Die Angst vor Drachen

Ist es eine gute Idee, den Klimawandel als apokalyptisches Monster darzustellen? Viele Experten raten ab

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Ein Holzdrache vor der Elbe, über der die Sonne brennt. Drachen waren die mythischen Schreckens-Kreaturen früherer Zeiten. Heute nehmen womöglich extreme Klimaszenarien ihren Platz ein.

Der Drache der Klimaforscher hat viele Namen. Der derzeit gängigste lautet RCP8.5, früher sprachen die Experten auch von A1FI oder – wenn sie sich verständlich ausdrücken wollten – von BAU. Die Abkürzungen stehen für Zukunftsszenarien, die – bei allen Unterschieden im Detail – eins gemeinsam haben: Sie stehen für den größten anzunehmenden Horror: Die Staaten der Welt stoßen genau wie in der Vergangenheit weiter Treibhausgase aus, ohne Rücksicht auf das Klima oder einander. „Business as Usual“ (also BAU) bedeutet, dass die Zwei-Grad-Grenze wohl schon 2050 durchbrochen wird und sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu fünf Grad Celsius erwärmt, wenn nicht noch mehr. Zieht man alle Unwägbarkeiten in Betracht, ist es ein Szenario, mit dem man Angst und Schrecken verbreiten kann.

Aber ist das auch sinnvoll, oder angemessen? Viele Wissenschaftler glauben inzwischen, dass der Drache gebändigt ist und zumindest die schlimmsten Befürchtungen nicht mehr wahr werden. Zwar räumen etliche auch ein, dass sie die Zwei-Grad-Grenze für komplett unrealistisch halten. Mathematisch, physikalisch, technisch sei es möglich, die Erwärmung so stark zu begrenzen – politisch, wirtschaftlich und kulturell fehlten jedoch entscheidende Voraussetzungen. Ein ungebremster Klimawandel aber sei inzwischen auch nicht mehr zu erwarten, sind sie überzeugt. Sie sagen das nur lieber nicht so laut, um keine Ausrede für Drückeberger zu liefern. Schließlich werden erneuerbare Energien immer billiger, die weltweiten Emissionen schienen bereits zu stagnieren (allerdings erwartet das Global Carbon Project für 2017 eine Steigerung um zwei Prozent). Aber auch das Pariser Klimaabkommen macht im Prinzip Hoffnung, an dem die meisten Staaten beim G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 tapfer festgehalten haben. Zuletzt verlief die Bonner Klimakonferenz im Spätherbst freundlich und endete unter anderem mit der Zusage, die Differenzen und die nötige Verschärfung der nationalen Zusagen mit der polynesischen Gesprächstechnik Talanoa zu klären.

In diese gute Stimmung platzte jedoch eine Titelgeschichte der US-Zeitschrift New York Magazine. „Die unbewohnbare Erde“, hieß sie, veröffentlicht im Juli und heiß diskutiert in den Monaten danach. Der Autor David Wallace-Wells beschrieb darin, welche extremen Folgen des Klimawandels Forscher für möglich – wenn auch für ziemlich unwahrscheinlich – halten. Für seine Story fütterte er den Drachen auch noch mit Aufputschmitteln. Er setzte also voraus, die Freisetzung von Treibhausgasen werde überhaupt nicht gebremst. Und der Klimawandel verstärke sich sogar noch, weil die Permafrostregionen der Erde auftauen und große Mengen Methan freisetzen.

Die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit aufrütteln

„Das Ökosystem der Erde wird brodeln und so viele Naturkatastrophen auslösen, dass wir das einfach, Wetter' nennen“, heißt es im Artikel. Die Erde könne sich um sechs, acht oder gar zwölf Grad Celsius erwärmen. Die Ozeane vergifteten sich selbst. Viele Regionen würden unbewohnbar, weil es die Menschen draußen wegen Hitze und Feuchtigkeit nicht mehr aushalten, geschweige denn arbeiten können. Die Produktion von Lebensmitteln bräche ein, die Weltwirtschaft könne auf die Hälfte schrumpfen, permanente Kriege stürzten die Völker weiter ins Elend. 

