Hochwasserschutz: „Man kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass Deiche es schon richten werden“
Der Landschaftsplaner Christian Albert von der Universität Hannover hält es für nötig, in ganz Deutschland „Schwammlandschaften“ entstehen zu lassen, die viel mehr Wasser speichern können als heute
Im Winter standen weite Teile Norddeutschlands unter Wasser, nun im Sommer weite Teile Süddeutschlands. Was folgt daraus? Christian Albert ist Professor für Landschaftsplanung und Ökosystemleistungen an der Leibniz-Universität Hannover.
Das Hochwasser in Süddeutschland ist seit einer Weile abgeklungen. Was sagt Ihnen Ihre Erfahrung, was jetzt passiert?
Albert: In den letzten Jahren und Jahrzehnten war es fast immer dasselbe. In der akuten dramatischen Situation herrscht großes Bewusstsein, wie wichtig Hochwasserschutz ist und was jetzt passieren müsste. Und dann folgt die starke Tendenz, alles sehr schnell wieder zu vergessen. Zu was das führt, zeigt das Ahrtal, wo man beim Wiederaufbau dieselben Fehler wiederholt hat.
Lernen wir aus Hochwassern gar nichts?
Das stimmt nicht ganz. Abläufe für die akute Situation wie Meldeketten und die schnelle Information der Bevölkerung etwa mit Cell Broadcast sind besser geworden. Aber eigentlich müssen wir uns wie jetzt nach einem Hochwasser mit den tieferen Ursachen beschäftigen und wirklich flächendeckend beginnen, diese in der Landschaft zu beseitigen. Dabei braucht es auch Lösungen für Flächen im Privateigentum, bei denen der Staat nur geringe Möglichkeiten hat, Einfluss zu nehmen.
Da geht es um Bauflächen und Landwirtschaft, also um handfeste Interessen. Wird die Debatte um die tieferen Ursachen deshalb verdrängt?
Es ist auf jeden Fall so, dass der Übergang zu Landschaften mit geringerem Hochwasserrisiko in Interessen zahlreicher Akteure eingreift, vor allem der Kommunen, der Bauherren und der Landwirte. Das erzeugt automatisch Konflikte. Und wenn man denen aus dem Weg gehen und aktuelle Praktiken weiterlaufen lassen will, dann verdrängt man den Hochwasserschutz eben wieder. Das ist meiner Ansicht nach aber keine gute Strategie.
Was wäre stattdessen nötig?
Eine langfristige strategische Planung, der Ausgleich von Interessen, die Kompensation derer, bei denen der Hochwasserschutz heutige Einkommensformen vermindert, Überzeugungsarbeit – und Geld.
Der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk hat als Schuldige für Hochwasser Flussrenaturierungen, den Biber und Totholz in Schutzgebieten ausgemacht. Was sagen Sie dazu?
Mir liegen keinerlei wissenschaftliche Belege vor, dass diese Maßnahmen ursächlich wären. Ganz im Gegenteil helfen Naturschutzmaßnahmen, das Vorkommen von Bibern in kleineren Bächen und Flussrenaturierungen im Allgemeinen sehr gut dabei, Wasser in der Landschaft zurückzuhalten, also zu verhindern, dass es schnell talwärts fließt und Ortschaften überschwemmt.
Welche Rolle spielt Ihr Fach, die Landschaftsplanung, in der Debatte?
Laut Bundesnaturschutzgesetz ist die Landschaftsplanung dafür zuständig, die Ziele des Naturschutzes räumlich und konkret umzusetzen. Zu diesen Zielen gehört es, dass der Naturhaushalt leistungs- und funktionsfähig bleibt. Das beinhaltet auch naturnahen Hochwasserschutz, Grundwasserschutz und einen ausgeglichenen Landschaftswasserhaushalt zu erreichen.
Sie sind wissenschaftlich in zwei großen Projekten namens SpongeScape und SpongeWorks aktiv. Warum ist der Begriff „Schwamm“ so wichtig?
