Hitzewellen im Klimawandel: Wie bleibt das Leben in Großstädten erträglich?

Hitze kann tödlich sein, und die Zahl extrem heißer Tage nimmt zu. Städte müssen sich auf eine wachsende Zahl intensiver Hitzewellen vorbereiten. Das erfordert einen grundlegenden Umbau mit mehr Schatten, Grünflächen und kühlen Orten, sagen Planerinnen und Planer

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Blick auf den Sonnenaufgang von Westen aus. In der Ferne sind der Fernsehturm und der Funkturm zu sehen.

In der historischen Innenstadt von Nürnberg ist es an diesem Samstag im Juli 2023 schon vormittags so heiß, dass die meisten Menschen, die zum Einkaufen unterwegs sind, lieber im Schatten bleiben, anstatt sich der prallen Sonne auszusetzen. 28 Grad Celsius misst die Wetterstation am Jakobsplatz im Nürnberger Zentrum um 10 Uhr. Das ist erst der Anfang – um 12 Uhr ist das Thermometer auf 35 Grad Lufttemperatur geklettert, um 17 Uhr auf 38, 4 Grad.

Gluthitze erfüllt das Zentrum der fränkischen Metropole – und das geschieht immer öfter. Die Zahl der heißen Tage mit mehr als 30 Grad Lufttemperatur hat sich in Nürnberg im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990 bereits auf 14 verdoppelt. Am Jakobsplatz, der sich besonders leicht aufheizt, gab es 2022 sogar 43 solcher Tage – und je mehr sich aneinanderreihen, desto gefährlicher wird es für die Gesundheit der Menschen in der Stadt. An der Nonnengasse, unweit der Pegnitz, die durch die Altstadt fließt, ist das Kopfsteinpflaster in der prallen Sonne mittags 54, 4 Grad heiß.

Wir sind froh, dass wir schon vor mehr als zehn Jahren mit der Klimaanpassung begonnen haben.

Britta Walthelm, Referentin für Umwelt und Gesundheit in Nürnberg

Doch man muss nur wenige Schritte gehen, und der Untergrund ist plötzlich um bis zu 25 Grad kühler, die Luft wirkt angenehm temperiert. An der Nonnengasse hat die Stadt zwischen 2017 und 2019 für rund 300 000 Euro auf 240 Quadratmetern einen sogenannten „Pocket Park“ geschaffen. Der simple Grund für den spürbaren Temperaturabfall: Ein neu gepflanzter Japanischer Schnurbaum und Sträucher werfen zur Mittagszeit Schatten auf Sitzbänke – und schaffen einen kühlen Ort zum Ausruhen.

Pocket-Parks machen die Innenstadt erträglich

Britta Walthelm, die Referentin für Umwelt und Gesundheit der 541 000-Einwohner-Stadt, sieht die neue kleine Kühlinsel als Symbol für größere Veränderungen. „Uns darauf einzustellen, dass es viel heißer und trockener wird und dass wir häufiger Starkregen bekommen, erfordert den größten Umbau der Stadt seit der Nachkriegszeit“, sagt sie.

Unweit der Nonnengasse gibt es ähnliche Projekte: Ein schattiger Uferabschnitt der Pegnitz wurde erst vor Kurzem einladend gestaltet, damit man sich dort an heißen Tag gut aufhalten kann. Wenige hundert Meter weiter verdeckt noch ein engmaschiger Bauzaun den Blick auf einen weiteren „Pocket Park“, der bald eingeweiht wird. Die Bäume und Sträucher kühlen die Luft an dieser Straßenecke bereits vor der Zeremonie spürbar herunter. „Wir sind froh, dass wir schon vor mehr als zehn Jahren mit der Klimaanpassung begonnen haben“, sagt Walthelm.

Alle Städte und Gemeinden in Deutschland sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie Nürnberg. Besonders für die älteren Bewohner können extreme Temperaturen gefährlich sein. Hitze und Wasserentzug verschärfen bestehende gesundheitliche Probleme – und können zum Tod führen. Einer kürzlich veröffentlichten Studie zufolge starben in Europa im Jahr 2022 rund 62 000 Menschen an Hitze, rund 8000 davon in Deutschland.

Heutige Hitzewellen sind aber nur ein Vorgeschmack auf die Klimazukunft – und im Gegensatz zu Vorreitern wie Nürnberg oder Potsdam sind die meisten deutschen Städte und Landkreise noch nicht darauf vorbereitet. Erst ein Fünftel von ihnen verfügt laut Bundesregierung über einen Hitzeschutzplan oder eine Strategie zur Klimaanpassung.

