Die Versprechen von San Francisco

Der Klimagipfel in Kalifornien hat Kräfte aus allen Teilen der Gesellschaft freigesetzt

8 Minuten
Eine Frau mit schwarzen Haaren und kaffeebrauner Haut steht am Mikrophon. Mit der linken Hand schüttelt sie ein mit bunten Streifen bemaltes Holzinstrument, das durch die Bewegung auf dem Bild verwischt erscheint. –
Zur Eröffnung der Konferenz begrüßt Kanyon Sayers-Roods, eine Nachfahrin der Costanoan Ohlone, die Teilnehmer auf dem Gebiet ihres Stammes. Ureinwohner wie ihr Volk haben in vielen Teilen der Welt erleben müssen, dass ihre heiligen Stätten ausgebeutet werden. „Ehrt die Mutter Erde", rief sie in den Saal, „lasst die fossilen Brennstoffe im Boden.“

Zur Eröffnung der Konferenz begrüßt Kanyon Sayers-Roods, eine Nachfahrin der Costanoan Ohlone, die Teilnehmer auf dem Gebiet ihres Stammes. Ureinwohner wie ihr Volk haben in vielen Teilen der Welt erleben müssen, dass sie vertrieben und ihre heiligen Stätten ausgebeutet werden. „Ehrt die Mutter Erde", rief Sayers-Roods in den Saal, „lasst die fossilen Brennstoffe im Boden.“

Weil die Staatschefs nicht vorankommen mit der Klimapolitik, haben sich im September 2018 in San Francisco die Bürgermeister großer Städte sowie Organisationen der Zivilgesellschaft getroffen, um sich gegenseitig in ihren Bemühungen zum Klimaschutz zu bestärken.

Die Gäste hatten Geschenke mitgebracht, viele Geschenke, teure Geschenke. Nicht für die Gastgeber, etwa für London Breed, die Bürgermeisterin von San Francisco, den Gouverneur von Kalifornien, Jerry Brown, oder für Michael Bloomberg, früher Bürgermeister von New York City und heute UN-Gesandter für Klimaschutz. Nein, es waren Geschenke für die Menschheit, so sahen es wohl alle. Dutzende Versprechen und Zusagen, die eigene Firma, Stadt, Stiftung oder Gruppe in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, Geistesschmalz, Schweiß und Geld aufzuwenden, um die globale Erwärmung zu stoppen.

Solche Ankündigungen, besonders wenn sie von vielen Gruppen kommen, verleihen dem Kampf gegen die Klimakrise Schwung, bestärken die Willigen und die bisweilen Verzweifelten im Bewusstsein, dass sie nicht allein sind. Dass vielmehr alle an einem Strang ziehen. Und dass sie die Wende zusammen schaffen können.

Das genau sollte die Botschaft der Konferenz in San Francisco sein, zu der vergangene Woche mehr als 4000 Menschen aus aller Welt gekommen waren. „Global Climate Action Summit“ hieß sie, mit Betonung auf dem antreibenden Charakter des englischen Wortes „Action“. Statt nationaler Regierungschefs und ihrer Verhandlungsdelegationen wie bei den jährlichen Klimagipfeln trafen sich hier Vertreter von Banken und Anwaltskanzleien, Bürgermeister und Stiftungsmanager, Musiker und Schauspieler, Ureinwohner und Jugendliche, Vertreter von Hilfs- und Bürgerrechtsorganisationen. Ihnen allen ging es darum, die nötigen Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu beschleunigen.

Tweet des Yerba Buena Center in San Francisco. Kunst am Bau 1: Dieser Schriftzug, gestaltet von der kalifornischen Künstlerin Andrea Bowers, begrüßte Teilnehmer der Konferenz. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass irgendjemand dort an dieser Botschaft gezweifelt hatte.


„Wir können und werden nicht mehr darauf warten, dass unsere nationalen Regierungen das Klima-Problem für uns lösen“, sagte zum Beispiel der Schauspieler Alec Baldwin, der auf der Konferenz eine Folge seines Podcasts „Here’s the thing“ aufzeichnete. Jetzt nicht zu handeln, sei ein „Verbrechen gegen die Menschheit“. In einem leidenschaftlichen Appell warb auch sein Kollege Harrison Ford für eine Umkehr: „Wenn wir die Natur nicht beschützen können, können wir uns auch selbst nicht beschützen.“ Die Menschheit erlebe gerade ihre größte moralische Krise, weil diejenigen am meisten unter der Klimakrise leiden, die am wenigsten dafür können. Gemeinsam mit allen anderen Teilnehmern auf und vor der Bühne schworen sich die Hollywood-Stars zu einer Gemeinschaft ein, die den Bremsern die Stirn bietet.

