„Wenn wir das Klima schützen wollen, müssen Ökosysteme gesunden und Artenvielfalt wieder zunehmen“

Der Klimaforscher Hans-Otto Pörtner plädiert für eine engere Verzahnung von Klima- und Naturschutz. Nur so könnten sich die schlimmsten Folgen beider ökologischer Krisen begrenzen lassen.

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Drohnenaufnahme vom Wattenmeer im ersten Morgenlicht

Herr Pörtner, Sie waren als Ko-Vorsitzender einer der drei Arbeitsgruppen führend am aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats beteiligt. Wie sehr überrascht Sie der Befund des Copernicus-Berichts, dass erstmals im Jahresdurchschnitt die Erderwärmung über 1,5 Grad Celsius lag?

In den letzten Jahren wurde immer klarer, dass es Politik und Gesellschaft nicht gelingen wird, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das gilt für Deutschland ebenso wie international. Für viele Wissenschaftler war das eine Phase der Ernüchterung und Frustration. Denn dieser Befund belegt vor allem mangelnden Willen – und er passt nicht zu den Botschaften der letzten Berichte des Weltklimarates.

Darin hatten Sie und ihre Kollegen sehr deutlich gemacht, dass die Staaten der Erde weit entfernt davon sind, das Paris-Ziel zu erreichen, die Erderwärmung unter zwei und möglichst bei maximal 1,5 Grad zu halten. Trotzdem ist nur wenig passiert. Woran liegt das?

Wir müssen feststellen, dass es trotz der deutlich zunehmenden existenziellen Bedrohung von Natur und Mensch durch eine globale Erwärmung über 1,5 Grad insgesamt noch immer eine mangelnde Bereitschaft gibt, die Lösungsvorschläge der Wissenschaft überhaupt oder zeitgerecht oder im notwendigen Umfang umzusetzen. In demokratischen Ländern passt das Wählerverhalten nicht zu einer konsequenten Transformation gesellschaftlichen Lebens – was aber die Voraussetzung für die Begrenzung der globalen Erwärmung ist.

Portraitfoto von Hans-Otto-Pörtner
Hans-Otto Pörtner war an der Erarbeitung mehrerer Sachstandsberichte des Weltklimarats IPCC sowie am 1,5-Grad-Sonderbericht beteiligt und ist seit 2015 Leiter der IPCC-Arbeitsgruppe 2, die sich mit den Folgen des Klimawandels beschäftigt. Zudem war er Ko-Vorsitzender der Arbeiten am ersten gemeinsamen Report von Weltklimarat IPCC und Weltbiodiversitätsrat IPBES. Der Meeresbiologe leitet die Abteilung für integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Die Natur kann uns im langen Zeitrahmen helfen, das Klima zu stabilisieren. Diese Aufgaben kann sie aber nur erfüllen, wenn wir den Ökosystemen und der Artenvielfalt den Raum geben, den sie brauchen.

Wie kann sich das ändern?

Die Politik sollte konsequent Führung übernehmen und die Bevölkerung davon überzeugen, dass es unbedingt nötig ist, rasch aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen. Dazu wäre es dringend nötig, die offensichtlich bestehenden Schwachstellen des Wissenstransfers zu schließen und allen Bürgerinnen und Bürgern nahezubringen, wie nötig eine Kurswende für die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen ist. Das kann nur gelingen, wenn wir Bildungsinhalte und auch die Art überdenken, wie wir kommunzieren. Das Ziel muss sein, eine wissende, verstehende und handlungsbereite Gesellschaft mit Blick auf den Erhalt und Wiederaufbau der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde unterstützen.

Sie plädieren immer wieder für eine viel engere Verzahnung von Maßnahmen zu Klimaschutz und zum Erhalt der Biodiversität. Warum ist das so wichtig?

Die Biosphäre nimmt uns einen großen Teil des Kohlendioxids ab, das wir in jedem Jahr emittieren. Wälder, Böden und Meere sind unersetzbar – auch für den Klimaschutz. Die Ozeane alleine zum Beispiel nehmen uns ein Drittel dieser Last ab. Gleichzeitig sind diese Ökosysteme sehr empfindlich gegenüber extremen Temperaturen, die wir mit dem Klimawandel auslösen. Um das Klima zu schützen, müssen wir auch die Kehrtwende in der Biodiversitätskrise schaffen. Wir müssen erreichen, dass die Ökosysteme gesunden und die Artenvielfalt wieder steigt. Die Natur kann uns im langen Zeitrahmen helfen, das Klima zu stabilisieren. Diese Aufgaben kann sie aber nur erfüllen, wenn wir den Ökosystemen und der Artenvielfalt den Raum geben, den sie brauchen.

