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Moorvernässung in Landwirtschaft: Wie die toMOORow-Initiative eine Million Hektar transformieren will
Landwirtschaftliche Nutzung wiedervernässter Moore: „Wir bieten unschlagbare Vorteile“
Mit einem Bündnis aus 15 großen Unternehmen will Claudia Bühler, Chefin der Umweltstiftung Michael Otto, den Weg dafür ebnen, dass deutsche Landwirte künftig eine Million Hektar Agrarfläche mit der sogenannten Paludikultur bewirtschaften können

Claudia Bühler studierte Agrarmarketing und Agrarmanagement an der Fachhochschule Weihenstephan. Zwischen 2002 und 2022 war sie in der Otto Group im Management tätig. 2022 wechselte sie in die Umweltstiftung Michael Otto, die sie seit 2025 allein leitet. Zu den wichtigsten Aktionsfeldern gehört die Wiedervernässung von Mooren.
Welches Ziel verfolgen Sie mit der toMOORow-Initiative?
Wir stehen in Deutschland vor der Aufgabe, dass mindestens eine Million Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, auf der sich heute Moorböden zu CO₂ zersetzen, dringend wiedervernässt werden müssen. Schließlich ist die gesamte trockengelegte Moorfläche von 1,7 Millionen Hektar für rund sieben Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – pro Jahr 53 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung ist mit Abstand der Hauptgrund für die Trockenlegungen.
Kann man diese Flächen einfach überfluten und die Landwirte entschädigen?
Nein, auf keinen Fall, das würde überhaupt nicht funktionieren. Wir reden über landwirtschaftliche Nutzflächen, die jedes Jahr einen Ertrag abwerfen. Eine einmalige Entschädigung ist kein Einkommensmodell. Die Landwirte sollen und müssen natürlich weiter mit dem Land Geld verdienen. Das geht nur auf Basis einer neuen Bewirtschaftungsform auf nassen Flächen, der sogenannten Paludikultur, mit der auf diesen nassen Flächen entstehenden Paludi-Biomasse wie zum Beispiel Seggen, Rohrglanzgras, Schilf oder Rohrkolben– und mit Unternehmen, die die Ernte kaufen und weiterverarbeiten. Darum geht es bei toMOORow.
Wie gehen Sie vor?
Viele meiner Ansprechpartner in den Geschäftsleitungen hatten ein gutes Gespür, dass da viel Potenzial drin steckt.
Claudia Bühler
Zum einen werden wir selbst in der Wiedervernässung tätig, zum Beispiel auf unserer 80 Hektar großen eigenen Fläche in der brandenburgischen Sernitzniederung. Dort erforschen wir auch, wie die Wiedervernässung sich auf Biodiversität und Kohlenstoffspeicherung auswirkt. Zudem geben wir der Politik Handlungsempfehlungen, wie die Wiedervernässung auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene in Kooperation mit der Landwirtschaft gelingen kann. Der größte Hebel und das größte Aktionsfeld ist aber unsere Allianz der Pioniere – ein Bündnis von bereits 15 großen Wirtschaftspartnern, die sich jetzt aufmachen, die Biomasse aus Paludikultur, also dem Anbau auf wiedervernässten Flächen, in industriellem Maßstab weiterzuverarbeiten und in ihre Produktpaletten zu integrieren beziehungsweise im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit zum Einsatz zu bringen.
Wie haben diese Unternehmen reagiert, als Sie sich mit Moorböden und Paludikultur zum ersten Mal bei ihnen gemeldet haben?
Einige waren zunächst überrascht, andere gleich sehr neugierig und offen. Aber sobald wir mit unserer Präsentation fertig waren, waren wir uns eigentlich immer schnell einig, dass Moorschutz durch Moornutzung nicht nur dem Wohle der Gesellschaft dient, sondern auch sehr relevant für das Geschäft ist. Viele meiner Ansprechpartner in den Geschäftsleitungen hatten ein gutes Gespür, dass da viel Potenzial drin steckt. Nur vier Firmen haben abgesagt, und das nicht aus Desinteresse, sondern aus sehr nachvollziehbaren Gründen.
Unternehmen müssen Geld verdienen und können nicht wie eine Stiftung philanthropisch Naturschutz machen. Was motiviert die Firmen, bei der Allianz mitzumachen?
Es gibt ganz unterschiedliche Treiber. Einige der Unternehmen haben sich trotz allem wirtschaftlichen Druck zu Nachhaltigkeit verpflichtet und wollen sie umsetzen, wo es nur geht. Andere Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, ihre auf Erdölbasis erzeugten Produkte schrittweise zu ersetzen und suchen händeringend nach nachwachsenden ökologischen Rohstoffen, die auch noch regional verfügbar sind – das ist zum Beispiel beim Styropor so, das bei Dämmplatten eingesetzt wird. Wieder andere treibt die Sorge um, dass es bei ihren heutigen Rohstoffen einen Engpass geben wird, etwa bei Zellulose aus Holz für die Papier- und Kartonagenherstellung.
