„Ihr Gesang hat was von Techno“
Die Berliner Schülerin Charlotte Schneider hat erkundet, wie Nachtigallengesang auf Menschen wirkt
Die Nachtigall singt wunderschön. Das finden jedenfalls fast alle, die ihr länger zuhören. Aber was genau macht ihren Gesang so besonders und faszinierend? Und wirkt er auf unsere Ohren ähnlich wie auf die ihrer Artgenossen? Das wollte Charlotte Schneider wissen, Abiturientin aus Berlin. In ihrer Arbeit für den Wettbewerb „Jugend forscht“ ist die 17jährige einer Frage nachgegangen, die für Vogel- wie Musikkundige gleichermaßen spannend ist: Gibt es so etwas wie ein natürliches ästhetisches Bewusstsein, das Tiere und Menschen verbindet?
Johanna Romberg: Die Nachtigall und der Komponist Niccolò Paganini – sie haben einiges gemeinsam, schreibst du in deiner Arbeit für den Wettbewerb „Jugend forscht“. Was verbindet den kleinen Singvogel mit dem legendären Geigenvirtuosen?
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Man muss sich die Strukturen des Gesangs ansehen, also wie er aufgebaut ist, welche verschiedenen Elemente darin aufeinander folgen. Die „Strophen“ erkennt man schon nach kurzem Zuhören: Nachtigallen singen ja nicht „am Stück“, sondern reihen mehrere Sekunden lange Gesangspassagen aneinander, zwischen denen sie jeweils eine kurze Pause einlegen. Innerhalb dieser Strophen tauchen immer wieder ähnliche Motive auf: Triller, Pfeiftöne, schnarrende „buzzes“ und das typische „Schlagen“ bei dem einzelne Töne oder Silben fast Techno-mäßig aneinandergereiht werden…
Techno-mäßig?!
Ja, daran haben mich diese Motive spontan erinnert. Überhaupt war ich überrascht, als ich die Nachtigall zum ersten Mal bewusst gehört habe. Sie klang anders, als ich erwartet hatte, nicht so zart und zierlich und melodisch, wie sie oft beschrieben wird. Beim „Schlagen“ folgen die Töne nicht nur sehr schnell und hart, sondern geradezu mechanisch präzise aufeinander. Techno-mäßig eben.
Wann hast du deine erste Nachtigall gehört? Sicher schon vor langer Zeit, schließlich wohnst du in der Hauptstadt der Nachtigallen…
Ja, einige singen sogar in dem Stadtpark in unserer Nähe. Aber bewusst wahrgenommen habe ich den Gesang erst vor kurzem, als ich ihn im Museum für Naturkunde vom Tonband hörte. Ich bin nicht so die Vogelkennerin, sondern interessiere mich vor allem für Musik, speziell für systematische Musikwissenschaft. Da geht es zum Beispiel um Bioakustik, um die Psychologie des Hörens, und wie das entsteht, was wir Musikalität nennen.
Wie lange musstest du nun zuhören, um zwischen all diesen Buzzes, Pfeiftönen und Trillern Strukturen zu erkennen, die an Paganini erinnerten?
Ich habe den Gesang nicht so sehr angehört als vielmehr angeschaut. Dazu habe ich Tonbandaufnahmen aus dem Museum mithilfe einer Software in Sonagramme übersetzt. Darauf lässt sich gut erkennen, dass die verschiedenen Elemente und Motive im Gesang der Nachtigall eben nicht beliebig aufeinander folgen: Die Vögel kombinieren sie vielmehr so, dass immer wieder bestimmte Muster entstehen. Das ist entscheidend für die Wirkung ihres Gesangs.
Aus der Wahrnehmungsforschung weiß man, dass Musik vor allem dann beeindruckt und emotional berührt, wenn sie bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar ist. Wenn also die Zuhörer darin immer wieder vertraute Tonfolgen oder Rhythmen erkennen. Zugleich müssen diese Muster aber auch variiert werden, damit es nicht langweilig wird. So macht es Paganini in seinen Kompositionen, so macht es aber auch die Nachtigall: Sie „arbeitet“ mit den Erwartungen ihres Publikums, damit es ihr möglichst lange aufmerksam zuhört. Und genau wie der Geigenvirtuose bringt sie aus einer begrenzten Zahl von Motiven eine unglaubliche Vielfalt an Mustern hervor. Allein in Berlin kann man über 2000 verschiedene Strophentypen hören – das haben Untersuchungen im Rahmen des Projekts „Forschungsfall Nachtigall“ am Naturkundemuseum ergeben.
Wissen die Nachtigallenweibchen das denn zu schätzen? Immerhin zielen die Gesänge ja auf sie und nicht auf ästhetisch geschulte Menschenohren.
