Jetzt geht Christian Lindner zur offenen Feldschlacht gegen Umwelt- und Klimaschutz über

Kommentar: Mit seiner Forderung, das Umweltbundesamt abzuschaffen, treibt der FDP-Vorsitzende seinen Kurswechsel in Richtung Rechtspopulismus voran. Vor 50 Jahren hat die FDP die Gründung des UBA erwirkt – Deutschland hat bessere Liberale verdient als Lindner

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Lindner am Rednerpult mit wütendem Gesichtsausdruck.

Das Umweltbundesamt mit Sitz in Dessau samt seiner 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht wie keine andere Behörde für eine wissenschaftlich begründete Umwelt- und Klimapolitik. Es betreibt Messstationen, wertet Daten zur Umweltbelastung etwa mit Pestiziden aus, berät die Regierung bei Gesetzesänderungen und überwacht den deutschen Handel mit CO₂-Emissionszertifikaten. Das UBA ist auch Kontaktstelle für zahlreiche internationale Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO und des UN-Umweltprogramms UNEP.

Am Montagvormittag postete der FDP-Vorsitzende Christian Lindner auf der Plattform X: „Wir müssen das Land nach vorne verbessern: Mit einem radikalen Abbau von Bürokratie: Weg mit dem deutschen Lieferkettengesetz, das Arbeitszeitrecht massiv entschlacken, Berichtspflichten weitgehend aufheben. Ganze Behörden wie das Umweltbundesamt können entfallen.“ Im dazugehörigen Interview hatte Lindner die Forderung noch eingeschränkt und hinzugefügt, Behörden wie das UBA könnten abgeschafft werden, wenn deren Aufgaben auf andere Behörden aufgeteilt würden. Auf X fehlte dieser Zusatz.

Trump will die US-Umweltbehörde zwar entmachten, aber nicht abschaffen

Die Attacke gegen das UBA ist Teil eines neuen, aggressiven Kurses von Lindner. Seit dem Rauswurf der FDP aus der Ampelkoalition mit SPD und Grünen ist bei ihrem Vorsitzenden eine erstaunliche Radikalisierung und ein Schwenk in Richtung Rechtspopulismus zu beobachten. Vielbeachtet war seine Forderung, Deutschland solle ich am argentinischen Präsidenten Javier Milei und am Tech-Unternehmer und Trump-Vertrauten Elon Musk ein Vorbild nehmen. Beide wollen staatliche Rechte und Strukturen auch im Umweltschutz nicht nur begrenzen, sondern zerschlagen.

FDP-Annonce mit Zitaten aus dem Text.
Werbung der FDP für Umweltpolitik von Anfang der 1970er Jahre.

Noch immer weist Lindner zurück, dass Formulierungen aus FDP-Strategiepapieren wie „D-Day“ und „offene Feldschlacht“ im Umgang mit den Koalitionspartnern von ihm stammten. Doch was Lindner nun in Sachen Umweltbundesamt fordert, hat durchaus den Charakter eines Generalangriffs auf den bisherigen Konsens bürgerlicher Parteien. Es geht sogar über das hinaus, was Donald Trump nun in den USA mit der Environmental Protection Agency, dem Vorbild und Gegenstück für das UBA, vorhat. Trump will das EPA in seinen Befugnissen einschränken, aber nicht abschaffen.

Die Liberalen waren einmal Vorreiter in der Umweltpolitik

Lindners Forderung ist in der Sache fehlgeleitet. Inmitten dramatischer und gefährlicher globaler Umweltveränderungen braucht die Bundesregierung eine starke, der Wissenschaft verpflichtete Behörde, die über Fachkenntnisse, Messstationen und internationale Kontakte verfügt. Wenn Investitionen an der sogenannten „Umweltbürokratie“ scheitern, dann liegt dies eher daran, dass die Behörden personell viel zu schwach besetzt sind und deshalb bei Antragsverfahren lange Wartezeiten entstehen. Und nachdem die FDP jahrelang gepredigt hat, man solle in der Klimapolitik hauptsächlich auf den CO₂-Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument setzen, ist es entlarvend, wenn ihr Vorsitzender jetzt die Behörde abschaffen will, die ihn organisiert.

Der neue Kurs des FDP-Vorsitzenden ist aber nicht nur gefährlich für die Umwelt- und Klimapolitik, er ist auch eine Blamage, ja Bankrotterklärung für die FDP. Denn aus ihren Reihen kam Anfang der 1970er Jahre überhaupt erst die Initiative dafür, das Umweltbundesamt zu gründen, sein erster Präsident, Heinrich von Lersner, kam aus der FDP. Der damalige Bundesinnenminister und Vizeparteichef Hans-Dietrich Genscher erkannte, wie wichtig Umweltschutz ist und arbeitete mit Werner Maihofer zusammen, dies in den „Freiburger Thesen“ für den FDP-Parteitag 1971 festzuhalten.

„Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen“, stand in den Thesen – lange bevor die Grünen solche Forderungen erhoben.

