Umfragen zeigen: Die Klimakrise ist präsent
Eine Analyse
Wo genau liegen die Parallelen zwischen der Corona- und der Klimakrise? Was kann man von der Reaktion der Menschen auf die Beschränkung ihres Alltags lernen, welche Argumente aufgreifen und zuspitzen, um später den Klimaschutz voranzubringen? Davon handelt die KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“.
In diesem Teil geht es um die Meinung der Menschen: Die große Mehrheit hält die Klimakrise für langfristig gravierender. Und sehr viele Teilnehmer an Umfragen wünschen sich, dass die Politik das als Priorität betrachtet, wenn sie Konjunkturprogramme auflegt, um die Wirtschaft nach dem Stillstand anzukurbeln. Doch welche Meinungen haben die Anhänger verschiedener Parteien? Und wo stehen die Deutschen im internationalen Vergleich?
Teil der KlimaSocial-Artikelserie „Schwung holen im Stillstand“
Auch nach acht Wochen Coronakrise haben die Deutschen die Bedrohung durch den Klimawandel offenbar nicht aus dem Blick verloren. Die Klimakrise werde langfristig größere Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben als die Coronakrise, sind 59 Prozent der Bundesbürger ab 14 Jahren überzeugt. 23 Prozent schätzen beide Krisen als gleichermaßen gravierend ein, nur 17 Prozent halten die Veränderungen durch die momentane Pandemie für einflussreicher, ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).
Praktisch alle der gut Tausend Befragten würde es auch begrüßen, wenn wie bei der Bekämpfung der Pandemie zum Beispiel in der Klimakrise in Zukunft „Meinungen und Analysen der Wissenschaft stärker einbezogen würden als bisher“: 93 Prozent fänden das „sehr gut“ oder „gut“. Und 86 Prozent nennen es „sehr wichtig“ oder „wichtig“, dass die Bundesregierung bei Investitionsprogrammen zur Bekämpfung der Coronakrise den Schutz von Umwelt und Klima berücksichtigt. Etwas höhere Zahlen und häufigere Nennungen von „sehr wichtig“ erreichten bei dieser Frage jedoch die Förderung von sozialer Gerechtigkeit, die Unterstützung von Mittelstand und regionaler Wirtschaft und vor allem die Hilfe für das Gesundheitssystem (siehe Grafik).
„Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, dass konsequentes Engagement für den Klimaschutz keinen Aufschub duldet“, interpretiert das DBU-Generalsekretär Alexander Bonde: Die gewaltige Dimension dieses Problems werde auch angesichts aktueller Krisen erkannt. „Zugleich ist das auch ein dringender Appell, Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaften zusammen zu denken.“
In diesem Sinne lässt sich womöglich auch ein Ergebnis der ARD-Umfrage Deutschlandtrend deuten. Dort hatten die Anfang Mai Befragten zu 63 Prozent Kaufprämien für Neuwagen grundsätzlich abgelehnt; weitere 22 Prozent der Teilnehmer wollten solche Zuschüsse nur für klimafreundliche Fahrzeuge zulassen. Vertreter der Autoindustrie werben seit Wochen dafür, dass der Staat die Anfrage auch für Wagen mit Verbrennungsmotor ankurbelt; ein Gipfelgespräch unter anderem zu dieser Frage war aber in der vergangenen Woche ohne Ergebnis vertagt worden. Schon Anfang April hatten 57 Prozent der Befragten in einer Civey-Erhebung abgelehnt, Klimaschutzauflagen zum Zweck der wirtschaftlichen Erholung zu lockern, wie der Spiegel berichtete.
Weitere Daten über die Beziehung von Pandemie und Klimakrise stammen aus einer Umfrage im Auftrag des Naturschutzbund (Nabu). Die Politik müsse aus der Coronakrise die Lehre ziehen, mehr für den Klimaschutz, den Naturschutz und das Gesundheitssystem zu tun, erklärten jeweils zwei Drittel der repräsentativ Befragten in einer Anfang Mai veröffentlichten Erhebung des Instituts Kantar. Im Rahmen der Fehlertoleranz der ermittelten Prozentsätze waren die Zustimmungswerte dieser drei Aussagen nicht zu unterscheiden. Den Empfehlungen der Wissenschaft zu folgen, war den Befragten hier etwas weniger wichtig, internationale Zusammenarbeit etwas wichtiger.
