Schreiadler – ein Bild- und Textband portraitiert den seltensten Adler Deutschlands
In seinem neuen Buch bietet Thomas Krumenacker einzigartige Einblicke in das Leben der Schreiadler: in Jungenaufzucht, Jagd und die lange Reise der Vögel in den Süden.
Unser Flugbegleiter-Kollege Thomas Krumenacker hat ein neues Buch geschrieben, und zwar über einen Vogel, der ihm ganz besonders am Herzen liegt: „Könige der Lüfte – Das heimliche Leben der letzten Schreiadler Deutschlands“ heißt es. Seit vielen Jahren begleitet der Autor die Schreiadler: als Naturfotograf mit der Kamera, als Forscher und als Betreuer von Brutplätzen. Entstanden ist der erste umfassende Bild- und Textband, der die in Deutschland vom Aussterben bedrohten Adler portraitiert. Im Interview erzählt uns Thomas, was den Vogel so besonders macht – und warum der Schreiadler der heimliche Wappenvogel für die Agrarwende ist.
Thomas, beim Blättern in dem Buch haben mich die phantastischen Fotos beeindruckt. Man hat das Gefühl, dass man hautnah dabei ist, wenn die Adler auf die Jagd gehen, wenn sie brüten oder balzen. So habe ich das noch nie gesehen. Wie gelingen solche Fotos?
Vor allem braucht man sehr viel Zeit und Geduld, um die Adler aus der Nähe beobachten zu können, ohne sie zu stören – und das ist das wichtigste. Außerdem hilft es, die Lebensweise der Vögel gut zu kennen. Auch Schreiadler haben ihre Gewohnheiten, ihre bevorzugten Plätze an denen sie sich aufhalten oder auf dem Zug traditionelle Rastplätze. Wenn es um mehr geht, als die Vögel nur durchs Fernrohr oder Fernglas zu sehen oder aus der Ferne zu fotografieren, wenn man Einblicke zum Beispiel in die Balz, die Paarung und dann die Jungenaufzucht bekommen will, sind auch noch sehr viel Logistik, Vorbereitungen, Absprachen nötig – und nochmal sehr viel mehr Zeit.
Und wie viel Zeit hast Du mit den Schreiadlern verbracht?
Eigentlich begleiten mich die Vögel durch die Jahreszeiten. In der Brutzeit verbringe ich über Wochen sehr viel Zeit in den Revieren, die ich selbst betreue – nicht immer zum Fotografieren, sondern zum Monitoring und um darauf zu achten, dass die Adler möglichst ungestört brüten können. Im Herbst sind dann – jedenfalls bis Corona – seit vielen Jahren wenigstens zwei Wochen reserviert, um rechtzeitig zum Durchzug der Adler im Nahen Osten zu sein.
Schreiadler sind ja in Deutschland extrem selten. Viele unserer Leserïnnen haben den Vogel vermutlich noch nie gesehen haben. Bring ihn uns doch ein bisschen näher. Was ist das Besondere an Schreiadlern?
Natürlich ist jede Vogelart besonders. Aber Schreiadler sind für mich noch ein bisschen faszinierender als andere Arten. Sie vereinen so viele Eigenschaften, die Vögel für mich magisch machen. Ihre heimliche Lebensweise erinnert mich an die von Wölfen: Sie sind da, aber man bemerkt sie kaum. Oder der Zug: Sie haben einen der längsten Zugwege aller unserer Greifvögel und sehen so unglaublich viele unterschiedliche Flecken der Erde. Heute teilen sie sich ihr Jagdrevier auf einer Wiese in der Uckermark mit Kühen, Pferden und Bussarden – und ein paar Wochen später sind es dann Löwen, Giraffen und Sekretäre. Sie sind dauernd auf Achse, denn auch im Überwinterungsgebiet durchstreifen sie riesige Gebiete. Es gibt so viele faszinierende Dinge über sie zu erzählen.
Auch Du hast die Schreiadler nicht nur in Deutschland fotografiert. Du hast die Vögel auf ihrer Reise nach Afrika begleitet – zumindest ein Stück weit.
Fast alle Schreiadler der Erde passieren auf ihrem Zug den Nahen Osten auf dem Weg nach Afrika. Kurz hinter der libanesischen Grenze in Israel verengt sich ihr Zugkorridor auf ein paar Kilometer Breite. Da kann man dann mit Glück ein paar Tausend, manchmal Zehntausende dieser seltenen Vögel an einem Tag sehen. Die israelischen Vogelschützer haben das jeden Herbst genutzt, um die Vögel zu zählen und ich habe diesen Datenschatz aus fast drei Jahrzehnten auswerten dürfen. So kam es dann zwangsläufig dazu, dass ich auch sehr spektakuläre Rastplätze gefunden habe. Dort habe ich mir Verstecke errichtet und fotografiert.
In Deinem Buch zeigst Du aber auch Fotos quasi auf Augenhöhe mit ziehenden Vögeln. Wie hast Du das gemacht?
