„Natur passt sich durch Sterben an“

Lutz Fähser vermisst in der Forstwirtschaft den Blick für die natürlichen Prozesse im Wald

von Jens Eber
20 Minuten
Fichtenstämme auf einem Stapel im Wald.

Dr. Lutz Fähser ist kein Mainstream-Förster, aber auch kein Träumer. Er lehnt viele althergebrachte Regeln der Forstwirtschaft ab – und war damit wirtschaftlich erfolgreich. Der 75-Jährige ist zwar längst im Ruhestand, seine Leidenschaft für den Wald hat aber nicht nachgelassen, wie sich im Gespräch mit WaldReporter erweist. 

Herr Fähser, der Wald erfährt seit einiger Zeit große Aufmerksamkeit. Führen Sie das auf den Erfolg von Peter Wohlleben zurück oder auf die Auswirkungen des Klimawandels?

Ich glaube, das sind unterschiedliche Ebenen. Peter Wohlleben hat ganz unabhängig vom Klimawandel eine Empathie für Wald erzeugt. Er wird ja oft dafür kritisiert, dass er aus menschlicher Sphäre beschreibe, was im Baum oder im Wald geschieht. Dann sagt er: „Ich habe ja nur die menschliche Sprache, ich kann nicht bäumisch.“ Das finde ich sehr zutreffend.

Warum?

Wohlleben lehrt den Menschen, die jetzt durch den Wald gehen, zu sehen und zu fühlen, eine Sympathie für den Wald als Teil der menschlichen Gesellschaft. Wir haben früher schon gesagt, ohne Wald könnten wir nicht leben, aber durch Wohlleben sind die Wälder nicht mehr nur die Basis unseres Lebens, sondern Mitwelt, gleichberechtigt mit uns. Das ist ein Riesenschub. Parallel dazu kommt durch den heißen Sommer 2018 und seine Auswirkungen 2019 ein Schreck hinzu, eine Angstebene davor, dass uns etwas verloren geht. Und wenn sich das mit Empathie kombiniert, dann ist das ein doppelter Effekt. Und beides ist wichtig.

Müsste die Forstwirtschaft in Deutschland angesichts dieser Gefühlslage umdenken?

Das wäre eine sehr logische Schlussfolgerung. Aber wir haben im Moment den gegenteiligen Effekt. Ich bin ganz anderer Ansicht als der Mainstream in der Forstwirtschaft und Forstpolitik. Dieser lässt sich nicht ein auf die tatsächliche Situation und die ökologischen Gefährdungen. Er betrachtet Wald immer noch als ein Wirtschaftsobjekt, das eine bestimmte Struktur haben soll, die man „machen“ und die man verändern kann. Die Forstverwaltungen und auch die Forstwissenschaft benutzen diese Situation im Moment sehr geschickt, um mehr Geld und mehr Personal zu bekommen. Sie argumentieren, sie müssten jetzt den Wald „retten“, und Ministerin Klöckner stellt Hunderte Millionen Euro zur Verfügung. Sie handeln aber mit den völlig falschen Mitteln, nämlich mit einer reinen Effizienzstrategie.

Was meinen Sie damit?

Effizienzsteigerung bedeutet, die bisherigen mechanischen, chemischen, motorbetriebenen Mittel in diesem Naturraum, der davon nicht viel verträgt, zu intensivieren. Das heißt: größere Maschinen, wirksamere Pestizide, schneller wachsende Baumarten aus anderen Wuchsgebieten. Sie schaffen damit die eigentliche Natur ab, also unsere Waldnatur, die 300 Millionen Jahre genetische Erfahrung transportiert. Die schaffe das nach deren Logik nicht mehr, und deshalb werden jetzt forstindustrielle Systeme daraus gemacht, also Kunstsysteme. Diese „retten“ aber nicht den Wald, sondern sie schaffen einen Kulturforst im landwirtschaftlichen Sinne. Diese Linie ist aus meiner Sicht total inakzeptabel und gefährlich…

Fichtenstamm mit verfaultem Kern.
Fichte mit Rotfäule: wirtschaftlich gesehen fast wertlos, im Ökosystem Wald könnte sie als Wasserspeicher oder Lebensraum für Insekten eine Role spielen.
In Reihen gepflanzte Fichten.
Fichten in strengen Reihen: der einstige "Brotbaum" ist zum Sorgenkind der Forstwirtschaft geworden.
Ein Stapel von Buchenstämmen in Baden-Württemberg.
Im Frühjahr 2020 schlug Corona auch in die Forstwirtschaft durch: weil der Export von Buchenstammholz nach China stockte, wurde, wie hier in Baden-Württemberg, bereits eingeschlagenes Holz in Zwischenlagern gestapelt und künstlich beregnet, um es frisch zu halten.
Fahrspuren durch Holztransport.
Weil es im Winter kaum noch Frost gibt, entstehen beim Holztransport aus dem Wald tiefe Fahrspuren.