Wallace-Wells stützt sich dabei auf seriöse Forscher. Doch er beschuldigt die Wissenschaft, ihre eigenen Ergebnisse weichzuspülen. Und er übt Kritik am Publikum: „Wir alle leiden an einem unglaublichen Mangel an Vorstellungsvermögen.“ Darum will der Journalist die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit aufrütteln.

Das ist ihm gelungen, der Artikel hatte sofort gewaltige Resonanz. Aus zwei Gründen war das eigentlich erstaunlich: Nicht nur weil das Thema Klimawandel in den USA überhaupt Aufmerksamkeit erregte, während gleichzeitig Details eines Wahlkampf-Treffens von Donald Trumps Sohn mit einer mysteriösen russischen Anwältin bekannt wurden. Sondern auch, weil beißende Kritik von unerwarteter Seite auf Wallace-Wells regnete. Nicht Klimawandel-Leugner meldeten sich zu Wort, die gern auf Autoren „alarmistischer“ Berichte eindreschen. Stattdessen kritisierten seriöse Wissenschaftler Wallace-Wells scharf, auch mehrere Online-Medien fielen über ihn her. Sie alle warnen sonst selbst vor den Folgen der globalen Erwärmung. 

Ein Forscher nannte den Artikel einen „Klima-Porno“ und meinte damit wohl die ungefilterte und brutale Zurschaustellung von Extremen. Manche kritisierten sachliche Fehler: Die aus dem Permafrost drohende Gefahr sei längst nicht so dramatisch, der Zusammenhang von Klimawandel und Krieg nicht so Klarwie dargestellt – und sollte es tatsächlich zu einer globalen Rezession kommen, könne man nicht zugleich annehmen, dass die Emissionen weiter ins Unermessliche steigen. „Viel gelesen und wenig verstanden“, urteilt etwa der Max-Planck-Forscher Jochem Marotzke über die Qualität der Recherche.

Die meisten Kritiker aber wenden sich grundsätzlich gegen Wallace-Wells' Aufrüttelungs-Ansatz: Mit Untergangs-Szenarien, meinen sie, erreicht man keine Veränderung. „Die Beweise, dass der Klimawandel eine ernsthafte Herausforderung ist, sind sehr klar“, schrieb etwa der prominente Klimaforscher Michael Mann von der Pennsylvania State University in der Washington Post. „Es ist nicht nötig, zu übertreiben, besonders wenn das eine lähmende Geschichte von Verderben und Hoffnungslosigkeit nährt.“ Mashable.com zitierte Katharine Hayhoe von der Texas Tech University: „Die schlimmsten und gefährlichsten Folgen sind vermeidbar, aber dafür müssen wir verstehen, dass es auf unser Verhalten wirklich ankommt.“ Die Angst vor dem Untergang jedenfalls werde die Menschheit nicht motivieren, statt es manipulieren zu wollen.

Mit den Emotionen sei das überhaupt so eine Sache, stellten dann im November drei Wissenschaftler von der University of Massachusetts in Amherst in einem Kommentar für Nature Climate Change fest. „Gefühle sind eine wirkmächtige Kraft für das menschliche Verhalten, und das gilt zweifellos auch für die Reaktion auf den Klimawandel“, schrieben sie. Aber „Aussagen wie, Angst ist schlecht‘ oder, Hoffnung ist gut‘ sind umstritten, auch in den Meta-Analysen von Experimenten gibt es dazu widersprüchliche Aussagen.“ Wer wissenschaftliche Ergebnisse effektiv nutzen wolle, der solle sein Publikum kennenlernen und aufrichtig mit ihm kommunizieren.

