Klima-Kolumne: Nie wieder Kaffee To Go – warum Italien ein Vorbild ist
Kaffee im Mehrweg- und Einwegbecher? Nein danke! Warum wir in Sachen Kaffeekultur nach Italien blicken sollten und wie wir mit Genuss enorm viele CO2-Emissionen sparen können – eine Kolumne.
Meinen ersten Coffee-To-Go-Becher hatte ich als Teenagerin in der Hand. Vorbild waren all die amerikanischen Serien und Filme, in denen ständig die Becher durch die Gegend getragen wurden. Meine Schulfreundinnen und ich fanden das cool, ahmten es nach.
Heute weiß ich, dass Einwegbecher vor allem eines sind: umweltschädlich. Nach dem Trinken landen sie direkt im Müll, werden nicht recycelt. Und nein, auch Pappbecher sind nicht nachhaltiger. Denn auch sie sind meistens beschichtet und damit so gut wie nicht recyclingfähig. Die Beschichtung enthält außerdem oft gesundheitsschädliche per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), die direkt in den Organismus gelangen können.
Coffee To Go ist weiterhin beliebt
Obwohl seit Anfang des Jahres das Angebot von Mehrwegbehältern in fast allen Gastronomiebetrieben verpflichtend ist, nimmt die Flut an Einwegbechern nicht wirklich ab. Kein Wunder: Sie sind nach wie vor praktischer und günstiger. Wer einen Mehrwegbecher kauft, muss oft einen Aufpreis zahlen, trägt nach dem Austrinken einen leeren Becher spazieren und dann kommt noch das unterschiedliche Mehrweggeschirr hinzu, das derzeit im Umlauf ist. Becher von verschiedenen Pfandsystemen – ob Recup, Vytal oder Rebowl – sind leider nicht überall tauschbar.
Man muss also erst einmal ein teilnehmendes Geschäft finden, in dem man den Becher zurückgeben kann. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das oft ziemlich umständlich ist, gerade wenn man in einem Viertel mit einer eher mageren Gastronomieauswahl lebt. Die Folge: Die Becher türmen sich am Ende zuhause im Küchenregal. Werden die Becher dann im Hausmüll entsorgt, haben sie sogar eine schlechtere Klimabilanz als die Einwegbecher.
Italien als Vorbild
Doch muss es so laufen? Was haben wir eigentlich vor den Coffee-To-Go-Bechern gemacht? Genau: Wir haben uns Zeit genommen, den Kaffee vor Ort getrunken. Dass das auch heute gut funktioniert, sieht man am Beispiel Italien. Jedes Mal, wenn ich in Rom meine italienische Familie besuche, denke ich: In Sachen Kaffeekultur können wir einiges von den Italiener:innen lernen. In Rom sieht man nur selten Menschen, die mit einem Einwegbecher oder generell mit To-Go-Produkten durch die Gegend rennen. Coffee To Go hat sich im Gegensatz zu Deutschland in Italien nie richtig durchsetzen können.
Mit einem Becher im Laufen zu trinken, an einem Plastikdeckel zu nippen – für die meisten Italiener:innen ergibt das schlichtweg keinen Sinn. In Italien trinkt man den Kaffee, beziehungsweise den Espresso oder Cappuccino, daher weiterhin vor Ort im Café – und das nicht aus Nachhaltigkeitsgründen. Der caffé al bar, also: der Kaffee an der Theke, ist ein wesentlicher Teil der italienischen Kultur. Morgens drängt man sich durch die Menschenmenge, ruft dem Barista die Bestellung zu. Untermalt wird das Ganze vom Stimmengewirr, dem Geräusch des Kaffeegeschirrs und dem Pfeifen der Kaffeemaschine.
Kaffeetrinken als Bestandteil des sozialen Lebens
Wenn man es eilig hat, stellt man sich nur kurz an die Theke, trinkt den Espresso in ein paar kurzen Zügen aus, bezahlt und geht. Auch an den Tischen sitzen Menschen und essen ein Cornetto, ein Croissant, lesen dabei die Zeitung oder beobachten das Gewusel an der Bar.