Auch in der Nabu-Umfrage erklärte eine überwiegende Mehrheit, kommende Konjunkturprogramme müssten die Wirtschaft klima- und umweltfreundlicher gestalten. 91 Prozent stimmten dort der Aussage „sehr“ oder „eher“ zu. Gleichzeitig möchten 84 Prozent „wieder so leben und einkaufen können“ wie vor der Coronakrise, und 44 Prozent sind der Ansicht, schnelles Wachstum sei wichtiger als Klima- und Umweltschutz. Angesichts dieser Zahlen müssen mindestens 28 Prozent der Befragten alle drei dieser an sich kaum zu vereinbarenden Aussagen befürwortet haben.
Die niedrigsten Werte im internationalen Vergleich
Eine weitere Umfrage wurde Ende April vom Institut Ipsos veröffentlicht. Dort sollten die Teilnehmer Stellung zur Aussage nehmen, langfristig werde die Krise durch den Klimawandel so ernst sein wie die Covid-19-Pandemie. Dort stimmten 69 Prozent der Deutschen „stark“ oder „eher“ zu. Die Option, eine der beiden Krisen höher zu werten, gab es hier nicht. Viele derjenigen, die im Sinne der DBU-Umfrage die Klimakrise für gravierender halten, wählten deswegen womöglich diese Option bei der Ja-Nein-Entscheidung.
Deutschland liegt dabei im unteren Drittel von 14 gleichzeitig befragten Ländern: der Anteil der Menschen, die Parallelen zwischen Corona- und Klimakrise erkennen, reicht von 59 Prozent in den USA bis 87 Prozent in China. Bei anderen Ipsos-Fragen zu Umwelt und Klima erreichten die Deutschen sogar die jeweils niedrigsten Werte in dem internationalen Vergleich. Sie waren zu 57 Prozent der Ansicht, Regierungen sollten während der wirtschaftlichen Erholung dem Klimaschutz Priorität geben, genau wie Befragte in den USA und Australien. Dagegen stimmten der Aussage in Indien, Mexiko und China jeweils 80 Prozent oder mehr zu.
Zum Vorsatz, in Zukunft mehr gesunde und umweltfreundliche Produkte zu kaufen, bekennen sich zwei Drittel der Befragten in Deutschland. Und nur ein gutes Drittel erwartet, dass sich in Zukunft mehr Menschen für Umweltschutz einsetzen. Auch in diesen beiden Fällen war der jeweilige Wert der niedrigste unter den 14 Ländern. Als Klimaschutz-Weltmeister und Vorbild für die Welt können sich die Bürger dieses Landes angesichts der Zahlen daher kaum fühlen.
Alle drei Umfragen zeigen immerhin, dass eine Mehrheit der Deutschen dafür ist, die Konjunkturprogramme nach der Coronakrise im Sinne eines besseren Klimaschutzes auszurichten. Die Zahlenwerte 57, 86 und 91 Prozent wirken zwar nicht sehr einheitlich. Das liegt womöglich an der jeweils konkreten Fragestellung: Höhere Zustimmung gab es, wenn es wie in den Erhebungen für Naturschutzbund und DBU um „Umwelt- und Klimaschutz“ und nicht nur um Letzteres ging.
Die Klimakrise bewegt auch AfD-Anhänger
Die Forsa-Erhebung für die Umweltstiftung ist dabei die einzige, die die Antworten auch nach politischer Einstellung der Befragten sortiert. Dabei zeigen sich Unterschiede je nach präferierter Partei. Bei manchen Fragen geht es eher um Nuancen. So befürwortet eine große Mehrheit der Anhänger aller Parteien, dass in Zukunft die Wissenschaft bei der Bewältigung von Krisen einen größeren Einfluss haben solle; dabei war in der Fragestellung die Bewältigung des Klimawandels als Beispiel genannt worden. Das finden im Durchschnitt nur fünf Prozent der Deutschen „nicht so gut“ oder „schlecht“. Bei Anhängern der FDP wählen 14 Prozent eine dieser Optionen, bei potenziellen Wählern der AfD gar 22 Prozent. In beiden Fällen aber sind überwältigende Mehrheiten dafür, „Meinungen und Analysen der Wissenschaft“ stärker als bisher zu gewichten.