Städte neigen zum Überhitzen

Im Fachjournal „Nature“ haben Wissenschaftler nun Städte dazu aufgefordert, die Schaffung von Schattenplätzen ins Zentrum ihrer Planungen zu stellen. „Unter sonst gleichen Bedingungen haben Studien ergeben, dass die Nettowärmebelastung in trockenen, gemäßigten und tropischen Klimazonen weltweit im Schatten um 20 bis 40 Grad Celsius geringer ist als in nahe gelegenen, der Sonne ausgesetzten Gebieten“, schreiben sie. Eine „Schatteninfrastruktur“ sei nötig, schreibt das Team um die Stadtplanerin V. Kelly Turner von der University of California in Los Angeles.

Städte, die Beschattungspläne aufstellen, müssen über den derzeitigen Fokus auf Bäume hinausgehen.

Stadtplanerin V. Kelly Turner

Dass speziell Städte zur Überhitzung neigen, ist eigentlich schon lange bekannt. 1833 wies der britische Apotheker und Meteorologe Luke Howard mit Messungen nach, dass es im Inneren Londons deutlich wärmer ist als im Umland. 1937 schuf der Benediktinerpater Albert Kratzer mit „Das Stadtklima“ das erste Standardwerk. Wie Wasserflächen, Parks, grüne Dächer und Luftzufuhr aus dem Umland kühlend wirken, gehört für Stadtplaner schon lange zum Grundwissen.

Bis heute wird aber wenig Rücksicht darauf genommen, weil andere Bedürfnisse als wichtiger gelten. Teils werden Gewerbegebiete mit riesigen Hallen oder die Dämme von Umgehungsstraßen mitten in Kaltluftschneisen gesetzt, Wohngebiete gebaut, ohne ausreichend Grünflächen vorzusehen. In den Straßen dürfen Stoßstange an Stoßstange Autos stehen, obwohl sie zur Überhitzung beitragen. Knapp 72 Grad hat die Kühlerhaube eines Mercedes in der Nürnberger Innenstadt an diesem Hitzetag – gemessen mit einem Thermometer, das mit einem Laserstrahl misst. Grünflächen werden vielerorts miserabel gepflegt – etwa wenn Behörden Blumenwiesen, die kühlend wirken, rigoros niedermähen lassen, weil man das schon immer so gemacht hat.

Dabei sei es gefährlich, die Warnungen weiter zu ignorieren, sagt Martin Hermann, Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Die Organisation setzt sich für vorbeugenden Hitzeschutz vor allem im Gesundheitswesen ein. „Viele haben noch nicht verstanden, dass sie sich eigentlich schon heute nicht mehr herausreden können, wenn in ihrem Verantwortungsbereich Menschen wegen Hitze umkommen“, sagt er.

Fürsorge für Ältere in Hitzewellen

Als ersten Schritt der Hitzeplanung fordert der Arzt aber nicht einen schnellen Stadtumbau, sondern die praktische Fürsorge für ältere Menschen, die in ihren eigenen Wohnungen leben. „Da muss sichergestellt sein, dass die gefährdeten Personen bekannt sind und sie während einer Hitzewelle zweimal am Tag jemand kontaktiert und notfalls an einen kühlen Ort bringt“, sagt er. Frankreich sei hier ein Vorbild, das solche Strukturen aufgebaut hat, seitdem im Hitzesommer 2003 rund 15 000 hauptsächlich ältere Menschen auf Grund der Hitze starben. Akuter Gesundheitsschutz und eine umfassende Begrünung gehören gleichermaßen zu einem wirksamen Hitzeschutzplan für Städte.

Wegen der traumatischen Erfahrung von 2003 hat man in vielen französischen Städten auch schattenlosen Straßen und Plätzen längst den Kampf angesagt. Die Stadtverwaltung von Paris hat allein seit 2020 mehr als 120 Straßenzüge vor Schulen begrünt und ist dabei, auch Spielplätze zu „Oasen“ umzufunktionieren und vor direkter Sonne zu schützen.

Bäume gelten als Universalwaffe im Kampf gegen die Hitzewellen – und das zu Recht. Forscher der TU München haben im Projekt „CityTree“ ermittelt, dass schon junge Bäume je nach Art jährlich mit 6000 bis 14 000 Kilowattstunden kühlen. Ältere Bäume über 75 Jahre gar mit 40 000 bis 93 000 Kilowattstunden.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo will bis 2026 rund 170 000 neue Bäume pflanzen lassen und damit deren Gesamtzahl fast verdreifachen. Derzeit sollen die Architekten des Landes aber auch Vorschläge einreichen, wie man noch schneller für Schatten sorgen kann. Denn Bäume wachsen langsam, ihre Pflege wird durch zunehmende Hitze und Trockenheit immer aufwändiger. „Städte, die Beschattungspläne aufstellen, müssen über den derzeitigen Fokus auf Bäume hinausgehen“, meint auch Stadtplanerin V. Kelly Turner.

