Auf Augenhöhe mit den Menschen: In Basel könnten Affen bald Grundrechte erhalten
Seit vielen Jahren fordern Philosophen eigene Rechte für Tiere. Nun findet dazu zum ersten Mal eine Volksabstimmung statt.
3080 Menschen haben im Kanton Basel-Stadt eine Initiative unterschrieben, um die Basler Verfassung zu ändern. Lediglich ein neuer Satz soll eingefügt werden. Doch es ist ein revolutionärer Satz: „Diese Verfassung gewährleistet überdies: das Recht von nichtmenschlichen Primaten auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit.“
Wie die Menschen sollen auch Affen Grundrechte erhalten. Sie wären damit nicht mehr nur Rechtsobjekte, sondern würden selbst zu Trägern von Rechten, die sie – oder besser: ihre Vertreter – vor Gericht einklagen könnten.
„Zeitgeist getroffen“
Dieses Ziel könnte jetzt tatsächlich Wirklichkeit werden. Weltweit zum ersten Mal stimmt eine Bevölkerung über Grundrechte für Tiere ab. Findet die Initiative bei den knapp 110.000 Stimmberechtigten des Kantons Basel-Stadt am kommenden Sonntag eine Mehrheit und würden die Grundrechte für Primaten in die baselstädtische Verfassung aufgenommen, wäre auch das eine Weltpremiere. Und die Chancen dafür stehen gar nicht mal so schlecht.
Die Initiative erfährt aus dem Ausland prominente Unterstützung, etwa von der Grand Old Lady der Affenforschung, Jane Goodall, oder dem deutschen Anthropologen Volker Sommer. Auch vor Ort gibt es Zustimmung: Mit den Sozialdemokraten und den Grünen werben die beiden stärksten Parteien der Stadt für ein Ja. Die Parteien in der Mitte und rechts davon lehnen die Initiative hingegen ab.
Hinter dem Vorhaben steht „Sentience Politics“, eine Organisation, die sich nach eigenen Angaben für die Interessen „nichtmenschlicher Tiere“ einsetzt. Tamina Graber, die Kampagnenleiterin der Primaten-Initiative, ist kurz vor der Abstimmung „vorsichtig optimistisch“: „Wir haben den Zeitgeist getroffen. Ich denke, dass die Bevölkerung diesen Schritt gehen und den nichtmenschlichen Primaten Grundrechte geben will.“
Grund dafür könnte nicht nur im Zeitgeist, sondern auch darin liegen, dass die Initiative zwar Revolutionäres fordert, konkret aber kaum Auswirkungen haben wird. Grundsätzlichem zuzustimmen fällt leichter, wenn dies nicht gleich handfeste Konsequenzen zeigt.
Die Primaten-Grundrechte würden in erster Linie die staatlichen Organe binden. Privatrechtlich organisierte Institutionen könnten allenfalls indirekt betroffen sein. In staatlicher Obhut leben derzeit aber gar keine Affen. Weder die Universität Basel noch die kantonalen Spitäler halten Primaten. Belastende Versuche an Affen, die mit den Grundrechten auf Leben sowie auf körperlich und geistige Unversehrtheit unvereinbar wären, sind in Basel nicht geplant.
Selbst die Pharmaindustrie, die in Basel traditionell sehr stark vertreten ist, führt dort seit ein paar Jahren keine Experimente mehr an Primaten durch. Dennoch lehnen die Pharmaindustrie sowie weitere Wirtschaftsverbände die Initiative ab. Sie befürchten, dass sich die Grundrechte in Zukunft „als Hindernis für neue Versuche im Dienste der Forschung erweisen“ könnten.
Die Initiatoren entgegnen, dass biomedizinische Forschung möglich bleibe, solange die Grundrechte der Primaten gewährleistet seien. Stellten die Versuche keine Belastung dar – wie zum Beispiel bei der Verhaltensforschung – und beeinträchtigen sie das Allgemeinbefinden der Tiere nicht erheblich, sei nichts dagegen einzuwenden.