Auch bei der Entscheidung, ob Corona- oder Klimakrise langfristig gravierender seien, entscheiden sich potenzielle Wähler aller Parteien mehrheitlich für die Folgen der globalen Erwärmung. Während aber 78 Prozent der Anhänger der Grünen auf die Klimakrise verweisen, nennen bei der FDP 48 und bei der AfD 40 Prozent diese Option – bei den Liberalen sind das 15 Prozentpunkte mehr als für Corona, bei den Rechtspopulisten 3 Prozentpunkte. Letzteres erlaubt angesichts der begrenzten Größe der Stichprobe keine statistisch zuverlässige Aussage zu den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen unter den AfD-Anhängern in dieser Frage. Aber die große Verachtung von Klimasorgen und Klimapolitik, mit der die AfD-Politiker punkten wollen, verfängt bei der Wählerschaft womöglich nicht ganz so sehr.
Größere politische Differenzen in der DBU-Umfrage zeigen sich dort, wo es wirklich um was geht: bei der Verteilung von Geld in einem Konjunkturprogramm. Wer SPD oder Linke bevorzugt, nennt die Förderung sozialer Gerechtigkeit bei dieser Frage am ehesten „sehr wichtig“. Anhänger von CDU/CSU favorisieren Hilfen für die Wirtschaft deutlich überproportional. Genauso, aber noch deutlicher, legen AfD-Befürworter den Schwerpunkt auf eine Förderung von regionalen und mittelständischen Betrieben.
Beide Gruppen können sich hingegen zusammen mit möglichen FDP-Wählern nur unterdurchschnittlich für Maßnahmen erwärmen, die soziale Gerechtigkeit, Umwelt- und Klima- oder Artenschutz fördern. „Sehr wichtig“ fände es nur ein Fünftel der Befragten, die der FDP nahestehen, soziale Gerechtigkeit oder Artenschutz zu berücksichtigen. Nur ein Neuntel der AfD-Anhänger wählt diese Antwort für Maßnahmen im Umwelt- und Klimaschutz. Im Durchschnitt aller Befragten sind es 43 Prozent, bei Anhängern der Grünen sogar 74 Prozent; dort ist es die am häufigsten genannte Option.
Große Mehrheiten für den Ausbau der Erneuerbaren
Solche Umfragedaten und der momentane Höhenflug der Unionsparteien – sie kratzen bei der Sonntagsfrage zurzeit an der 40-Prozent-Marke – tragen womöglich zu einer Art Rebellion unter den Bundestagsabgeordneten gegen die Pläne der Bundeskanzlerin Angela Merkel bei. Diese befürwortet eine Anhebung des EU-Ziels zur Reduktion der Emissionen auf 50 bis 55 Prozent, was einhergehen würde mit dem Green Deal der Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen. Doch nach einen Bericht der Süddeutschen Zeitung wendet sich die CDU/CSU-Fraktion dagegen: Dort wolle man sogar Klimaschutzauflagen „beiseiteräumen, die vermeintlich die wirtschaftliche Erholung gefährden könnten“.
Vielleicht sollten die Abgeordneten noch einmal genau hinschauen: Immerhin 30 Prozent ihrer potenziellen Wähler nennen es in der DBU-Umfrage sehr wichtig, bei Konjunkturprogramm den Umwelt- und Naturschutz zu berücksichtigen. Und 70 Prozent der Anhänger (im Durchschnitt aller: 78 Prozent) fänden es „wichtig, wenn in Deutschland der Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt verstärkt vorangetrieben würde, um weniger fossile Brennstoffe aus anderen Ländern einführen zu müssen“. Bei Themen wie dem Abstand von Windanlagen zu Ortschaften oder dem Solardeckel hatte es in der jüngsten Zeit meist bei Unions-Politikern gehakt. ◀
Hinweis: Eine kürzere Fassung dieses Artikels ist bei der Süddeutschen Zeitung erschienen.