Was Konjunkturprogramme bewirken können
Eine Analyse
Wo genau liegen die Parallelen zwischen der Corona- und der Klimakrise? Was kann man von der Reaktion der Menschen auf die Beschränkung ihres Alltags lernen, welche Argumente aufgreifen und zuspitzen, um später den Klimaschutz voranzubringen? Davon handelt die KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“.
In diesem Teil geht es um die Konjunktur: Milliarden Euro werden jetzt in die Wirtschaft gepumpt, um die Ausfälle in der Coronakrise zu mindern und Betriebe vor der Pleite zu bewahren. Viele fragen sich: Kann man das Geld nicht gleichzeitig nutzen, um die Industrie klimagerecht umzubauen? Die Meinungen sind geteilt, vieles ist eine Frage des Timings.
Teil der KlimaSocial-Artikelserie „Schwung holen im Stillstand“
156 Milliarden Euro für einen aus Schulden finanzierten Nachtragshaushalt – das ist es wohl, was Finanzminister Olaf Scholz (SPD) mit der Panzerfaust meinte, mit der „Bazooka“, die er am 13. März in der Bundespressekonferenz auf den sprichwörtlichen Tisch legte. Hinzu kommt Carte Blanche für die Staatsbank KfW: „Es gibt keine Grenze nach oben bei der Kreditsumme, die die KfW vergeben kann. Wir haben gesagt, das soll unbegrenzt sein.“ [Q1] Hier kommen weitere Hunderte von Milliarden Euro zusammen.
Am Anfang braucht die Konjunktur schnelle Hilfe …
Offenbar will die Regierung mit markigen Worten und martialischen Metaphern um jeden Preis die Wirtschaft schützen, und zwar vom Ich-Unternehmer bis zum global agierenden Autokonzern. Die ersten Solo-Selbständigen, die Zuschüsse bekommen, jubeln schon bei Twitter, das Geld von Staat sei binnen 36 bis 48 Stunden nach Antragsstellung bei ihnen gewesen. Bei den Unternehmen verzögert sich die Kreditbewilligung hingegen teilweise noch; dort hakt es Berichten zufolge an der Garantiequote des Staates und den jeweils beteiligten Hausbanken der Betriebe.
Dabei muss es vor allem am Anfang richtig schnell gehen, fordern führende Wirtschaftsexpert:innen wie Beatrice Weder di Mauro vom Centre for Economic Policy Research in London [Q2]. Aber es dürfe nicht wie bei einem klassischen Programm ablaufen, das Nachfrage und „sozialen Konsum“ anheizt und die Leute in den Geschäften, Restaurants oder bei Konzerten zusammenbringt.
Spätestens an dieser Stelle erwacht die Fantasie vieler Fachleute: Könnte man nicht die Wirtschaft mit dem vielen Geld und gezielten Investitionen gleich in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit lenken? Die Überweisungen an Bedingungen knüpfen?
Dafür gibt es viele Beispiele: Der Verkehrsexperte Dan Rutherford vom Thinktank International Council on Clean Transportation (ICCT) in Washington DC fordert zum Beispiel auf Twitter zu den Hilfsprogrammen für Fluglinien, die viele Staaten erwägen: Die Firmen sollten sich im Gegenzug verpflichten, alte, ineffiziente Jets stillzulegen, und mehr in klimafreundliche Ersatzstoffe für Kerosin zu investieren, die aus Biomasse oder komplett synthetisch gewonnen werden. Außerdem sollten sie ihren Kunden vor jedem Flug die genauen Mengen der ausgestoßenen Treibhausgase mitteilen. Das mache die Emissionen nämlich zu einem Faktor im Wettbewerb [Q3].
… aber die zweite Welle sollte die Transformation fördern
Einen ähnlichen Gedanken äußert Tom Krebs, Ökonom von der Universität Mannheim, in einem Essay: Nach einer Nothilfe gegen Insolvenzen und Arbeitslosigkeit müsse der „zweite Schritt Antworten auf die Frage geben, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft schnell erholen und – im Idealfall – sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen können“. Viel Geld sei „nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine gute öffentliche Infrastruktur und eine erfolgreiche Umsetzung von vernünftigen Plänen“.
Deutschland solle, so Krebs, möglichst im Verbund mit EU-Partnern, eine europäische Gesellschaft für grünen Wasserstoff aufbauen und den Solardeckel abschaffen, der den Ausbau der Photovoltaik begrenzt. Mit einem Transformations-Kurzarbeitergeld lasse sich der Umstieg der Autobranche auf die Elektromobilität forcieren. Außerdem solle der Staat einen Beteiligungsfonds für Wagniskapital gründen: „Im Einklang mit dem Ziel der Förderung der sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft sollte der Fonds sich auf Beteiligungen in den Bereichen Digitales, Gesundheit und Klimaschutz fokussieren.“ [Q4]
Sein Kollege Stephan Schulmeister, früher beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien tätig, kann sich auch einen gewaltigen europäischen Transformationsfonds vorstellen, der den Umbau des ganzen Kontinents finanziert. „Damit schaffen wir vernünftige Dinge: Ein riesiger Green New Deal, Hochgeschwindigkeitszüge statt Flugverkehr, der gesamte Wohnbaubestand in der EU wird energetisch saniert und so weiter. Nach 15 oder 30 Jahren haben wir eine wirklich ökologisch sanierte Ökonomie“, sagt er in einem Freitag-Interview [Q5].