Kein Recht auf Freiheit
In Basel leben die meisten Affen im Zoologischen Garten, dem „Zolli“, wie er im lokalen Dialekt liebevoll genannt wird. Der „Zolli“ erhält zwar auch staatliche Förderung, doch als Aktiengesellschaft ist er privatrechtlich organisiert und damit ebenfalls nicht direkt von der Initiative betroffen. Ohnehin soll die Haltung von Primaten nicht untersagt werden. Ein Recht auf individuelle Freiheit ist für die Affen in der Verfassung nicht vorgesehen.
„Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Tierhaltung“, sagt die Kampagnenleiterin Tamina Graber. „Uns ist wichtig, dass die Primaten ein würdevolles Leben führen können. Wenn dies im Zoo möglich ist, dann ist das in Ordnung. Wenn nicht, dann muss der Zoo dafür sorgen, dass die Grundrechte gewährleistet sind.“
Ein Haltungsverbot hätte in Basel auch kaum eine Chance, von der Stimmbevölkerung gutgeheissen zu werden. Der mit fast 150 Jahren älteste Zoo der Schweiz ist äusserst beliebt, die Affengehege sind ein Publikumsmagnet.
Gegen eine „Affenbehörde“
Trotzdem missfällt dem Zoo die Primaten-Initiative. Man traut den Behauptungen der Initiatoren nicht, dass ihre Forderungen nicht gegen den Zoo gerichtet seien. Es bestehe durchaus die Gefahr, dass es zu Klagen kommen könnte und man das Affenhaus schliessen müsse. Grundrechte für nichtmenschliche Primaten seien aber ohnehin überflüssig, da das Schweizer Tierschutzgesetz die Halter bereits dazu verpflichte, Tiere vor ungerechtfertigtem Leid, Angst und Schmerzen zu bewahren.
Die Zoomitarbeiterinnen und -mitarbeiter seien am besten geeignet, um für das Wohl der Primaten zu sorgen, argumentiert der Zoo. Würde die Initiative angenommen, müsse eine Ombudsperson oder ein Primaten-Beistand diese Aufgabe übernehmen. Gerade wenn ein Tier verletzt, schwer krank oder leidend ist, seien rasche Entscheide nötig. Eine „Affenbehörde“ helfe da nicht und schade dem Tierwohl, meint die Vereinigung der Schweizer Zoos.
Es sei richtig, dass die nichtmenschlichen Primaten eine Art von Vertretung vor den Behörden bräuchten, sagt Tamina Graber. Doch wie diese Vertretung zu organisieren ist, sei offen, und es sei auch nicht Sache der Initianten, dies zu bestimmen. Dafür sei das Parlament zuständig. Gut vorstellen kann sich Graber aber, dass in einem solchen Gremium nicht nur Juristen, sondern auch Primatologinnen sitzen würden.
„Selbst wenn wir das beste Tierschutzgesetz haben, bedeutet dies nicht, dass wir gut mit Tieren umgehen und unseren Umgang nicht noch verbessern könnten.“
Zu Konflikten, die den Zoo betreffen, könne es durchaus kommen, wenn ein Affe krank sei und stark leide, räumt Tamina Graber ein. Dann stünden sich das Grundrecht auf Leben und das Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit gegenüber.