Auf jeden Fall. In Studien hat man festgestellt, dass Weibchen sich in der Regel für denjenigen Partner entscheiden, der ein besonders breites Repertoire an Strophen aufweist. Das ist auch logisch: Je komplexer und virtuoser der Gesang, desto höher auch die gedankliche Leistung, die dahinter steht. Ein Vogel braucht ja nicht nur ein gutes Gedächtnis, um viele Strophen zu behalten, sondern muss auch ihre Abfolge so gestalten, dass sein Vortrag für die Zuhörer immer interessant bleibt: vorhersehbar und überraschend zugleich. Und das möglichst eine ganze Nacht lang. Das erfordert, zumindest im Ansatz, schon so etwas wie Kalkül und ästhetisches Empfinden.
Wie viele Strophen muss ein Männchen denn mindestens beherrschen, um ein Weibchen zu überzeugen?
Anfänger bringen es auf 120, richtig gute Sänger auf bis zu 190 Strophen.
Das heißt, dass auch Nachtigallen, wie alle angehenden Virtuosen, erstmal üben müssen, bevor sie richtig gut sind.
Na ja, so richtig üben, wie jemand, der Geige spielen lernt, müssen sie natürlich nicht. Das Singen können ist ihnen angeboren. „Üben“ tun sie, indem sie während ihrer ersten Lebensmonate ihren Vätern zuhören und sich deren Repertoire aneignen. Das erproben und entwickeln sie dann weiter, wenn sie später ihr erstes Revier gegen Rivalen behaupten. Diese Reviergesänge unterscheiden sich deutlich von den nächtelangen Vorträgen, die Weibchen anlocken sollen; sie weisen viel weniger Strophen-Varianten auf, und sie erklingen ausschließlich tagsüber.
Sind diese Unterschiede zwischen Tag- und Nachtgesängen auch für Menschen wahrnehmbar?
Genau das habe ich in meiner Arbeit untersucht – mithilfe des Museums für Naturkunde. Dort habe ich Besucher eingeladen, sich Nachtigallgesänge aus Lautsprechern anzuhören und dann auf Fragebögen zu notieren, wie diese auf sie wirkten. Neben Nachtigallenstimmen waren auch solche von Gartenrotschwänzen zu hören; die sind von der Tonlage und Klangfarbe her gut vergleichbar, kommen aber mit nur wenigen Mustern aus.
Und was ist nun dabei herausgekommen?
Die Auswertung zeigt, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesängen der Nachtigall auch für menschliche Ohren deutlich wahrnehmbar sind. Die Zuhörer – 705 haben den Fragebogen ausgefüllt – bewerteten den Nachtgesang als vielseitiger, überraschender, zum Teil auch verwirrender als den Taggesang. Die Unterschiede zum Gartenrotschwanz waren allerdings noch deutlicher: Sein Gesang bekam auf der sechsstufigen Skala die niedrigsten Bewertungen in puncto Vielseitigkeit.
Was kannst du daraus folgern?
Meine Hypothese war ja, dass Nachtigallen nicht nur Laute hervorbringen, sondern wirklich Musik machen. Also dass sie in ihren Vorträgen dieselben Strategien zur Erzeugung von Aufmerksamkeit einsetzen wie es menschliche Komponisten tun. Die Ergebnisse des Versuchs sprechen dafür. Und das könnte darauf hindeuten, dass unsere Ästhetik, also die Art, wie wir Musik beurteilen, nicht nur von unserer Kultur, sondern auch von Biologie geprägt ist. Also von Mechanismen, die die Evolution über Artengrenzen hinweg hervorgebracht hat.
„Könnte darauf hindeuten“ – das klingt noch sehr vorsichtig.
Ja, meine Daten sind nicht unanfechtbar. Schon deshalb, weil nicht alle Teilnehmer die Gesangsaufnahmen – sie dauerten jeweils eine Viertelstunde – bis zum Ende angehört haben. Womöglich haben sich auch Vorkenntnisse auf die Antworten ausgewirkt, also, wie vertraut den Hörern die Stimme der Nachtigall schon war. Das habe ich aber nicht extra abgefragt.
Hat das Projekt dich nun angeregt, dich eingehender mit Ornithologie zu befassen? Nicht nur Nachtigallen, sondern auch andere Vögel zu beobachten?
Hm. Also, ich finde Vögel schon hübsch, aber beobachten muss ich sie nicht unbedingt. Einige Arten erkenne ich immerhin schon am Gesang, die Amsel etwa, Spatzen und Krähen… Es lohnt sich bestimmt, noch andere Vogelstimmen kennenzulernen. Zuhören finde ich sowieso am spannendsten.
Und die Frage, wie Musik und andere Klänge auf das Bewusstsein wirken, wirst du sicher weiterverfolgen…
Bestimmt. Nach dem Abi möchte ich Musikwissenschaften studieren, und natürlich auch selbst weiter Musik machen. Ich spiele seit meinem vierten Lebensjahr Geige, am liebsten im Orchester. Da unterscheide ich mich von der Nachtigall: Ich will nicht unbedingt als Solistin beeindrucken; mir macht es einfach Spaß, zusammen mit anderen Musik zu machen.