Ich versuche in meiner Fotografie meist, die Vögel als Teil ihres Lebensraums zu porträtieren. Bei ziehenden Adlern ist das der Himmel. Mit Hilfe israelischer Freunde habe ich einen Motorgleiter gechartert, eine Mischung aus Segelflugzeug und Flugzeug, mit dem man gezielt irgendwohin fliegen kann und dann den Motor ausschaltet, um lautlos zu gleiten. Geflogen hat mich ein echter Könner, der israelische Meister im Segelflug. Ich habe mich auf das Fotografieren konzentriert. Die Flugsicherung der Luftwaffe hat uns dann über Funk durchgegeben, wo sie auf ihren Radarschirmen große Schwärme Vögel gesichtet hat – und wir sind hingeflogen. Man konnte – wie in einem Kabrio – das Glasdach nach hinten wegschieben – und wir segelten dann ohne jede Barriere zwschen uns, quasi Flügel an Flügel mitten in Gruppen von Zugvögeln: Weißstörche, Pelikane oder eben Schreiadler – unter uns der See Genezareth oder der Jordan. An der jordanischen Grenze mussten wir umkehren: Die Zugvögel kennen solche Grenzen nicht.
Wie bist Du überhaupt dazu gekommen, Dich mit dem seltensten Adler Deutschlands zu beschäftigen?
Ich komme aus dem Ruhrgebiet, also dem tiefsten Westdeutschland. Als noch ziemlich kleiner Junge, das ist also wirklich ein halbes Jahrhundert her, hab ich ein Heft eines Vogelmagazins aus der DDR geschenkt bekommen, das hieß Der Falke. Darin war ein Artikel mit Fotos eines Adlers, von dem ich noch nie gehört hatte: Dieser Vogel lebte in tiefen Wäldern in Regionen, mit deren Namen ich genauso wenig anfangen konnte wie mit dem Namen des Vogels: Schreiadler und Mecklenburg – beides war so unbekannt und irgendwie geheimnisvoll: genug Platz, um mit meiner Phantasie ausgefüllt zu werden. Den Vogel wollte ich sehen! Irgendwie arbeitet der Schreiadler also seit sehr langem in mir.
Und wann hast Du ihn dann zum ersten Mal gesehen?
Gleich nach der Wende, Anfang der 1990er Jahre. Ich hab mich in meinen Ford-Transit-Bus gesetzt und bin von meinem damaligen Wohnort Trier nach Mecklenburg gefahren, um nach ihm zu suchen. Auf der Tour sah ich zuerst zum ersten Mal in meinem Leben einen Seeadler in Deutschland – und dann endlich auch Schreiadler. Seitdem, und erst recht seit ich dann Anfang der 2000er Jahre nach Berlin gezogen bin, gehöre ich zu den paar Dutzend Leuten hierzulande, die sich sehr intensiv mit dieser Art beschäftigen.
Das wirst Du bestimmt jedes Mal gefragt – aber klär uns auf: Wie ist der Schreiadler zu seinem Namen gekommen?
Die Vögel lieben es einfach, miteinander zu kommunizieren. Sie rufen wirklich viel, wenn sie ungestört sind. Aber für mich schreien sie nicht. Ok, sie haben ein paar echt schräge Krächzer im Repertoire. Aber der häufigste Ruf – Greifvögel singen ja nicht – ist ein wirklich schöner wehmütig-melancholischer Ruf. Besser kann ich ihn nicht beschreiben.
Jetzt hast Du uns viel Faszinierendes über die Vögel erzählt – aber Schreiadler haben auch eine dunkle Seite.
Du sprichst den „Kainismus“ an, manchmal auch als Geschwistermord bezeichnet – ich mag solche Vermenschlichungen nicht. Schreiadler ziehen nur ein Junges groß, obwohl in der Regel zwei Junge aus den beiden Eiern schlüpfen. Das erstgeborene Küken tötet dann in aller Regel – aber nicht immer – das kleinere Geschwister. Das gibt es auch bei anderen Vogelarten – aber bei wenigen ist es so ausgeprägt wie beim Schreiadler.
Welche Theorien gibt es denn, um dieses Verhalten zu erklären?
Welche biologische Funktion das hat, ist umstritten und nicht wirklich geklärt. Möglicherweise ist das eine Art biologische Reserve für den Fall, dass einem Ei während der Bebrütung etwas passiert, möglicherweise eine evolutionäre Zwischenetappe auf dem Weg zu Ein-Ei-Brutvögeln. Viele sehr langlebige Vogelarten legen nur ein Ei. Die geringere Reproduktionsrate gleichen sie unter natürlichen Bedingungen durch ein langes Leben und damit insgesamt viele Bruten aus.
Hast Du dieses Verhalten auch beobachtet – und klappt es, dann nicht zu Vermenschlichen?
Das ist ein Prozess, der sich über Tage zieht. Der größere Jungvogel verhindert, dass der kleinere gefüttert wird, hackt auf ihn ein, der wird immer schwächer und so weiter. Ich hab das schon gesehen, aber jede und jeder kann das heute auch in den Live-Webcams beobachten, die meine Freunde im Adlerschutz zum Beispiel in Lettland oder Estland angebracht haben und die faszinierende Einblicke in das Leben der Adler ermöglichen. Ich hab offen gestanden kein Problem damit, auch wenn der kleine Adler mir natürlich auch leid tut. Das ist Natur und nicht alles muss durch eine Brille menschlicher Moral betrachtet werden. Wenn wir das tun, dann sind unsere menschlichen Sünden übrigens auch viel viel schlimmer.