Der Designwettbewerb in Frankreich bringt bemerkenswerte Ideen hervor. Das Architekturstudio ArtBuild etwa wird mit einem neuartigen Material als Beschattungstechnik ins Rennen gehen: künstliche Strukturen, die großen Blüten ähneln. Wenn es kühl ist, sind sie geschlossen, Licht kann durchdringen. Wird es heiß, biegt sich das Material nach außen und sorgt für Schatten. „Unsere Schattenspender kann man für Pavillons im öffentlichen Raum wie für Fassaden nutzen“, sagt Entwickler Steven Ware. Er warnt, dass der öffentliche Raum ohne solche Neuerungen unpassierbar werden könnte.

Diese Warnung ist keine Sciencefiction. Das zeigt eine zufällige Begegnung mit einer älteren Dame, die im Juni 2023 am Berliner Walther-Schreiber-Platz an der Hand einer hilfsbereiten Passagierin aus einem Bus stieg. Bereits am Vortag war das Thermometer auf 30 Grad geklettert, dasselbe wiederholte sich gerade. Die Frau hatte einen Termin bei ihrem Diabetologen, doch die Hitze im Bus ließ ihr den Blutdruck wegsacken. Ein Glas kühles Wasser und ein bisschen Ausruhen im Schatten halfen ihr fürs Erste. Dann standen aber die 300 Meter Wegstrecke zur Arztpraxis an – über versiegeltes, fast baumloses und der Sonne ausgesetztes Pflaster. Für die Frau kam dies einer Wüstenquerung gleich. Sie hechelte, musste alle paar Meter stehen bleiben – und wirkte geistesabwesend, als sie die Praxis schließlich erreichte.

Paris hat mehr, Berlin immer weniger Bäume

Ausgerechnet hier an der Schloßstraße, einer der großen Einkaufsmeilen Berlins, fehlen Bäume. Zwar ist die Hauptstadt für ihre rund 435 000 Stadtbäume bekannt, aber deren Zahl sinkt, statt wie in Paris zu steigen. 2022 wurden in Berlin 2539 Bäume neu gepflanzt, aber 6557 gefällt – nach Angaben des Senats meist in der Folge von Stürmen, Hitze und Trockenheit. Ob in Berlin ausreichend schnell ausreichend viele Bäume neu gepflanzt werden, ist offen. Eine städtische Spendensammlung reicht derzeit gerade mal für 50 neue Bäume.

Die Bundesregierung will es nun nicht länger dem Zufall überlassen, wie gut Städte und Gemeinden auf die anbrechende Heißzeit vorbereitet sind. Ein neues Klimaanpassungsgesetz soll Länder und Kommunen künftig dazu verpflichten, eigene Hitzeaktionspläne aufzustellen, angefangen bei der Krisenreaktion.

Viele haben noch nicht verstanden, dass sie sich eigentlich schon heute nicht mehr herausreden können, wenn in ihrem Verantwortungsbereich Menschen wegen Hitze umkommen.

Martin Hermann, Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit

Beispiele, was man als Kommune schnell und mit verhältnismäßig geringen Kosten tun kann, gibt es viele. Dazu gehört es, kühle Räume etwa in Bibliotheken, Lagerhallen oder Kirchengebäuden als „Hitzeschutzräume“, auch „cooling shelters“ genannt, auszuweisen und bekannt zu machen. Mit dem Einzelhandel kann verabredet werden, dass Menschen überall Trinkwasser bekommen und Wasserflaschen auffüllen können. „Dann muss man auch nicht gleich viele teure neue Brunnen installieren“, sagt KLUG-Vorsitzender Martin Herrmann. Verwaltungen können mit gutem Beispiel vorangehen und alle Arbeiten im Freien in den besonders heißen Stunden einstellen.

