Turteltaube – Willkommen zurück am Abgrund
Erst gerettet, nun wieder massenhaft zum Abschuss freigegeben. Wie die EU mit einer ihrer am stärksten bedrohten Vogelarten umgeht.

Es war einer der größten Artenschutzerfolge der vergangenen Jahrzehnte. Ein Jagdstopp in vielen europäischen Ländern bewahrte die Turteltaube in den vergangenen drei Jahren vor dem Aussterben. Doch nun soll den Vögeln ausgerechnet dieser Erfolg zum Verhängnis werden. Die EU-Kommission gibt Zehntausende der seltenen Vögel wieder zum Abschuss frei und vertraut dabei auf die Ehrlichkeit der Vogeljäger.
Diese wollen sich indes nicht in die Karten blicken lassen und schrecken zum Teil auch nicht vor Gewalt gegen Menschen zurück, wie die letzten Tage in Griechenland gezeigt haben.

EU gibt Feuer frei auf einen stark bedrohten Vogel
Ein herzliches Willkommen sieht wohl anders aus. Rechtzeitig zur Rückkehr der ersten Turteltauben aus ihren afrikanischen Überwinterungsgebieten in die Brutheimat gibt die Europäische Kommission grünes Licht für den massenhaften Abschuss der in vielen europäischen Ländern vom Aussterben bedrohten Vogelart. In der bevorstehenden Jagdsaison 2025/26 dürfen in Frankreich, Spanien und Italien wieder mehr als 130.000 Turteltauben legal erschossen werden, entschied die Kommission Ende März.
Das entspricht einer Quote von 1,5 Prozent der westeuropäischen Population. Die Brüsseler Verwaltung geht davon aus, dass diese Quote nachhaltig und angesichts der Erholung der Turteltauben-Bestände in Teilen ihres Verbreitungsgebietes verantwortbar ist. Naturschützer bezweifeln das und fordern eine Rückkehr zum Jagdstopp.
Jagdpause war ein Riesenerfolg
Keinen Zweifel gibt es daran, dass das 2021 erlassene Jagdmoratorium eine der seltenen Erfolgsgeschichten im europäischen Naturschutz geschrieben hat: Nachdem Spanien, Frankreich, Portugal und Teile Italiens damals auf Anweisung der EU die Jagd auf die Turteltaube untersagten, erholten sich die Bestände deutlich. Innerhalb von nur zwei Jahren stieg die Zahl der Turteltauben in Westeuropa um 25 Prozent an – das entspricht rund 400.000 zusätzlichen Brutpaaren.
Dieser Boom fand sogar trotz schlechter Wetterbedingungen statt und gilt in Fachkreisen umso mehr als Beweis für die Wirksamkeit von Jagdverboten im Kampf um die Bewahrung der Artenvielfalt.

„Vögel der Liebe“ im Überlebenskampf
Trotz der Erholung bewegen sich die Bestände nach jahrzehntelanger Talfahrt nach einhelliger Einschätzung von Artenschutzexperten in vielen EU-Mitgliedstaaten aber noch nicht im sicheren Bereich.
Deshalb wurde die Einstufung der Vogelart in den höchsten Stufen der Roten Listen beibehalten. In Deutschland werden Turteltauben beispielsweise weiter in der zweithöchsten Kategorie vor dem Aussterben als „stark gefährdet“ geführt. Das liegt nicht allein an der Jagd. Auch sonst ist das wahre Leben der schon von Shakespeare wegen ihres zärtlichen Umgangs miteinander zum Symbol einer romantischen Liebe verklärten Vögel alles andere als eine Romanze. Wie andere Arten der Agrarlandschaft leiden die gefiederten Liebespärchen unter der intensiven Landwirtschaft, dem damit einhergehenden Insektenmangel und der Zerstörung ihrer Lebensräume entlang von Hecken und kleinen Wäldchen.
Umso alarmierter reagieren Naturschützer nun auf die Freigabe der Jagd. Ariel Brunner, Direktor der Vogelschutzorganisation BirdLife Europa, nennt die Entscheidung verantwortungslos. „An der schlechten Situation in den Lebensräumen hat sich nichts geändert und nur der Jagdstopp hat den Turteltauben wieder etwas Luft zum Atmen verschafft“, sagt Brunner, dessen Organisation im zuständigen EU-Fachgremium gegen die Freigabe gestimmt hatte. „Die gewonnene Zeit müssen wir nutzen, um die Renaturierung voranzubringen, statt Jägern ein paar Jahre lang Spaß an der Jagd zu ermöglichen und dann wieder bei Null anzufangen.“
Auch die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus kritisiert die Entscheidung, die Jagd auf Turteltauben wieder zu öffnen. „Der Bestand zeigte gerade wieder einen Hoffnungsschimmer“, sagt sie. „Es scheint, als würde die Jagdlobby in der Kommission mächtige Fürsprecher haben – anders ist diese Entscheidung für mich nicht zu begreifen.“
Abschuss-Meldung per App oder SMS
Die EU-Kommission rechtfertigt die neuerliche Jagdfreigabe neben den gestiegenen Zahlen der Vögel vor allem damit, dass es ein funktionierendes System der Kontrolle geschaffen worden sei, um sicherzustellen, dass wirklich nur die freigegebene Zahl von Turteltauben geschossen wird. Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Denn das in immer mehr Ländern eingesetzte System der Meldung abgeschossener Tiere per App oder SMS an eine zentrale Stelle beruht vollständig auf Vertrauen in die Redlichkeit der Jägerinnen und Jäger. Kontrollierbar ist die Einhaltung der Quoten nicht.