Üblicherweise schläfern Veterinäre stark leidende Tiere ein, für die es keine lohnende Therapie gibt. Mit dem Grundrecht auf Leben wäre dies kaum vereinbar. Tamina Graber sieht folgende Lösung: „Wir könnten uns dafür entscheiden, das leidende Tier gehen zu lassen. Auch wir Menschen werden nicht eingeschläfert, sondern es gibt die Möglichkeit, Schmerzmittel zu verabreichen, um das Sterben erträglicher zu machen. Diesen Weg sehen wir auch bei nichtmenschlichen Primaten.“
Auch das Argument, dass die Schweiz bereits über ein im internationalen Vergleich strenges Tierschutzgesetz verfüge und gar die Tierwürde geachtet werden müsse, lässt Tamina Graber so nicht gelten: „Selbst wenn wir das beste Tierschutzgesetz haben, bedeutet dies nicht, dass wir gut mit Tieren umgehen und unseren Umgang nicht noch verbessern könnten.“
Das Tierschutzgesetz bestimme vor allem, wie wir Tiere nutzen dürften: „Im Fokus steht im Tierschutzgesetz noch immer der Mensch. Tiere wie die nichtmenschlichen Primaten sind nur so lange geschützt, als unsere eigenen menschlichen Interessen diesem Schutz nicht vorgehen. Erhalten sie aber Grundrechte, so befinden sie sich auf unserer Augenhöhe.“
Seit 2003 gelten Tiere in der Schweiz rechtlich nicht mehr als Sachen. Damit trug man dem Umstand Rechnung, dass Tiere empfindungs- und leidensfähige Wesen sind. Auf dieselbe Ebene wie Menschen werden sie deswegen nicht gestellt. Sie können nicht Träger rechtlich durchsetzbarer Rechte sein. Genau da setzen die Initiatorinnen. „Obwohl Tiere rechtlich keine Sachen sind, stellt das Gesetz den Menschen über das Tier. Das ist doch nicht konsequent“, sagt Tamina Graber. „Wenn Tiere keine Sachen sind, dann müssen wir ihnen Rechte verleihen. Genau dies fordern wir für unsere nächsten Verwandten, die nichtmenschlichen Primaten.“
Eine weltweite Bewegung für Tierrechte
Die Initiatoren fokussierten ihre Grundrechte-Forderung auf nichtmenschliche Primaten, da diese den Menschen biologisch sehr nahestehen. Wie wir verfügen sie über eine hohe soziale Intelligenz, Selbstbewusstsein, einen Sinn für Zukunft und Vergangenheit sowie ausgeprägte Schmerzempfindungsfähigkeit. Die Primaten-Initiative schliesst damit an eine bereits 30 Jahre alte Idee an.
1993 veröffentlichten die Ethiker Paola Cavalieri und Peter Singer eine Sammlung von Aufsätzen unter dem Titel „The Great Ape Project“. Ein Jahr später erschien das Buch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Menschenrechte für die Grossen Menschenaffen“. Daraus ist eine Bewegung entstanden, die sich weltweit für die Rechte „unserer nächsten Verwandten“ einsetzt: für Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Bonobos. In Deutschland treibt die „Giordano Bruno Stiftung“ das „Great Ape Project“ seit 2011 voran.
Die Basler Initiative will die Grundrechte nicht nur auf Menschenaffen, sondern auf alle über 300 nichtmenschlichen Primaten-Arten ausweiten. Da alle Primaten dieselben Interessen hätten, nicht zu leiden und getötet zu werden, sei innerhalb der Primaten-Ordnung keine Differenzierung notwendig. Tamina Graber spricht auch nicht von „Menschenrechten“. Zwar lehnten sich die Grundrechte für Primaten an unsere „menschlichen“ Grundrechte an. Doch Menschenrechte umfassten mehr als Primaten-Grundrechte: „Nichtmenschliche Primaten wollen keine Religionsfreiheit oder Meinungsäusserungsfreiheit. Daran haben sie kein Interesse.“
Die Idee, dass auch Tiere Rechte haben sollten, ist gar noch älter als das „Great Ape Project“, sie reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. So richtig Fahrt nahm die Diskussion innerhalb der Tierethik dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Zur „Bibel“ der Tierrechtsbewegung wurde 1975 das Buch „Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere“ des australischen Ethikers Peter Singer. Noch konsequenter dachte 1983 der amerikanische Philosoph Tom Regan in „The Case for Animal Rights“ den Tierrechts-Ansatz weiter. Seither haben sich rund um die Welt Tierrechtsgruppen gebildet, die für eine bessere rechtliche Anerkennung nicht nur von Menschenaffen, sondern von allen Tieren, insbesondere auch von Nutztieren kämpfen.
Zeichnet sich ein Wandel im Recht ab?
Allmählich scheint die Tierrechtsidee die Theorie zu verlassen und im angewandten Recht, in der Justiz anzukommen. Für Aufsehen sorgte etwa Ende der 1980er Jahre die Klage der „Seehunde der Nordsee“ gegen die Bundesrepublik Deutschland. Im Namen der Seehunde gingen Umweltverbände vor Gericht und klagten gegen die Meeresverschmutzung. Die Richter liessen sich allerdings nicht darauf ein: Seehunde seien nicht klagefähig.