Wir untersuchen, wie Landschaften so entwickelt werden können, dass sie in der Art eines Schwamms überschüssiges Wasser aufnehmen und bei Trockenheit wieder abgeben. Die Aufnahme von Wasser in den Boden, Oberflächengewässer und das Grundwasser ist etwa bei anhaltendem Regen und bei Starkregen wichtig. Wenn die Landschaft das Wasser wie ein Schwamm aufnehmen kann, rauscht nicht alles auf einmal das Tal hinab. Und eine bessere Schwammfähigkeit kann auch in Dürreperioden helfen, wenn eingespeichertes Wasser den Mangel zumindest lindert.
Von Schwammstadt ist in der Öffentlichkeit immer wieder die Rede – und das in Groß?
Städte so zu verändern, dass Regenwasser im Untergrund versickert und nicht in Kellern oder im nächsten Fluss landet, ist wichtig. Aber das reicht angesichts der Extreme, die durch den Klimawandel auf uns zukommen, nicht aus. Wir brauchen auch Schwammlandschaften, denn Landschaften mit ihren großen Flächen sind der größere Hebel, Wasser zurückzuhalten. In den beiden Forschungsprojekten arbeiten wir mit mehr als 20 Instituten in der ganzen EU daran zu verstehen, wie Landschaften besser als Schwamm funktionieren können, welche Wirkungen Schwammlandschaften entfalten und was an praktischen Veränderungen nötig ist, um sie zu realisieren.
Das heißt, Sie messen in den Projekten, wie gut Landschaften Wasser zurückhalten können?
Das ist ein Teil der Forschung. Zusätzlich haben wir bei SpongeWorks gerade von der EU 15 Millionen Euro dafür bekommen, Veränderungen in der Landschaft auch praktisch auszuprobieren und die Wirkungen zu erforschen. In Demonstrationsvorhaben in Griechenland, Frankreich und an der Vechte im deutsch-niederländischen Grenzgebiet werden wir neue, wasserspeichernde landwirtschaftliche Nutzungen erproben, Flächen vernässen und Gewässer renaturieren - und dabei untersuchen, wie wir die Wasserrückhaltung nicht nur an bestimmten Standorten, sondern in der gesamten Landschaft verbessern können.
Schlagen Landwirte die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie hören, woran Sie arbeiten?
Die Reaktionen sind unterschiedlich. Über Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte drehte sich alles darum, jeden Tropfen, der vom Himmel fällt, so schnell wie möglich aus den landwirtschaftlichen Flächen abzuleiten, in einen Graben, Bach oder Fluss zu bekommen und Richtung Nord- oder Ostsee zu schicken. Und das sitzt in den Mentalitäten tief drin. Mit der flächendeckenden Trockenlegung wurden die Produktivität erhöht und die potenziellen Siedlungsflächen vergrößert. Doch dieser Ansatz stößt jetzt erkennbar an seine Grenzen.
Es gibt auch positive Reaktionen?
Das Bewusstsein nimmt zu, dass Veränderungen nötig sind. Viele Landwirte wissen, wie gefährlich Überschwemmungen und Dürren für ihre Wirtschaftsweise schon heute sind, wie der Bedarf nach Beregnung steigt und dass der Klimawandel zu einer Verschärfung der Situation führen kann. Sie suchen ebenso nach Lösungen wie wir, und wir kooperieren, wo immer das möglich ist.
Was sollte sich konkret verändern?
Es geht um viele Stellschrauben. Einige Beispiele: Wenn Boden wieder mehr Humus enthält, kann er mehr Wasser aufnehmen. Die Frage, wie dies in der Landschaft gelingen kann, stellt sich überall. Eine Möglichkeit ist die Mulchsaat, bei der Pflanzenreste auf der Anbaufläche verteilt werden. Neue Ackerrandstreifen und Hecken helfen dabei, dass Wasser nicht einfach hangabwärts abfließt, sondern vor Ort versickert. Denselben Effekt hat es, wenn der Boden parallel zum Hang bearbeitet wird und nicht in Streifen hangabwärts. In Bach- und Flusstälern geht es darum, den Flüssen wieder mehr Raum zum Mäandrieren zu geben und große Auenflächen auszuweisen, die Hochwasser fließen und dort versickern kann. Zudem sind frühere und bestehenden Moore wieder zu vernässen und neue Feuchtgebiete anzulegen
Das birgt sehr viel Konfliktpotenzial, man denke nur an die Bauernproteste mit der Forderung, alle Eingriffe in die Produktion zu unterlassen.