Meistens kommt man in den Cafés auch ins Gespräch mit dem Barista und anderen Kunden. Es geht also letztendlich nicht nur um den Kaffee selbst. Das morgendliche Kaffeetrinken ist ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lebens in Italien. Es gibt kein Einweg, kein Mehrweg: Man nimmt sich die Zeit, die paar Minuten, und genießt.
Essen in Ruhe genießen
Das Gleiche gilt übrigens beim Essen. Klar gibt es auch in Italien Menschen, die To Go bestellen, aber im Vergleich zu Deutschland kommt das viel seltener vor. Während man in Deutschland gerade morgens in der Bahn oder im Büro immer wieder Menschen sieht, die mit einer Tüte vom Bäcker in der Hand demotiviert die Stücke ihrer viel zu trockenen Brezel abbrechen, bestellt in Italien kaum einer sein Cornetto To Go. Warum auch?
Generell läuft man nicht mit seinem Essen durch die Gegend. Auch ich selbst kann das überhaupt nicht leiden. Ob ein Eis oder die Pizza al Taglio, also ein Stück Pizza auf die Hand – man bleibt stehen oder setzt sich kurz auf die Bank und isst in Ruhe auf.
Der Coffee-To-Go-Becher ist letztendlich Ausdruck einer gehetzten Kultur, die am Ende auch unserer Umwelt schadet. Muss das sein? Können wir uns wirklich nicht ein paar Minuten Zeit nehmen, um einen Kaffee zu genießen? Haben wir wirklich keine Zeit, das Mittagessen vor Ort im Restaurant zu essen, statt es in einer To-Go-Packung mit ins Büro zu nehmen? Ist die Zeitersparnis wirklich so groß, eine Brezel im Gehen zu essen?
Durch Verzicht auf Einweg rund 500.000 Tonnen CO2 einsparen
Allein der Verzicht auf Einwegprodukte könnte die CO2-Emissionen bedeutend reduzieren. Rund 500.000 Tonnen CO2 könnte man auf diese Weise einsparen. Nachhaltigkeit ohne Verzicht, dafür mit Genuss – klingt doch machbar.
In Ruhe und vor allem bewusst zu essen, hat außerdem Vorteile für die Gesundheit, zeigt eine Studie. Es fördert die Verdauung und man ist zufriedener. Das liegt auch daran, dass man durch achtsames Essen den Geschmack und die Konsistenz der Mahlzeit besser wahrnimmt. Ähnlich ist das beim Kaffeetrinken. Wenn man den Moment wirklich nutzt und sich nur auf das Trinken des Kaffees konzentriert, schmeckt man erst die ganzen Aromen.
Das Problem: In Deutschland gibt es eben nicht an jeder Ecke kleine Bars bzw. Cafés wie in Italien, in denen man im Stehen seinen Espresso schlürfen und mit fremden Menschen ins Gespräch kommen kann. An alle Gastronomen: Achtung, Marktlücke! Oft findet man schon heute in den Cafés hierzulande keinen Sitzplatz mehr.
Kaffeegenuss ohne Mehrweg und Einweg
Viele bevorzugen es, ihren Kaffee draußen am Fluss, am See oder im Park zu genießen – gerade, wenn die Sonne scheint. Und das geht ganz ohne Einweg und Mehrweg. Wie das funktioniert, beweist mein italienischer Papa immer wieder aufs Neue. Erst letztens war ich mit meinen Eltern am Elbufer in Hamburg spazieren. Wer den Hamburger Elbstrand kennt, weiß: Die Cafés sind heillos überfüllt. Einen Platz ergattert man dort nur, wenn man sehr viel Glück hat. Doch bevor mein Vater einen Einwegbecher oder einen schlechten Filterkaffee in Erwägung zieht, muss schon einiges passieren. Er hat also zuhause Espresso in seinem Espressokocher zubereitet, in eine Thermosflasche gefüllt, drei Espressotassen aus Porzellan, eine kleine Tüte Zucker, drei Teelöffel eingepackt und alles in seinem Rucksack mitgenommen. Eines war sicher: Wir hatten die besten Plätze am Elbstrand und den besten Espresso sowieso – ganz ohne Verpackungsmüll.