Im Jahr 2000 fragten dann Richter im indischen Bundesstaat Kerala in einem Fall, in dem es um die Haltung von Zirkustieren ging: „Wenn Menschen über Grundrechte verfügen können, wieso nicht auch Tiere?“ 2011 und 2015 hielten indische Gerichte fest, dass Vögel das Recht hätten, frei zu fliegen und nicht in Käfige gesperrt zu werden.
Ein paar Jahre später, 2016, fällte die Richterin Marià Alejandra Mauricio in Argentinien schliesslich ein historisches Urteil. Cecilia, einer Schimpansin, die jahrelang in einem engen Käfig eingesperrt war, gewährte sie den von der argentinischen Vereinigung der Anwälte für Tierrechte beantragten Rechtsschutz und verfügte die Freilassung.
Es sind zwar Einzelfälle, in denen Gerichte Tiere als Träger von gewissen Rechten behandelt haben. Doch die Wirkung dieser Fälle ist nicht zu unterschätzen. Möglicherweise kündigt sich die Abkehr von einer traditionell anthropozentrisch ausgerichteten Rechtsauffassung an, in der der Mensch hierarchisch zuoberst steht und weiterhin eine Verfügungsfreiheit gegenüber Tieren innehat. Das Verfassungsgericht des Kantons Basel-Stadt, das die Zulässigkeit der Primaten-Initiative überprüfte, schreibt in seinem Urteil: „Mit der Subjektivierung von Tierrechten wird eine grundlegend neue Rechtsentwicklung zur Diskussion gestellt, der eine beträchtliche symbolische Bedeutung mit Impulswirkung zukäme.“
Diese Einschätzung teilt die Schweizer Juristin Saskia Stucki, die am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg zu Tierrechten forscht. Mit den Tierrechten werde man derzeit Zeuge einer neuen Generation von Rechten. Auch wenn deren Implementierung nicht so einfach realisierbar sei, so würden die Tiere in letzter Zeit vermehrt auf der „rechtlichen Landkarte“ auftauchen.
„Wie wollen wir mit Mitlebewesen, mit der Natur zusammenleben? Es ist diese Frage, die uns antreibt.“
So auch kürzlich wieder in Pakistan. Ein Richter formulierte in seinem Urteil verschiedene Grundrechte für (Zoo-)Tiere und ordnete deren Übersiedlung in ein artgerechtes Refugium an. Dabei wurde der Richter grundsätzlich: Gerade die Corona-Pandemie rufe uns dazu auf, über unseren Umgang mit Tieren nachzudenken. Zeige sie doch, wie eng menschliches und nichtmenschliches Leben zusammenhingen. Nun sei der Moment gekommen, innezuhalten und über das Leid anderer Lebewesen und unsere Stellung ihnen gegenüber nachzudenken.
Dem kann Tamina Graber von der Primaten-Initiative nur beipflichten. „Wie wollen wir mit Mitlebewesen, mit der Natur zusammenleben? Es ist diese Frage, die uns antreibt.“ Grundrechte seien gut geeignet, um darüber zu diskutieren. „Mit der Initiative wollen wir einen Paradigmenwechsel anstossen.“
Die Augen der Tierrechtler weltweit sind nun nach Basel gerichtet. Werden menschliche Primaten bereit sein, ihren nahen, nichtmenschlichen Verwandten eigene Grundrechte zuzugestehen? Am Mittag des 13. Februars 2022 wird die Entscheidung fallen.
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Aktuelle Literatur zum Thema:
Frank Adloff und Tanja Busse (Hg.): Welche Rechte braucht die Natur? Wege aus dem Artensterben. Campus Verlag. Frankfurt/New York 2021.
Volker Sommer: Unter Mitprimaten. Ansichten eines Affenforschers. Hirzel Verlag. Stuttgart 2021.
Nachtrag:
Die Initiative hatte keine Chance an der Urne. Lediglich 25,26 Prozent derjenigen, die an der Abstimmung teilnahmen, waren dafür, dass nichtmenschliche Primaten im Kanton Basel-Stadt Grundrechte erhalten sollen. Die Stimmbeteiligung betrug 50,97 Prozent.