Bauarbeiten für Wasserkraftwerk bedrohten Quelle des einzigartigen Flusses Una in Kroatien
Bagger zerstörte wertvolle Travertin-Strukturen, doch die Proteste erreichten einen Baustopp
Sie gilt als die Schönste unter den Schönen – mit ihrer 248 Meter tiefen Karstquelle und ihrem türkisblauen Wasser, ihren Travertin-Höhlen und Wasserfall-Kaskaden, ihren kilometerlangen Schluchten und Stromschnellen und ihrer reichen Tier- und Pflanzenwelt. Die Römer sollen einst diesen kroatisch-bosnischen Fluss wegen seiner Einzigartigkeit „Una“ genannt haben.
Die Schönheit der Una ist auch einer der Gründe dafür, dass der deutsche Ökologe und Umweltschützer Ulrich Eichelmann im Jahr 2012 die NGO RiverWatch mit Sitz in Wien und gemeinsam mit EuroNatur die Kampagne „Save the Blue Heart of Europe“ zum Schutz der Flüsse am Balkan gegründet hat.
Ende Juli 2024 bricht Ulrich Eichelmann seinen Urlaub in Deutschland ab und reist nach Kroatien, an die Quelle der Una bei Donja Suvaja. Gerade dort, nur etwa 300 Meter von der kristallklaren, atemberaubend schönen Quelle des Flusses, haben Bauarbeiter begonnen, mit einem Raupen-Bagger das Ufer aufzureissen und zu planieren, Bäume zu knicken und auszugraben, Travertinbecken zu zerstören und das Wasser des Flusses zu verschmutzen. Ihr Ziel: Der Bau eines Wasserkraftwerkes.
Die Trinkwasserversorgung von Donja Suvaja wurde unterbrochen. Die Bewohner der abgelegenen Gegend seien hilflos am Bauzaun gestanden und hätten nicht gewagt, sich aktiv gegen die Bauarbeiten zu stellen, erzählt mir Ulrich Eichelmann am Telefon. Das Quellgebiet der Una liegt nahe der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Das Gebiet war im Kroatien- bzw. Bosnienkrieg in den 1990er Jahren zwischen Kroaten, Bosnieren und Serben hart umkämpft, viele der serbisch-stämmigen Bewohner waren geflüchtet und nur wenige zurückgekehrt. Sie sind eine Minderheit in Kroatien und haben Angst vor Repressionen.
Verstöße gegen mehrere internationale Übereinkommen und europäisches Recht
Doch die Bauarbeiten unterhalb der Quelle der Una sind nicht nur unverständlich und empörend, sie sind nach bisherigem Stand des Wissens offensichtlich auch illegal. Denn das Gebiet rund um die Quelle der Una ist ein Natura 2000-Gebiet, also nach dem Recht der Europäischen Union, deren Mitglied Kroatien seit 2013 ist, seit zehn Jahren geschützt. Ziel ist die Erhaltung der wichtigsten besonders schützenswerten Lebensräume und Arten in Europa.
Das derzeitige Projekt stehe jedoch nicht im Einklang mit den Umwelt- und Naturschutzstandards und verstoße damit gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die Vogelschutzrichtlinie und die Wasserrahmenrichtlinie der EU, sagt der Ökologe und Naturschutzexperte Emir Delić, der für den Nationalpark Una in Bosnien gearbeitet hat und die Quelle der Una nach Bekanntwerden der Bauarbeiten besuchte. Ein Wasserkraftwerk wäre eine signifikante Bedrohung für das Ökosystem des Flusses, weshalb vor dem Bau hätte überprüft werden müssen, ob er mit dem Natura 2000-Schutzgebiet vereinbar wäre.
Darüber hinaus stelle die Nichtbeachtung des Protokolls zur Strategischen Umweltprüfung ein schwerwiegendes Versäumnis dar. Außerdem werde gegen das Helsinki-Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen verstoßen. Demnach müssen die Staaten – in dem Fall Kroatien und Bosnien – bei der Planung und Bewirtschaftung der Wasserressource zusammenarbeiten und sich abstimmen. Noch dazu gibt es an der Una flussabwärts in Bosnien sogar einen Nationalpark in Bihac und einen Naturpark in Bosanski Novi. Die Una ist außerdem eine UNESCO World Heritage Site.
Das Projekt verstoße auch gegen die Aarhus-Konvention über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, erklärt Emir Delić. Dieses Übereinkommen garantiert das Recht der Öffentlichkeit auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren im Umweltbereich und schreibt unter anderem Transparenz und die Einbeziehung der Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse vor.
