Journalismus in der Klimakrise – Einmischen, aber richtig

Fakten allein wirken nicht, Emotionen sind unvermeidbar, Neutralität muss neu definiert werden – Was die Medien über Klimakommunikation lernen sollten

18 Minuten
Ein Journalist hält einem Politiker ein großes Mikrophon vor das Gesicht, dieser beantwortet die Frage des Pressemanns mit großer Geste und weitausgebreiteten Armen. Das Foto ist als Comic verfremdet und in einen Sepiaton getaucht.

Über das Klima zu kommunizieren, kann schwierig und frustrierend sein. Gerade Journalist:innen müssen dabei einige Regeln neu lernen. Zum Beispiel sollten sie überdenken, was sie mit angeblich nackten Fakten und gedankenloser Neutralität anrichten. Eine persönliche Analyse zum Erscheinen von „Über Klima sprechen. Das Handbuch“ als Druckausgabe

Was soll das eigentlich sein – Klimakommunikation? Und wieso beschäftige ich mich als Klimajournalist seit fast zwei Jahren mit wenig anderem? Wer das für sinnlose oder banale Fragen hält, sollte wissen: Das Wort „Kommunikation“ hat für uns Journalist:innen eine schillernde Doppeldeutigkeit.

Zum einen ist es natürlich unser Handwerk zu kommunizieren: Presse, Rundfunk und Internetdienste leben davon und dafür, Botschaften und Inhalte an ein Publikum zu übermitteln, das davon einen Nutzen hat und im Gegenzug auf die eine oder andere Weise die Gehälter und Produktionskosten bezahlt.

Zum anderen klingt es oft etwas abschätzig, sobald Medienleute über Kommunikation sprechen, besonders wenn sie das vom Journalismus abgrenzen. Kommunikations-Agenturen machen nämlich in der Regel Werbung oder „Öffentlichkeitsarbeit“. Unternehmens- oder Wissenschafts-Kommunikation verfolgt unvermeidbar die Interessen der Institution, für die sie spricht. Diese Interessen mögen weiter gefasst sein als ein höherer Umsatz oder Gewinn – aber sie bleiben Interessen einer nicht-journalistischen Organisation. Das ist natürlich legitim, nur unterliegt es eben einer anderen Logik und nicht dem Ethos der Unvoreingenommenheit, den wir Journalist:innen für uns reklamieren.

Dennoch bin ich überzeugt, dass auch Klimajournalist:innen etwas von den Erkenntnissen einer Klimakommunikation auf bestem wissenschaftlichen Stand lernen können – ja dringend lernen müssen, wenn sie ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen wollen. Es ist eine Aufgabe, die zum Beispiel die kürzlich veröffentlichte „Klimacharta“ des Netzwerks Klimajournalismus so skizziert: „Klimajournalismus trägt durch Aufklärung zu einem klaren ethischen und ökologischen Ziel bei: dem Erhalt der Lebensgrundlagen für alle Lebewesen auf diesem Planeten.“ Und es ist eine Aufgabe, der die Medien einem Sammelband der Initiative Klima vor Acht zufolge „seltsam passiv“ begegnen.

Das Handbuch zur Klimakommunikation („Über Klima sprechen“), das ich in Zusammenarbeit mit klimafakten.de veröffentlichen konnte, klammert Journalist:innen aus seinen Zielgruppen jedoch eher aus. Wenn Kolleg:innen etwas nützlich darin finden, umso besser. Aber das Buch richtet sich vor allem an Aktivisten und Wissenschaftlerinnen, an Behörden- und Firmenvertreter, an Mitglieder von Initiativen und NGOs, an Menschen aus Politik, Wirtschaft und alle anderen, die über das Klima sprechen wollen. Sie eint, dass sie ein Ziel haben, dass sie etwas erreichen und andere überzeugen wollen, um die größte aktuelle Bedrohung der Menschheit abwenden, die Klimakrise. Sie möchten, um eine Formulierung aus einem frühen Exposé des Klima vor Acht-Buch zu zitieren, „nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“ sein.

Was „objektive Berichterstattung“ in der Klimakrise bedeuten könnte

Für viele Journalist:innen jedoch gehört es gerade nicht zur Jobbeschreibung, ein Ziel jenseits ihrer Berichterstattung zu haben oder „Teil“ von irgendwas zu sein, nicht einmal von „der Lösung“. Sie wollen nicht in den Verdacht geraten, sich „mit irgendeiner Sache gemein zu machen“ – um ein oft missverstandenes Motto des Grandseigneur der ARD-Tagesthemen, Hanns-Joachim Friedrich zu zitieren. Ihr Selbstverständnis verlangt meist „objektive“ Berichterstattung und größtmögliche „Neutralität“ (die auch im Publikum viele Menschen erwarten). „Aktivistisch“ zu sein, ist da eine schwerwiegende Kritik.

