Meeresforscher:innen machen erstaunliche Entdeckung: Im Tiefseeboden leben riesige Würmer

Lange galt er als zu lebensfeindlich, jetzt konnten Forscher:innen erstmals im Meeresboden der Tiefsee mehrzellige Lebewesen nachweisen, darunter Schnecken und bis zu fünfzig Zentimeter lange Würmer.

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dichtes Gewusel aus weiß-roten röhrenförmigen Strukturen

Der Anglerfisch mit seinem leuchtenden Köder vor dem Kopf, der Vampirtintenfisch, der batmangleich durchs Meer schwebt, oder auch der Drachenfisch mit seinen leuchtenden Organen und dem Aussehen einer Urzeitschlange: Das offene Wasser der Tiefsee hat erstaunliche Lebensformen hervorgebracht. Auch auf dem Meeresgrund, dort wo Hydrothermalquellen Wärme und Nährstoffe in die sonst kalte Finsternis tragen, hat sich das Leben seinen Weg gebahnt. Jetzt berichtet ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie Bremen im Fachjournal Nature Communications über einen weiteren Lebensraum, der zugleich viele Fragen aufwirft: Selbst im Meeresboden der Tiefsee tummeln sich winzige Bakterien und riesige Würmer.

Eine revolutionäre Entdeckung

„Das ist eine ziemlich revolutionäre Entdeckung“, freut sich der Bioinformatiker André Luiz de Oliveira vom MPI Bremen, der im Sommer vergangenen Jahres bei der Expedition zum Ostpazifischen Rücken dabei war. Mit einem ferngesteuerten, für die Meeresforschung entwickelten Tauchroboter haben die Forscher:innen dort den Meeresboden rund um Hydrothermalquellen untersucht. „Frühere Expeditionen hatten Mikroben entdeckt, die unterirdisch in der Nähe von hydrothermalen Quellen leben“, berichtet de Oliveira von ersten Hinweisen auf Leben im Tiefseeboden. Doch es waren eben nur einzellige Lebewesen. Nach größeren, mehrzelligen Lebensformen wie etwa Tieren zu suchen, ist methodisch sehr anspruchsvoll, weil dazu entsprechende Löcher in großer Tiefe gebohrt werden müssen. „Außerdem hatte man angenommen, dass die Bedingungen unter der Erdkruste zu extrem seien, um tierisches Leben zu ermöglichen“, sagt der Forscher. Weit gefehlt.

Bei jedem Tauchgang erzeugte der Tauchroboter bis zu vier Terabyte Daten in Form von Proben, Tabellen, Bildern und Videos. „Meine Aufgabe bestand darin, Methoden zum effizienten Abrufen, Sortieren und Organisieren all dieser Informationen zu implementieren, die den Wissenschaftlern bei ihren weiteren Arbeiten helfen könnten“, erzählt der Bioinformatiker de Oliveira. „Das Schreiben von Computerskripten und das Betrachten von Tabellen ist eine relativ einfache Aufgabe an Land, aber auf einem fahrenden Schiff mitten im Ozean durchaus herausfordernd“, erinnert er sich. Es habe ein paar Tage gedauert, „bis sich mein Gehirn und mein Körper an diese Veränderungen gewöhnt hatten und ich nicht mehr seekrank wurde“.

Ein dunles Stück Erdboden, aus dem röhrenförmige helle Strukturen herausragen
Ein umgedrehtes Stück Gesteinskruste zeigt Oasisia- und Riftia-Röhrenwürmer sowie andere Organismen.

Rätsel um Würmerlarven gelöst

Die Mühe hat sich gelohnt. Der Tauchroboter entdeckte im Hohlraumsystem der Hydrothermalquellen neben Bakterien auch Schnecken und Bartwürmer der Gattung Riftia, die bis zu fünfzig Zentimeter lang werden können. Zuvor hatte man gerätselt, wo diese Würmer ihr Larvenstadium verbringen, da Larven im Wasser nicht nachzuweisen waren. „Jetzt können wir mit Sicherheit sagen, dass sich Röhrenwurmlarven durch dieses Kanalsystem ausbreiten und dort sogar niederlassen, um zu ausgewachsenen Würmern heranzuwachsen“, resümiert de Oliveira. Als erwachsene Tiere bilden sie dann eine im Boden verankerte Wohnröhre, verlieren Mund und Darm und leben ausschließlich durch eine Symbiose mit bestimmten Bakterien, die ihnen Nährstoffe liefern.

„Diese großen Tiere unter dem Meeresboden zu finden, war nicht nur sehr aufregend“, berichtet de Oliveira. „Es zeigt auch, dass die Bewohner auf und im Meeresboden eng miteinander verbunden sind.“ Denn die Bakterien, die die Würmer als Wirte nutzen, sind wesentlich daran beteiligt, Kohlenstoff zu binden und chemische Verbindungen umzuwandeln. Damit sind sie ein wichtiger Faktor der lokalen und regionalen geochemischen Stoffströme, die die Grundlage für weiteres Leben in der Tiefsee bilden.

Mehrere Personen sitzen vor einer gebogenen Wand aus Monitoren.
Im Kontrollraum der R/V Falkor (too) protokollieren Monika Bright und André Luiz de Oliveira wesentliche Elemente ihrer Tiefseeexperimente und -beobachtungen.

Hoch sensibles Ökosystem

„Unterirdische Tunnel und Hohlräume könnten eine wichtige Rolle bei der Wiederbesiedlung von hydrothermalen Quellen spielen“, vermutet de Oliveira. Es sei jedoch unklar, wie tief die Tiere im Meeresboden überleben können und welche ökologischen Folgen diese Höhlensysteme für das gesamte Ökosystem der hydrothermalen Quellen haben.

Ebenfalls unklar sei derzeit die Frage, wie groß und breit die Höhlensysteme sind – und wie weit verbreitet in den Weltmeeren Leben im Meeresboden ist. „Findet man es auch an anderen hydrothermalen Quellen? Falls ja, sind die damit verbundenen Tierarten dieselben? Was sind die Unterschiede? Was sind die Gemeinsamkeiten?“ Aus de Oliveira, der sich selbst als Evolutionsbiologe versteht, sprudeln die Fragen nur so heraus. Denn die Erforschung des neu entdeckten Ökosystems hat gerade erst begonnen.

Eines aber kann der Forscher mit Blick auf eine mögliche ökonomische Erschließung des Meeresbodens, etwa um Rohstoffe aus der Manganknolle zu fördern, sagen: „Die Zerstörung des Unterwasserbodens könnte ernsthafte Folgen für die Meeresumgebung haben und möglicherweise zum Aussterben von Arten und ganzen Ökosystemen führen. Da wir weder das Ausmaß noch die Bedeutung dieses neuen Ökosystems kennen, hat dessen Schutz höchste Priorität.“

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