Julia Klöckners fatale Attacke auf den Vogelschutz

Die Landwirtschaftsministerin unterläuft ein EU-weites Verbot bleihaltiger Munition, die Umweltministerin schaut machtlos zu. Ein Kommentar

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
6 Minuten
Das Bild zeigt einen Jäger im Schilf im Abendlicht, der mit einem Schrotgewehr in Richtung Himmel zielt.

Es hätte ein historischer Tag für die Umwelt in Europa werden können. Nach mehr als fünfjähriger Debatte wollte die Staatengemeinschaft am Dienstag endlich einen Schlussstrich unter einen der größten Umweltskandale ziehen, der sich tagtäglich zur Jagdsaison in allen EU-Lädern abspielt: Nach dem Willen der EU-Kommission sollte das lange überfällige Verbot für Bleimunition bei der Jagd in Feuchtgebieten beschlossen werden.

Doch das Vorhaben scheiterte nun im ersten Anlauf am Veto des deutschen Landwirtschaftsministeriums. Der historische Tag für die Umwelt scheiterte an der Blockade von Julia Klöckner.

Klöckner verhindert Ende massenhaften Todes von Wasservögeln

Das für Mensch und Umwelt hochgiftige Schwermetall ist in den vergangenen Jahren wegen seiner Gefährlichkeit schon aus vielen Bereichen unseres Lebens verbannt worden. Es wurde in Farben, Lacken, Buntstiften und Benzin verboten – nicht aber in der Jagd.

Mehr als 20.000 Tonnen des Stoffes, den die Weltgesundheitsorganisation WHO zu den zehn gefährlichsten Giften für Menschen zählt, werden deshalb in der EU weiter jedes Jahr in die Umwelt verballert. Dadurch werden Tiere, Böden und Gewässer vergiftet. Eine der Folgen: allein mehr als eine Million Wasservögel sterben in jedem Jahr an den Überresten der Jagd.

Wenn die Jäger längst abgezogen sind und das erlegte Wild längst verspeist ist, beginnt das große Sterben der Überlebenden. Qualvoll verenden an europäischen Gewässern still und leise Enten, Gänse und Schwäne an den Millionen und Abermillionen winzigen Bleischroten, die sie aus dem Wasser aufnehmen oder vom Boden aufpicken. Der Todeskampf dauert oft Wochen.

Diese Vögel sterben nicht, weil sie von Jägern erlegt und gegessen werden. Sie sind der Kollateralschaden einer überkommenen Art der Jagd – der Jagd mit Bleischrot. Ihr Tod ist komplett überflüssig, vermeidbar, sinnlos – und damit unethisch.

Keinem Tier darf „ohne vernünftigen Grund“ Schaden zugefügt werden. So steht es in den Tierschutzgesetzen der EU-Länder. Einen vernünftigen Grund aber gibt es nicht für Bleimunition. Höchste Zeit also für ein Verbot.

Den Anfang sollte am Dienstag Bleischrot für die Jagd in Feuchtgebieten machen. Um dafür Zustimmung zu bekommen, hatte die EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen bereits viele Zugeständnisse in Richtung Jagdlobby gemacht. Und so war alles bereit für den umwelthistorischen Schritt bei der Sitzung am Dienstag.

Selbst die französische Regierung hatte den Mut, sich gegen den Teil ihrer Jägerschaft zu stellen, der – angefeuert vom rechtsextremen Rassemblement National – gegen die Änderung mobil gemacht hat. Die notwendige Mehrheit hätte mit einer Zustimmung Deutschlands gestanden. Doch der deutsche Vertreter, ein Mann aus dem Bundesumweltministerium, das für ein Bleiverbot eintritt, durfte nicht zustimmen. Weil das Klöckner-Ministerium seine Zustimmung verweigerte. musste sich Deutschland enthalten. Das Bleiverbot scheiterte.

Das Bild zeigt drei Stockenten im Flug. Stockenten sind ein beliebtes Ziel von Jägern.
Mehr als eine Million Wasservögel sterben in jedem Jahr nach Schätzungen der EU-Kommission an den Hinterlassenschaften der Jäger einen langsamen und qualvollen Tod. Die Vögel nehmen die winzigen Bleischrote beim Gründeln im flachen Wasser auf.

Die Argumente, die das Klöckner-Ministerium hinter geschlossenen Türen für seine Blockadehaltung vorgebracht hat, sind bestenfalls fadenscheinig. Sie lauten im Kern: Jäger schössen in Feuchtgebieten nicht nur auf kleinere Wasservögel, sondern auch auf größere invasive Arten wie Nilgans oder Waschbär; und bei diesen habe bleifreie Munition nicht die durchschlagende Tötungswirkung wie Bleischrot. Damit werde der Kampf gegen diese für ein Ökosystem schädlichen Tiere durch ein Bleiverbot zurückgeworfen und den nur angeschossenen, aber nicht sofort getöteten Tieren werde Leid zugefügt.

