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Koalitionsverhandlungen: Union und SPD müssen Biodiversität ins Zentrum statt ins Aus rücken
Koalitionsverhandlungen: Naturschutz und Klima dürfen keine Randthemen bleiben
Kommentar: Die künftigen Koalitionsparteien ignorieren die ökologische Krise in skandalöser Weise. Umweltpolitik wird lediglich als Anhängsel der Landwirtschaft verhandelt. Nun müssen ausgerechnet die Grünen aus der Opposition heraus die neue Koalition zur Ökowende zwingen.

CDU/CSU und SPD beschwören in ihrem Sondierungspapier für eine mögliche Koalition viele historische Herausforderungen. Doch die zwei langfristig größten Herausforderung erwähnen sie höchstens am Rande und ohne neue Ideen. Der Klimaschutz findet in dem Papier nur mit einem allgemein gehaltenen Absatz statt, in dem lediglich Vertragstreue gegenüber europäischen Verpflichtungen beteuert wird. Wie großzügig!
Gleich mit keinem Wort wird der drohende Kollaps der Ökosysteme, das Zusammenbrechen unserer biologischen Lebensgrundlagen erwähnt – die Biodiversitätskrise.
Die große ökologische Menschheitsherausforderung – der Verlust von Arten, Lebensräumen und natürlicher Vielfalt insgesamt – ist den beiden Parteien nicht einmal ein Lippenbekenntnis wert.
Umwelt als Unterthema von Agrar?
Dabei dulden Artensterben und Naturzerstörung ebensowenig Aufschub wie der Kampf gegen die Erderwärmung. Im Gegenteil, die Bewältigung beider ökologischer Großkrisen geht entweder Hand in Hand oder sie ist zum Scheitern verurteilt. Ohne intakte Wälder, Felder, Moore, Auen, Küsten und Meere wird sich der Temperaturanstieg nicht auf unter 2 Grad Celsius geschweige denn auf 1,5 Grad – begrenzen lassen. Denn nur gesunde Ökosysteme stabilisieren das Klima langfristig.
Skandalöses Ökologie-Manko
Wer dachte, dass das skandalöse Ökologie-Manko im Sondierungspapier ein Ausrutscher wäre, sieht sich mit Beginn der Koalitionsverhandlungen eines Schlechteren belehrt. Von den 16 Arbeitsgruppen, die über das Regierungsprogramm verhandeln, befasst sich keine einzige ausschließlich mit Umwelt. Stattdessen wird Umweltpolitik als Anhängsel der Arbeitsgruppe 11 verhandelt. Titel: „Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt“. Naturschutz, der Kern jeder Umweltpolitik, findet gar keine Erwähnung.
Nicht „grüne Spinner“, sondern Experten des Weltwirtschaftsforums warnen vor Risiken
Während die künftigen Koalitionäre offenbar der Ansicht sind, dass angesichts der dramatischen geopolitischen Situation und der schwierigen Wirtschaftslage beim Schutz der Biodiversität eine Pause eingelegt werden kann, wird das Problem in den Chefetagen der internationalen Wirtschaft sehr viel klarer gesehen. Dort werden die von der Erderwärmung und dem Kollaps der Ökosysteme ausgehenden Gefahren als die größten globalen Risiken für das nächsten Jahrzehnte angesehen. „Umweltrisiken, angeführt von extremen Wetterereignissen, dem Verlust der biologischen Vielfalt und dem Zusammenbruch von Ökosystemen, dominieren den Zehn-Jahres-Horizont der größten Risiken für die Wirtschaft“, heißt es in der gerade veröffentlichten 20. Auflage des Global Risk Reports des Weltwirtschaftsforums in Davos.
Der Report basiert nicht auf der Meinung der von Bald-Kanzler Friedrich Merz so genannten „grünen und linken Spinner“, die nicht mehr „alle Tassen im Schrank“ haben. Er fußt auf der Befragung von mehr als 900 weltweit führenden Risikoexperten und Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung und ist eines der wichtigsten Barometer für die Stimmungslage in der internationalen Wirtschaft.
Die große ökologische Menschheitsherausforderung – der Verlust von Arten, Lebensräumen und natürlicher Vielfalt insgesamt – ist den beiden Parteien nicht einmal ein Lippenbekenntnis wert.