Wasserschonende Wirtschaftsweisen können zumeist gut in bestehende landwirtschaftliche Produktion integriert werden. Davon profitiert auch die Landwirtschaft, wenn Anbauflächen vor den Folgen von Hochwasser und Dürren zu schützen. Man muss ja nur hinschauen, welche Ausfälle Landwirte jetzt im Einzugsgebiet der Donau haben. In anderen Teilen der Landschaft kann es allerdings in der Tat sinnvoll sein, der Speicherung von Wasser Priorität gegenüber intensiver Landwirtschaft einzuräumen.
Wohin schauen Sie als Vorbild?
Ganz klar in die Niederlande. Dort ist man uns im Wassermanagement weit voraus.
Inwiefern?
In Deutschland gibt es im weitverzweigten System von Drainagerohren und Gräben nur eine Fließrichtung, die schnell Richtung Meer führt. In den Niederlanden hat man stattdessen mit sehr kleinräumiges Managementsystem aufgebaut, das es ermöglicht, das Abfließen von Wasser aus der Landschaft zu stoppen, wenn eine Trockenheit oder ein Hochwasser drohen. Mit einem System aus kleinen, steuerbaren Wehren kann man dann zum Beispiel auf einer Fläche zeitweise den Wasserstand senken, sie zum Bewirtschaften befahrbar machen, aber den Rest des Jahres dann wieder unter Wasser setzen. Das erlaubt einfach einen smarten und flexiblen Umgang mit Wasser, der bei uns bisher oft noch nicht möglich ist.
Die meisten Bauernverbände in Deutschland wehren sich aber vehement gegen Flussrenaturierungen und Vorrang für Grünland. Haben solche Vorhaben in größerem Stil überhaupt eine Chance?
Wichtig ist zunächst anzuerkennen, dass es mit punktuellen Veränderungen und Vorzeigeprojekten nicht getan ist. Damit sich etwas am Wasserhaushalt verändert, muss sich etwas in der ganzen Fläche, der ganzen Landschaft verändern. Wer effektiven Hochwasserschutz will, muss in großen Dimensionen planen und handeln.
Aber nochmal, der Widerstand ist groß. Wie geht man damit um?
Wichtig ist es, von Anfang an die Perspektiven der Landwirte und aller anderen Interessensgruppen einzubeziehen und angemessen zu berücksichtigen. Konflikte müssen identifiziert und gemeinsam Lösungen gefunden werden. Dazu gehört, Vor- und Nachteile sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich für die einzelnen Höfe zu analysieren und offen zu diskutieren.
Das klingt ja sehr harmonisch, aber wie lassen sich reale Konflikte lösen?
Im Dialog gilt es zu klären, wie sich ein Ausgleich herstellen lässt. Deutschland hat bereits Erfahrung mit dem Instrument der Flurbereinigung. Das wurde früher für die Produktivität eingesetzt, jetzt könnte man es nutzen, um Flächen für den Hochwasserschutz zu rekrutieren, aber den Landwirten passende andere Flächen zur Verfügung zu stellen. Für Betriebe, deren Flächen zum Beispiel einer Flussrenaturierung dienen sollen, braucht es natürlich Ausgleich und Kompensationen. Dafür könnten zum Beispiel Möglichkeiten des gerade beschlossenen EU-Renaturierungsgesetzes genutzt und die Förderung über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU entsprechend ausgebaut werden.
Landwirte betonen sehr stark, dass sie nicht Geld für Nichtstun bekommen, sondern ihre Flächen bewirtschaften wollen.
Das verstehe ich. Landwirte sind bei allem, was wir in unseren Forschungs- und Modellvorhaben machen und vorschlagen, Partner und keine Gegner. Es geht bei einem besseren Wassermanagement auch nicht um reine Stilllegung, sondern um eine gesunde Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Nutzung. Wir sollten auch darüber sprechen, was landwirtschaftliche Produktion im 21. Jahrhundert eigentlich heißt. In und mit der Landschaft wirtschaften, bedeutet nicht nur Feldfrüchte produzieren, sondern gleichzeitig auch Artenvielfalt oder eben Wasserspeicherung zu unterstützen.
