Anpassung an den Klimawandel ist dringender denn je – so kann sie gelingen

Eine globale Studie zeigt: Die Welt ist nicht auf Kurs, um 2050 klimaneutral zu werden. Es fließt wieder viel Geld in fossile Energien – und die Menschen ändern ihr Konsumverhalten zu wenig. Also müssen Regionen sich schützen.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
6 Minuten
Luftbild von Gebäuden, die von einem Fluss und Hafenanlagen durchzogen sind.

Die Wirtschaft und das Konsumverhalten richten sich nur unwesentlich auf Klimaschutz aus, und fossile Energien erhalten sogar wieder mehr Finanzmittel. Eine vollständige Dekarbonisierung, also globale Klimaneutralität, ist vor allem aus diesen Gründen bis 2050 derzeit nicht plausibel. Damit ist es auch nicht plausibel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen – obwohl das noch immer physikalisch, technisch und wirtschaftlich machbar wäre. So lautet die ernüchternde Kernaussage des Hamburg Climate Futures Outlook 2024, einer Studie des Exzellenzclusters Climate, Climatic Chance, and Society (CLICCS). Die Studie hat zum dritten Mal analysiert, welche gesellschaftlichen Treiber des Klimaschutzes im Plan liegen und global in mehreren Fallstudien die Klimaanpassung untersucht. Drei Fallstudien betreffen Deutschland, konkret Hamburg, Nordfriesland und ländliche Regionen des nordöstlichen Niedersachsens.

Sechs Treiber auf Kurs, aber keiner stark genug

Zehn sozioökonomische Faktoren bezeichnet die Studie als maßgeblich für Erfolg und Misserfolg des Klimaschutzes. „Zurzeit unterstützt keiner der von uns identifizierten Schlüsselfaktoren (…) die vollständige Dekarbonisierung bis 2050“, schreiben die 73 Autor:innen der Studie. Immerhin unterstützen sechs dieser Schlüsselfaktoren die Dekarbonisierung zumindest grundsätzlich, wenngleich nicht stark genug. Namentlich sind dies die Klimapolitik der Vereinten Nationen, die transnationale Zusammenarbeit, die klimabezogenen Gesetzgebungen, die Klimaproteste und sozialen Bewegungen, Klimaklagen sowie die Wissensproduktion.

Die Studie listet einige Beispiele für diese positiven Treiber. So haben die Vereinten Nationen etwa Netto-Null-Standards für Unternehmen, Investoren und die Zivilgesellschaft etabliert. Die Marrakesh Partnership und die SURGe-Initiative haben transnational sektorale Dekarbonisierungspfade entwickelt. Die EU hat im Fit-for-55-Paket das Emissionshandelssystem überarbeitet und einen Mechanismus für den Kohlenstoff-Grenzausgleich (CBAM) integriert. CBAM sorgt dafür, dass die CO₂-Emissionen bestimmter energieintensiver Import-Produkte einen Preis bekommen. In Deutschland hat die erfolgreiche Klage gegen das deutsche Klimaschutzgesetz den Druck erhöht, strengere Maßnahmen umzusetzen. Und für das nötige Fachwissen sorgte der Synthesebericht des Weltklimarats zum sechsten Sachstandsbericht.

Kritik an der Rolle mancher Medien

Von einem mehrere Jahre unterstützenden Treiber zu einem Hemmnis für den Klimaschutz hat sich das Divestment entwickelt: Statt abgezogen zu werden, fließen wieder mehr Gelder in die fossilen Industrien. Unverändert dem Klimaschutz im Weg stehen viele Unternehmensstrategien und das Konsumverhalten.

Differenzierte Kritik äußert die Studie an der Rolle der Medien, die der zehnte analysierte Treiber sind: Einerseits gebe es einen Trend hin zu einem transformativen Journalismus, der sich intensiv mit dem Klimawandel und den nötigen gesellschaftlichen Veränderungen auseinandersetzt. Auch Kinofilme wie Don’t Look Up wirkten auf das öffentliche Bewusstsein. Andererseits nutzen politische und mediale Akteure vor allem am rechten Rand disruptive Klimaproteste wie jene der Letzten Generation, um die Klimabewegung zu delegitimieren oder verbreiten Desinformationen.

Mit Anpassung kaufen wir uns Zeit. Mit nachhaltiger Anpassung kaufen wir uns Zukunft.

Beate Ratter, Universität Hamburg

Ausbau der fossilen Energien lebt wieder auf

In allen zehn Bereichen gebe es mehr Aktivität als früher, berichtete die Studienautorin und Soziologin Anita Engels von der Universität Hamburg bei der Vorstellung der Studie. „Aber trotzdem sind wir weiter vom Ziel weggerückt, weil dieses erhöhte Niveau noch nicht zu einem qualitativen Sprung geführt hat.“ Zudem würden zwar die Erneuerbaren Energien in hohem Tempo ausgebaut, doch auch der Ausbau der fossilen Energien lebe wieder auf.

