Wie wir mit Risiko und Disruption umgehen
Auch die Klimakrise wird zu Brüchen im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben führen – eine Analyse
Wo genau liegen die Parallelen zwischen der Corona- und der Klimakrise? Was kann man von der Reaktion der Menschen auf die Beschränkung ihres Alltags lernen, welche Argumente aufgreifen und zuspitzen, um später den Klimaschutz voranzubringen? Davon handelt die KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“.
In diesem Teil geht es um den Umgang mit Risiko. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben ist zurzeit wegen des Coronavirus angehalten worden. Solche Brüche könnten in Zukunft auch wegen der Klimakrise eintreten, unter anderem wegen Extremwetter-Ereignissen, und wenn Unternehmen nicht erkennen, wie die Erderhitzung ihr Geschäftsmodell bedroht.
Teil der KlimaSocial-Artikelserie „Schwung holen im Stillstand“
„Lange internationale Lieferketten werden unterbrochen, Absatzmärkte werden beeinträchtigt und verschwinden – wir erleben gerade live, wie empfindlich deutsche Unternehmen darauf reagieren“, sagt Thomas Loew, der in Berlin ein privates „Institute for Sustainability“ betreibt. „Vor solchen Disruptionen haben Wissenschaftler bereits mehrfach als Gefahr in der Klimakrise gewarnt, jetzt wird es wegen Corona Wirklichkeit.“ Der Wirtschaftsforscher bekommt daher reichlich Anschauungsmaterial, das er in beiden Funktionen nutzen kann, die er gerade ausübt: Er arbeitet bei den Scientists4Future mit und forscht in einem Projekt zum Management von Klimarisiken der Unternehmen im Auftrag des Umweltbundesamts.
Die Wirtschaft erlebt, was Disruption bedeutet
„Jetzt kann man den Verantwortlichen sagen: Wir haben erlebt, was aufgrund von Corona passiert ist. Derartige Lieferkettenprobleme können auch aufgrund des Klimawandels auftreten. Das könnte sogar immer wieder passieren.“ Loew geht davon aus, dass Firmen aus der Krise lernen werden: „Erfahrungsgemäß führen Krisen zu einer Sensibilisierung und zur Übertragung von Erfahrungen auf andere Anwendungsfälle.“
Das könnte Folgen auf zwei Ebenen haben. Erstens dürften viele Unternehmen aufgrund von Corona ihre Lieferketten kontrollieren und diversifizieren, um Risiken zu senken. „Wenn sie dabei auch die unterschiedlichen Klimaszenarien betrachten, wäre das sinnvoll“, sagt der Berliner Forscher. Zweitens sollten Unternehmen – wie inzwischen in der Fachdebatte anerkannt – überprüfen, wie ihre Geschäftsmodelle mit diesen verschiedenen Klimawandel- und Klimaschutzszenarien kompatibel sind. „Viele würden dann erkennen, dass es vorteilhafter ist, jetzt zügig eine anspruchsvolle Klimapolitik zu implementieren. Denn würde man damit noch länger warten, dann müssten – um das Deutlich-unter-2-Grad-Ziel zu erreichen – zunehmend massivere Maßnahmen ergriffen werden, die auf die Wirtschaft wiederum disruptive Auswirkungen hätten.“
Psychologisch gesprochen macht die Coronakrise die Risiken der Klimakrise für Unternehmer und Politiker „salient“, also fühlbar und handlungsrelevant. Bisher galt bei aller intellektuellen Erkenntnis doch oft: Die Erderhitzung ist irgendwie ziemlich weit weg.
„Kurzfristig gilt meines Erachtens genau das Gegenteil“, sagt allerdings Grischa Perino, Klima-Ökonom an der Universität Hamburg: Die Dringlichkeit der Coronakrise dränge in Politik und Wirtschaft erstmal alles andere in den Hintergrund. „Mit Glück führt die Erfahrung – im Nachhinein – zu einem Umdenken hin zu einem resilienteren und nachhaltigeren Wirtschaftssystem, aber das ist weder unmittelbar noch sicher.“
Wenn danach eine Debatte beginne, was man aus der Pandemie und dem Kampf dagegen lernt, dann könne man schon argumentieren, dass die Corona- und die Klimakrise eine ähnliche Folgen Struktur haben, erklärt Perino. „In beiden sind dramatische Folgen wissenschaftlich vorhersagbar, bevor sie sicht- und spürbar werden. Beide verlangen vorausschauendes politisches Handeln, nur dass die zeitlichen Abstände und Zusammenhänge beim Klima nicht so kurz sind und die Ursachen und Effekte komplexer.“
Wetterextreme legen das öffentliche Leben lahm
Disruption durch die Klimakrise befürchtet auch Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), allerdings nicht primär in den Wirtschafts-Beziehungen. „Das öffentliche Leben wird immer wieder durch Extremwetterereignisse unterbrochen werden“, sagt er. Beispiele dafür gebe es bereits etliche: Die Schneekatastrophen durch Winterstürme in den USA 2009 und 2010 („Snowmageddon“), die immer häufigeren massiven Überschwemmungen in Europa und Asien, die Hitzewelle in Europa 2019 und die Dürre und Waldbrände in Australien im vergangenen Südsommer.
Verbindendes Element vieler dieser Ereignisse ist der sogenannte Jetstream, so Levermann, ein Band von Höhenwinden, das immer häufiger ausschlägt und extreme Wetterlagen häufiger macht und länger als früher an Ort und Stelle festhalten kann. „Der Jetstream fliegt uns gerade um die Ohren. Das ist zwar noch eher ein, begründetes Gefühl‘, denn die Belege sind unvollständig. Aber wir beginnen langsam die Zusammenhänge zu verstehen, und wenn wir so lange warten, bis es die statistischen Daten klar beweisen, ist es zum Handeln zu spät.“
Beide Mechanismen, die Störungen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens durch Extremwetter, sprechen womöglich unterschiedliche Gruppen von Menschen an, aber sie haben gemeinsam, dass sie nicht wie die Corona-Pandemie singuläre Ereignisse sind: Die Wiederholung ist in einer ungebändigten Klimakrise systematisch angelegt. „Beim Wort, Disruption‘ haben Corona- und Klimakrise nicht nur eine Tangente“, sagt Levermann, „da überschneiden sie sich richtig.“ ◀
Weiter in der KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“
Quellen zu diesem Serien-Teil
Die Aussagen von Thomas Loew, Grischa Perino und Anders Levermann entstammen Telefon-Interviews.