Und mit genau diesem Vorwurf haben manche (oft konservative) Medien versucht, den langsamen Aufbruch der eigenen Branche zu einem besseren Klimajournalismus in Misskredit zu bringen. Zum Beispiel die Neue Zürcher Zeitung (NZZ): Sich im Kampf gegen den Klimawandel stärker zu engagieren, hieß es dort Ende 2020 in einem Kommentar, stelle einen Mangel an Distanz dar und untergrabe die journalistische Glaubwürdigkeit. Um es vorweg zu nehmen: Ich halte das für Unsinn. Wir müssen uns beteiligen, uns einmischen, weil wir nur so die journalistische Glaubwürdigkeit retten können. Ein Jahr später startete dann dieselbe Zeitung übrigens ihren kostenpflichtigen Klima-Newsletter Planet A.

Die Diskussion, die über die Vorwürfe zum Beispiel der NZZ entbrannte, war trotzdem nicht fruchtlos, sie hat das Konzept der journalistischen Objektivität präzisiert. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen sprach im Deutschlandfunk von einer „kämpferischen, engagierten Objektivität“, die ein „dümmliches Neutralitätsideal“ verdrängen müsse. Journalist:innen könnten „Nachhaltigkeit als Nachrichtenfaktor“ begreifen, so wie es bisher Aktualität und Originalität sind. Sein Kollege Jay Rosen von der New York University mahnte vor Jahren in einem Offenen Brief „ein gutes politisches Urteil“ an, das sich Medienvertreter:innen auch und gerade dann bewahren sollten, wenn sie journalistisches und politisches Handeln trennen.

Längst hat auch der zunehmend populäre, sogenannte konstruktive Journalismus den Ruch abgeschüttelt, dass die in jedem Beitrag präsentierten Lösungen des jeweils beschriebenen Problems dem Ganzen einen aktivistischen oder werblichen Charakter gäben. In dem erwähnten Klima vor Acht-Sammelband beschreibt Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Mitgründerin von Perspective Daily, das Konzept speziell mit Blick auf die Klimakrise als „Weg aus der Misere“. Statt wie der klassische Journalismus in die Vergangenheit zu blicken, um Ursachen und Verantwortung festzumachen, oder in die Gegenwart, um Folgen zu beschreiben, interessiere sich der Konstruktive Journalismus explizit für die Zukunft und damit für Auswege, so Urner: „Er fragt sowohl übergeordnet als auch ganz konkret stets, Was jetzt?'.“

Die Linien dieser Diskussion hier im Detail nachzuzeichnen, führt zu weit. Worauf es aber ankommt: Nicht einmal der so geschärfte, um neue Aspekte erweiterte Begriff von Objektivität zwingt Journalist:innen dazu, „Teil der Lösung“ sein zu sollen. Sie können es, aber sie müssen es nicht. Der oben zitierte Satz aus dem Exposé hatte jedoch noch einen ersten Teil: nicht mehr „Teil des Problems“ zu sein. Und das ist sogar mit den engsten, traditionellsten Vorstellungen von journalistischem Ethos zu vereinbaren. Es ist nicht nur kein Hindernis, sondern sogar die Basis für verantwortungsvolle journalistische Arbeit.

Blick in den Pressesaal beim Klimagipfel 2009 in Kopenhagen. An vielen runden Tischen sitzen, arbeiten und diskutieren Journalist:innen. Das Bild ist als Comic verfremdet und in Sepia getaucht.
Klimakonferenzen wie der Gipfel 2009 in Kopenhagen waren lange Schwerpunkte der journalistischen Berichterstattung – und oft genug sogar die einzigen Anlässe für Artikel oder Beiträge. Warum das Leserinnen oder Zuhörer motivieren sollte, auf die Klimakrise im eigenen Leben zu reagieren, blieb dabei fast immer im Dunkeln.