Der Natur geht es aber immer schlechter. Vor kurzem musste die Bundesregierung in ihrem Waldbericht einräumen, dass Wälder in Deutschland inzwischen mehr Kohlendioxid abgeben als langfristig zu speichern. Was muss geschehen?

Das Beispiel der Wälder zeigt eines: Der Natur, den Ökosystemen geht die Puste aus. Und das, obwohl wir zwar in den einzelnen Maßnahmen durchaus sinnvolle Richtungen einschlagen. Dass wir jetzt eine Übereinkunft haben, 30 Prozent der Fläche für die Biodiversität zu schützen und dabei auch den Ozean einbeziehen, ist schon ein Fortschritt. Aber bisher eben nur auf dem Papier. Das ist das große Problem. Wir haben an allen Fronten, was Umweltziele angeht, eine sehr große Differenz zwischen Erkenntnis und Taten.

Eine Drohnenaufnahme eines feuchten Bruchwaldes im Baltikum von oben.
Artenreiche Bruchwälder sind wertvolle Lebensräume und Kohlenstoffspeicher in einem. Das Konzept der Nature-based Solutions verbindet über ihren Schutz den Kampf gegen den Klimawandel und gegen das Artensterben.

Wenn wir uns nur auf das Klima konzentrieren, dann gibt es Kollateralschäden bei der Biodiversität.

Welche Schritte sind vordringlich?

Das Wichtigste ist es, den Klimawandel zu stoppen. Denn er schädigt die Biodiversität immer weiter. Der Vegetation gehen Wasserressourcen verloren, sie verliert die Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern. Dann geht es immer weiter bergab. Wir haben es schon im gemeinsamen Bericht von Weltbiodiversitätsrat IPBES und Weltklimarat IPCC gesagt, dass die Vegetationszonen immer weniger produktiv werden und weniger CO₂ wegspeichern. Wir haben uns von der Natur erhofft, uns beim Klimaschutz zu helfen. Das funktioniert nicht mehr lange, wenn wir den Klimawandel weiterlaufen lassen. Doch danach sieht es aus.

Der Schutz der Natur ist allen Beteuerungen zum Trotz immer noch nicht auf Augenhöhe mit dem Klimaschutz. Manchmal gehen Maßnahmen zum Umstieg beispielsweise auf erneuerbare Energien sogar auf Kosten der Natur. Wie problematisch ist das aus Ihrer Sicht?

Wenn wir uns nur auf das Klima konzentrieren, dann gibt es Kollateralschäden bei der Biodiversität. Ein großer Flächenverbrauch für Solarfelder oder auch Probleme für den Vogelzug durch Windparks sind Beispiele dafür. Wir müssen die beiden existenziellen Säulen für eine funktionsfähige Natur – Klima und Biodiversität – zusammen betrachten, denn wir brauchen beide, und sie hängen sehr eng miteinander zusammen. Bei allen Maßnahmen, die wir in diesem Bereich unternehmen, müssen wir darauf achten, dass wir einen Nettogewinn an Biodiversität bekommen und nicht nur nach traditioneller Mentalität die Schäden ausgleichen, die wir gerade akut anrichten. Das reicht nicht mehr. Wir brauchen eine Gesundung der Schöpfung, wenn Sie so wollen.

Eine Möglichkeit, Klima- und Naturschutz zu verbinden, sind sogenannte naturbasierte Lösungen: der Schutz oder die Wiederherstellung von Lebensräumen, die Kohlenstoff speichern und zugleich ein wichtiges Refugium für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten sind. Wie bewerten Sie die Entwicklung auf diesem Gebiet?

Die angelaufenen Programme zur Wiedervernässung von Mooren, die gleichzeitig mit dem Ziel verbunden sind, dort die Biodiversität wieder herzustellen, sind sehr positive Entwicklungen. Auch das dazugehörige Förderprogramm zum natürlichen Klimaschutz des Bundesumweltministeriums. Aber in der internationalen Klimapolitik spielt das noch eine viel zu geringe Rolle. Wir haben als Wissenschaftler eine Initiative gestartet, um gemeinsame Programme der beiden Rio-Konventionen zum Klima- und zum Biodiversitätsschutz zu erreichen.

Wie kann so etwas konkret in der Praxis gelingen?

Es ist möglich. Dazu brauchen wir beispielsweise eine gute Raumplanung. Und wir müssen nach Wegen suchen, möglichst naturschonend vorzugehen – im Klimaschutz und anderswo. Wir müssen hier zu einer Balance kommen. Das ist letztlich ohne Alternative, denn wir müssen auf die Erneuerbaren umstellen – und wir müssen Natur erhalten. Aber ganz oben steht natürlich die Aufgabe, damit aufzuhören, weiter Kohlendioxid in die Luft zu blasen und die Systeme damit weiter zu schädigen.

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