Wie wackelig das System der Kontrolle ist, zeigt die Praxis beispielsweise in Frankreich. Dort wollen die Behörden die Einhaltung der für das Land festgesetzten Jagdquote auf Turteltauben mittels einer Smartphone-App namens „ChassAdapt“ überwachen, über die Jäger jede geschossene Taube melden sollen. Der Schönheitsfehler: Nur 14 Prozent der französischen Jägerinnen und Jäger haben die Melde-App überhaupt installiert, wie eine Studie belegt.
Knickt die EU-Kommission vor Rechtspopulismus ein?
Der Biologe und Vogelschutz-Aktivist Axel Hirschfeld vom Bonner Komitee gegen den Vogelmord analysiert seit vielen Jahren europäische Jagdstatistiken und die Auswirkungen der Jagd auf bedrohte Vogelarten.
Gerade war er wieder Malta, um das Ausmaß der Jagd auf Turteltauben in diesem Frühjahr zu dokumentieren. „Wir haben in den letzten Jahren durchgängig beobachtet, dass schon in den Tagen vor Beginn der Jagdzeit auf Malta mehr Turteltauben geschossen werden als die Quote für die gesamte Jagdzeit erlaubt“, berichtet Hirschfeld. Das Reporting-System mit App oder per SMS-Meldung sehe nur auf dem Papier gut aus, lautet sein Urteil. „In der Praxis lädt es zum Betrug durch Unterlassen geradezu ein – es werden de facto kaum Abschüsse gemeldet.“
Für Hirschfeld zeigt der durchschlagende Erfolg des Jagdstopps bei der Turteltaube, wie groß die Gefahr der illegalen und legalen Jagd für viele Vogelarten in Europa ist. „Die richtige Konsequenz aus der Bestandserholung wäre gewesen, Turteltauben von der Liste jagdbarer Arten zu streichen“, sagt er. Stattdessen geschehe aus Furcht vor einer Konfrontation mit der Jägerlobby und rechtspopulistischen Kreisen das Gegenteil. „Die EU-Kommission tauscht Turteltaubenleben gegen Wählerstimmen ein“, sagt der Naturschützer.
"Wenn diese Haltung nicht korrigiert werden, sei zu befürchten, dass die Turteltaube in wenigen Jahren das Schicksal einer verwandten Art erleide – der Wandertaube. Der nordamerikanische Vogel war im 19. Jahrhundert die häufigste Vogelart der Erde. Die massive Nachstellung brachte sie innerhalb weniger Jahre zum Aussterben. Heute sind die Präparate der Tauben in vielen Museen der Erde ausgestellt – als Mahnung gegen das Artensterben durch eine zu starke Verfolgung.

Brutaler Überfall auf Turteltauben-Schützer in Griechenland
Wie gefährlich der Einsatz für den Schutz der Turteltaube auch innerhalb der Europäischen Union ist, hat sich vor wenigen Tagen auf der griechischen Insel Zakynthos gezeigt. Dort überfielen maskierte Wilderer ein Team des Komitees gegen den Vogelmord. Drei Vogelbeobachter wurden verletzt und mussten in ein Krankenhaus gebracht werden.

Nach Angaben des Komitees ereignete sich der Vorfall am Mittwoch (16. April 2025) auf der Halbinsel Keri, einem Gebiet, das für massive illegale Abschüsse von Zugvögeln bekannt ist. Trotz eines totalen Jagdverbots im Frühjahr waren demnach viele Jäger anwesend, die meisten von ihnen trugen Schrotflinten. Während ein internationales Team der Vogelschützer die Situation dokumentiert habe, seien einige Wilderer auf sie zugekommen und hätten begonnen, sie zu beleidigen und zu bedrohen, berichtete die Vogelschutzorganisation.
„Innerhalb weniger Minuten gesellten sich andere wütende Jäger zu ihnen und die Situation geriet völlig außer Kontrolle“, sagte das italienische Teammitglied Stefania Travaglia. Dann sei die Beobachtergruppe von einer auf rund 15 Männer angewachsenen und vermummten Gruppe massiv attackiert, ins Gesicht geschlagen, zu Boden geworfen und in den Bauch getreten worden, berichtete das Team. „Sie bewarfen uns auch mit Steinen und warnten uns, nie wieder nach Keri zurückzukehren, wenn wir unser Leben riskieren wollten“, erinnert sich die Britin Emma Phipps.
Vogelschützer erleiden Nasenbruch – und wollen weitermachen
Die Männer hörten erst auf, als sie merkten, dass die Polizei zu Hilfe gerufen worden war und eine Streife zum Tatort unterwegs war, und rannten davon. Während die Beamten versuchten, die Angreifer zu finden und zu identifizieren, wurden eine weibliche und zwei männliche Vogelbeobachter in ein Krankenhaus gebracht, wo Ärzte eine gebrochene Nase sowie mehrere offene Wunden und Prellungen behandelten.
Die Polizei hat mittlerweile eine Reihe von Verdächtigen identifiziert und zur Befragung vorgeladen. Der Präsident des Komitees, Karl-Heinz Kreutzer, kündigte an, dass die Vogelschützer sich Gewalt und Einschüchterungstaktiken nicht beugen und ihre Aktivitäten auf Zakynthos bis Ende des Monats fortsetzen würden.