Solche Maßnahmen lindern das Risiko für die Stadtbewohner. Um aber bei den tieferen Ursachen urbaner Hitzeprobleme anzusetzen, braucht es einen Blick aufs Ganze, fordern Fachleute. Und flächendeckende Maßnahmen – Gründächer, Grünwege, neue Parks bis hin zur Schaffung oder Revitalisierung naturnaher Wasserflächen und Feuchtgebiete. Bei der Planung können den Kommunen inzwischen Hitzebilder helfen, wie sie die Europäische Raumfahrtagentur im sogenannten „Ecostress“-Programm anbietet. Sie zeigen in roter Farbe an, wo sich Städte am stärksten aufheizen – wo also kühlendes Grün oder zusätzliche Kaltluft am dringendsten sind.

Mit Simulationen die richtigen Maßnahmen finden

Damit Stadtverwaltungen auf Grundlage solcher Daten Kühlstrategien entwickeln können, hat ein Verbund Berliner Universitäten Anfang 2023 mit Palm-4 U eine detaillierte Simulationssoftware frei zur Verfügung gestellt. Planer können Karten und Daten ihrer Städte hochladen und dann herausfinden, wo zum Beispiel neue Wasserflächen oder „Pocket Parks“ den größten Effekt auf das Stadtklima haben. „Mit diesem Modell lässt sich ermitteln, wo in der Stadt Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in den nächsten Jahren besonders gefragt sind“, sagt Dieter Scherer, Professor für Klimatologie an der TU Berlin.

Der Bund deutscher Landschaftsarchitekt:innen und die Bundesarchitektenkammer sprechen von der „Jahrhundertaufgabe“, eine „grün-blaue Infrastruktur“ zu schaffen. Jede Baumaßnahme müsse künftig auch Anforderungen an Hitzeschutz, Biodiversität und einen effizienten Umgang mit Wasser erfüllen. Bei Bauprojekten kann sich bis heute nämlich jeder Eigentümer Fassaden wählen, die die Umgebung zusätzlich aufheizen, und seinen Grund als Schottergarten, Parkplatz oder mit den beliebten Steinzäunen zur Hitzequelle machen.

Die Bundesregierung solle festschreiben, dass bei allen Bauvorhaben Gestaltungspläne für Freiflächen erforderlich sind, fordert Jörg Schumacher, Referatsleiter für Nachhaltigkeit bei der Bundesarchitektenkammer. Die Planer könnten dann zum Beispiel darlegen müssen, wie ihre Projekte bei Hitze die Umgebung kühlen, bei Starkregen Wasser abfangen und für Trockenzeiten speichern und zudem die urbane Biodiversität fördern.

Nürnberg zeigt den Weg in die Zukunft

Der Deutsche Städtetag sieht für die Klimaanpassung enorme Kosten auf die Kommunen zukommen. „Allein für die Umsetzung der bis 2030 notwendigen Klimaanpassungsmaßnahmen in den Ländern und Kommunen werden rund 55 Milliarden Euro veranschlagt“, sagt Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetags, und fordert eine verlässliche Finanzierung. Auch der Personalmangel sei ein gravierendes Problem, denn „irgendwer muss all die Klimaanpassungskonzepte planen“. Der Bedarf wird bundesweit auf über 16 000 Stellen geschätzt. Auch neue Zuständigkeiten sind nötig. Die neuen „Klimaresilienzmanager“ können nur dann erfolgreich sein, wenn sie nicht als Einzelkämpfer, sondern beispielsweise direkt im Stab des Bürgermeisters oder Landrats arbeiten.

Nürnberg macht vor, was es bedeutet, Prioritäten zu setzen. Bisher wurden rund 27 Millionen Euro für neues Grün in der Stadt investiert. Damit konnte eine Reihe von Modellprojekten entstehen. Für sich genommen würden sie aber die berühmten Tropfen auf dem heißen Stein bleiben – es braucht Veränderungen in der Fläche. Zwischen 2022 und 2031 sollen laut aktueller Planung in Nürnberg nun rund 145 Millionen Euro für neue Grünflächen und Beschattung zur Verfügung stehen.

Nach einer Serie punktueller Vorhaben wie dem „Pocket Park“ an der Nonnengasse sieht Umweltreferentin Walthelm die Stadt nun an der Schwelle dazu, die große Stadterneuerung zu beginnen. So sei ein erster durchgängiger „Grünweg“ vom Zentrum an den südwestlichen Stadtrand konkret in Vorbereitung. Er soll es Menschen ermöglichen, auch bei Hitze zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs zu sein. Die dicht bebaute Südstadt soll künftig eine grüne „Klimameile“ durchziehen. Am Ostrand der Altstadt soll ein weiterer Parkplatz zum Park werden, dicht bebaute Wohnviertel sollen begrünt werden. „Wir setzen sukzessive Mosaiksteine zusammen, bis wir das Ganze in der Fläche ausgerollt haben“, sagt Walthelm.

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