Die Landwirte müssen darauf vertrauen können, die Umstellung machen zu können, ohne dabei pleite zu gehen.
Claudia Bühler
Wo liegen die größten Potenziale für den Einsatz von Pflanzenmasse aus Paludikultur?
Es handelt sich im Wesentlichen um sieben Sektoren: Den gesamten Papier- und Verpackungsbereich inklusive Hygienepapier, Bau- und Dämmstoffe, Kunststoffe und chemische Grundstoffe, Holzwerkstoffe, Möbel, Spanplatten und zudem Fasern inklusive Textilfasern. Das sind jeweils große Wirtschaftszweige mit einem riesigen Bedarf an Rohstoffen.
Wie sieht es mit der energetischen Nutzung aus, also Biomasse als Brennstoff für Strom oder Wärme?
Das steht bei der Allianz nicht im Fokus, denn wir wollen eine hochwertige Nutzung, die den Landwirten auch gute Einnahmen bringt. An Verbrennung denken wir höchstens dann, wenn in den Unternehmen am Ende der Nutzungskaskade Reststoffe anfallen.
Die Allianz arbeitet im April ein Jahr – sind in dieser Zeit mehr Probleme oder mehr Lösungen entstanden?
Als wir uns im Dezember 2024 bei einem großen Treffen mit allen Allianzpartnern ausgetauscht haben, kamen eigentlich von allen Beteiligten positive Nachrichten. Die Unternehmen haben auf volle Fahrt voraus geschaltet. Sie haben Pilotprojekte gestartet und wir vermitteln Biomasse aus Wiedervernässungsprojekten oder von bereits aktiven Moorbauern, wenn möglich aus ihrer Region. Sie sind schon am Testen, Experimentieren, Ausprobieren, wie sie Pflanzenmaterial aus Paludikultur nutzen können. Aber es ist auch nicht alles eitel Sonnenschein.
Es wird alles teurer, was aus fossilen Grundmaterialien entsteht – und klimaneutrale Alternativen werden immer wettbewerbsfähiger.
Claudia Bühler
Wo hakt es?
Es ist klar, dass es für die Landwirte eine große Umstellung darstellt, wenn sie nicht mehr auf trockengelegten, sondern auf wiedervernässten Böden wirtschaften. Sie brauchen dafür nicht selten neue Maschinen und in jedem Fall neue Betriebsabläufe und Abnehmer. Das ist ein riesiges Investitionsvolumen, was die Landwirte da in die Hand nehmen müssen. Wir versuchen ja nicht weniger, als einen neuen Wirtschaftszweig aufzubauen. Aber die Politik hat es bisher versäumt, die Agrarförderung darauf einzustellen. Einerseits wird erwartet, dass Landwirte die CO₂-Emissionen aus ihren Böden reduzieren. Andererseits fehlen passende Beihilfen und mit wenigen Ausnahmen auch Förderinstrumente, wie sie in anderen Bereichen der Landwirtschaft Alltag sind.
Was wäre besonders wichtig?
Planungssicherheit! Die Landwirte müssen darauf vertrauen können, die Umstellung machen zu können, ohne dabei pleite zu gehen. Zum Beispiel, indem sie zusätzlich mit CO₂-Zertifikaten Geld verdienen können, dass ihnen die Übergangsphase vom Ackerbau oder Grünland bis zur ersten Ernte aus Paludikultur finanziert wird, dass Paludikultur-Pfanzen überhaupt als landwirtschaftliche Erzeugnisse anerkannt werden, um entsprechende landwirtschaftliche Fördergelder abrufen zu können. Der Teufel steckt wie so oft im Detail. Aber wenn wir wirklich auf einer Million Hektar wiedervernässen wollen, müssen viele solche Fragen schnell gelöst werden. Ein zweiter wichtiger Punkt wäre die Entbürokratisierung.
Leidet auch die Moorvernässung an Bürokratie?
Sehr. Auf unserer Demonstrationsfläche in Brandenburg laufen die Planungs- und Genehmigungsverfahren samt hydrologischen Gutachten seit über zwei Jahren. Da geht wertvolle Zeit verloren.
Womit?