Dutzende, Hunderte, Millionen, Milliarden

Damit eine solche Konferenz wie die in San Francisco Beachtung in den Medien findet, hoffen die Gastgeber üblicherweise auf Neuigkeiten, die im Plenum oder auf Pressekonferenzen verkündet werden. Zwei, drei vielleicht, höchstens fünf – genug, damit für jeden Geschmack etwas dabei ist, aber nicht zu viele, um sich nicht gegenseitig die Aufmerksamkeit streitig zu machen. In San Francisco ging die Zahl der Ankündigungen hingegen in die Dutzende. Hunderte von Firmen, Städten, Staaten und Stiftungen verpflichteten sich, ihren Einfluss auf das Klima zu reduzieren oder sogar ganz zu beenden, und sie lassen es sich etwas kosten: Die Summe der zugesagten Mittel bewegte sich im Lauf der Konferenz von Millionen zu Milliarden.

Der Schauspieler Harrison Ford steht am Rednerpult und unterstreicht seine Worte mit einer großen Geste und angehobenen Händen. In seinem seinem leidenschaftlichen Appell sagt er: „Wenn wir die Zerstörung unserer natürlichen Welt nicht stoppen können, spielt alles andere keine Rolle mehr.“
Harrison Ford bei seinem leidenschaftlichen Appell: „Wenn wir die Zerstörung unserer natürlichen Welt nicht stoppen können, spielt alles andere keine Rolle mehr.“

Noch ist unklar, ob wenigstens bei den Veranstaltern jemand den Überblick behalten hat. Einige Beispiele:

  • Ein Konsortium von 29 Stiftungen will Klimaschutzprojekte in den nächsten fünf Jahren mit vier Milliarden Dollar fördern und betrachtet diese Summe „nur als Anzahlung“. Eine weitere Gruppe von neun wohltätigen Organisationen setzt 459 Millionen Dollar ein, um Wälder zu erhalten und die traditionellen Landrechte der Ureinwohner zu schützen, darunter die Ford, Rockefeller, MacArthur und Packard Foundations.
  • Das Pulitzer Center legt mit Geld aus Norwegen einen Fonds von 5,5 Millionen Dollar auf, um Journalismus zum Thema Regenwald zu unterstützen.
  • New York City nutzt vier Milliarden Dollar aus dem Pensionsfonds seiner Angestellten, um in Firmen zu investieren, die erneuerbare Energiequellen vorantreiben. Die niederländische Bank ING will sogar das gesamte Portfolio ihrer Kreditvergabe so steuern, dass die mehr als 500 Milliarden Euro das Ziel des Pariser Vertrags unterstützen, die Erwärmung auf deutlich weniger als zwei Grad zu begrenzen.
  • Zehn neue Mitglieder sind der Koalition Powering Past Coal beigetreten, die den Kohleausstieg forcieren will, darunter Wales, die Balearen, die Hauptstadtregion um Canberra in Australien, US-Staaten wie Minnesota und New York und Städte wie Rotterdam und Los Angeles. Die Häfen der beiden Städte sowie unter anderem von Hamburg und Barcelona wollen in einem neuen Bündnis auch den Seeverkehr auf Kurs Pariser Abkommen bringen.
  • Konzerne wie Walmart, Unilever, Mars, Coca-Cola, und Salesforce kündigten an, entlang ihrer Lieferketten auf Klimaschutz zu achten. Beim Palmöl-Anbau wollen sie zum Beispiel auf ein Ende des Abholzens und die Wiederherstellung des Habitats wilder Tiere drängen. Zwei US-Firmen planen bis zum Jahr 2025 insgesamt mindestens 3,5 Millionen neue Ladesäulen für Elektroautos im öffentlichen Raum einzurichten. Eine Gruppe von großen Anwaltskanzleien bietet kostenlose Rechtsberatung für Startup-Unternehmen mit grünen Ideen im Wert von 15 Millionen Dollar an.
  • Der deutsche Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth versprach 5,5 Millionen Euro unter anderem für Projekthilfe in Mexiko, Brasilien und Kenia. Und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, verkündete, die Verwaltung seines Landes solle per Gesetz verpflichtet werden, ab 2040 kohlenstoff-neutral zu arbeiten – und das ganze Land ab 2050.
  • 27 Städte haben nach einer in San Francisco veröffentlichten Analyse der Organisation C40, die 96 große Städte vereint, bereits 2012 den Höhepunkt ihrer Emissionen überschritten (diese Analyse ist nur im Rückblick über mehrere Jahre möglich). Darunter waren Metropolen wie London, Paris und New York, aber auch Warschau, Barcelona, Basel, Berlin und Heidelberg.
  • Die Koalition „We are still in“, die sich nach der Ankündigung Präsident Trumps gebildet hatte, die USA aus dem Pariser Abkommen zu lösen, ist in den vergangenen fünf Monaten um 900 Mitglieder auf 3500 gewachsen. Sie hat 300 neue konkrete Zusagen bekommen, den Treibhausgas-Ausstoß zu reduzieren, unter anderem vom Aquarium in Monterey, der Firma Levi Strauss und dem Bundesstaat Virginia.