Nicht mehr „Teil des Problems“ zu sein, ist eine neue journalistische Tugend

Was „Teil des Problems“ zu sein in Bezug auf die Kommunikation rund um den Klimawandel bedeutet (und wie man sich davon befreit) – das haben Kommunikationsforschung und Psychologie in vielen Einzelheiten herausgearbeitet. Das „Handbuch Klimakommunikation“ hat sie zusammengefasst und für die Praxis aufgearbeitet. Auch wir Journalist:innen können ihm deshalb Hinweise entnehmen, was wir in Zukunft vermeiden sollten – und Tipps, was wir stattdessen tun können.

Fangen wir an mit den Praktiken des real existierenden Journalismus, die wir abstellen sollten, weil sie zu erkennbar unerwünschten Resultaten führen. Das erste Beispiel ist die sogenannte False Balance, die zum Beispiel der Hamburger Kommunikationsforscher Michael Brüggemann erkundet hat. Sie ist oft eine Folge einer Regel, die im Politikjournalismus verbreitet ist: zu jeder Aussage auch eine Gegenstimme einzuholen. Berichtet man über politischen Kontroversen, ist dies sinnvoll und notwendig – aber in der Berichterstattung über den Klimawandel als wissenschaftliches Phänomen wird diese Regel nicht nur sinnlos, sondern schädlich: Zu einer wissenschaftlich gesicherten Aussage, etwa über die Ursachen des Klimawandels, gibt es keine ebenso fundierte Gegenmeinung. Andes als in der Politik oder bei weltanschaulichen Fragen gibt es bei wissenschaftlichen Kontroversen sehr oft ein objektives „richtig“ oder „falsch“. Oder zumindest ein „statistisch gesichert“ oder „sehr unwahrscheinlich“. Hier liegt auch der Grund, warum Pörksen von einem „dümmlichen Neutralitätsideal“ sprach.

Die schädliche, vermeintliche Objektivität der False Balance haben immer wieder Interessenvertreter der fossilen Wirtschaft oder marktradikaler politischer Kreise ausgenutzt. Ihr Ziel war es, Zweifel am Forschungsstand zur Erderhitzung zu säen, um politische Gegenmaßnahmen zu verzögern und weiterhin ungestört ihren klimaschädlichen Geschäften nachzugehen. (Das Standardwerk zu dieser Strategie stammt von Naomi Oreskes und Eric Conway: The Merchants of Doubt oder auf Deutsch: Die Machiavellis der Wissenschaft. Sie erklären darin auch, dass die ideologische Basis der Strategie ein Delegitimieren jeglichen staatlichen Eingriffs in die Wirtschaft war.) Eine False Balance und das ideologisch motivierte Streuen wissenschaftlicher Zweifel sollten wir Journalist:innen keinesfalls dulden. Wir werden sonst unserer Verantwortung nicht gerecht, sorgfältig zu recherchieren und ein möglichst adäquates Bild der Realität zu zeichnen. Zum Glück haben das schon viele Kolleg:innen erkannt. Aber in mancher Talkshow-Redaktion leben die alten Reflexe noch fort.

Interessanterweise dürfte die Tradition des Einholens einer anderen Meinung im Klimajournalismus in Zukunft dennoch eine wichtige Rolle spielen – jedoch nicht beim Berichten über Klimaforschung, sondern über Klimapolitik. Wenn nämlich in Politik und Gesellschaft endlich über das „Wie“ von wirksamem Klimaschutz gestritten wird, nicht mehr über das „Ob“, dann spielen politische Positionen auf allen Seiten eine wichtige Rolle. Dann hat jede Partei und jede gesellschaftliche Strömung etwas zu sagen, dann ist Platz für alle Ideen, und dann haben wir in den Medien die Gelegenheit und sogar die Verpflichtung, alle Interessen und Ziele zu wägen. Das mag anstrengend sein, ist aber notwendig. „Erfolg werden wir daran erkennen“, hat mir George Marshall, Gründer der britischen Organisation Climate Outreach einmal gesagt, „dass über Klimaschutz auf eine Art geredet wird, die uns überhaupt nicht gefällt.“

Dieser Streit über die Ausgestaltung der nötigen Transformation befreit viele Journalist:innen quer durch alle Ressorts aus einer Zwickmühle. Auch sie könnten so in ihrer Arbeit dazu beitragen, dass diese Gesellschaft den Weg aus der Klimakrise findet – und es weiterhin von sich weisen, irgendwie Partei zu ergreifen. Sie müssen dazu wie gehabt die politische und gesellschaftliche Debatte sortieren und die benutzten Argumente einordnen. Dazu sollte eine Orientierung auf die Zukunft sowie stets die Prüfung gehören, ob die jeweils vertretenen Vorschläge wirklich zu dem Niveau an Emissionsminderung führen können, das laut Pariser Abkommen und deutscher Klimagesetze und Gerichtsbeschlüsse notwendig ist. Darauf zu achten, bedeutet keine Parteinahme, ist kein Aktivismus, sondern eine relevante Information für die Leserschaft, die Zuschauer und Zuhörerinnen.