Es muss zum Beispiel leichter möglich werden, Flächen mit verschiedenen Eigentümern zu einem Wiedervernässungsgebiet zusammenzufassen. Oft sind die Gebiete nämlich Flickenteppiche, was die Eigentümer betrifft. Überspitzt formuliert: Es kann nicht sein, dass ein einzelner Eigentümer von ein paar Quadratmetern dann ein ganzes Großprojekt aufhalten kann. Da sollte es zum Beispiel zur Pflicht werden, gleich wertvolle Tauschgrundstücke annehmen zu müssen. In anderen Bereichen wie bei Autobahnen und Windrädern werden Verfahren beschleunigt, das brauchen wir jetzt auch für die Wiedervernässung. Denn wenn die Unternehmen so weit sind, auf Paludi-Biomasse umzustellen, muss sie auch zur Verfügung stehen. Und die Unternehmen sind verdammt schnell.
Wie schnell?
Im Rahmen der Allianz der Pioniere hat der Online-Händler Otto 2024 innerhalb von neun Monaten das Projekt aus dem Boden gestampft, 100.000 Versandkartons mit 10 Prozent Biomasseanteil aus Paludikultur herzustellen und einzusetzen – mit durchweg positiver Kundenresonanz. Auch andere Firmen stehen bald in den Startlöchern. Da darf es jetzt nicht Jahre dauern, bis die Landwirtschaft so weit ist, die nötige Biomasse zu liefern. Das wäre fatal.
Hier gibt es ein Henne-und-Ei-Problem, oder? Landwirte brauchen verlässliche Abnehmer, die Firmen brauchen aber verlässlich Biomasse. Wie kann man das überwinden?
Vieles müssen Bund, Länder und die EU machen, aber wir wollen jetzt als Erstes eine Biomassebörse aufbauen. Das wird federführend die Michael Succow Stiftung machen. Dafür werden die Landwirte mit Paludi-Biomasse und die Unternehmen, die sie brauchen, erfasst, eingetragen und gematcht. Genauso wichtig ist aber auch der Aufbau direkter Beziehungen zwischen denen, die Biomasse bereitstellen und sie abnehmen, und faire Verträgen mit langfristigen gegenseitigen Garantien. Dabei wollen wir auch unterstützen, auch weil das die mutigen und engagierten Biomasse-Produzenten belohnt.
Ein weiterer Faktor sind die Erntemaschinen. Man kann ja mit einem normalen Traktor nicht einfach in ein wiedervernässtes Moor fahren, um zu ernten. Wie steht es darum?
Auf Nasswiesen reicht es manchmal schon, dass der Landwirt Ballonreifen aufzieht, um den Bodendruck zu vermindern. Auf noch nasseren Standorten wird es aber eine neue Generation von Landmaschinen brauchen. Es gibt in dem Bereich schon einige Spezialhersteller, und auch größere Landmaschinenhersteller zeigen Interesse. Da man bestimmte Paludiflächen über den ganzen Winter abernten kann, müssen nicht alle Landwirte gleichzeitig raus, sondern können sich die nötigen Maschinen besser teilen.
In welchen Bereichen außer bei den Versandkartons ist die Allianz schon am weitesten?
Das Unternehmen WEPA, das in der Allianz mitarbeitet, plant gerade die Testproduktion von Hygienepapier – also zum Beispiel Küchenpapier oder Toilettenpapier – auf einer eigenen großen Anlage, die auch für die reguläre Produktion infrage käme. Das ist großartig und zeigt, wie wenige Schritte es nur noch zu einer möglichen Skalierung sind. Und auch Unternehmen wie sto und Strabag kommen zum Beispiel beim Thema Dämmstoffe auf Basis von Paludi-Biomasse sehr gut voran. Das sind alles Riesenmärkte. Wenn das alle anläuft wie geplant, wie die Nachfrage nach Biomasse aus wiedervernässten Mooren groß sein.
Wie teuer werden Produkte aus Paludikultur?
Wir sind jetzt natürlich noch in der Modell- und Entwicklungsphase, wo die Kosten sehr hoch sind und die der aktuellen Standardlösungen um ein Vielfaches übertreffen. In vielen Anwendungsfällen werden sie auch langfristig teurer sein als das, was wir von den derzeitigen Standardprodukten kennen.
Besteht dann überhaupt eine Chance, auf dem Markt zu bestehen?
Ja, sonst würden wir das ja nicht machen. Zum einen werden nach der Entwicklungsphase die Preise sinken, weil sich die Verfahren einspielen und standardmäßig zum Einsatz kommen, und weil die Mengen steigen. Ein weiterer Faktor ist, dass der Preis für CO₂-Ausstoß im Europäischen Emissionshandel nur eine Richtung kennt, nach oben. Dadurch wird alles teurer, was aus fossilen Grundmaterialien entsteht – und klimaneutrale Alternativen werden immer wettbewerbsfähiger.
