„Über Jahrhunderte zielte alles darauf ab, die Landschaft trockenzulegen – das rächt sich jetzt“
Die Biologin Eva Schubert leitet beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz ein bayernweites Projekt zum Schutz von Quellen. Eine weitere Zerstörung dieser Biotope, warnt sie, werde dazu führen, dass Wälder austrocknen und bei Hitzewellen absterben
Sie untersuchen seit 15 Jahren Quellen in Bayern. In welchem Zustand sind diese Lebensräume?
Es gibt immer weniger Quellen, das ist ein Fakt. Eingriffe in die Landschaft, sinkende Grundwasserspiegel und der Klimawandel wirken zusammen. Der Lebensraum Quelle schrumpft.
Wo gibt es noch intakte Quellen?
Generell geht es den Quellen im Wald besser als denen in der offenen Agrarlandschaft. Im Wald kann man noch sehr naturnahe Quellen finden, in denen die ganz typischen Arten leben. Das sind dann zum Beispiel kleine Sickerquellen an Hängen, an denen das Wasser austritt. Ungefähr die Hälfte der Quellen im Wald sind noch in einem guten Zustand. Die andere Hälfte ist dann zum Beispiel verrohrt oder zugeschüttet, wie man das früher leider oft gemacht hat.
Und in der offenen Agrarlandschaft?
Da wurde über Jahrzehnte hinweg etwa bei Flurbereinigungen nicht lange gefackelt, wenn es darum ging, Ackerfläche zu schaffen oder Wege zu bauen. In der offenen Landschaft sind deshalb bis zu 90 Prozent der Quellen zerstört. Eine unrühmliche Rolle hat auch die sogenannte Heimatverschönerung gespielt, als man glaubte, Quellen einfassen und mit Schildern versehen zu müssen.
Um Wanderern etwas zu bieten?
Ja, aber zugleich hat man den Quellenbewohnern den Lebensraum weggenommen.
Der Schutz von Mooren oder Streuobstwiesen ist inzwischen ein populäres Thema, aber Quellen bekamen bisher kaum Aufmerksamkeit. Woran liegt das eigentlich?
Das kann einen schon sehr wundern, wenn man bedenkt, dass jeder Bach und Fluss mit einer Quelle anfängt. Und in der Geschichte wurden Quellen ja durchaus als besondere, teils mythische Orte angesehen. Manchen hat man sogar eine besondere Heilkraft zugesprochen, ganze Kurorte sind an Quellen entstanden. Aber die meisten Quellen sind optisch unspektakulär. Manche kann man leicht mit einer Pfütze im feuchten Boden verwechseln, von der man nasse Füße bekommt. Da kommt ein Förster oder Waldbauer schnell auf die Idee, das mit Erdreich oder alten Ästen zu verfüllen. Es fehlt einfach am Gespür dafür, dass Quellen leben und dass diese Orte sehr wichtig sind.
Wichtig für wen?
Erstmal für uns selbst, weil Quellen die oberirdische Welt, in der wir im Alltag leben, mit dem Grundwasser verbinden, von dem wir leben, wenn wir den Wasserhahn aufdrehen. Das sind die Punkte in der Landschaft, wo diese zwei Welten aufeinandertreffen. Zweitens sind Quellen für die vielen hundert Tier- und Pflanzenarten wichtig, die auf sie als Lebensraum spezialisiert sind. Manche Arten haben das sogar im Namen, wie die Quelljungfern – das sind Libellen, die besonders sauberes und kühles Wasser brauchen. Viele dieser Quellbewohner, wie auch die Bayerische Quellschnecke oder die etwas bekanntere Rhönquellschnecke stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Beide stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten.
Sie sind aber jetzt mit ihren zwei Millimetern Körpergröße aber auch nicht so spektakulär anzusehen wie ein Pandabär oder ein Kranich?
Bei den Quellen liegt die Schönheit eben eher im Kleinen.
Was muss im Umgang mit dem Lebensraum Quelle anders werden?