Die Behauptung, bleifreie Munition sei bleihaltiger in ihrer Tötungswirkung nicht ebenbürtig, ist schon lange nicht mehr tragbar, sie ist Fake News

Diese Argumentation ist ein Witz, allerdings ein schlechter. In Dänemark, den Niederlanden und in allen deutschen Bundesländern mit Ausnahme der Stadtstaaten Hamburg und Bremen, gilt seit langem ein Verbot von Bleischrot an und über Gewässern. Vielerorts werden sogar größere Gänse geschossen als Nilgänse, ohne dass es bisher Tierfreundin Klöckner gestört hätte. Die Behauptung, bleifreie Munition sei bleihaltiger in ihrer Tötungswirkung nicht ebenbürtig, ist schon lange nicht mehr tragbar, sie ist Fake News. Das zeigt die langjährige Praxis in unseren Nachbarländern Niederlande und Dänemark und das bestätigt die wissenschaftliche Forschung. Selbst der europäische Jägerverband FACE sieht bleifreie Munition bleihaltiger als ebenbürtig an.

Die Haltung der Klöckner-Leute ist aber auch zynisch: Mit (unhaltbaren) Tierschutz- und Naturschutzargumenten einen Stopp des millionenfachen Leids unter Wasservögeln, darunter auch naturgeschützter Arten, zu verhindern – diese Argumentation ist perfide. Hinter Klöckners Blockade steht nicht die Sorge um Tierwohl und Natur: Dahinter steht wie in der Landwirtschaftspolitik auch, wohl eher die Strategie, sich als knallharte Kämpferin für Wählergruppen zu präsentieren, die seit langem unzufrieden mit der Union sind: Konservative Jäger und Bauern.

Das Bild zeigt Weißwangengänse im Überflug.
Allein in den ökologisch besonders sensiblen Feuchtgebieten landen EU-weit in jedem Jahr rund 5000 Tonnen Blei aus Bleischrot-Munition, die Menschen bei der Jagd auf Enten, Gänse, Schwäne und andere Wasservögel abfeuern. In solchen Lebensräumen leben auch die Weißwangengänse (Bild).

Scheitert das EU-Bleiverbot, ist es auch Schulzes Scheitern

Und Svenja Schulze? Die Bundesumweltministerin hat sich neulich in einer Talkrunde darüber beklagt, dass sie immer die Prügel von Umweltschützern und Klimaaktivisten beziehe, wo sie doch ihr Bestes gebe, wenigstens einige Verbesserungen gegen den Widerstand von CDU und CSU durchzusetzen. Da ist etwas dran und Schulze war auch in der Corona-Krise früh unter denen, die die richtigen Schlüsse aus der Pandemie gezogen und mehr Biodiversitätsschutz und einen ökologischen Wiederaufbau als Konsequenz aus der Krise gefordert haben.

Schulze ist aber auch Ministerin in dieser Bundesregierung. Da ist Wehleidigkeit fehl am Platz. Die Politikerin muss sich an den Ergebnissen messen lassen, nicht am guten Willen. Scheitert das Bleiverbot in Europa, dann ist es auch ihr Scheitern. Weil sie es nicht schafft, sich gegen Klöckner durchzusetzen, gegen sie Allianzen zu schmieden und ihr auch öffentlich die Stirn zu bieten. Die Argumente hätte sie auf ihrer Seite. Sie müsste endlich den Konflikt wagen.

Eine Blamage zum Start der EU-Ratspräsidentschaft

Die Bundesregierung startet nun mit einem umweltpolitischen Offenbarungseid in ihre EU-Ratspräsidentschaft. Das lässt nichts Gutes erwarten und die vollmundigen Bekenntnisse zu einem ökologischen Umbau nach der Corona-Krise klingen vor diesem Hintergrund besonders hohl. Die Hoffnungen liegen nun auf der Kommission – und alle Signale deuten darauf hin, dass Brüssel mutiger agiert als Berlin.

Hinter verschlossenen Türen hat der Vertreter der Kommission den Ausschussmitgliedern angekündigt, jetzt alles auf eine Karte zu setzen. Sollte Deutschland (und die anderen Staaten) nach einer jetzt laufenden dreiwöchigen Unterzeichnungsfrist bei ihrer Haltung bleiben und das Bleiverbot weiter keine Mehrheit haben, wird die Entscheidung dem Europäischen Rat vorgelegt werden. Dann müssten die Minister abstimmen. Unter den dann geltenden Abstimmungsregeln benötigt der Rat dann aber eine qualifizierte Mehrheit gegen den Verbotsantrag der Kommission, um ihn aufzuhalten. Damit ist nicht zu rechnen. Zudem will sich die Kommission Rückendeckung durch das Europaparlament holen.

Einiges spricht derzeit also dafür, dass das Verbot von Bleimunition in Feuchtgebieten am Ende doch noch kommt. Für Klöckner hieße das: Ziel nicht erreicht, eine Blamage ohne Belohnung. Und Schulze könnte trotz Erfolgs in der Sache den Sieg nicht für sich reklamieren, denn andere Staaten hätten sie gerettet. Die Bundesregierung als ganze hätte eine maximale Blamage eingefahren und enorm an umweltpolitischer Glaubwürdigkeit verloren.

Eine Chance, diesen absurden Ablauf zu verhindern, hat die Bundesumweltministerin noch. Sie muss innerhalb der nächsten drei Wochen Klöckner doch noch zum Einlenken bewegen und dann dem Kommissionsvorschlag zustimmen.

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