Fakten sind unverzichtbar – bewirken aber alleine nicht viel

„Teil des Problems“ bleiben wir Journalist:innen überdies, solange wir nicht die Rolle und Funktion von Fakten überdenken. Vermutlich folgen viele einer Maxime, der auch ich viele Jahre lang anhing: Wenn wir nur genügend aufklären, wenn wir die relevanten Informationen zum Klima sachlich präsentieren, wenn wir deutlich vor den Folgen des Einfach-so-weiter-Machens warnen, dann zieht das Publikum irgendwann daraus die richtigen Schlüsse – es verhält sich entsprechend, jedenfalls anders als zuvor. Auch bei Wissenschaftlern und Forscherinnen ist diese Denkweise noch weit verbreitet.

Leider stimmen aber die Annahmen über die fehlenden Fakten und die irgendwann richtig gezogenen Schlüssen nicht. Die Psychologie nennt es Informations-Defizit-Hypothese – und hat diese widerlegt. Gut aufbereitete Fakten sind wichtig, vermutlich auch unverzichtbar, aber nicht ausreichend. Es liegt häufig eben nicht an fehlendem Faktenwissen, dass Menschen bestimmte Dinge nicht tun.

Der menschliche Geist kennt sehr viele Kniffe, Information zu sortieren, bevor sie in relevante Überlegungen oder Handlungsabsichten einfließen kann. Dabei wirken kognitive Fehlschlüsse, Gewohnheiten und mentale Schleichwege. Was zum Beispiel an externen Informationen nicht passt, wird im Gehirn passend gemacht – oder gleich ganz ignoriert. Das nennt man Bestätigungsfehler oder Confirmation Bias. Weitere Phänomene sind: Man konzentriert sich auf andere, vermeintlich größere Sorgen; man glaubt, die Gefahr werde an einem selbst vorbeigehen; man orientiert sich an der Mehrheit oder den Einstellungen der eigenen sozialen Gruppe.

Viele Menschen sind überdies von vermeintlich eindeutigen und einfachen, oft aber falschen Aussagen beeindruckt und halten differenziertes Abwägen oder das Einräumen punktueller Wissenslücken für ein Zeichen, dass die damit verbundene Position unglaubwürdig sei oder weniger fundiert. Das bedeutet, wissenschaftlich-redliches Argumentieren kann gegenüber rücksichtsloser Propaganda rhetorisch leicht ins Hintertreffen geraten. Das ist der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt

Solche psychologischen Mechanismen sind übrigens keine Eigenheit charakterloser oder bildungsferner Zeitgenossen. Sie sind Teil der menschlichen Grundausstattung, wir alle machen das ständig so. Wir sind zwar tatsächlich in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen und diese entschlossen umzusetzen. Aber wir tun es nur äußert selten – meist nutzen wir mentale Schleichwege, um unbequeme Wahrheiten (auch über uns selbst) zu ignorieren und uns um ungeliebte Entscheidungen herumzudrücken. Je intelligenter wir sind, desto leichter fällt es uns dabei, eine nachträgliche, scheinbar rationale Begründung für eine Entscheidung zu konstruieren, die wir schon längst mit dem Bauch getroffen haben. Das hat auch Daniel Kahneman in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken eindrucksvoll beschrieben.

Überdies überwältigt die Klimakrise schnell den menschlichen Geist – George Marshalls Buch zum Thema heißt nicht umsonst Don't Even Think About It – Why Our Brains Are Wired To Ignore Climate Change. Der Klimawandel überfordert schnell unsere mentalen Verarbeitungs- und Entscheidungskapazitäten: Er ist nämlich ein

  • umfassendes Problem, das
  • unübersehbare Folgen für unsere
  • gesamte Lebensweise hat, und er ist so
  • langfristig, dass wir von den eigenen Handlungen im Klimaschutz selbst eher wenig profitieren werden.

Schon die Definition, wo das Problem (und die Lösung) im Kern liegen, ist umstritten. Da reden die einen von Treibhausgasen, und die anderen hören Komfort und Wohlstand. Die einen sagen: „sofortige Reaktion“, die anderen denken, da wird schon bald jemand was Passendes erfinden. Die einen beschwören das gemeinsame, entschlossene Handeln, die anderen blicken sich um und sagen sich: Es macht ja niemand was – warum soll ich allein anfangen? Die wissenschaftlichen und die sozialen Aspekte der Debatte kreuzen einander in bizarren Winkeln.