Tweet von Amy Collins. Kunst am Bau 2: Der französische Künstler JR und der Hollywood-Regisseur Darren Aronofsky projizierten während der Konferenz ihr Video „The Silent March“ auf die Fassade des Rathauses von San Francisco. Ursprünglich zum Klimagipfel in Paris 2015 geschaffen, sollten die 500 Menschen, die sich immer wieder stumm umdrehen, die Politiker daran erinnern, dass ihr Volk sie beobachtet.


Eingeleitet hatte den Reigen am Tag vor der Konferenz Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown. Er unterzeichnete das vom Parlament seines Staats beschlossene Gesetz, die gesamte Stromversorgung bis 2045 auf erneuerbare Quellen umzustellen. Zugleich erließ er ein Dekret, dass der gesamte Staat im gleichen Jahr kohlenstoff-neutral werden und daher genauso viel CO2aus der Atmosphäre entnehmen solle, wie er noch dorthin entweichen lässt. Die nötigen Mehrheiten im Parlament dafür muss allerdings sein Nachfolger organisieren, der im Herbst gewählt wird.

Geht das schnell genug?

Dennoch wurde Brown am Rande der Konferenz heftig kritisiert. Auf der Straße vor dem Kongresszentrum blockierten Demonstranten den Zugang der Delegierten, weil der Gouverneur ihrer Meinung nach nicht konsequent gegen Ölbohrungen in Kalifornien vorgeht. Die Organisation 350.org startete eine Briefaktion an den Kandidaten der demokratischen Partei, den Brown seinen Bürgern als seinen Nachfolger empfiehlt, damit dieser die Ölindustrie stoppt. Sie nutzte dazu ein Konzert zum Abschluss der Konferenz mit Patti Smith, Bob Weir und Flea, dem ehemaligen Bassisten der Red Hot Chili Peppers, wo die Aktivisten unter jeden Sitz eine Postkarte und einen Kugelschreiber gelegt hatten.

„Wir haben viele gute Versprechen in dieser Woche gehört, aber das Timing stimmt noch nicht“, beklagt 350.org-Direktorin May Boeve. „Wir brauchen Veränderung nicht 2050, wir brauchen sie jetzt.“ Jennifer Morgan, Chefin von Greenpeace International, pflichtet bei: „Das Tempo und der Umfang dessen, was wir brauchen, sind noch nicht da.“ Noch deutlicher wird die 16-jährige Jamie Margolin, die Gründerin der Jugend-Organisation Zero Hour: „Man kann nicht einfach eine Solarzelle auf das Problem klatschen und erwarten, dass es dann verschwindet.“ Ihre Generation werde nicht länger untätig dabei zusehen, wie die Klimakrise ihre Zukunft zerstört.