Amtsmissbrauch angezeigt
Für das Kleinwasserkraftwerk an der Quelle der Una gibt es eine Genehmigung – erteilt von einem Beamten der Gespanschaft Zadar und ehemaligen Bürgermeister, wie kroatische Medien berichteten.
Die Ministerin für Umweltschutz und grünen Wandel, Marija Vučković von der Demokratischen Partei, habe die Sache überprüfen lassen, drei starke Verstöße gegen Umweltrechte festgestellt und das zuständige Bautenministerium aufgefordert, das Projekt zu stoppen. Dieses habe zuerst nicht reagiert, dann doch und den verantwortlichen Beamten wegen Amtsmissbrauchs angezeigt. Solange das Verfahren laufe, dürfe jedoch weitergebaut werden, hieß es am 13. August. Das könne ja ein Jahr dauern, empörte sich Ulrich Eichelmann bei unserem Telefonat. Obwohl das geplante Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 160 Kilowatt „mini“ sei, wäre der Schaden für die Una jedoch enorm.
Doch die Menschen am Ort wurden in den vergangenen Wochen zunehmend bei ihrem Protest unterstützt: Am 15. Juli habe Zelena Akcija (Friends of the Earth Kroatien) der staatlichen Inspektion einen schriftlichen Bericht über den Beginn der Arbeiten zum Bau eines Wasserkraftwerks in unmittelbarer Nähe der Una-Quelle vorgelegt, berichtete das Medium „Index HR“. Gemeinsam mit Greenpeace in Kroatien und WWF Adria habe die NGO eine Aussetzung der Wasserkraftwerksarbeiten am Fluss Una gefordert.
Rätselhafte Baustellentafel
Kroatische Journalisten reisten an und recherchierten, wer hinter dem Projekt des Kleinwasserkraftwerks „Una-mlin“ steckt. Sie fanden heraus, dass die Daten auf der Baustellentafel etwas rätselhaft sind. So wird als Investor angegeben „Pipra d.o.o. Gračac, Srb, Donja Suvaja 66“. Laut Medien handelt es sich bei dem Haus an dieser Adresse allerdings um einen Rohbau, der einem Wissenschaftler aus Zadar gehört, der davon nichts wusste. Auch die angegebene Registrierungsnummer existiere nicht. Was es mit dem Projekt auf sich hat und warum jemand ein so kleines Kraftwerk bauen möchte, wird sich vielleicht noch aufklären.
Lebensräume in Gefahr
Für die Una könnte das jedoch zu spät kommen, wenn die Bauarbeiten weiter gehen sollten, weil die einzigartigen Becken, Stufen und Höhlen dadurch unwiederbringlich zerstört und die Fische und andere Lebewesen gefährdet würden. Das Besondere an der Una sei zudem, sagt der Flussschützer Ulrich Eichelmann, dass auch ihre Zuflüsse weitgehend intakt seien und das Wasser von erstklassiger Qualität. Nahe der Mündung der Una in die Save gäbe es beispielsweise große Schwärme des anderswo ausgestorbenen oder auf einzelne Individuen reduzierten Huchen und man nehme an, dass das auf den hohen Sauerstoffgehalt der Una zurückzuführen sei, der durch die vielen Wasserfälle im Oberlauf entstehe.
Die Schönheit der Una und die Dringlichkeit hat auch viele ehemalige Bewohner der Quellregion alarmiert. Viele in den Kriegsjahren und danach Ausgewanderte, die gerne ihre Urlaube in der alten Heimat an der Una verbringen, haben sich den Protesten angeschlossen. Man konnte Autos mit Kennzeichen aus Deutschland und anderen Ländern sehen, erzählen die Aktivisten. Auch Musiker wie der aus Zagreb stammende und in Frankreich lebende Darko Rundek oder das Trio Mile Kekin kamen und spielten zur Unterstützung des Protestes auf. Für morgen Dienstag hatte sich der kroatisch-slowenisch-nordmazedonische Schauspieler und Hollywood-Star Rade Šerbedžija angekündigt.
Weiterbau verboten
Heute (19.8.2024) Nachmittag wurde dann bekannt, dass die staatliche Naturschutzinspektion ein Verwaltungsverfahren gegen den Investor des Wasserkraftwerks an der Una eingeleitet und ihm untersagt hat, Handlungen und Arbeiten zu seinem Bau durchzuführen, wie Lejla Kusturica, Direktorin der Organisation „Fondacija Atelje za društvene promjene – ACT“ (Stiftung Atelier für den sozialen Wandel) in einem kurzen Video mit Freudentränen in den Augen verkündete.