Das Ziel einer Wiedervernässung von einer Million Hektar würden wir mit einem Anteil von durchschnittlich 15 Prozent Paludi-Biomasse in der Produktion schaffen.
Claudia Bühler
Wie sieht für den Landwirt der nahen Zukunft das Businessmodell für wiedervernässte Flächen aus?
Die gute Nachricht ist, dass es viele verschiedene Modelle gibt, die sich von Region zu Region, von Betrieb zu Betrieb unterscheiden. Neben dem Verkauf der Biomasse an die Papier-, Dämmstoff-, Bau- oder Faserindustrie gibt es auch die Möglichkeit, Wasserbüffel auf solchen Flächen zu halten, eventuell Photovoltaikmodule zu installieren, CO₂-Zertifikate zu verkaufen. Man kann auf Hochmoorflächen auch Moos anbauen, das zu Torfersatz in Gartenerde wird. Außerdem können wir uns gut vorstellen, dass die Landwirte nicht nur die Rohstoffe liefern, sondern die Verarbeitung hin zum Produkt selbst leistet, was eine größere Wertschöpfung für die Landwirte ermöglicht. Eine kleine Anlage in der Scheune, mit der man Trockenbauplatten erzeugt und regional verkauft – das wäre doch was.
Wie fallen bisher die Reaktionen bei den Landwirten auf Ihre Pläne aus?
Natürlich gibt es einiges an Skepsis unter den Bauern, und das kann ich auch gut verstehen. Die Gesellschaft verlangt hier für den Klimaschutz eine große Umstellung, die aber noch nicht voll planbar ist und abgesehen von Ausnahmen wie dem bayerischen Moorbauernprogramm nicht ausreichend unterstützt wird. Das ist keine leichte Situation.
Landwirte, die bereits mitmachen, brauchen einigen Mut?
Ja, aber sie ignorieren eben auch eine harte Realität nicht: Wenn man einfach so weitermacht, verschwindet weiter ein Zentimeter Torfboden pro Jahr als CO₂ in der Luft. Viele Landwirte denken in Generationen. Manch einer sagt sich: Wenn sich der Boden in Luft auflöst, was soll ich dann meinen Kindern übergeben?
Erleben Sie, dass Naturschützer skeptisch reagieren, wenn künftig landauf landab Traktoren in Moorflächen abernten sollen?
Nein, bisher nicht. Schließlich ist unbestritten, dass moortypische und moorspezifische Arten keinen Lebensraum auf entwässerten Moorböden haben. Welchen Raum sie auf bewirtschafteten wiedervernässten Flächen haben, zeigen Untersuchungen in mehreren Gebieten, die erst Ende letzten Jahres von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, dem Peatland Science Center und dem Greifswald Moor Centrum veröffentlicht worden sind. So hat sich zum Beispiel auf einer zehn Hektar großen Anbaufläche von Rohrkolben in Mecklenburg-Vorpommern die Zahl der Vogelarten der Roten Liste innerhalb von nur vier Jahren verdoppelt. Auf einer Torfmoos-Kultivierungsfläche von 17 Hektar in Niedersachsen gleicht die Zahl der moortypischen Libellenarten nach rund zehnjähriger Beobachtung fast der in naturnahen Mooren der Gegend. Bewirtschaftung kann auch gut für den Naturschutz sein, das muss sich ruhig noch stärker herumsprechen.
Sie haben von einer Million Hektar gesprochen. Wie kann es gelingen, die Wiedervernässung auf einer so großen Fläche zu schaffen?
Wir haben uns das für die Wirtschaftsbereiche, in denen wir Potenzial für den Einsatz von Paludi-Biomasse sehen, genau angeschaut. Wenn man in deren Produktpalette quer durch die Branchen durchschnittlich fünf Prozent Anteil an Paludi-Biomasse integriert, kommen wir auf 330.000 Hektar dafür nötige Moorfläche. Damit hätten wir auch schon das Ziel aus dem Bundesklimaschutzgesetz mehr als erreicht, bis 2030 rund 25 Millionen Tonnen CO₂ aus der Landwirtschaft einzusparen. Das Ziel einer Wiedervernässung von einer Million Hektar würden wir dann mit einem Anteil von durchschnittlich 15 Prozent Paludi-Biomasse in der Produktion schaffen.
Ist das machbar?
Das wird sich zeigen, aber wir bieten eigentlich drei unschlagbare Vorteile: Wir vermeiden durch die Wiedervernässung CO₂-Emissionen. Wir schaffen damit einen künftigen neuen Kohlenstoffspeicher. Und wir erzeugen klimaneutrale regionale Rohstoffe für zahlreiche Industrien, mit denen fossile Rohstoffe ersetzt werden können. Das sind drei Wirkungshebel – also besser geht es eigentlich nicht.