Weltkarte, auf der die neun Standorte der Fallstudien eingezeichnet sind sowie in Form von Piktogrammen die jeweils größten dortigen Bedrohungen durch den Klimawandel.
In neun Fallstudien hat der Exzellenzcluster CLICCS untersucht, wie Küstenregionen, ländliche Regionen und Großstädte an den Klimawandel angepasst sind – und was davon erfolgreich nachhaltig ist.

Mit Blick auf die Klimaanpassung mahnt die Studie dazu, die internen Schwankungen des Klimas – also eher spontane und zufällig Extreme – konsequent zu berücksichtigen, und auch, dass Klimamodelle diese Extreme nur mit Unsicherheiten vorhersagen können. „Umfassendes Wissen beeinflusst, wie effektiv und nachhaltig – in Bezug auf Zeitplanung, Konzept und Kosten – Strategien zur Anpassung an extreme Ereignisse und Katastrophen entwickelt werden können“, schreiben die Autor:innen. Anders gesagt: Was nützt ein neuer Deich, dessen Höhe die künftig zu erwartenden Extremhochwasser unterschätzt?

Es kann sein, dass man sagen muss: Damit kommen wir nicht mehr zurecht.

Jochen Marotzke, Max-Planck-Institut für Meteorologie

„Manche Extremereignisse hat es immer schon gegeben, Starkregen etwa, und man hätte sich schon immer dafür wappnen sollen“, sagt Studienautor und Klimatologe Jochen Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. „Aber es ist so, dass die Ereignisse in Intensität und Häufigkeit durch den Klimawandel stärker werden.“ Dadurch verstärke sich die Anforderung an die Anpassung oder es würden sogar die Grenzen der Anpassung erreicht. „Es kann sein, dass man sagen muss: Damit kommen wir nicht mehr zurecht.“

Klimamodelle beginnen, die drohenden Wetterextreme richtig abzubilden

Um das einschätzen zu können, seien gute Klimamodelle wichtig. So hätten die Wettermodelle das Ahrtal-Ereignis zwar vorhergesagt, doch kein Klimamodell konnte das in der tatsächlichen Intensität darstellen. Anders hingegen der Starkregen im Oktober 2020 in Norditalien: Das hätten hochaufgelöste Klimamodelle korrekt dargestellt. „Das ist eine gute Nachricht“, so Marotzke. Zu wissen, was auf uns zu komme, sei ein notwendiger erster Schritt, um uns anzupassen.

Die Forscher:innen betonen außerdem, dass Extremereignissen Ökosysteme und sozioökonomische Systeme beeinflussen. Hitzewellen in Ozeanen zerstören nicht nur dortige Ökosysteme, sondern beeinträchtigen auch die lokale Bevölkerung, etwa weil der Fischfang leidet. Starkregen und Überschwemmungen, wie vor kurzem in Osteuropa, töten Menschen und zerstören teure Infrastrukturen. Treffen Dürren wichtige landwirtschaftliche Regionen, gefährdet das regional und weltweit die Ernährungssicherheit.

Neun Fallstudien, welche Klimaanpassung wirksam und nachhaltig ist

In neun Fallstudien hat das Forschungsteam untersucht, wovon abhängt, ob lokale Klimaanpassungen nachhaltig und plausibel sind. „Klimafreundliche Gesetze, Regeln und Pläne für Anpassungsmaßnahmen reichen nicht aus, solange die beteiligten Menschen vor Ort nicht eingebunden sind und die Maßnahmen auch in die Praxis umgesetzt werden“, lautet eine der Schlussfolgerungen. Konzepte sollten klare Indikatoren und messbare Ziele aufweisen, wissenschaftlich fundiert sein und Klimagerechtigkeit berücksichtigen.

Ehrlich gemeinte Angebote, die Menschen aktivieren und einbeziehen, seien zudem wesentlich, um das gesellschaftliche Engagement zu verstärken und politisch Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. „Praktische Erfahrungen und lokales Wissen im Umgang mit Extremereignissen und Klimarisiken sind wichtige Grundlagen für die Politik, wenn sie Anpassungsmaßnahmen mit nachhaltiger Entwicklung, Gesundheit und Wohlbefinden erfolgreich in Einklang bringen will“, so die Studienautor:innen. Mehr gesellschaftliche Unterstützung und politisches Handeln seien erforderlich, um Strukturen zu verändern.

Wir alle müssen Klimaschutz wollen

„Wir selbst sind es, die den Klimaschutz wollen müssen“, sagt Studienautorin und Geografin Beate Ratter von der Universität Hamburg. Sie betont zudem die Bedeutung einer nachhaltigen Anpassung, die dauerhaft, wirtschaftlich, ökologisch und sozial angepasst ist: „Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Nice-to-have. Mit Anpassung kaufen wir uns Zeit. Mit nachhaltiger Anpassung kaufen wir uns Zukunft.“

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