In Deutschland sind die Adler ja vom Aussterben bedroht – wie geht es ihnen in anderen Regionen der Welt?
Nicht ganz so schlecht, zum Glück. Aber der Trend ist nicht einheitlich. In Polen wird eine Zunahme registriert, das könnte aber auch daran liegen, dass mehr Leute nach ihnen gucken als früher. Aus vielen Ländern wissen wir nichts sicheres über den Trend und in einigen sehr wichtigen Regionen, etwa im Baltikum, wird ein leichtes Absinken der Population festgestellt. Insgesamt sind die Bestände aber wohl stabil, das zeigen auch unsere Zählungen in Israel, das fast alle Adler der Erde auf dem Zug passieren. Übrigens sehen wir auch bei uns seit ein paar Jahren eine Stabilisierung und einen ganz leichten Positivtrend auf niedrigem Niveau.
Was Schreiadler brauchen, ist genau das, was eine ökologischere, tiergerechtere und menschenfreundliche Landwirtschaft ausmacht, die gesunde Lebensmittel erzeugt und Bauern ein Leben ermöglicht. Also genau das, wofür immer mehr Menschen auf die Straße gehen.
Der Schreiadler ist in Deutschland aber weiter vom Aussterben bedroht, es gibt nur noch etwas mehr als 100 Brutpaare. Warum ist der Vogel so selten geworden?
Da gibt es quasi zwei Wellen: Die erste war der massive Vernichtungsfeldzug, der bis vor wenigen Jahrzehnten jahrhundertelang gegen alle als „Raubvögel“ oder „Krummschnäbel“ verunglimpften Greifvögel geführt wurde. Als “Schädlinge“ wurden sie mit allem verfolgt, was es gibt: Gift, Fallen, Kugeln. Das hat das Verbreitungsgebiet der Adler bei uns auf die heutigen Kerngebiete zusammenschrumpfen lassen. Dann kam die zweite Welle durch die immer stärkere Intensivierung der Landnutzung. Adler brauchen Frösche und Nagetiere. Beides finden sie in der kaputten Agrarlandschaft immer seltener. Auch die direkte Verfolgung ist heute zwar illegal, spielt aber vor allem auf den Zugwegen noch eine wichtige Rolle.
Dennoch stabilisieren sich die Bestände langsam….
Ich hoffe sehr, dass wir jetzt nicht einen Rückschlag durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien erleben: Der Anbau von Raps und Mais als Energiepflanzen beansprucht riesige Flächen, die als Jagdreviere für die Adler wegfallen. Denn diese Pflanzen stehen viel zu dicht und hoch, als dass sich dort Mäuse jagen ließen – außerdem ist darin ohnehin fast alles Leben durch Pestizide totgespritzt. Auch der massive weitere Ausbau der Windkraft wird sehr problematisch. Ich hab diesem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet.
Wie sieht denn ein Lebensraum aus, in dem sich die Schreiadler wohl fühlen?
Die Adler brauchen zwei Dinge: einmal möglichst wenig gestörte Wälder zum Brüten und zur Nahrungssuche, am besten feuchtes Grünland mit Hecken, ein paar alten Bäumen und Tümpel mit Fröschen. Da, wo noch Lerchen singen, Insekten summen, Frösche quaken und Kühe auf der Weide grasen, statt in einen Massenstall eingepfercht zu sein, geht es auch dem Schreiadler gut.
Nennst Du den Schreiadler deshalb auch „den heimlichen Wappenvogel der Agrarwende“?
Ja, genau. Er kommt wunderbar mit einer menschlichen Kulturlandschaft zurecht, wenn dort Landwirtschaft naturverträglicher betrieben wird als wir das leider gerade fast überall erleben. Die Adler brauchen zum Überleben nämlich keine entlegene Wildnis. Was sie brauchen, ist genau das, was eine ökologischere, tiergerechtere und menschenfreundliche Landwirtschaft ausmacht, die gesunde Lebensmittel erzeugt und Bauern ein Leben ermöglicht. Also genau das, wofür immer mehr Menschen auf die Straße gehen.
Wir wissen also, was zu tun ist. Wie optimistisch bist Du, dass das auch geschieht?
Ich bin leider kein so großer Optimist. Aber ich setze trotzdem Hoffnung in die immer lauter werdende Bewegung für ein besseres Miteinander von Landwirtschaft und Naturschutz, wie sie zum Beispiel bei den jährlichen „Wir haben es satt“-Demos oder in den Protesten für eine bessere Europäische Agrarpolitik sichtbar werden. Viele jüngere Bäuerinnen und Bauern machen vor Ort tolle Sachen, viele Menschen aus der Stadt wollen regionale und ökologische Produkte. Es passiert schon einiges, was auch den Adlern helfen kann.