Das Wichtigste ist, dass die naturnahen Quellen, die es noch gibt, erhalten und geschützt werden, so wie das Naturschutzgesetz das ja schon länger vorschreibt. Damit das gelingt, müssten aber zuerst möglichst alle Quellen topographisch überhaupt erfasst werden. Quellen sind auf den Landkarten nach wie vor ein relativ weißer Fleck. Wir arbeiten seit mehr als 15 Jahren daran, das in Bayern zu ändern, aber können das nicht flächendeckend leisten. Wenn man nicht weiß, wo überall Quellen sind, wie soll man dann mitbekommen, wenn sie verschwinden? Zweitens ist es wichtig, dass Landwirte, Förster, Planer und Kommunen besser für die Bedeutung von Quellen als Lebensräume sensibilisiert werden. Da geht es um Aufklärung und Umweltbildung. Und drittens kann man versuchen, gestörte oder zerstörte Quellen wieder in einen besseren Zustand zu versetzen.
Also zu renaturieren?
Ich vermeide den Begriff Renaturierung, weil der den Eindruck erweckt, man könnte wieder zurück zu einem ursprünglichen Zustand. Dem ist bei Quellen nicht so. Wenn sie einmal zerstört sind, dann schafft man es nicht, den Lebensraum exakt so wiederherzustellen, wie sie vorher waren, und dieselben Gemeinschaften von Pflanzen und Tieren anzusiedeln.
Was ist machbar?
Man kann an fast jeder Quelle, die beeinträchtigt ist, etwas machen, um sie zu verbessern. Wenn wir es uns als Naturschutzverband vornehmen, eine Quelle ökologisch wieder aufzuwerten, dann reden wir zuerst mit allen Beteiligten – das sind oft erstaunlich viele Grundbesitzer und interessierte Organisationen, etwa Kommunen und Wasserbetriebe. Dann kann man überlegen, wie man etwa Rohre oder Betoneinfassungen, die nicht mehr gebraucht werden, entfernt. Grundsätzlich geht es immer darum, die Verbindung zwischen dem Lebensraum Grundwasser und dem Wasser an der Oberfläche wiederherzustellen. Diese spezielle Lebensweise an Quellen, dass Tiere tagsüber im Grundwasser leben und nachts im Freien, das gilt es wieder zu ermöglichen.
Freie Fahrt für freie Quellenbewohner?
Genau, wir wollen immer die Unterbrechungen beseitigen, die wir Menschen in die Quellen gebaut haben. Dazu müssen dann oft erst einmal Bagger anrücken, denn da geht es um viel und schweres Material. Wenn dann zum Beispiel Betonschächte entfernt sind, geht es darum, den früheren Quellbach zu modellieren. Und dann muss man einfach warten, bis die Natur wieder ins Laufen kommt.
Woran messen Sie den Erfolg solcher Maßnahmen?
Natürlich an den Arten, die sich wieder ansiedeln, wenn die Quellen von Eingriffen befreit sind. Das kann aber dauern, denn die Quellenbewohner müssen ja erst wieder entdecken, dass es da etwas Interessantes gibt oder zum Beispiel Huckepack mit einem Vogel ankommen. Grundsätzlich messen wir den Erfolg daran, dass Wasser in die Landschaft zurückkommt.
Was heißt das konkret?
Über Jahrhunderte zielte alles darauf ab, die Landschaft trockenzulegen. Das Wasser wird einfach möglichst schnell aus der Landschaft herausgeleitet. Das rächt sich jetzt in Zeiten des Klimawandels, wo es darum gehen muss, Wasser in der Landschaft zu halten.
Was passiert sonst?
Wir sehen schon jetzt, in was für einem Dürrestress die Wälder sind. Die Niederschläge der letzten Monate haben das nur teilweise und kurzzeitig abgemildert. Aber wir wollen langfristig Trinkwasser aus Grundwasser gewinnen – und das entsteht mit am besten unter Laubwald. Wenn der Waldboden aber austrocknet oder durch schwere Maschinen befahren wird, dann verdichtet der und das Wasser rauscht auf Nimmerwiedersehen in den nächsten Bach.
So wie es Schwammstädte braucht, braucht es auch Schwammlandschaften?
Nur wenn wir die Speicherfähigkeit der Landschaft wiederherstellen, kann effektiv Grundwasser gebildet werden. Wenn wir beispielsweise Quellen in Wäldern wiederherstellen, dann wird der Waldboden dadurch feuchter und junge Bäume haben eine bessere Chance, die nächste Hitzewelle zu überleben. Auch unter entsprechend bewirtschaftetem Grünland kann sich viel Grundwasser bilden. Quellenschutz kann einen großen Beitrag dazu leisten, um den Wald in Deutschland zu erhalten.