schädigen so die Ufer der Gewässer. Problematisch wird es, wenn die Tiere irgendwann den Deich als Wohnraum entdecken und so den Hochwasserschutz gefährden. Im vergangenen Jahr wurden deshalb 1.800 Nutrias in Lebendfallen gefangen und anschließend getötet. 7,50 Euro bekommt ein zugelassener Fänger pro Tier.
Rund 35.000 Euro pro Jahr investiert der Deichverband in den Fang von Nutria und Bisam. Aus Sicht der Artenschützer viel zu wenig, denn der Bestand wird damit nicht effektiv reduziert. Das ist auch Bernhard Schlüß, Geschäftsführer beim Deichverband Xanten-Kleve, klar: „Wir können den Bestand allenfalls konstant halten“, sagt er und beklagt mangelnde Unterstützung aus der Politik. Dass es auch anders geht, zeigen die Niederlande. Dort gelten Nutrias als Schädlinge, die von hauptamtlichen Nutriajägern bekämpft werden. Mehrere Millionen Euro lassen sich die Niederländer das pro Jahr kosten. Wenn es um die Sicherheit der Deiche geht, verstehen unsere Nachbarn keinen Spaß. Schließlich liegt ein Viertel der Landesfläche unter dem Meeresspiegel.
Wann geht es auch mit den Wasserpflanzen wieder bergauf?
Auch Achim Vossmeyer wünscht sich manchmal niederländische Verhältnisse – doch wie so oft, wenn in Deutschland Tier- und Artenschutz aufeinander prallen, zieht der Artenschutz den Kürzeren. Ob Waschbär, Marderhund oder Nilgans – die eingewanderten Arten werden mehr oder weniger toleriert, obwohl sie vor allem heimische Vogelarten zum Teil empfindlich in Bedrängnis bringen. Für die Trauerseeschwalben sind die Nutrias kein Problem, solange die Artenschützer jedes Frühjahr Brutflöße ausbringen und den Vögeln ein sicheres Bett bereiten. In diesem Jahr ziehen die Trauerseeschwalben am Niederrhein fast 50 Küken groß.
Einige Nachzügler brüten noch, doch viele Jungvögel sind bereits flügge geworden. Bald werden sie sich auf den Weg an die Nordseeküste machen. Dort sammeln sich die Vögel, bevor sie im Herbst nach Afrika fliegen. Die Altvögel werden im nächsten Frühjahr wiederkommen. Die Jungvögel dagegen verbringen das erste Lebensjahr in Afrika, erst im übernächsten Sommer werden sie sich einen Brutplatz suchen – vermutlich auf einem der Flöße. Rohrkolben, Krebsschere und andere seltene Schwimmblattpflanzen dagegen haben vor allem wegen der Nutrias derzeit kaum Chancen, sich in den Altwässern am Niederrhein wieder auszubreiten.
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