Nun kann man zwar darüber streiten, ob Journalisten mit ihrer Klimaberichterstattung überhaupt irgendwelche Verhaltensänderungen anstreben sollten. Allerdings wollte Wallace-Wells mit seinem Stück erklärtermaßen aufrütteln – da muss man Kritikern zugestehen, seine Mittel in Frage zu stellen. Wallace-Wells hielt in der lauten Debatte wacker dagegen. „Ich persönlich habe nicht das Gefühl, dass Fatalismus ein größeres Risiko für das Klima ist als Gleichgültigkeit“, schrieb der Autor auf Twitter. Immerhin habe seine Geschichte eine wichtige Debatte darüber ausgelöst, wie man über die furchterregenderen Folgen der Erwärmung sprechen könne. Zu seiner Verteidigung sagte Naomi Oreskes von der Harvard University: „Die meisten Menschen verstehen wirklich nicht, wie schlimm der Klimawandel wird, wenn wir so weiter machen wie bisher. Der Autor hat uns einen Dienst erwiesen, indem er die Aufmerksamkeit darauf lenkt.“

Die Kommunikationsforschung hingegen bestätigt die Kritiker, sagt Imke Hoppe von der Universität Hamburg. Der umstrittene Film „The Day After Tomorrow“, der 2004 den plötzlichen Einbruch einer Klimakatastrophe beschrieb, habe damals zwar das Problembewusstsein der Zuschauer leicht erhöht, sie aber zugleich überwältigt, weil kein Ausweg zu bleiben schien. Auch Magazin-Artikel könnten ähnlich wirken, selbst wenn sie sich auf wissenschaftliche Ergebnisse berufen.

Um Jahre in ihrer Arbeit zurückgeworfen

Oft sei sogar eine absurde Reaktion zu beobachten: „Gerade wenn der Klimawandel als extrem bedrohlich dargestellt wird, erleben manche dies schnell als unrealistisch oder übertrieben und stellen dann die Glaubwürdigkeit der Klimaforschung insgesamt in Frage“, sagt Hoppe. Wenn er eine solche Verdrängung auslöst, könnte Wallace-Wells die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel also nicht nur nicht befördern, sondern ihr sogar schaden. „Viele von den Wissenschaftlern, die ihm widersprochen haben, fühlen sich vermutlich um Jahre in ihrer Arbeit zurück geworfen.“

Die Forscher sorgen sich offenbar generell um die Glaubwürdigkeit ihrer Arbeit, die vor allem in den USA immer wieder angegriffen worden ist, zuletzt auch durch Präsident Trump und Teile seiner Regierung. Wallace-Wells' Kritiker wollen daher diesmal die Debatte früh steuern, anstatt später auf Vorwürfe antworten zu müssen.

Dabei bewegt die Forscher selbst die Frage, wann sie mit den wahrscheinlichsten Folgen des Klimawandels argumentieren sollten, und wann mit Extremwerten. Wenn etwa mit zusätzlicher Erwärmung plötzliche, erhebliche Veränderungen drohen, meinen manche Forscher, müsse man auch auf Extreme hinweisen, selbst wenn sie wenig wahrscheinlich sind. Wenn etwa ab einem bestimmten Meeresspiegelanstieg plötzlich die einfache Deicherhöhung nicht mehr ausreicht, sondern auf lange Sicht ganze Städte versetzt werden müssen, dann ist es wichtig, auch diese Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. „Oder wenn es mancherorts mit ein paar Grad Erwärmung mehr nicht einfach nur unangenehmer wird, sondern Hitze und Feuchtigkeit auf einmal die physiologischen Grenzen des Menschen überschreiten“, sagt zum Beispiel Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

„In manchen Fällen sollte die Gesellschaft wissen, welche größten Schäden möglich sind, und wie wahrscheinlich sie sind“, bestätigt Jochem Marotzke. „Man muss aber vermeiden, mit Katastrophenrhetorik den Eindruck zu erwecken, dass manche Gegenmaßnahmen alternativlos sind.“ Wie er wehren sich viele Wissenschaftler gegen den Eindruck, sie wollten der Gesellschaft vorschrieben, wie sie zu reagieren habe. „Angst zu machen“, schließt der Hamburger Forscher sein Argument ab, „erscheint mir als Mobilisierungsstrategie sowieso fragwürdig.“ Wem an einer rationalen Debatte gelegen ist, kann man daraus schließen, der sollte sich demnach gut überlegen, ob er den Drachen freilässt.

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