An bestimmten Gletschern gelangen zunehmend Schwermetall und Aluminium in talwärts fließendes Wasser
„Die Wasserqualität an Blockgletschern, die in Kontakt mit Schwefelkies-haltigem Gestein sind, ist mit Blick auf Umweltrisiken sorgfältig zu überwachen“, fasst Geochemiker Christoph Wanner seine Studie zusammen, die soeben im Fachmagazin „Global and Planetary Change“ erschien.
Blockgletscher bestehen aus Gesteinsschutt, den Eis zusammenkittet und – wie bei herkömmlichen Gletschern – zu Tal „fließen“ lässt. Taut solches, von außen oft wie Schutthalden aussehendes Permafrost-Eis auf, kommen unter Umständen chemische Prozesse in Gang, die für Pflanzen, Tiere und Menschen gefährlich werden können. Deswegen regt jetzt ein Berner Forscherteam an, in bestimmten Alpenregionen den Giftstoffgehalt des aus dem Hochgebirge abfließenden Wassers im Auge zu behalten.
Fein zermahlenes Gestein bietet chemischen Prozessen äußerst viel Angriffsfläche
„Wie Permafrost-Schwund zu sauren Auswaschungen und zum Eintrag toxischer Substanzen führt.“ So lautet salopp zusammengefasst der Titel der Studie, die Christoph Wanner mit seiner Berner Forschungsgruppe „Gestein-Wasser-Interaktion“ jetzt veröffentlicht hat. Sie legt nahe, nicht nur in der von Granit dominierten Ostschweiz, sondern alpenweit und in anderen Permafrost-reichen Gebirgen der Welt mehr Augenmerk zu richten auf eine – chemisch gesehen – fatale Kombination: Blockgletscher und Gestein mit Anteilen von Schwefelkies (Fachbegriff Pyrit).
Gemeinhin assoziiert man Schwefel mit dem beißenden Gelb von Vulkanen. Aber im Verbund mit anderen Elementen tritt „Sulfur“ in Gebirgen weltweit sehr häufig und ganz unauffällig auf. Als fein verteiltes Eisen-„Sulfid“, das man als Wanderer oder Alpinistin gar nicht wahrzunehmen vermag.
Solange Sulfide chemisch am Eisen „kleben“, sind sie harmlos und bilden in Reinform sogar wunderbare, allseits beliebte Kristallformen, die zum Beispiel unter dem Namen Katzengold bekannt sind. Verwittert Eisensulfid im Gebirge, wo kein neutralisierendes Kalkgestein vorkommt, entsteht Schwefelsäure
Schwefelsäure kann im Hochgebirge durch eine Art natürlicher „Korrosion“ entstehen
Diesem Phänomen sind jetzt Geochemiker Wanner und Kolleg·inn·en an sechs verschiedenen Gewässern nachgegangen. Sie liegen alle unterhalb von immer stärker antauenden Blockgletschern. Dort dringt zunächst vermehrt Sauerstoff ein (was zu „Oxidation“ führt). Zudem geraten exotische Schwefel- und Eisen-Bakterien in Wallung, deren Stoffwechsel die Meisterleistung vollbringt, aus dem Abbau sulfidhaltiger Mineralien einen Teil ihrer Lebensenergie zu beziehen.
Das Forschungsteam um Christoph Wanner war auf mögliche Schwefelsäure-„Quellen“ durch das Phänomen der sogenannten weißen Bäche aufmerksam geworden (einer ist im Titelbild dieses Beitrags zu sehen): Weil in Granit neben Schwefel- häufig auch Aluminium-Verbindungen vorkommen, flockt das von Schwefelsäure herausgelöste Halbmetall immer dann weiß aus, wenn sich saurer Sud mit Wasser, etwa durch Regen, wieder verdünnt.
Aluminium zählt zu den eher harmlosen Elementen, die durch saure Auswaschung in Gewässer gelangen. Für dieses Halbmetall liegt daher das Trinkwasser-Limit der EU bei relativ großzügigen 200 Mikrogramm pro Liter. Viel strenger sind dagegen zum Beispiel Mangan und Nickel reguliert – mit Grenzwerten von 50 beziehungsweise 20 Mikrogramm pro Liter.
Auf die Spuren von Mangan und Nickel ging Wanner mit seinem Team im Hochgebirge rund um das Dreiländereck aus Schweiz, Italien und Österreich. Dort grenzen auch einige weithin bekannte Urlaubsregionen wie Engadin (Schweiz), Vinschgau (Italien) und Kaunertal. In einigen Abschnitten dieser Regionen werden Wasserressourcen des Hochgebirges aufgrund von Gletscherschwund und zurückgehenden Niederschlägen immer wichtiger für die Ökosysteme, für die Landwirtschaft und für die Trinkwasserversorgung.
Ganz oben, unterhalb von Blockgletschern, gerät die Chemie zunehmend aus dem Lot
In allen durch „weiße Spuren“ verdächtigen hochalpinen Gewässern fanden die Forschenden einen erhöhten Säuregehalt. Beim Giftstoff Mangan lagen die Konzentrationen dieses Elements nur in einer (!) der insgesamt zwanzig entnommenen Proben unterhalb des Grenzwerts von 50 Mikrogramm pro Liter.
In den meisten Gewässerproben überstieg der Mangangehalt diesen Wert etwa um das Zehnfache; vereinzelt wurde das Trinkwasserlimit um mehr als das Vierzigfache übertroffen. In einer Probe aus dem Engadin sogar um das 120-fache.
Im Falle von Nickel fielen die Konzentrationen nicht so dramatisch aus; aber in keinem der untersuchten Gewässerabschnitte waren die Werte mit dem Trinkwasserlimit konform.
Grund zu Panik besteht – derzeit – jedoch nicht
Die Ergebnisse findet Wanner besorgniserregend und regt daher eine sorgfältige Überwachung der Wasserqualität unterhalb derjenigen alpinen Hochgebirgsregionen an, in denen Pyrit-haltiges Gestein in Kontakt ist mit Blockgletschern. Diese sind, ebenso wie schwefelhaltiger Granit, keineswegs selten: Allein in Österreich gibt es fast 5.800 dieser Permafrost-Erscheinungen, in Südtirol knapp 1.500; für die Schweiz liegen noch keine zusammenfassenden Daten vor.
Gesichert ist: Aus Blockgletschern abfließendes Wasser kann, sofern Giftstoffe eingeschwemmt sind, gefährlich sein für Menschen, Tiere und Pflanzen. Doch erstens dünnen sich solche Phänomene aus, solange genügend unbelastetes Wasser zufließt. Zweitens besteht laut Wanner kein Grund zu Panik für Wanderer, die im Hochgebirge zufällig einmal Trinkwasser aus belasteten Rinnsalen schöpfen: „Wenn man das einmal trinkt, wird man nicht schwer krank“, so der Geochemiker.