Ob die Konferenz und ihre Teilnehmer wirklich etwas bewirken, dürfte am Ende auch von der Mathematik abhängen, genauer gesagt vom Unterschied zwischen linearer und exponentieller Veränderung. Auf letzteres werde es ankommen, sagte in San Francisco Johan Rockström, designierter Ko-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Wenn sich die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten jeweils halbieren sollen, wie er vor einiger Zeit mit etlichen Kollegen vorgeschlagen hat, müssten die Menschen ihre Bemühungen auch jeweils vervielfachen. Beim Einrichten von Windfarmen und Solarparks oder der Bereitstellung von Finanzmitteln, damit auch arme Länder ihre Wirtschaftssysteme auf erneuerbare Energiequellen umstellen können, seien solche Veränderungsraten bereits erkennbar.

Blick aus dem Flugzeug-Fenster. Durch eine Wolkenlücke erkennt man die Innenstadt von San Francisco Oakland-Bay-Brücke. 
Abschied von San Francisco mit Blick auf die Skyline und die Oakland-Bay-Bridge. Bleiben die Versprechen, die in der Stadt abgegeben wurden, nur wolkige Worte?
Abschied von San Francisco mit Blick auf die Skyline und die Oakland-Bay-Bridge. Bleiben die Versprechen, die in der Stadt abgegeben wurden, nur wolkige Worte?

Was genau der Unterschied zwischen linear und exponentiell bedeute, machte Christiana Figueres, ehemalige Leiterin des UN-Klimasekretariats in Bonn und Ko-Vorsitzende der Konferenz, am „Beispiel der 37 Schritte“ klar. Linear betrachtet reichten die Schritte gerade aus, um die Bühne des Moscone Centers in San Francisco zu überqueren. Doch exponentiell definiert sei nur der erste Schritt tatsächlich einen Schritt lang. Der zweite schon zwei, der dritte vier, der vierte acht, der fünfte 16 und so weiter. „Mit 20 solcher exponentiellen Schritte sind wir in Los Angeles, mit 30 auf dem Mond und mit 37 auf dem Mars“, rechnete Figueres vor. Dieses Denken brauche auch der Kampf gegen die Klimakrise.

Das Gesicht des Problems

Außerdem bestehen angesichts der großartigen Versprechen von Firmen natürlich Sorgen, dass viele Unternehmen sich in San Francisco bloß ein gutes Image geben wollten, ohne die Absicht zu haben, später viel zu verändern. Michael Bloomberg, Ko-Vorsitzender der Konferenz und im Privatleben Milliardär, hält dieses Risiko aber offenbar für überschaubar. „Die Angestellten wollen heute für umweltfreundliche Firmen arbeiten, Kunden wollen dort kaufen, Investoren verlangen es“, sagte er; eine direkte Frage zum Thema ließ er unbeantwortet. „Natürlich bergen solche Ankündigungen eine Greenwashing-Gefahr“, erklärte auch Michael Schäfer vom WWF. „Trotzdem ist es sehr wertvoll, dass Unternehmen sich auf die Pariser Klimaziele verpflichten und ausreichende Zwischenziele definieren. Jedem dieser Unternehmen halte ich zugute, dass sie die Glaubwürdigkeit ihrer Marke riskieren.“

Immer wieder blitzte bei der Konferenz auch die Erkenntnis durch, dass Technik und Geld nicht ausreichen, um den Kampf zu gewinnen. Man muss die Köpfe und Herzen der Menschen erreichen, muss die Klimakrise „personalisieren und zu einem Thema für jedermann machen, ihr ein Gesicht geben“, wie es Gina McCarthy sagte, die in der zweiten Amtszeit von Barack Obama die US-Umweltbehörde EPA geleitet hatte. Der Klimawandel sei keine akademische Frage, sondern ein „Thema für den Küchentisch“, mahnte auch Tom Steyer von der Organisation NextGen America. Dafür sei es vor allem nötig, die parteipolitischen Unterschiede in den USA zu überbrücken und breite Koalitionen zu schmieden.

Doch gerade die Veranstalter machten es in San Francisco den Konservativen in den USA allzu leicht, den Aufbruch als parteipolitisches Spektakel abzutun: Michael Bloomberg erklärte seine Pläne, als Fürsprecher und mit seinem Geld auf der Seite der Demokraten in den kommenden Wahlkampf einzugreifen. Und Jerry Brown sagte auf die Frage, was er von Präsident Trump halte: „Lügner, Verbrecher, Narr – suchen Sie sich etwas aus.“ Bei allem Verständnis: Hätten sie nun gerade das nicht woanders verkünden können? ◀

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