Natürlich weiß die Mehrheit, dass sich vieles ändern muss

In dieser Situation wirkt sich die verbreitete kognitive Dissonanz besonders fatal aus. So nennt es die Psychologie, wenn Wissen und Einstellungen von Menschen nicht so recht zum Verhalten passen. Rational betrachtet ist klar, wie wir aus dem Dilemma am besten herauskommen: anders handeln. Aber meist begnügen wir uns damit, anders zu denken, und die Einstellung langsam, aber effektiv an unsere Trägheit anzupassen. Wir verbrämen das gern mit Vokabeln wie Erwachsen-werden, Pragmatismus oder Sachzwang.

Konkret im Zusammenhang mit der Klimakrise bedeutet das: Natürlich weiß die überwiegende Mehrzahl der Bürger:innen Deutschlands, dass sich vieles ändern muss. Drei Viertel der Befragten stimmten daher zum Beispiel bei der Umweltbewusstsein-Studie 2018 des Umweltbundesamtes entweder „voll und ganz“ oder „eher“ der folgenden Aussage zu: „Zugunsten der Umwelt sollten wir alle bereit sein, unseren derzeitigen Lebensstandard einzuschränken.“ Und Viele haben vielleicht sogar immer wieder ein schlechtes Gewissen, weil sie es doch nicht tun. Sie finden dann aber schnell vermeintlich triftige Gründe, warum es schon okay ist, warum sie nichts ändern können und so weiter.

Unterlaufen kann man diesen Mechanismus als Journalist:in übrigens, indem man den Fokus auf konkrete, möglichst einfache Lösungsansätze lenkt. Das erleichtert es dem Publikum, die kognitive Dissonanz aufzulösen – und zwar so, dass es das passende Verhalten zur bereits erreichten Einstellung findet.

In diesem Umfeld sind Fakten und vor allem Handlungswissen unverzichtbar, um das noch einmal zu betonen. Und wir müssen professionell mit ihnen umgehen, dürfen sie bei Recherche und Präsentation auf keinen Fall einem Zweck unterordnen. Aber wir sollten als Journalist:innen den Fakten angesichts der kognitiven Abwehrmechanismen den Weg ebnen, den sie nicht von selbst finden. Wenn wir uns hingegen weiter darauf konzentrieren, nüchtern und sachlich lediglich Informationen aus der Klimaforschung zu präsentieren, ohne uns genau zu überlegen, wie wir sie einbetten und befördern, dann bleiben wir „Teil des Problems“.

Lösungsansätze zu präsentieren ist ein zentraler Ansatz im Klimajournalismus

Wie erweitern wir Journalist:innen unser Handwerkszeug? Beginnen wir mit eher einfachen Veränderungen: Wir sind ja daran gewöhnt, Inhalte so aufzubereiten, dass das Publikum Interesse am Beitrag hat und den Inhalt so versteht, wie wir es geplant haben. Das journalistische Ideal dahinter lautet, Menschen in die Lage zu versetzen, ihre eigene Entscheidung zum Thema zu treffen. „Als Journalisten haben Sie nicht die Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen“, formulierte es der US-Fachmann Jay Rosen 2018 in seinem Offenen Brief. „Ihre Aufgabe ist es, [die Leute] auf Dinge aufmerksam zu machen, über die sie nachdenken sollten.“

Wir könnten uns darum zum Beispiel entscheiden, nur noch Beiträge zur Klimakrise zu veröffentlichen, die nach dem Vorbild des konstruktiven Journalismus' (auch) eine mögliche Lösung oder Handlungsoption für diesen Aspekt vorstellen. Das ist schließlich etwas, worüber das Publikum nachdenken sollte. Oder stellen wir doch statt der Gefahren besser die Chancen in den Mittelpunkt: Wir haben als Gesellschaft viel zu gewinnen, wenn wir die Klimakrise angehen: bessere Gesundheit, stressfreier Verkehr, mehr Solidarität und Gleichheit.