Was schwebt Ihnen dabei vor?
Landwirte arbeiten mit dem Naturkapital, und das kann man auf sehr unterschiedliche Weisen machen. Man kann sich zum Beispiel anschauen, wie die Stadtwerke Leipzig und Landwirte dabei kooperieren, dass die Landschaft sauberes Trinkwasser hervorbringt. Dasselbe kann man für Wasserspeicherung machen und dies entlohnen. Besseres Wassermanagement kann auch direkt dem Anbau zugutekommen.
Wie?
In der Grafschaft Bentheim experimentieren wir im Rahmen von SpongeWorks damit, wie wir Wasser, das bisher in die Flüsse abgeleitet wurde, künftig zur Bewässerung von Feldern nutzen können. Statt die Beregnung aus dem Grundwasser zu speisen entwickeln wir Verfahren, dafür gespeichertes Wasser aus der Landschaft einzusetzen. Wir kooperieren dabei mit Landwirtinnen und Landwirten, die das sehr spannend finden und hoffen, dass es klappt.
Braucht Deutschland für das neue Wassermanagement dann auch überall kleine Wehre und Regler wie in den Niederlanden?
Wenn man den Wasserfluss präzise steuern will, benötigen wir Infrastrukturen, um den Zufluss und Abfluss kleinräumig zu beeinflussen. Wichtig wird dabei sein, gleichzeitig das wichtige Ziel der ökologischen Durchgängigkeit nicht zu beeinträchtigen, das durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie verfolgt wird.
Im Moment gilt es ja als großes Ziel im Naturschutz, Wehre zu entfernen.
Das kann an den richtigen Stellen auch sehr sinnvoll sein. An anderen Stellen wird man um Möglichkeiten, Wasserflüsse zu steuern, kaum vorbeikommen. Es kann also Konflikte geben zwischen der reinen Lehre der Schwammlandschaft und dem Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie, dass Gewässer durchgängig sein sollen. Es kommt dann darauf an, wie man diese Wehre baut und wie man es so organisiert, dass die Gewässer ökologisch durchgängig bleiben und es uns zugleich erlauben, Wasser besser zu halten.
Der Bedarf an Renaturierung, neuen landwirtschaftlichen Praktiken, Kompensationen und neuer Infrastruktur, den Sie beschreiben, klingt sehr teuer.
Ja, das geht in die Milliarden. Aber wir sehen ja gerade im Donaugebiet, welche Schäden uns drohen, wenn weiter so viel falsch läuft. Je früher man da umsteuert und investiert, desto günstiger wird es auf lange Sicht betrachtet. Und nochmal, Einzelmaßnahmen reichen nicht. Es geht, wenn wir tatsächlich den Landschaftswasserhaushalt beeinflussen wollen, um die Fläche, um einen wirklich großen Maßstab.
Neben problematischen landwirtschaftlichen Praktiken gilt die Versiegelung von Flächen als eine Hauptursache höherer Hochwasserrisiken. Was muss auf diesem Gebiet geschehen?
In Städten ist die Flächenversiegelung tatsächlich ein wichtiger Faktor. Hier sollte versucht werden, weitere Flächenversiegelungen zu minimieren und Niederschlagswasser so nah wie möglich zu speichern und zu versickern – zum Beispiel durch Gründächer und Versickerungsflächen entlang von Straßen und Plätzen.
Was würden Sie einem Bürgermeister raten, der neue Wohngebiete braucht?
Meine Empfehlung wäre, Überschwemmungsflächen zu meiden und über andere Lösungen nachzudenken, zum Beispiel die Nutzung von Industriebrachen. Man kann sich auf jeden Fall nicht mehr darauf verlassen, dass Deiche es schon richten werden. Was bisher als 100-jähriges Hochwasser galt, kann zukünftig deutlich häufiger auftreten. Angesichts dieser Entwicklung sollten Risikobereiche daher soweit es geht vermieden und der Weg hin zu Schwammlandschaften gegangen werden.