In Krisenzeiten, erklärt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, „ist das Spielfeld offen, Dinge werden neu tariert. Deshalb müssen wir jetzt zeigen, welche Lösungen wir haben.“ (Das ist ja genau der Grundgedanke dieser KlimaSocial-Serie.)
Messner ist überzeugt, das Land solle „solche Investitionen nach vorne schieben, bei denen wir sowohl die Folgen der Corona-Krise bekämpfen als auch den Klimaschutz voranbringen.“ Und warnt gleichzeitig: „Falls wir in dieser Phase zwei, drei, vier Jahre verlieren, weil Staaten in alte Strukturen investieren, ist das Zwei-Grad-Ziel im Grunde nicht mehr zu schaffen.“ [Q6]
Erst retten, aber dann wie geplant austauschen
Ob eine solche Verknüpfung von Hilfe und Lenkung funktioniert, dürfte auch zu einer Frage der nötigen Eile werden. Schließlich können die Staaten in kurzer Zeit kaum aus eigener Weisheit heraus Bedingungen für Hilfszusagen formulieren. Sie müssten erst Rat einholen, eigene Entscheidungen treffen und dann mit den Empfängern verhandeln, zu welchen Veränderungen diese bereit sind. Darum zielen viele dieser Forderungen auf eine zweite Welle von Hilfszusagen, die nach der Unterstützung in akuter Not kommt.
Auch Ottmar Edenhofer geht vieles an den ersten Ideen zu weit: Man solle das Konjunkturpaket nicht mit der Forderung nach und Förderung von langfristiger Veränderung vermischen. Man dürfe diese aber auch nicht aufgeben. Der Wissenschaftler aus Berlin erklärt seine Position in einem KlimaSocial-Interview mit folgender Metapher: Wenn ein altes, beschädigtes Schiff in Seenot gerät, sollte man es retten und in den Hafen schleppen, um es dort wie geplant auszutauschen. Aber man sollte danach auf keinen Fall gestatten, dass das alte Schiff gerade wegen des Aufwands der Rettung weiterfahren darf. „Wir sollten die Situation nicht für Fortschritt nutzen wollen, aber wir können die Argumente für den Fortschritt bekräftigen, und Rückschritt verhindern.“ (Siehe auch nächster Punkt: Erwartbare Forderungen der Wirtschaft nach einem Aussetzen des Klimaschutzes [Q7].)
Astrid Dannenberg von der Universität Kassel beklagt schließlich, dass für Fortschritte im Klimaschutz weiterhin die nötigen Institutionen fehlen. Auch für ein solches internationales Programm, das idealerweise nicht nur Europa erfasst, sondern alle Länder, zumindest die großen Emittenten, beruht auf einer Einigung der Staaten. Daher gilt auch hier, was die Professorin über Zusammenarbeit weiß: „Kooperation kann man verstärken, wenn ihr Nutzen und der Schaden der Nicht-Kooperation deutlicher werden. Das sieht man jetzt vielleicht bei der Gesundheitspolitik, aber bisher ist der Klimawandel für die meisten noch nicht bedrohlich genug. Und die Mechanismen von indirekter Reziprozität, also Verhaltensänderungen aus Sorge um die Reputation, funktionieren beim Klima auf internationaler Ebene nicht gut.“
Konjunkturprogramme einer zweiten Welle könnten also einen großen Hebel für die erstrebte Transformation bilden, aber die Ideen und Konzepte müssen schnell auf den Tisch. Auf internationaler Ebene fehlen das nötige Bewusstsein und die passende Zusammenarbeit hingegen noch.
Weiter in der KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“
Links und Quellen zu diesem Serien-Teil
- [Q1] Tagesschau: Pressekonferenz von Olaf Scholz und Peter Altmaier
- [Q2] Diskussionspapier von sieben führenden Ökonom:innen (pdf)
- [Q3] Tweets von Dan Rutherford/ICCT
- [Q4] Tom Krebs bei Makronom.de
- [Q5] Stephan Schulmeister, Interview im Freitag
- [Q6] Interview mit Dirk Messner in der Süddeutschen Zeitung
- [Q7] Serien-Teil: Erwartbare Forderungen der Wirtschaft kontern
- Die Aussagen von Astrid Dannenberg und Ottmar Edenhofer stammen aus Telefon-Interviews