Zum Ansatz „Aufmerksam-machen“ zählt auch, wie erwähnt, politische Vorschläge, wirtschaftliche Initiativen und gesellschaftliche Pläne routinemäßig auf ihren Beitrag für das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze zu prüfen (wozu sich Deutschland schließlich völkerrechtlich verpflichtet hat). Dafür gibt es längst genügend Organisationen und Forscher:innen, die ihre Expertise gern teilen. Wir sollten zudem immer wieder auf den bemerkenswerten wissenschaftlichen Konsens in Grundfragen der Klimaforschung hinweisen. Und wir können dem Publikum dabei helfen, Falschmeldungen schneller zu erkennen, die ihm in den Sozialen Medien begegnen. Zum Beispiel, indem wir die immer wieder gleichen rhetorischen Tricks entlarven und benennen, die solcher Desinformation zugrundeliegen – in der Kommunikationsforschung wird das inzwischen als eine Art Impfung empfohlen.

All das gehört noch zum Abschnitt dieses Texts, wonach wir als Journalist:innen „nicht mehr Teil des Problems sein wollen“. Aber wir nähern uns dem „Teil der Lösung sein wollen“.

Implizit ging es ja eben im Zusammenhang mit der Informations-Defizit-Hypothese schon darum, dass wir zu Verhaltensänderungen beitragen möchten, ohne sie zu diktieren. Dies können wir auch explizit aussprechen, wenn wir es als generellen Grundsatz und als Ziel unserer Arbeit deklarieren, dass die Menschheit angemessen auf die Klimakrise reagiert und dass dafür eine gesellschaftliche Transformation nötig ist. Der britische Guardian stellt seine ganze Arbeit unter einen solchen climate pledge und nennt die Klimakrise das „definierende Thema unserer Zeit“. Journalismus-Projekte wie Grist.org oder Klima wandeln hier bei riffreporter.de zeigen ebenfalls, dass ein solches Bekenntnis nicht den journalistischen Impuls lahmlegt und nicht zu Gemauschel führt.

Niemand muss den kritischen Geist abschalten, Entwicklungen wider besseres Wissen schönreden, Fakten verschweigen oder das jeweilige Thema auf andere Art unprofessionell behandeln. Keine Journalist:in muss oder soll zur Aktivist:in werden. Wir alle können weiterhin unabhängig von Interessengruppen, NGOs oder Parteien bleiben, und gleichzeitig das große, allgemeine Ziel, die Klimakrise abzuwenden, offen teilen und dazu beitragen wollen, dass es erreicht wird.

Auf dem Cover sieht man verschiedene stilisierte Figuren, die zum Beispiel ein Mikrophon in der Hand halten oder über deren Köpfen Frage- und Ausrufezeichen schweben. Im Hintergrund ist eine große, blass violett gefärbte Sprechblase zu erkennen.
Cover des Buchs „Über Klima sprechen. Das Handbuch“, auf das sich dieser Beitrag stützt. Es erscheint am 7. Juli 2022 als Druckausgabe; die pdf-Fassungen des gesamten Buchs und der einzelnen Kapitel bleiben kostenlos.

Ratschläge aus dem Handbuch Klimakommunikation

Als Reiseführer auf diesem Weg in eine neue Form der Kommunikation könnte das „Handbuch Klimakommunikation“ dienen. Es wird herausgegeben von klimafakten.de, einem stiftungsfinanzierten Portal, das dazu beitragen möchte, dass auf Wissen Handeln folgt. Manche der Ratschläge in dem Handbuch lassen sich ohne große Abstriche in den journalistischen Alltag einbauen. Andere erfordern von der Einen oder dem Anderen vielleicht mehr Überwindung, sind aber nicht weniger wichtig. Hier eine Auswahl (in deren Verlauf vermutlich für viele Journalist:innen irgendwann der Punkt kommt, wo der Tipp nicht mehr mit dem beruflichen Selbstverständnis zu vereinbaren ist):

Es steht Jeder und Jedem frei, die Erkenntnisse zur Klimakommunikation als Baukasten zu verstehen, und sich daraus die Elemente und Ratschläge herauszupicken, die in die eigene Arbeit – und das eigene ethische Gerüst – passen. Doch wenn wir als Journalist:innen tatsächlich einen Beitrag dazu leisten wollen, die Klimakrise abzuwenden, dann muss sich nicht nur der Umfang der Berichterstattung ändern, sondern auch deren Art. Nackte Fakten wehen am Publikum vorbei. Und vermeintliche Objektivität kann auf Parteinahme für die Falschen hinauslaufen. Wie sagte doch der vor kurzem verstorbene südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu? „Wenn Du in einer ungerechten Situation neutral bist, hast Du die Seite des Unterdrückers gewählt.“

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