„Naturschutz allein auf dem Papier hilft nicht im Kampf gegen das Artensterben.“
Zwischenbilanz: Was bringen europäische Vogelschutzgebiete in Deutschland für die Vogelvielfalt?
Es war ein epochales Versprechen, das die Europäischen Staaten vor 40 Jahren gaben. Mit der Verabschiedung der Vogelschutzrichtlinie 1979 erhielten grundsätzlich alle in den Mitgliedstaaten frei vorkommenden Vogelarten – vom häufigen Haussperling bis zum vom Aussterben bedrohten Schreiadler – einen Rechtsanspruch auf ihren Schutz sowie darauf, dass ihre Lebensräume erhalten und verbessert werden. Zum Schutz aller Vogelarten müsse verpflichtend „eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume“ erhalten oder wieder hergestellt werden, heißt es in Artikel 1.
Um diese ambitionierten Ziele auch wirklich zu erreichen, wurde das Konzept eines Netzes europäischer Vogelschutzgebiete geboren. Sie sollen die Lebensräume von mehr als 180 besonders gefährdeten Vogelarten schützen. Es war der Beginn eines langwierigen, aufreibenden und in vielen EU-Ländern noch nicht abgeschlossenen Prozesses mit ungezählten Vertragsverletzungsverfahren – auch gegen Deutschland.
Heute gibt es hierzulande fast 750 EU-Vogelschutzgebiete, sogenannte Special Protection Areas (SPAs), die einschließlich der Schutzgebiete auf dem Meer etwa 14,5 Prozent der Landesfläche umfassen. Die Vogelschutzrichtlinie markiert zweifellos eine Zeitenwende für den Naturschutz. Angesichts immer neuer Hiobsbotschaften zur Artenvielfalt und von Bestandseinbrüchen um mehr als 90 Prozent bei einigen einstmals häufigen Vogelarten drängt sich aber auch eine Frage auf: Wie wirksam sind die Schutzgebiete im Kampf um die Sicherung überlebensfähiger Populationen gefährdeter oder abnehmender Arten? Geht es ihnen darin besser als außerhalb?
Turteltaube, Braunkehlchen und Goldammer im Niedergang
Diese Frage haben Experten des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA) im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz untersucht. Das Zwischen-Fazit der noch laufenden Analyse fällt zwiespältig aus: Zwar entwickeln sich die Bestände einiger Zielarten der Vogelschutzrichtlinie innerhalb der Schutzgebiete besser als außerhalb. In vielen Fällen können die Gebiete das Versprechen aber nicht einlösen, das mit ihrer Gründung verbunden war, nämlich den teilweise dramatischen Rückgang der gefiederten Artenvielfalt zu stoppen.
Wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern profitieren Vogelarten mit Lebensraum Wald besonders stark von den Schutzgebieten. Mittelspechten und Schwarzspechten geht es beispielsweise so gut wie lange nicht. Sie dürften der Analyse zufolge vom Älterwerden der Wälder in Mitteleuropa profitieren.
Dagegen konnte der dramatische Abwärtstrend vieler Vogelarten der Agrar- und Wiesenlandschaften auch innerhalb der Schutzgebiete nicht gestoppt werden. Uferschnepfen und Wachtelkönige beispielsweise ringen innerhalb von Schutzgebieten ebenso ums Überleben wie außerhalb. Auch der Rückgang von Turteltaube, Braunkehlchen oder Goldammer konnte innerhalb europäischer Vogelschutzgebiete in Deutschland bisher nicht aufgehalten werden.
Ganz wirkungslos sind Schutzgebiete aber auch hier nicht: Der Abwärtstrend für einige Arten wie Uferschnepfe und Braunkehlchen fällt in europäischen Vogelschutzgebieten deutlich geringer aus als außerhalb. Für Kiebitz und Feldlerche konnte der Bestand innerhalb der Schutzgebiete stabil gehalten werden, während er außerhalb stark abnahm. Dass die Schutzgebiete also zumindest eine gewisse Wirksamkeit entfalten können, zeigt sich auch anhand der Grauammer. Ihre Bestände entwickeln sich innerhalb von Vogelschutzgebieten positiv, während sie außerhalb stark abnehmen.
Spargelanbau am Schreiadlerhorst
Solch deutliche Nachweise dafür, dass Unterschutzstellung von Gebieten wirksam ist, sind aber selten. Die Ursachen für das weitgehende Verfehlen des Schutzziels liegen auf der Hand. Für viele SPAs gibt es immer noch keine oder keine ausreichenden Pläne dazu, wie die Landnutzung darin umgesetzt werden soll. Und selbst wenn es diese Managementpläne gibt, wird deren Einhaltung häufig nicht ausreichend kontrolliert. Landesregierungen versagen häufig in Sachen Naturschutz. Das zeigt zum Beispiel die Zulassung großflächigen Spargelanbaus in Brandenburg. Das gebiet liegt in unmittelbarer Nähe zum Brutwald eines Schreiadlers innerhalb eines SPAs. Das ist nur ein Beispiel für die unzureichende Umsetzung des Schutzgedankens.
Eine Schlüsselrolle für einen besseren Naturschutz kommt in SPAs der Landwirtschaft zu. Der Umbruch von Wiesen zu Äckern oder der Einsatz zu hoher Mengen an Agrarchemikalien passe nicht zum europäischen Schutzgedanken, sagt auch Johannes Kamp, der die laufenden Forschungsarbeiten beim DDA zum Thema koordiniert. „Die landwirtschaftliche Bewirtschaftung in Vogelschutzgebieten muss stärker an die Bedürfnisse der zu schützenden Vögel angepasst werden“, fordert er. „Naturschutz allein auf dem Papier hilft nicht im Kampf gegen das Artensterben.“