In einer FDP-Werbung aus dieser Zeit steht: „Die Umwelt kennt keine Konjunktur: Unsere Anstrengungen, die Umwelt menschenwürdig zu erhalten, können nicht von den konjunkturellen Schwankungen abhängig gemacht werden. Wer hier spart, begeht schwerwiegende Fehler. Fehler, zu denen die F.D.P. niemals ja sagen wird. Doch sind wir gleichzeitig darauf bedacht, daß die finanziellen Belastungen für die Wirtschaft verkraftbar sind. Umweltschutz kostet nicht nur Geld. Er schafft auch neue Produktionszweige und damit neue Investitionen und neue Arbeitsplätze … Wenn erst Umweltschäden entstehen, ist es oft zu spät, sie zu beseitigen, und sofern es überhaupt geht, ist es viel teurer, als wenn man gleich vorbeugend investiert hätte.“

Modernes Gebäude mit einem treibhausartigen Eingangsbereich und geschwungener Holzfassade.
Das Umweltbundesamt in Dessau.

Als die Gründung des UBA 1974 im Bundestag beschlossen wurde, reklamierte die FDP dies als ihren Erfolg, und der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch sagte, dass die „Umweltschutzpolitik eine der zentralen Aufgaben einer jeden Bundesregierung, eine der staatlichen Aufgaben unserer Zeit überhaupt sein muss.“ Wer die Zahlen verfolge, „mit welcher Geschwindigkeit unsere Umwelt, unsere biologische Lebensexistenz, in Gefahr gerät, der kann diesem Thema nur mit Unruhe begegnen“. Wenn die aktuelle Generation nicht in der Lage sei, dieses Problem zu lösen, dann werde man der Generation der Kinder Aufgaben überlassen, die sie „mit den Mitteln normaler staatlicher Tätigkeit nicht mehr lösen“ könne. Mit der Schaffung des UBA werde „die Möglichkeit eröffnet, Umweltvorsorge und Umweltplanung auf lange Zeit zu betreiben.“

In der Klimapolitik hat Lindner lieber mit der Bild-Zeitung kooperiert als mit den eigenen Partnern

50 Jahre später degradiert sich die FDP selbst zu einer Partei, die diese Einsichten leugnet und die von ihr selbst erzielten Fortschritte rückgängig machen will. Zu Lindners neuem Kurs passt auch seine Forderung, das Zieljahr, in dem Deutschland klimaneutral wird, von 2045 auf 2050 zu verschieben – wohl wissend, dass damit die gesamte EU-Klimapolitik ins Kippen kommen könnte.

Schon bei der Diskussion um das „Gebäudeenergiegesetz“ hatte die FDP lieber mit der Bild-Zeitung kooperiert – Stichwort „Heizhammer“ – und eine progressive Klimapolitik ihrer eigenen Ampelkoalition sabotiert, als in der Regierung für die bestmögliche Lösung zu sorgen. Lindners endlos wiederholte Forderung, statt staatlicher Detailvorgaben „technologieoffen“ auf den Emissionshandel zu setzen, erwies sich als hohl, als er eine Initiative aus seiner eigenen Partei, konsequenterweise dann auch für wirksame CO₂-Preise zu sorgen, sofort einkassierte. Dasselbe tat er mit dem Plan aus dem Koalitionsvertrag, die Bevölkerung mittels „Klimageld“ zu entlasten.

Deutschland hat bessere Liberale verdient

Wenigstens eines schafft Lindners Forderung nach der Abschaffung des Umweltbundesamts: Ehrlichkeit. Lindner ging es nie um wirksame Umweltpolitik, sondern immer nur um maximal eigennützige Effekthascherei. Dass er nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ bezeichnete, erschien ihm zu der Zeit einfach nur opportun. Schon wenig später machte er für fossile Energien Stimmung. Was Lindner viel mehr beeindruckt und fasziniert als neueste alarmierende Klimaprognosen sind die Erfolge, die Milei, Trump und Musk mit ihrer so aggressiven wie faktenfreien Rhetorik und ihren so radikalen wie destruktiven Strategien erzielen. In der aufgeheizten und emotionalen Social-Media-Stimmung unserer Tage wählt Lindner gezielt wissenschaftlich ausgebildete Angestellte und Beamter, die Umweltbelastungen analysieren, als Feindbild. Das ist absurd und gefährlich. Rechnet er das UBA dann als Nächstes zum „deep state“ und erklärt er, wenn die FDP im Februar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, die Bundestagswahl für gefälscht?

Es bleibt unvergessen, wie Lindner 2019 auf dem Höhepunkt der Demonstrationen von Fridays for Future sagte, man solle in der Klimapolitik lieber „Profis“ wie ihn machen lassen.

Fünf Jahre später ist davon nichts übrig – die FDP sucht eine neue politische Nische nahe an der AfD und ist sich selbst für billigste Polemik gegen den Umweltschutz nicht zu schade. Deutschland hat bessere Liberale statt selbstverliebter Möchtegern-Radikaler verdient. Liberale, die es verstehen, die wegweisenden Freiburger Thesen ihrer Partei im 21. Jahrhundert anzuwenden. Unter einem Vorsitzenden Christian Lindner ist dies jetzt endgültig unmöglich geworden.

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