Rückschritte hinter kleine Erfolge der Ampelkoalition drohen
Die Dringlichkeit, in der Ökokrise zu handeln, ergibt sich aber nicht nur aus Zukunftsszenarien. Wie sehr der Biodiversitätsverlust vor unserer eigenen Haustür ungebremst voranschreitet, zeigen ganz aktuell auch die Zwischenergebnisse für die neue Krefeld-Studie zum Insektenschwund, die hier nachzulesen sind. Der Niedergang der Insektenbestände setzt sich fort – und ein Ende ist nicht abzusehen, lautet die Kernbotschaft.
Subventionen für Agrardiesel, Pendlerpauschale: Kleinste Fortschritte werden zurückgedreht
Das ist eine schlechte Nachricht für die gesamte Natur, für Insekten, Vögel, Pflanzen und Säugetiere. Es ist aber auch eine alarmierende Erkenntnis für die Landwirtschaft und für unsere Ernährung. Und es sollte ein Weckruf an die künftigen Koalitionäre sein – auch, wenn es danach nicht aussieht. Denn, so ignorant sich die Neu-Koalitionäre gegenüber Klima- und Naturschutz zeigen, so eifrig kündigen sie weitere Verschlechterungen in diesem Bereich an. Mit neuen Subventionen für Agrardiesel und Pendlerpauschale drehen sie selbst die kleinsten Ansätze der bisherigen Koalition zurück, umwelt- und klimaschädliche Subventionen abzubauen. Dass Deutschland sich verpflichtet hat, zusammen mit den anderen Staaten diese Beihilfen zum ökologischen Raubbau weltweit in den nächsten fünf Jahren um jährlich 500 Milliarden Dollar abzubauen, wird einfach missachtet..
Zu Recht kritisieren auch wirtschaftsnahe Ökonomen wie Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) diesen Irrweg als einen ökologischen Skandal. Welche ökonomischen Folgen diese Ignoranz gegenüber der globalen Umweltkrise haben, zeigt auch ein Blick in die Statistiken der Versicherungswirtschaft. „Der Klimawandel zeigt Krallen“, überschreibt etwa der weltweit größte Rückversicherer Munich Re seine aktuelle Naturkatastrophen-Bilanz. Wirbelstürme, Gewitter und Überschwemmungen trieben die Schäden weltweit auf neue Höchstwerte von mehr als 300 Milliarden Dollar.
Für die Grünen gilt es, die in den vergangenen Jahren erreichten zaghaften Fortschritte und damit ihr Erbe zu sichern und ein Zeichen für die Zukunft als Öko-Partei zu setzen.

Jetzt kommt es auf die Grünen an
Es hat etwas Ironisches. Ausgerechnet auf den künftig in der Opposition sitzenden Grünen lastet nun eine große Verantwortung. Wahrscheinlich zum letzten Mal für längere Zeit haben sie den Hebel in der Hand, dafür zu sorgen, dass Klima- und Biodiversitätsschutz nicht unter die Räder kommen.
Sie sollten ihre Zustimmung an eine Grundgesetzänderung für den geplanten Infrastrukturfonds nicht nur von mehr Geld für den technischen Klimaschutz abhängig machen, sondern von einer ausreichenden Finanzierung für den Biodiversitätsschutz – bei uns und international. Dazu gibt es Konzepte. Die Summen, die darin aufgerufen werden, sind im Vergleich zu den Dimensionen, die SPD und Union anstreben, mehr als vertretbar.
Das Geld für Naturschutz in Entwicklungsländern muss gesichert werden
Die von Deutschland zugesagten sechs Milliarden Euro für den internationalen Klima- und Naturschutz beispielsweise müssen garantiert sein. Nur so lassen sich die von Deutschland unterschriebenen internationalen Abkommen einhalten – gerade in Zeiten, in denen der Rückzug der USA aus Klima- und Naturschutz riesige Lücken reißt. In Deutschland muss die eingeleitete Renaturierung kaputter Ökosysteme nicht nur fortgesetzt, sondern gestärkt werden. Und die ungebremste Zerstörung der letzten nicht einmal mehr halbwegs intakten Naturlandschaften muss beendet werden, auch durch ein Umsteuern bei den Subventionen. Für die Grünen gilt es, die in den vergangenen Jahren erreichten zaghaften Fortschritte und damit ihr Erbe zu sichern und ein Zeichen für die Zukunft als Öko-Partei zu setzen. Auch in der SPD und der Union gibt es eine Handvoll engagierte Umweltpolitikerinnen und -politiker. Es wird Zeit, dass sie ihre Stimme erheben und ihren Einfluss geltend machen.